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Erinnerungsarbeit + Bericht von Winfried Nachtwei
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Ausstellung "Rechtsextreme Gewalt in Deutschland 1990-2013" im Militärhistorischen Museum Dresden - Katalogbeitrag von W. Nachtwei zu "Bundeswehr und Rechtsextremismus"

Veröffentlicht von: Nachtwei am 4. Februar 2013 17:21:58 +01:00 (29011 Aufrufe)

Es war eine besondere Demonstration für Menschenwürde + gegen Gewalt und Rechtsextremismus - die Eröffnung der Ausstellung "Rechtsextremismus in Deutschland" mit Fotos des amerikanischen Journalisten Sean Gallup im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden. Für den Ausstellungskatalog verfasste ich einen Beitrag über rechtsextreme Vorfälle und Einstellungen in und im Umfeld der Bundeswehr. Hier der Bericht und die Einleitung meines Beitrages.

 

Ausstellung „Rechtsextreme Gewalt in Deutschland 1990-2013" im Militärhistorischen Museum Dresden - Katalogbeitrag von W. Nachtwei zu „Bundeswehr und Rechtsextremismus"

Am 1. Februar wurde im Dresdner Militärhistorischen Museum der Bundeswehr die Ausstellung „Rechtsextreme Gewalt in Deutschland 1990 - 2013" mit Fotografien und Texten von Sean Gallup und mehr als 200 Gästen, darunter etliche SchülerInnen, eröffnet. Als Mitautor des Ausstellungskataloges nahm ich an der Veranstaltung teil. Zusammen mit der Stalingrad-Ausstellung im selben Haus empfinde ich die beiden Ausstellungen an DIESEM Ort als einmalige, erfahrungsstarke Demonstration für Demokratie und Menschenrechte, gegen Gewalt und Rechtsextremismus.                                                                                                                                  Der US-amerikanische Fotojournalist Sean Gallup, der seit 2001 für die Bildagentur Getty Images arbeitet und seit 2003 in Deutschland lebt, beschäftigt sich seit 2007 näher mit rechtsextremer Gewalt in Deutschland und bereiste die alten und die neuen Bundesländer. Seine großformatigen Bilder „zeigen Opfer rechtsextremer Gewalttaten, Aussteiger aus der NS-Szene und couragierte Bürger, die sich gegen den neuen Nazismus in Deutschland zur Wehr setzen. (...) Sean Gallup geht es nicht nur darum, die Bösartigkeit in der Gesellschaft aufzuspüren, sondern auch um die Suche nach Auswegen aus der Gewalt, um Ermutigung zur Zivilcourage und zu zivilbürgerlichem Engagement, dessen Kern Empathie und Mitgefühl für andere ist. Rechte Gewaltkriminalität betrifft nicht nur das einzelne Opfer, sondern auch immer die ganze Gesellschaft. Mit jeder rechtsextremen Gewalttat zielen die Täter auf den demokratischen Verfassungsstaat und die Wertebasis des Grundgesetzes, die Menschenwürde." (Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des MHM, in seiner Einleitung zum Ausstellungskatalog, S. 10 f.)                                                                                          Im Vorfeld der Ausstellung wurden Vorbehalte geäußert: Was denn eine solche Ausstellung in einer zentralen Bundeswehreinrichtung zu suchen habe. Dazu stellt der militärische Leiter des MHM, Oberst Matthias Rogg, klar: Die moderne Militärgeschichte befasse sich auch mit Motiven und Strukturen von gewaltbereiten gesellschaftlichen Gruppe, suche nach Ursachen von latenter und offener Gewalt. Viele nichtstaatliche Gewaltakteure „greifen auf militärische Ausbildungen und Erfahrungen zurück, und vor allem binden sie ihre Identität an militärische Vorbilder und pseudomilitärische Ordnungsvorstellungen." Rechtsextremismus sei zudem ein Thema der Politischen Bildung, die zu den zentralen Aufgaben der Streitkräfte gehöre und zusammen mit der historischen Bildung ein Grundpfeiler der Inneren Führung sei. Diese und die Stalingrad-Ausstellung im MHM würden sich ergänzen: „Während bei Stalingrad der aggressive Charakter von Hitlers Außenpolitik, die Rolle der Wehrmacht als wichtigstem Gewaltinstrument der NS-Herrschaft und ihre strukturelle Verstrickung in Verbrechen deutlich wird, zeigen die Bilder von Sean Gallup, dass der ideologische Rückbezug auf die Zeit des Nationalsozialismus und ganz besonders auf die Geschichte der Wehrmacht für rechtsextreme Gruppierungen weiterhin von elementarer Bedeutung ist." (S. 8 f.)                                   Schirmherr der Ausstellung ist der sächsische Innenminister Markus Ulbig. Der frühere Oberbürgermeister von Pirna (2001-2009) wurde für sein Engagement gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit mit dem „Theodor-Heuss-Preis" ausgezeichnet. Der Minister hält eine entschiedene und programmatische Rede gegen Rechtsextremismus.                                          Den einführenden Vortrag hält Mo Asumang, Autorin, Regisseurin und Schauspielerin. Die schwarze Deutsche berichtet, wie sie mit der Morddrohung umging, die die Neonaziband „White Aryan Rebels" gegen sie in einem Song ausgesprochen hatte: „Die Kugel ist für Dich, Mo Asumang". Am Tag danach, eine Woche danach, einen Monat, ein Jahr danach. Wie sie versucht der unsichtbaren Band und ihrem Frontsänger Lars Burmeister auf die Spur zu kommen. (vgl. ihr Beitrag im Katalog)

Die Ausstellung läuft bis zum 2. April. (www.mhmbw.de ) Im Begleitprogramm

11. Februar „Come Together - Dresden und der 13. Februar"

25. Februar „Blut muss fließen - Undercover unter Nazis": Rechte Musik als Einstiegsdroge

11. März „RESET - Aussteiger aus der rechten Szene berichten"

25. März „Braune Kameradinnen - Frauen in der rechten Szene" mit Andrea Röpke

Im Ausstellungskatalog „Rechtsextreme Gewalt in Deutschland 1990-2013", hrsg. von Gorch Pieken und Matthias Rogg, Sandstein Verlag 2012:

W. Nachtwei: „Eine Diskussion so alt wie die Bundeswehr? Rechtsextreme Einstellungen und Vorfälle in und im Umfeld der Bundeswehr" (S. 102-115)

(Einleitung:) Es war in der Anfangsphase des Bosnieneinsatzes der Bundeswehr. Im Herbst 1996 besuchten wir mit einer Spitzendelegation der bündnisgrünen Partei und Bundestagsfraktion das kriegszerstörte Bosnien. Für die meisten Kollegen war es die erste Begegnung mit Bundeswehrsoldaten im Einsatz. Positiv überrascht waren sie über diese deutschen Soldaten. Im Auftrag von UNO und Bundestag standen sie überzeugend für Kriegsverhütung. Die offenen und besonnenen Gesprächspartner zeigten keine Spur von Militarismus - Welten entfernt von der Wehrmacht.

Im Folgejahr bekam dieses Positivbild anderswo hässliche Risse: Schlag auf Schlag berichteten die Medien von Gewaltexzessen und Vorfällen mit rechtsextremistischem Hintergrund in der Bundeswehr: Angefangen im März 1997 mit einem Angriff von neun Soldaten auf Ausländer in Detmold, dann Vorfälle u.a. in Altenstadt (Luftlande-/Lufttransportschule), Hammelburg (Vereinte-Nationen-Ausbildungszentrum), schließlich ein Vortrag des ehemaligen Rechtsterroristen Roeder an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. In der Folge konstituierte sich Anfang 1998 der Verteidigungsausschuss des Bundestages als Untersuchungsausschuss „zur Abklärung tatsächlicher und behaupteter rechtsextremistischer Vorfälle in der Bundeswehr".

Werden Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund aus der Bundeswehr bekannt, reagiert die Öffentlichkeit besonders sensibel. Zu Recht. Wo die Bundeswehr der Teil des staatlichen Gewaltmonopols mit den größten Gewaltkapazitäten ist, ist die Frage, wer in ihr das Sagen und wer auf ihre Mittel Zugriff hat, für den demokratischen Rechtsstaat von existenzieller Bedeutung. Die Bundeswehr und ihre Soldatinnen und Soldaten sind auf das Grundgesetz und das Völkerrecht, auf Menschenwürde und Grundrechte verpflichtet. Bundeswehrangehörige stehen in der Pflicht, die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht nur anzuerkennen, sondern sich jederzeit zu ihr zu bekennen und für ihren Erhalt einzutreten. Das steht im diametralen Gegensatz zu jeder Form von Rechtsextremismus, der mit seinen Kernbestandteilen - exklusivem Nationalismus und Rassismus - die demokratischen Grundwerte negiert und bekämpft.

Zugleich ist aber auch unbestreitbar, dass Streitkräfte für Personen mit rechtsextremen Einstellungen besonders anziehend wirken - als Ort der Waffen und des Waffenhandwerks, von hierarchischer Ordnung, von Kämpfertum und Kameradschaft, durch die stärkere Betonung des Nationalen. Und ihren Nachwuchs bezieht die Bundeswehr vor allem aus der Gruppe der jungen Männer, der Hauptrisikogruppe in Bezug auf rechtsextremistisches Verhalten.

Einzelfälle? Spiegel der Gesellschaft? Strukturproblem?

Welchen Stellenwert haben also rechtsextremistische Vorfälle und Einstellungen in der Bundeswehr und ihrem Umfeld? Sind es immer mal wieder Einzelfälle, die sich nie ganz ausschließen lassen, die aus der Gesellschaft in die Bundeswehr „hineinschwappen", wie es über viele Jahre offizielle Sichtweise war? Hat die Bundeswehr im Gegenteil ein strukturelles Problem, wo der militärische Alltag und Einsatz möglicherweise rechtsradikale Einstellungen befördert? Oder wird hier Fehlverhalten einzelner von militärkritischen Teilen der Öffentlichkeit aufgebauscht, um die Bundeswehr in die rechte Ecke zu stellen und zu delegitimieren?

Hierzu ein aktuelles, realitätsnahes Lagebild zu gewinnen, wird durch mehrere Faktoren erschwert:

- Die Bundeswehr steht über Zeitsoldaten - und bis vor kurzem Wehrpflichtige - in einem so umfangreichen Personalaustausch mit der Gesellschaft wie keine andere staatliche Institution. (1997 waren es 180.000 Neuzugänge im Jahr.) Kurzfristige gesellschaftliche Entwicklungen können sich also schnell in der Bundeswehr auswirken.

- Einzelne Verdachtsfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund finden hohe Medienaufmerksamkeit, geben für sich aber keine Auskunft über Trends.

- Als zentraler Indikator fungieren unter „Besonderen Vorkommnissen" Verdachtsfälle mit rechtsextremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund, die von Disziplinarvorgesetzten gemeldet wurden (Meldepflicht). Von diesen wurde über die Jahre ein Viertel bis ein Fünftel nicht bestätigt. Keine Schätzungen liegen vor zum Dunkelfeld der geschehenen, aber nicht gemeldeten Vorfälle. Die Erfassungskriterien des Militärischen Abschirmdienstes MAD sind weiter: Hier liegt schon ein Verdachtsfall vor, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte" für einen rechtsextremistischen Hintergrund vorliegen.

- Da rechtsextremistisches und fremdenfeindliches Verhalten in der Bundeswehr seit Jahren streng geahndet wird, ist naheliegend, dass überzeugte Rechtsextreme in der Bundeswehr eher verdeckt agieren.

- Besonders schwierig zu erfassen und zu bewerten sind politische Einstellungen: Wo rechtsextremistische Ideologie diffus ist, wo es Grauzonen und Berührungspunkte zu national- und rechtskonservativen Positionen gibt, wo die „Neue Rechte" eine Brücke zur gesellschaftlichen Mitte schlagen will, wo zugleich das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht einer Gesinnungsschnüffelei zum Opfer fallen darf. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen zu politischen Einstellungen von Soldaten gibt es nur punktuell.

(Folgende Kapitel zu: Vorkommnisse bis Mitte der 1990er Jahre, Verteidigungsausschuss als Untersuchungsausschuss, Einsatzarmee - anfälliger oder widerstandsfähiger?, Schlussfolgerungen.

Andere Beiträge im Ausstellungskatalog nach dem Geleitwort des Innenministers, dem Vorwort des militärischen Leiters und der Einleitung des Wissenschaftlichen Leiters des MHM:

Hans-Jochen Vogel: Wie soll eine wehrhafte Demokratie mit dem Rechtsextremismus umgehen?

Oliver Decker/Johannes Kiess/Elmar Brähler: Aspekte des Rechtsextremismus - Erscheinungsformen und Verbreitung

Lutz Körner: Gefährliche oder schwere Körperverletzung - eine differenzierte Begriffsbestimmung

Mo Asumang: Die unsichtbaren Krieger

Harald Lamprecht: Leben mit der Angst - Umgang mit rechtsextremer Gewalt am Beispiel von Limbach-Oberfrohna

Claudia Luzar: Raumkampf in der Herzkammer - Wie Neonazis versuchten, die Deutungshoheit im sozialdemokratisch geprägten Dortmund zu erlangen, und an diesem Ziel scheiterten

Johannes Radke: Turnschuhe statt Springerstiefel - Die Wandlungen der Jugendkultur in der rechtsextremen Szene

Andrea Röpke: Radikalisierung und Terror - Neonazis im Untergrund

Sean Gallup im Gespräch mit Gorch Pieken

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch