Dazu mein aktuelles Interview ""Nie wieder - nie mehr allein: Perspektiven auf den Vernichtungskrieg" in der Mitgliederzeitschrift von "Gegen Vergessen - Für Demokratie" und ein Bericht von ersten Aktionen gegen das große Verdrängen. Auch aus der "Stadt des westfälischen Friedens" machten im Rahmen von Wehrmachtsverbänden und Polizeibataillonen viele - begeistert, gehorsam, gezwungen - mit bei diesem gigantischen Staatsverbrechen.
22. Juni 1941: Vor 80 Jahren
Beginn des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion (I)
Winfried Nachtwei (21.06.2021)
(Fotos unter www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Am 22.Juni vor 80 Jahren begann Nazi-Deutschland den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mit insgesamt 3.050.000 deutschen Soldaten, zusammen mit verbündeten Armeen sogar vier Millionen, 3.350 Panzern, über 2.000 Flugzeugen – die größte Angriffsstreitmacht der Geschichte. Direkt hinter ihnen vier Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD sowie rund 60 (!) Polizei-Bataillone als mobile Massenmord-kommandos. Die Ungeheuerlichkeiten dieses Vernichtungskrieges von Anfang an, das Wüten dieser Kommandos in Belarus, dem Baltikum, der Ukraine und Russland ist in der deutschen Gesellschaft bis heute relativ wenig bewusst und viel verdrängt.
Das gespannte Verhältnis zwischen der EU, NATO und Putin-Russland darf kein Grund sein, nicht gebührend an dieses gigantische deutsche Staatsverbrechen zu erinnern.
Zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion erschien gerade mein Interview „Nie wieder – Nie mehr allein: Perspektiven auf den Vernichtungskrieg“ in der Mitgliederzeitschrift von „Gegen Vergesse – Für Demokratie“, Nr. 108 Juni 2021. ( https://www.gegen-vergessen.de/fileadmin/user_upload/Gegen_Vergessen/Mitgliederzeitschrift/GVFD-Magazin_108-2021_web.pdf )
Ich werde auf www.nachtwei.de an wichtige Stationen des Vernichtungskrieges bis zum Jahresende erinnern, angefangen mit der Spur der
16. Panzerdivision aus Münster durch die Südukraine, wo jeweils nur wenige Tage hinter der Fronttruppe die Einsatzkommandos und Polizeibataillone zu wüten begannen. (Die Division erreichte als erste die Wolga bei Stalingrad. 128 ihrer Soldaten überlebten)
Ab November folgt dann mein Vortragsangebot zum "Rigaer Blutsonntag" und den Riga-Deportationen vor 80 Jahren. Am 30. November 1941 begann die Ermordung von rund 26.500 Rigaer Juden. Zum 80. Jahrestag des Rigaer Blutsonntags und 20 Jahre nach der Einweihung der Gedenkstätte im Wald von Bikernieki wird in Riga eine Gedenkveranstaltung stattfinden und in Bikernieki eine Ausstellung eröffnet. Daran will ich wie 2001 teilnehmen. (https://kriegsgraeberstaetten.volksbund.de/friedhof/riga-bikerniekiwald ).
Erste Erinnerungsveranstaltung an den deutschen Überfall auf die Sowjetunion in Münster 1991. 50 Jahre danach
Von Winni Nachtwei, MAULWURF (Zeitschrift der GAL Münster) Mai 1991
Überfall? „Ich bin stolz, in Russland gekämpft zu haben“ war am letzten Volkstrauertag noch von einigen älteren Herren zu hören. Wer kennt sie nicht, die Landser-Geschichten vom Russland-Feldzug, von Kameradschaft, „soldatischer Leistung“, vom russischen Winter, dem „grausamen Russen“, der harte Gefangenschaft. Unvergessen ist dieser Krieg auch 50 Jahre danach, vor allem in der Sowjetunion, aber auch in Deutschland. Doch hierzulande ist die Erinnerung meist verborgen, gespalten, geschönt – von der ganzen Wirklichkeit des Krieges gegen die Sowjetunion wurde jahrzehntelang geschwiegen.
Am 22. Juni 1941 begann die deutsche Wehrmacht mit 3 Millionen Soldaten das „Unternehmen Barbarossa“.
„Gegen den gottlosen, den jüdischen Bolschewismus“ hieß die Parole. Da machten die Generäle begeistert mit, da stimmten die Bischöfe zu. Generaloberst Hoepner, Befehlshaber er Panzergruppe 4, zur bevorstehenden Kampfführung im Osten (2.5.41): „Der Krieg gegen Russland ist (…) der Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Verteidigung europäischer Kultur gegen moskowitisch-asiatische Überschwemmung, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muss die Zertrümmerung des heutigen Russland zum Ziel haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muss (…) von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein.“ (Hoepner wurde 1944 als führendes Mitglied des militärischen Widerstandes hingerichtet)
Erzbischof Dr. C. Gröber/Freiburg, in seinem „Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen“ (1937): „Die Beurteilung des Bolschewismus muss von der Tatsache ausgehen, dass es sich eim Bolschewismus letztlich um eine Geisteshaltung handelt, deren Kennreiche sind: Entpersönlichung des Menschen, Entgeistigung der Kultur, Umwertung der weltanschaulichen und sittlichen Begriffe von Wahrheit und Gerechtigkeit im Dienste einer Gruppe jüdisch geleiteter Terroristen.“
Der Krieg gegen die Sowjetunion wurde zu einem „Kreuzzug“, zum „ungeheuerlichsten Eroberungs-, Versklavungs- und Vernichtungsfeldzug“, den die Geschichte kennt. Die Wehrmacht habe an er Front gekämpft und sei bei ihrer soldatischen Pflichterfüllung sauber geblieben“, heißt es auch heute immer wieder. Das ist eine Lüge. Die Wehrmacht schoss den mörderische „Einsatzgruppen“ de Weg frei, Ortskommandanturen halfen bei Massenerschießungen. Seite a Seite mit SS und Polizei vernichteten Wehrmachtseinheiten hunderte Dörfer mitsamt ihrer Bevölkerung.
Wer kennt schon Trostenez …
bei Minsk in Weißrussland? Hier wurden über 200.000 Menschen erschossen, erhängt, vergast, verbrannt. Trostenez war die größte Vernichtungsstätte in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten der Sowjetunion. Hierhin (und nach Riga) gingen 1941 die ersten Deportationen deutscher Juden., Kein Wort davon in den zahllosen Erinnerungen von Kriegsteilnehmern, in Divisionsgeschichten und sogenannten Standardwerken wie Paul Carell`s „Unternehmen Barbarossa“. Keine Erinnerung daran in der „Traditionspflege“ der Bundeswehr, an Volkstrauertagen und Kriegerdenkmälern.
Die Chancen einer ehrlichen Erinnerung haben sich in den letzten Jahren entscheidend verbessert:
In der Sowjetunion befreien sich die HistorikerInnen von der Bevormundung durch die Partei, jahrzehntelang Verdrängtes kommt zur Sprache, z.B. da Schicksal der aus deutscher Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Sowjetsoldaten, die Art der sowjetischen Kriegsführung usw.
In Deutschland schwindet das aktive Interesse, die Wahrheit des Krieges gegen die Sowjetunion zu leugnen: Die Kriegsgeneration ist raus aus den verantwortliche Positionen, das traditionelle Feindbild von der „Bedrohung aus dem Osten“ ist zerbrochen. Erstmals läuft im Deutschen Fernsehen eine deutsche Produktion über den Vernichtungskrieg, der Sechsteiler „Steh auf, es ist Krieg“. Dass sie aber auf entlegene Sendeplätze verbannt wurde, (dritte Programme, sonntags um 14.00 Uhr beim WDR!), ist zugleich symptomatisch für die seit dem „Ende der Nachkriegszeit“ noch stärker wachsende Grundstimmung: Endlich einen Schlussstrich unter die Nazizeit zu ziehen, sich aus ihrem Schatte zu lösen und zu „normalisieren“. Auch in linke und alternativen Kreisen ist diese Stimmung deutlich zu spüren, verstärkt noch seit dem Golfkrieg.
Auch wenn es stört und schwer fällt: ERINNERN TUT NOT!
Mahnwache: „STEH AUF, ES IST KRIEG!“
Am 22. Juni 1991 10.-13.00 Uhr vor dem Rathaus Münster
„Tatorte, Opferspuren – Münschersche Beiträge zum Krieg gegen die Sowjetunion“
Diavortrag von Winni Nachtwei
Über die verdrängte Wirklichkeit hinter Kriegerdenkmälern und Kriegsopfergedenken , über Wehrmachts- und Polizeiverbände aus Westfalen, ihren Weg in der Sowjetunion (Baltikum, Leningrad, Umam, Kiew, Stalingrad, Weißrussland) über das Schicksal der Menschen in den besetzen Gebieten und der Kriegsgefangenschaft.
Montag, 24. Juni 1991, 20.00 Uhr, Zum Schwan, Schillerstraße
Eingeladen sind besonders auch Angehörige der Kriegsgeneration und zzt. in Münster weilende sowjetische Gäste. Die Veranstaltung soll einen Rahmen bieten, in dem das fast nie gelaufene Gespräch zwischen den Generationen endlich einmal stattfinden kann – nicht mit gegenseitigen Vorwürden, sondern um zu erfahren, was war und warum es geschehen konnte.
Pressemitteilung zur Gedenkveranstaltung an den
Überfall auf die Sowjetunion vor 50 Jahren –
Vortrag über „Münstersche Beiträge“ 30.6.1991
Aus Anlass des 50. Jahrestages des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion hielt auf einer Erinnerungsveranstaltung von GAL/GRÜNEN Winni Nachtwei einen Diavortag über Münstersche Bezüge zu diesem Krieg.
Erinnerung an dieses traumatische Ereignis falle immer schwerer, werde immer mehr von den Problemen der Gegenwart beiseitegedrängt, so Nachtwei. Zugleich seien heute die Chancen einer Erinnerung ohne Beschönigungen und Einseitigkeiten so gut wie nie zuvor.
Mit Bildern aus Divisionsgeschichten, von zeitgeschichtlichen Dokumenten und Originalschauplätzen in Münster und der Sowjetunion versuchte Nachtwei einzelne Stationen des Krieges nachzuzeichnen.
Ausgangspunkt des Diavortrages war der Bereich Neutor/Münzstraße: Im heutigen Gebäude des I. Korps das bis 1945 der Befehlshaber im Wehrkreis VI. Von dort wurden insgesamt v14 Divisionen in den Krieg geschickt. Wenige Schritte weiter an der Münzstraße steht das Denkmal der Münsterländischen 16. Panzerdivision, die im Rahme er Heeresgruppe Süd am Krieg gegen die Sowjetunion teilnahm. Den einfachen Soldaten war es zunächst verborgen, den Generälen war es schon Monate vorher so befohlen worden: Am 22. Juni 1941 begann ein langfristig geplanter Raub- und Vernichtungskrieg gegen den „jüdischen Bolschewismus“.
An den Kesselschlachten der ersten Monate nahm auch die 16.P.D. teil, z.B. bei Kiew, wo über 600.000 Sowjetsoldaten in deutsche Gefangenschaft gerieten. Den katastrophalen Haftbedingungen fielen schon in den ersten Monaten hunderttausende Gefangene zum Opfer; Überlebende wurde zu Zwangsarbeit ins Reich transportiert. In Münster waren in 60 Lagern, Gaststätten, Schulen, Bauernhöfen Kriegsgefangene (und Fremdarbeiter) untergebracht. Von 1939-45 sind mindestens 800-1000 von ihnen in Münster umgekommen.
Unmittelbar hinter den Fronttruppen rückten die „Einsatzgruppen von Sicherheitspolizei und SD“ vor. Ihre Aufgabe war, im Operationsgebiet alle Juden und als Kommunisten Verdächtige zu vernichten. Die Kesselschlacht von Kiew war kaum beendet, als in Zusammenarbeit mit der Ortskommandantur der Wehrmacht 33.771 Juden von Kiew in der Schlucht von Babi –Yar erschossen wurden. Ähnliches geschah im Baltikum, durch da u.a. as westfälische Panzerregiment 11 Richtung Leningrad vorgestoßen war. Am 1. Dezember 1941 meldete der Führer des Einsatzkommandos 3, Karl Jäger, vormals Gestapochef in Münster (SD-Sitz Gutenbergstr.), eine „Gesamtaufstellung der im Bereich des RK. 3 durchgeführten Exekutionen“ nach Berlin: „Summa 137.346“. Nachdem die einheimischen Juden ermordet worden waren, wurde in Riga das „Reichsjudenghetto“ eingerichtet. Am 16. Dezember traf er erste Zug mit 1.000 Deportieren aus Westfalen ein, darunter 390 aus dem Münsterland. Der Raum Riga wurde zum „Auschwitz der westfälischen Juden“.
Im August 1942 erreichte die 16. P.D. als erste die Wolga bei Stalingrad. Festgehalten von Hitlers Durchhaltebefehlen und dem blinden Gehorsam der Generäle verbluteten, erfroren , verhungerten hier tausende ihrer Soldaten. 128 von ihnen kehrten nach Jahren wieder nach Deutschland zurück.
Zuletzt ging der Referent noch auf den „Partisanenkampf“ ein, der mit unerhörter Grausamkeit geführt wurde: Im Durchmarschraum des westfälischen Panzerregiments 11 lag auch da Dörfchen Audrini in Ostlettland, dessen gesamte Bevölkerung – vom Säugling bis zur Urgroßmutter – Anfang 1942 nach einem Feuerwechsel erschossen wurde. (Ein mutmaßlicher Hauptbeteiligter, Boleslavs Maikovskis, steht deshalb vor dem Münsteraner Landgericht) Dieses Massaker war aber kein Einzelfall: Dörfer mitsamt ihrer Bevölkerung zu vernichten, war vor allem in Weißrussland „normal“ unter der deutschen Besatzung, es entsprach höchsten Befehlen.
Tief betroffen reagierte die Zuhörer auf den Vortrag: Der zeitlich und räumlich so ferne Krieg vor 50 Jahren war ihnen nahegekommen.
Warum machten so viele Menschen bei diesem verbrecherischen Krieg bis zum bitteren Ende mit? Ein anwesender Kriegsteilnehmer, der in Russland beide Beine verloren hatte, nannte die tie4f sitzende Obrigkeitsgläubigkeit: Erzogen zu Gehorsam, Pflichterfüllung, Leistung habe man die nach dem „WOFÜR?“ gefragt.
Winni Nachtwei
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: