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Nachtwei in 'loyal': Die Akzeptanz der Einsätze schrumpft

Veröffentlicht von: Webmaster am 11. Mai 2007 13:33:17 +01:00 (35924 Aufrufe)
In einem Interview im sicherheitspolitischen Magazin „loyal", das am 05. Mai 2007 erschien, äußerte sich Winfried Nachtwei wie folgt zu Auslansdseinsätzen:

1. Herr Nachtwei, Sie haben davon gesprochen, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr in einer politischen Krise stecken. Was meinen Sie damit?

Die große Masse der Bundeswehreinsätze sind Stabilisierungseinsätze und tragen zur Eindämmung (kriegerischer) Gewalt bei. Das ist ein unsichtbarer, nichtsdestoweniger großer Erfolg. Einzelne kleinere Einsätze (Mazedonien, Kongo) konnten auch erfolgreich abgeschlossen werden. Die Umfänge der Balkan-Einsätze gingen erheblich zurück. Aber: Die größeren Langzeiteinsätze erfordern einen enormen Personal- und Finanzaufwand, dauern immer länger und sind von einem erfolgreichen Abschluss weit entfernt. In Afghanistan steht sogar das hoffnungsvoll gestartete internationale State-Building-Projekt auf der Kippe. Riesenprobleme macht es offenbar, von extern gestützter Sicherheit zu selbsttragenden Sicherheitsstrukturen, Aufbau- und Friedensprozessen zu kommen. Dies braucht Zeit. Die Schere zwischen - z.T. überhöhten - Erwartungen und spärlichen bis ausbleibenden Erfolgen geht auseinander, die Akzeptanz der Einsätze schrumpft: in der Bevölkerung, gerade auch unter Soldaten, im Parlament.

Diese Wirksamkeits- und Akzeptanzkrise resultiert nicht nur aus den objektiven Schwierigkeiten solcher komplexen Friedenseinsätze, sie ist wesentlich auch eine Krise der politischen Führung auf nationaler und multinationaler Ebene: Die Zieldefinitionen der Einsätze sind zu allgemein und wenig realitätsnah. Es mangelt an Kohärenz zwischen den wichtigen Akteuren, ihren Politiken und ihrer Praxis. Obwohl Stabilisierungseinsätze komplexe diplomatisch-militärisch-polizeilich-zivile Unternehmungen sind, sind ihre Teilfähigkeiten notorisch unausgewogen. Die nichtmilitärischen Fähigkeiten sind extrem unterausgestattet. Für das noch schwierigere Peacebuilding stehen viel schwächere Kräfte zur Verfügung als für das schon schwierige militärische Peacekeeping.

Schließlich mangelt es der politischen Führung an Überzeugungskraft: Auslandseinsätze werden fast nur ad-hoc und reaktiv, aber nicht kontinuierlich begründet und erläutert. Eine floskelhafte Sprache der Überschriften (Friedenssicherung, Stabilisierung, Demokratie, Wiederaufbau) verpufft und geht an den Fragen und Zweifeln der Menschen vorbei.

 

2. Heißt das auch, dass die Bundeswehr die ihr übertragenen militärischen Aufgaben nicht erfüllen kann?

Nein. Aber sie bleibt tendenziell endlos auf ihren Aufgaben hängen, wenn die politische Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung nicht vorankommen. Damit wächst das Risiko, dass eine in der Krisenregion gut angesehene Unterstützungstruppe zu einer Besatzungstruppe wird. Zugleich fehlt uns bisher über politische Bewertungen hinaus eine systematische und unabhängige Wirksamkeitsanalyse der militärischen Auslandseinsätze: Wie ist das Verhältnis zwischen Input, militärischer „Selbstbeschäftigung" und Selbstschutz einerseits und Sicherheits- und Stabilitätsgewinn als Output andererseits?

 

3. Wie beurteilen Sie die Ausrüstung der Bundeswehr in den Auslandseinsätzen?

Bei allem Bemühen, die Einsatzkontingente bestmöglich auszustatten, gibt es deutliche Mängel. Zum Beispiel: die äußerst knappen Lufttransportkapazitäten, vor allem im taktischen Bereich; die verspätete Entwicklung eines Feldlagerschutzes gegen Mörser, Raketen etc.; die zu geringe Stückzahl von gepanzerten Radfahrzeugen bei der Bundeswehr insgesamt, so dass Einweisungen oft nicht in Deutschland, sondern erst im Einsatzland erfolgen können.

 

4. In den Kommuniques zahlreicher internationaler Konferenzen, vor allem der NATO, ist von einer vernetzten Sicherheitspolitik die Rede, in die zivile Aufgaben mit einfließen sollen. Warum wird dies nicht umgesetzt?

Weil es meist nicht mehr ist als eine so plausible wie modische Worthülse. Es mangelt an konkretem Verständnis für einen ganzheitlichen Ansatz: wie die vielen verschiedenen Akteure funktionieren und ticken, wo ihre Stärken und Schwächen sind, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Vernetzung geben sind. Während für die militärische Seite ein Denken in Notwendigkeiten und Fähigkeiten selbstverständlich ist, verharrt die politische Seite eher im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten und Ressourcen. Im zivilen und polizeilichen Bereich fehlen schnell einsetzbare oder stehende Strukturen.

 

5. Findet über diese Fragen auf der Ebene der Parlamentarier in den internationalen parlamentarischen Gremien ein Gedankenaustausch statt? Wie sehen die Parlamentarier in anderen Ländern diese „vernetzte Politik"?

Noch viel zu wenig, weil wir uns international in der Regel noch ressortbeschränkter treffen als auf nationaler Ebene. Manche Nationen scheinen uns bei dieser Vernetzung voraus zu sein, andere verharren eher in einer Art Militärfixiertheit.

 

6. Sie haben als Abgeordneter den Einsätzen zugestimmt. Welche Möglichkeiten haben Sie, nun im Sinne einer Bewältigung der politischen Krise Einfluss zu nehmen?

Zuerst dadurch, dass ich seit Jahren solche Einsätze als komplexe Missionen verstehe, bei Besuchen vor Ort zu Kontakten auch mit den nichtmilitärischen Akteuren dränge und versuche sie aus ihrer Schattenexistenz der Nichtbeachtung herauszuholen.

Dann durch Verankerung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung im rotgrünen Koalitionsvertrag von 2002, der ein großer konzeptioneller Fortschritt hin zur Vernetzung ist.

Inzwischen empfehle ich meiner Fraktion, bei Einsatzentscheidungen die Anstrengungen zur politischen Konfliktlösung und die Stärke der diplomatisch-zivil-polizeilichen Kräfte zu einem wichtigen Kriterium zu machen. Bloße parlamentarische Begleitanträge zum „politischen Rahmenprogramm" von Auslandseinsätzen reichen nicht mehr.

 

7. Was kann oder muss getan werden, um die bröckelnde öffentliche Zustimmung für die Sicherheitspolitik in Deutschland zu erhalten?

Klarheit, Offenheit, Ehrlichkeit, Blick auf Chancen. Zu allererst muss die Politik selbst sich über einige Grundfragen verständigen: Was haben die Auslandseinsätze bisher gebracht, was nicht und warum? Was sind unsere leitenden, aus Grundgesetz und Völkerrecht ergebenden Werte, was die deutschen, europäischen, kollektiven Sicherheitsinteressen angesichts globalisierter Unsicherheit? Gegenüber welchen Risiken und Bedrohungen kann oder darf Militär überhaupt einen Beitrag leisten und wo nicht? Wie viel Ressourcen können und wollen wir in Prävention und Friedenssicherungen investieren, und wo sind unsere Prioritäten? Die Antworten des Weißbuches der Bundesregierung dazu sind entweder lückenhaft oder missverständlich. Eine bloße PR-Kampagne wäre aussichtslos. Überfällig ist eine offene und vor allem ehrliche friedens- und sicherheitspolitische Debatte und Verständigung. Notwendig ist eine integrative Sicherheitsstrategie mit dem Primat ziviler Anstrengungen. Denn es geht ja um Schutz vor und Verhütung von illegaler Gewalt und internationale Rechtsdurchsetzung - und nicht etwa um die militärische Durchsetzung von Partikularinteressen.

Da es keine Sicherheit ohne Frieden, keinen Frieden ohne Friedensförderung gibt, muss die Politik neben der Gefahrenabwehr und -prävention viel mehr die konstruktiven Chancen und Friedenspotenziale in den Blick nehmen - und vor allem fördern. Wirkliche Friedenseinsätze brauchen auch Hoffnung.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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