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Bericht von Winfried Nachtwei
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Viel beschworen, wenig bekannt: Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung + Friedenskonsolidierung, Teil 1

Veröffentlicht von: Webmaster am 6. März 2008 12:12:39 +01:00 (78475 Aufrufe)

Wer es ernst meint mit einem gewaltpräventiven Ansatz in der Außen- und Sicherheitspolitik, der muss mehr in die zivile Krisenprävention investieren. In der Öffentlichkeit sind die vielfältigen staatlichen und nicht-staatlichen Aktivitäten auf dem Feld der zivilen Konfliktbearbeitung noch viel zu wenig bekannt. Winfried Nachtwei gibt einen ersten bislang noch nicht vorhandenen Überblick über die verschiedenen Maßnahmen und Aktivitäten:


Teil 1

Teil 2:
Viel beschworen, wenig bekannt: Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung + Friedenskonsolidierung, Teil 2

Bericht als PDF-Datei:
Viel beschworen, wenig bekannt: Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung + Friedenskonsolidierung


Viel beschworen, wenig bekannt:

Zivile Krisenprävention,

Konfliktlösung + Friedenskonsolidierung

Aktueller Stand März 2008 / Winfried Nachtwei, MdB

Zivile Krisenprävention (ZKP) wird viel gefordert, ist aber mit ihrer Praxis zugleich meist wenig bekannt. Im Zwischenbericht der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission von Bündnis 90/Die Grünen für den Friedenspolitischen Kongress am 7./8. März 2008 konnte die ZKB wegen der Beratungsabfolge noch nicht angemessen berücksichtigt werden. Der folgende Beitrag versucht einen aktuellen Zwischenstand der vielfältigen staatlichen und nichtstaatlichen Aktivitäten auf dem Feld der Zivilen Krisenprävention - selbstverständlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Inhalt:

Einleitung und Zusammenfassung

(1) Bedeutung der Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung in der Großen Koalition

(2) Friedens- und sicherheitspolitischer Bedarf

(3) Pro + contra ZKB

(4) Aktionsplan Zivile Krisenprävention - erster Umsetzungsbericht

(5) Der Ressortkreis Zivile Krisenprävention

(6) Der Beirat zum Aktionsplan

(7) Ausgaben für zivile Friedensförderung

(8) Einzelne Maßnahmen + Instrumente

a) ZIF

b) Polizeimissionen/CIVPOL

c) zivik

d) Ziviler Friedensdienst, Nonviolent Peaceforce

e) Gruppe Friedensentwicklung/FriEnt und gtz

f) Deutsche Stiftung Friedensforschung

g) Frauen, Frieden + Sicherheit

h) Friedensjournalismus

i) Plattform ZKB, Kampagne „Vorrang für Zivil"

j) Wirksamkeitsanalysen und Evaluation

(9) ZKB auf EU-Ebene

(10) ZKB auf globaler und UN-Ebene

(11) Schlüsselprobleme und wichtige nächste Schritte

Einleitung

Ziel der Zivilen Konfliktbearbeitung (ZKB) bzw. Friedensförderung ist nicht die Konfliktvermeidung, sondern die zivil-friedliche Austragung von Konflikten in den verschiedenen Konfliktphasen und Gewaltminderung: Krisenprävention im Vorfeld, Konfliktlösung im zugespitzten bzw. „eingefrorenen" Konflikt und Friedenskonsolidierung als Konfliktnachsorge. Strukturbezogene (längerfristige) Krisenprävention zielt auf den längerfristigen Abbau von Konflikt- und Gewaltursachen; prozessorientierte operative (mittel- und kurzfristige) Krisenprävention zielt auf die Verhinderung von Konflikteskalationen. Friedenskonsolidierung/ Peacebuilding soll nach Waffenstillständen Rückfälle in die Gewalt verhindern und stabilen Frieden fördern. Angesichts privatisierter Gewalt und schwacher Staatlichkeit geht Friedenskonsolidierung oft mit Bemühungen eines „Statebuilding" einher. Die große Masse der UN-Friedenssicherung agiert auf diesem Feld der Konfliktnachsorge. Viele Politikfelder sind von erheblicher krisenpräventiver Relevanz - von der Klima-, Energie- und Ressourcenpolitik über Entwicklungspolitik + Integrationspolitik nach außen und im Innern bis zu Abrüstung und Rüstungskontrolle. Um die Entgrenzung und Verflachung des Präventionsbegriffs zu vermeiden, soll hier unter Krisenprävention in erster Linie ihre operative Dimension verstanden werden. ZKB ist eine wesentliche Säule der Friedens- und Sicherheitspolitik.

Anforderungen: staatliche und nichtstaatliche, nationale und internationale Akteure können zur ZKB auf der unteren, mittleren und nationalen Ebene von Konfliktgesellschaften sowie im regionalen und internationalen Rahmen mit unterschiedlicher Reichweite und Wirksamkeit beitragen.

Krisenprävention und Konfliktlösung kann von außen nur unterstützt, aber nicht ersetzt werden. Die Hauptverantwortung bleibt bei den Konfliktparteien. Gegenüber komplexen Konflikten mit vielen Akteuren gibt es selbstverständlich kein präventives Allheilmittel und erst recht keine Erfolgsgarantie. Krisenprävention ist kein politisches Ingenieurwesen. Die Eskalation vieler Gewaltkonflikte ist zugleich eine Geschichte der verpassten Chancen. Die internationale Ignoranz gegenüber dem gewaltfreien Widerstand im Kosovo in den 90er Jahren und die Schwäche der OSZE-Mission Ende 1998/Anfang 1999 dort stehen dafür. Umso mehr kommt es darauf an, gewaltpräventive Chancen und Potenziale zu identifizieren und zu nutzen.

Notwendig sind ganze Bündel von Politiken, Pfaden, Maßnahmen, Instrumenten.

Soll ZKB Erfolgschancen haben, muss sie früh- und rechtzeitig ansetzen (d i e Schwierigkeit und Herausforderung), muss die Internationale Gemeinschaft eine kohärente und multidimensionale Politik entwickeln, müssen internationale und einheimische, staatliche und gesellschaftliche Akteure zusammenwirken und ihre Fähigkeiten und Kapazitäten angemessen sein.

Herkunft + Stellenwert: Fürsprecher der ZKB sind seit den 80er Jahren Friedensforschung, Teile der Friedensbewegung (insbesondere praxisorientierte Pazifisten), Grüne und Teile der SPD sowie die Friedensdenkschriften der Kirchen. Konzepte des „gerechten Friedens" und der „menschlichen Sicherheit" fordern den Primat der ZKB und Gewaltprävention. Auch die „Responsibiliy to Protect" setzt zuallererst auf zivile gewaltfreie Interventionen. Mit ZKB wird der Grundwert Gewaltfreiheit in Politik und Praxis umgesetzt und operativ. ZKB ist ein Kontinuitätsthema der Grünen und in ihren Programmen so konkret wie bei keiner anderen Partei eingefordert. Forciert durch die Erfahrungen der Balkankriege wurde die (zivile) Krisenprävention seit Ende der 90er Jahre zunehmend ein Thema auf den Ebenen von EU (ESVP) und Vereinten Nationen. Befördert durch ihre Einsatzerfahrungen auf dem Balkan und in Afghanistan drängen inzwischen auffällig viele Offiziere auf eine Stärkung ziviler Fähigkeiten. Inzwischen hat sich die Basis der ZKB in Deutschland vor allem um Praktiker mit Erfahrungen aus Konfliktregionen und viele Absolventen von Studiengängen zur Internationalen Politik erweitert. Die ZKB-„Szene" ist im Durchschnitt erheblich jünger als die Friedensbewegung, der man sich nur zum Teil verbunden fühlt.

Ausgehend von den Koalitionsverträgen 1998 und 2002 leistete Rotgrün zum Aufbau der ZKB: operativ bei der Eindämmung gefährlicher Konflikten (z.B. auf dem Balkan nach dem abschreckenden Beispiel des Kosovo-Krieges) und strukturell beim Aufbau neuer Instrumente und Fähigkeiten.(vgl. die Dokumentationen der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Gewaltvorbeugung konkret: Zwischenbilanz rotgrüner Maßnahmen zur zivilen Krisenprävention", März 2001,und „Wer den Frieden will, bereite den Frieden vor. Beiträge zur Stärkung der zivilen Säulen internationaler Friedensmissionen", November 2001)

Marksteine einer neuen Infrastruktur für ZKB wurden das Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF, der Zivile Friedensdienst/ZFD, die krisenpräventive Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit/FriEnt, die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die Unterstützung zivilgesellschaftlicher ZKB-Projekte über„ zivik", der Ausbau von Kapazitäten für internationale Polizeimissionen, der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" der Bundesregierung von 2004 und nicht zuletzt die aktive Förderung der nicht-militärischen Fähigkeiten auf Ebene der EU und Vereinten Nationen.

Im Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen von 2005 heißt es:

„Der Vorrang der zivilen Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention muss sich international, europäisch und national finanziell widerspiegeln.(...) Das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und der neue Aktionsplan Krisenprävention gelten international als vorbildlich. Staatliche und zivilgesellschaftliche Fähigkeiten zur zivilen Krisenprävention (darunter der Zivile Friedensdienst und die Stiftung Friedensforschung) wollen wir personell, finanziell und strukturell durch ein ziviles Entsendegesetz stärken. Wir setzen uns weiter dafür ein, dass das Europäische Zivile Friedenskorps endlich umgesetzt wird und eine Agentur für Ziviles Krisenmanagement und Abrüstung eingerichtet wird."

Die Infrastruktur ZKB hätte noch viel besser verankert und entwickelt werden können, wenn sie nicht nur Sache der Grünen Staatsminister Ludger Volmer und Kerstin Müller, sondern auch des Ministers Joschka Fischer gewesen wäre. Letzteres war nicht zu erkennen.

Grundwiderspruch und Handicap aller Bemühungen für ZKB ist bis heute der zunehmende Bedarf, der teilweise hohe verbale Zuspruch + die geringe Streitigkeit einerseits, die geringe Kohärenz, Ressourcenausstattung und minimale öffentliche Wahrnehmung andererseits.

Dringende Schritte:

  • - Entwicklung einer ressortübergreifenden Führungsfähigkeit in der Bundesregierung, Steuerungskompetenz des Ressortkreises
  • - Deutliche finanzielle und personelle Verstärkung, ZFD 500, stehende Kräfte (Aufholprogramm), gemeinsamer Haushaltstitel Krisenprävention
  • - Kooperations- und Kohärenzförderung, Klärung des Verhältnisses zwischen zivilen und militärischen Akteuren
  • - Kommunikationsstrategie und -kapazitäten
  • - Zivile Planziele 2010 orientiert am Bedarf + in Abstimmung mit den Planzielen der EU
  • - Chancenanalysen + early-action-Mechanismen

(1) Stellenwert der Zivilen Krisenprävention/Konfliktbearbeitung (ZKP/ ZKB) und Friedensförderung in der Großen Koalition: Im Koalitionsvertrag von 2005 hat Krisenprävention einen deutlich geringeren Stellenwert als bei Rotgrün, wo die Grünen bei der Koalitionsvereinbarung 2002 die Formulierer waren. Von explizit ziviler Krisenprävention ist keine Rede mehr. Es heißt aber noch, dass der Aktionsplan Krisenprävention umgesetzt werden soll. Einzelnen SPD-Politikern ist ZKB weiterhin ein aktives Anliegen. CDU-Außenpolitiker zeigten hier in der Vergangenheit kein Engagement. Erst in jüngerer Zeit zeigten einzelne Abgeordnete positives Interesse. Neue Initiativen gab es unter der Großen Koalition nicht.

In der Exekutive hat die explizite ZKB trotz aller konzeptionellen Anstrengungen nach Einschätzung von Insidern eine Nischenexistenz. Beim Mainstreaming der ganzen Bundesregierung bez. Krisenprävention sind Fortschritte nicht erkennbar. Am ehesten kommt Engagement aus dem AA (und vorbildlich vom AA-Krisenbeauftragten Botschafter F. Däuble), BMZ, BMVg. Andere Ressorts sollen zurückhaltend sein. Das erlebt der Ressortkreis Krisenprävention, dem es eindeutig an Steuerungskompetenz und Ressourcen mangelt und der deshalb auf die freiwillige Zusammenarbeit der Ressorts angewiesen ist. (Die von mir anlässlich eines Koalitionskonfliktes noch unter Rotgrün im Frühjahr 2005 ausgehandelten 10 Mio. Euro, die das Verteidigungsministerium für Zwecke des Ressortkreises zur Verfügung stellte - „Strukturelle Krisenvorsorge" - gelten als große Hilfe. Sie wurden u.a. zur Starthilfe für den Provincial Development Fund in Kunduz.)

Integrierte Führungsstrukturen, wie es sie z.B. in Kanada und Großbritannien gibt und sie beim Verteidigungsministerium mit dem künftigen Einsatzführungsstab kommen sollen, gibt es hierzulande auf der zivilen Seite nicht. Insgesamt sehen zivilgesellschaftliche Akteure Stillstand bis Rückschritt. Ein politischer Wille zur Weiterentwicklung der ZKB ist auf der Führungsebene der Bundesregierung nicht erkennbar. Einige Signale stehen sogar auf Abbau. So soll die Funktion des Krisenbeauftragten des AA seine Eigenständigkeit verlieren und einem anderen Beauftragten zugeordnet werden.

(2) Friedens- und sicherheitspolitische Bedarf: Laut Conflict Barometer 2007 des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) gab es 2007 insgesamt 328 (2006: 326) politische Konflikte, davon 6 (6) Kriege, 25 (30) schwere Krisen mit massiver Gewalt, 99 (104) Krisen mit sporadischer Gewalt, zusammen 130 (140) gewaltsame Konflikte. Hinzu kamen 198 nicht-gewaltsame Konflikte, davon 118 (114) manifeste und 80 (72) latente. 238 der Konflikte waren innerstaatlich, 90 zwischenstaatlich. Die Kriege und schweren Krisen waren alle intern (Tschad auch transnational). Von Krisen waren 6 zwischenstaatlich, 93 innerstaatlich. Während 36 Konflikte eskalierten, konnten 61 deeskaliert werden. Bei 52 der 328 gegenwärtigen Konflikte gab es Gespräche, Verhandlungen oder Konferenzen zwischen den Konfliktparteien. Zwei Drittel endeten ohne Ergebnis, in 29 Fällen konnten Abkommen geschlossen werden. (http://www.hiik.de/)

Der „Index of State Weakness in the Developing World" von Susan Rice + Stewart Patrick (Brookings-Institute) von Februar 2008 überprüft auf der Basis von 20 Indikatoren 141 Entwicklungsländer: Demnach gelten Somalia, Afghanistan, DR Kongo und Irak als Failed States, 24 weitere als Critically Weak States und 27 als Weak States. Weitere gelten als „States to Watch". (www.brookings.edu/reports/2008 ...)

Geradezu einzigartig auf dem Feld early warning und Konfliktanalyse ist FAST International unter dem Dach von swisspeace. Die Beobachtung von zzt. 25 Krisenländern wird wöchentlich fortgeschrieben. (http://www.swisspeace.ch/)

Trotz aller Berliner Stagnation liegt die ZKP voll im Trend der internationalen Politik, bietet Antworten auf eine stark wachsende Nachfrage. Stichworte dafür sind

- die neue Peacebuilding Commission der UN, mit der die komplexen und langwierigen Friedenskonsolidierungsprozesse auch auf UN-Ebene erstmalig abgestimmt begleitet und unterstützt werden sollen;

- die Anstrengungen der EU: „Zivile Planziele 2008" und inzwischen „2010"; die zzt. 12 EU-Missionen im Bereich der zivilen ESVP (in Palästina und Aceh war ausdrücklich nur die EU erwünscht), der Aufbau von „Civilian Response Teams"/CRT (stand-by und schnell einsatzfähig; solches hat auch die UN noch nicht);

- vor dem Hintergrund des Irak-Desasters die „Kehrtwende der Bush-Administration zum Nation Building" (so der Titel einer SWP-Studie) in 2004: seit Juli 2004 gibt es im State Departement das „Office of the Coordinator for Reconstruction and Stabilization" (S/CRS), das in 2006 über 100 Mio. $ verfügte. Mit der Directive 3000.5 wurden Stabilisierungsoperationen, die bisher unter Rumsfeld eher verächtlich gemacht wurden, gegenüber der früheren Hegemonie von Combat Operations deutlich aufgewertet. Ein Conflict Response Fund soll 100 Mio. $ bekommen - Experten halten allerdings 1 Mrd. $ für notwendig. In Erwartung einer neuen US-Administration ist auf US-Seite ein Schub an Interesse und Dynamik auf diesem Politikfeld zu beobachten;

- nicht zuletzt die deutlich wachsende Offenheit, ja sogar manchmal das regelrechte Drängen bei deutschen Militärs auf Stärkung der ZKB, insbesondere auf der Ebene Friedenskonsolidierung. Aus eigener Erfahrung sieht man immer deutlicher: Ohne effektive zivile Krisenprävention werden teure Auslandseinsätze immer häufiger nötig, ohne ausgewogene Fähigkeiten des Peacebuilding dauern militärische Stabilisierungseinsätze potenziell endlos. Damit geraten sie in Gefahr, immer weniger als Unterstützungs- und mehr und mehr als Besatzungstruppe wahrgenommen zu werden. Es ist schon eine Ironie der besonderen Art, dass Krisenprävention inzwischen am ehesten Zuspruch aus den Reihen einsatzerfahrener Offiziere - und weniger aus dem AA - erfährt.

(3) Pro + contra ZKB

(a) Die im November 2007 erschienene Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands wie auch das Friedenswort der deutschen katholischen Bischöfe aus dem Jahr 2000 betonen den Primat der Zivilen Konfliktbearbeitung im Rahmen des Konzepts des gerechten Friedens. Beide Kirchen können sich dabei auf reiche Erfahrungen mit konkreter Friedens- und Versöhnungsarbeit stützen.

(b) Nicht wenig verbreitet sind zwei Arten von Vorbehalten gegenüber ZKB: Die eine Variante wird vertreten von traditionalistischen Teilen des Auswärtigen Amtes, wonach man „so was sowieso schon immer mache." Hier wird das innovative Zusätzliche der ZKB gegenüber der traditionellen Diplomatie verkannt. Die andere Variante bringen Teile von Friedensbewegten vor, die die Bemühungen um ZKB wegen der geringen Ressourcenausstattung als Alibiveranstaltung abtun und damit bei aller berechtigten Kritik die relativen Fortschritte und vor allem Chancen verkennen.

(c) Einziger großer Streitpunkt in Sachen ZKB ist das Verhältnis zum Militär.

Der 1. Umsetzungsbericht zum Aktionsplan Krisenprävention der Bundesregierung rechnet das Militär unterschiedslos der Krisenprävention zu. Das ist falsch, auch wenn bestimmte Kategorien von Militäreinsätzen (Militärbeobachter, Stabilisierung) zur Gewalteindämmung beitragen können.

Ein Teil von NGO`s und Hilfsorganisationen wehrt sich gegen eine vereinnahmende Form von zivil-militärischer Zusammenarbeit und pocht auf Distanz und Unabhängigkeit gegenüber Militärs, das als Stabilisator gleichzeitig meist für notwendig gehalten wird.

Fundamentalere Teile von Friedensbewegung attackieren jede Form der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Akteuren als Verrat an der Forderung, ZKB als Alternative zum Militär zu sehen. Das geht mit der Behauptung einher, heutzutage ständen alle ZKB-Aktivitäten unter dem Primat des Militärischen. Zumindest auf deutsche Verantwortungsbereiche z.B. in Afghanistan trifft das nicht zu.

Auf dieser fundamentalen Linie schwimmt auch die Partei Die Linke, die wohl immer wieder die Notwendigkeit von ZKP beschwört, sich ansonsten aber damit begnügte, die realen Fortschritte auf dem Feld der ZKP als Alibiveranstaltung abzutun. Auf konkrete Beiträge zur Weiterentwicklung der ZKP verzichtete die Linke weitestgehend. Sie begnügt sich mit einer Art von Antimilitarismus, der sich auf das pauschale und polarisierende, antiimperialistische Contra konzentriert und somit kompatibel ist zu antipazifistischen NVA-Militärtraditionen in den eigenen Reihen.

Nach aller Erfahrung in Konfliktregionen mit Bundeswehr empfiehlt es sich, nüchtern und selbstbewusst mit dem zivil-mililitärischen Verhältnis umzugehen. Natürlich sind die Organisationskulturen, Fähigkeiten und Potenziale verschieden und besteht das latente Risiko, dass zivilgesellschaftliche Akteure durch die bloße Organisationsmacht des Militärs beiseite gedrängt werden. Zugleich ist aber immer wieder überraschend zu erleben, wie „schwach" und suchend die so stark erscheinenden Militärs oft sind, die um die Begrenztheit ihres Tuns wissen. Deshalb gilt es, neue Chancen zu nutzen, statt ängstlich-defensiv als erstes immer auf Abgrenzung zu achten.

(d) Hierzulande noch undiskutiert ist die Frage, wie mit der regelrechten strategischen Offensive für zivile Fähigkeiten umzugehen ist, die z.B. in der jüngsten umfassenden US-RAND-Studie „War by Other Means - building complete and balanced capabilities for counterinsurgency" (COIN) exemplarisch zum Ausdruck kommt. Ihr Ausgangspunkt ist der überzeugend erbrachte Beweis von der verheerend-kontraproduktiven Wirkung des militärdominierten „Global War Aganist Terrorism". Im Rahmen einer Strategie für „zivile Aufstandsbekämpfung" werden good governance als Schlüsselherausforderung identifiziert und gezieltes Jobtraining, ein effizientes und faires Rechtssystem sowie Grundbildung als elementare Schritte genannt. Zivile Kapazitäten, die in Deutschland und EU den Kontexten ZKB + Statebuilding zugerechnet werden, sind in der Studie umfassend für die USA, Internationale Organisationen und Verbündete unter der Überschrift „COIN-Capacity" aufgelistet. Hier wird das Risiko der Instrumentalisierung und Vereinnahmung von ZKB-Fähigkeiten zu anderen politischen Zwecken deutlich. (www.rand.org/pubs/monographs/2008/RAND MG595.2.pdf)

(4) Aktionsplan Zivile Krisenprävention - erster Umsetzungsbericht der Bundesregierung: Ende Mai 2006 wurde der vom Kabinett gebilligte Bericht unter dem Titel „Sicherheit und Stabilität durch Krisenprävention gemeinsam stärken. Mai 2004 - April 2006" vorgelegt. (BT-Drs. 16/1809) Bekannt gemacht über eine Routine-Pressemitteilung des AA fand das null Niederschlag in den Medien.

Erneut beeindruckt die Fülle an Aktivitäten und Maßnahmen. Vor dem Hintergrund der mageren Personalausstattung des Ressortkreises ist der Bericht eine stramme Leistung. Gegenüber den unübersichtlichen über 160 Aktionen des Aktionsplans werden jetzt Umsetzungsschwerpunkte benannt und Schwachstellen zumindest angedeutet. In der außen- und sicherheitspolitischen Diskussion steht die Förderung von Kohärenz zu Recht ganz vorne. Umso unverständlicher ist, dass in der Bundesregierung der Aktionsplan und das Weißbuch weitgehend separat voneinander entwickelt wurden und der Aktionsplan im Weißbuch nur als Anhängsel formuliert ist. Das Gebot integrierter Friedens- und Sicherheitspolitik wird somit schon in den Grundlagendokumenten nicht eingelöst. Offenkundig strittig ist die Positionierung von Aktionsplan und Weißbuch in der Hierarchie der Regierungsdokumente.

Problematisch sind zwei Erweiterungen des Präventionsbegriffs: Über die Tatsache, dass Bundesrepublik und Internationale Gemeinschaft überwiegend mit Prävention im Kontext der Konfliktnachsorge befasst sind, geht der Blick für den Nachholbedarf an Primärprävention verloren. Falsch ist die unterschiedslose Vereinnahmung von Militäreinsätzen unter Prävention. Richtig ist, dass Militäreinsätze in Gestalt von Friedensmissionen eine gewalteindämmende und -präventive Funktion haben sollen und können. Das gilt aber selbstverständlich nicht generell für Militäreinsätze. (Bei den ISAF-Kampfeinsätzen im Süden Afghanistans wird das offenkundig.) Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit wird einseitig und damit verkürzt nur aus militärischer, nicht aber EZ-, NGO- und AA-Sicht dargestellt. Unverständlich ist, warum im Aktionsplan für die Krisenprävention und politische Kohärenz so wichtige Institutionen wie Deutsche Stiftung Friedensforschung und Bundesakademie für Sicherheitspolitik keine Erwähnung finden. Nur angedeutet wird das Kernproblem mangelnder Sichtbarkeit von Krisenprävention und ihre bessere „Vermarktung" als strategische Herausforderung. Das größte Defizit des Berichts ist, dass für neue zivile Fähigkeiten und Kapazitäten keine Wegmarken und Headline Goals genannt werden.

Zentraler Angelpunkt für die Weiterentwicklung des Aktionsplans ist, dass der Ressortkreis über die bisherige Koordinationsfunktion hinaus Steuerungskompetenzen erhalten muss (Anbindung an Staatssekretärsebene). Dem Ressortkreis muss ein Finanzpool mit „neuem Geld" zugeordnet werden, mit dem dringende und ressortübergreifende Maßnahmen gefördert werden können. Damit der Ressortkreis seine künftig vermehrt auch internationale Arbeit leisten kann, braucht er eine erheblich bessere personelle Ausstattung.

Von großer Bedeutung ist, dass Aktionsplan und Umsetzungsbericht ihren gebührenden Platz bei der allseits geforderten breiten gesellschaftlichen Debatte zur Friedens- und Sicherheitspolitik finden. Das geschieht bisher punktuell, aber keineswegs in der Breite.

(vgl. Stellungnahmen der „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung", des Frauensicherheitsrates und des Forums Menschenrechte zum Umsetzungsbericht sowie meinen Kommentar zu 1 Jahr Aktionsplan, http://www.nachtwei.de/)

Am 15. Dezember 2006 wurde der Umsetzungsbericht in erster Lesung im Bundestag debattiert. Nachdem die Union in der vorigen Legislaturperiode desinteressiert, die FDP lästernd mit dem Aktionsplan umgegangen waren, lobten jetzt beide Fraktionen den Aktionsplan erstmalig ausdrücklich. Allein die Linksfraktion tat ihn als Alibiveranstaltung ab. Ich machte Klärungs- und Stärkungsvorschläge im o.g. Sinne. Danach ging der Umsetzungsbericht in die Ausschüsse, wurde dort aber z.T. ohne Aussprache zur Kenntnis genommen.

Der Zweite Umsetzungsbericht soll im Mai/Juni 2008 erscheinen.

(5) Der Ressortkreis Zivile Krisenprävention hat erste Projekte abgeschlossen: Die Arbeitsergebnisse des Ländergesprächskreises Nigeria wurden an die europäischen Gremien weitergeleitet. (Daniel Dückers: Pilotprojekt „Gesprächskreis Nigeria" der dt. Biundesregierung. Ein Ansatz der inklusiven Politikentwicklung im Rahmen der zivilen Krisenprävention. Konzept, Zwischenbilanz, Empfehlungen, Juli 2005) Die RK-Arbeitsgruppe zur Sicherheitssektorreform, wozu es bisher etliche gute Einzelmaßnahmen, aber kein Gesamtkonzept gab, hat im Dezember 2006 ein „Interministerielles Rahmenkonzept zur Unterstützung von Reformen des Sicherheitssektors in Entwicklungs- und Transformationsländern" vorgelegt. Die Arbeiten zu einem „Zivile-Einsatzkräfte-Gesetz" dauern an. Neu ist die AG „Vernetzung in der Krisenbewältigung". Ausgehend von Erfahrungen mit bisherigen Krisenbewältigungseinsätzen sollen Empfehlungen zur Ressortzusammenarbeit vorgelegt werden. Die vor zwei Jahren gegründete RK-AG „Rolle der Privatwirtschaft in der Zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" kam mangels Interesse wichtiger Akteure nicht voran.

(6) Der Beirat zum Aktionsplan ist mit seinen Repräsentanten aus Wissenschaft/Sicherheit/ Politikberatung (6), Entwicklungspolitik (2), Menschenrechte + humanitäre Fragen (1), Umwelt (2), Kirchen (1), Wirtschaft (3), politische Stiftungen (1), bis zu drei berufene Mitglieder und fakultative Teilnahme von FraktionsvertreterInnen breit und interessant zusammengesetzt. Im September 2007 löste Dr. Hans-Joachim Spanger (Hess.Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) Angelika Spelten (Plattform ZKB) und Stefan Mair (Stiftung Wissenschaft und Politik) als Vorsitzende des Beirats ab. Der Beirat versteht sich als Berater und kritischer Begleiter des Ressortkreises. Beispielhaft für die anregende Funktion des Beirats war auf einer der letzten Sitzung ein Vortrag zur Bedeutung der Gesundheitspolitik für die Krisenprävention. Inzwischen bildete der Beirat Themengruppen zum Sudan und zur Vernetzung in der Krisenbewältigung.

(7) Ausgaben für Zivile Friedenspolitik: In Teilen von Friedensbewegung herrscht die Wahrnehmung, für ZKB würden nur 14 Mio. Euro (in 2006 für den ZFD) aufgebracht, für das Militär demgegenüber 24 Mrd. Euro. Auch wenn die Diskrepanzen zwischen den militärischen und zivilen Ausgaben weiterhin krass sind, so sind die tatsächlichen Relationen doch etwas anders: Nach einer Durchsicht der Einzelpläne des AA, BMZ, BMWi, des Kanzleramtes, des Forschungsministeriums und des BMVg kommen wir nach einer Aufstellung des Büros unseres Haushälters Alex Bonde für 2007 auf eine Größenordnung von 3,268 Mrd. Euro für Maßnahmen der zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung im weiteren Sinne.

Die Militärausgaben waren mit ca. 24 Mrd. Euro demgegenüber viel höher, angesichts der besonderen Kostspieligkeit von Militär und im Vergleich zu anderen Verbündeten noch relativ „geringer". (1,4% vom BIP; GB gibt 2,3%, FR 2,5%, RUS 2,7% und USA 3,8% aus; hier wurden unter Rot-Grün auch erhebliche Begehrlichkeiten abgewehrt.)

Das Auswärtige Amt musste im Vergleich zur Zeit des Ost-West-Konflikts 25 Botschaften mehr mit 10 % weniger Personal (- 683 Stellen) bestreiten, abgesehen von der „kleinen" Zunahme an Konflikten und Krisen, zu deren Eindämmung und Bewältigung Deutschland beitragen will. Der AA-Haushalt umfasste in 2006 0,95% des Bundeshaushalts (28,99 Euro/Kopf der Bevölkerung). Notwendig wäre eine Größenordnung um 1,2%!

Für 2008 wurde endlich eine Trendumkehr eingeleitet: Der AA-Haushalt wächst um 13,9% auf 2,86 Mrd. Euro und einem Anteil von 1,01% am Bundeshaushalt (2007 0,92%).

Der für die ZKB zentrale AA-Titel „Unterstützung von internationalen Maßnahmen auf dem Gebiet der Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung" entwickelte sich sehr wechselhaft: Nach 13,9 Mio. in 2004 und 17,15 in 2005 brachte der Regierungswechsel einen Rückgang auf 12,2 Mio. Nach 12,6 Mio. in 2007 wurde der Titel für 2008 auf 63,2 Mio. Euro erhöht. Davon umfasst ein neuer „Feuerwehr-Topf" für schnelle Maßnahmen 25 Mio. Euro. Es fehlt aber bisher an einer transparenten, gar abgestimmten Verwendung der krisenpräventiven Mittel aller Ressorts. In der 2. Lesung des Bundeshaushaltes 2008 am 28.11.2007 schlug der SPD-Haushälter Lothar Mark die Einrichtung eines Titels „Friedenskonsolidierung und Krisenprävention" vor. Dieser solle 1,5 bis 2 Mrd. Euro umfassen und alle Mittel enthalten, die bisher von AA, BMI (Polizeiaufbau), BMZ und BMVg in diese Aufgaben fließen. Die Federführung solle beim AA liegen.

Bezogen auf die neuen Instrumente + Maßnahmen der ZKB wäre schon eine Aufstockungen in der Größenordnung von einigen hundert Millionen Euro insgesamt hilfreich, darin als gegriffene Zahlen z.B. + 25 Mio. für DSF, + 2 Mio. ZIF, + 30 Mio. ZFD, + 50 Mio. für einen schnellen Verfügungstopf, + 50 Mio. für CIVPOL, + 10 Mio. für Öffentlichkeitsarbeit. Das würde die ZKB sprunghaft nach vorne bringen.

(8) Einzelne Maßnahmen und Instrumente:

(a) Äußerst viel versprechend entwickelt sich das Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF, das mit seiner Kombination von Ausbildung/Rekrutierung, Einsatzbegleitung und Analyse über Jahre weltweit einmalig da stand - mit 17 Beschäftigten! Sehr anschaulich und informativ ist die im Januar 2006 vom ZIF herausgegebene und im März 2007 aktualisierte Wandkarte „Friedensmissionen 2007" mit ihren jeweiligen militärischen, polizeilichen und zivilen und deutschen Anteilen. Die Karte gibt einen guten Eindruck von der Dimension der Stabilisierungsherausforderungen. Der Expertenpool des ZIF umfasst inzwischen über 1.000 Personen. Das Kernproblem ist, die richtigen Leute zur richtigen Zeit zu bekommen. Die Leistungen, Probleme und dringenden Notwendigkeiten des ZIF sind im Strategiepapier 2007 vom Mai auf den Punkt gebracht. Das anfänglich in seiner Kombination von Training, Rekrutierung/Betreuung und Analyse/Lessons Learned weltweit einmalige ZIF ist inzwischen nicht mehr einzigartig. Die schwedische Schwester-Einrichtung gilt nicht zuletzt wegen besserer Mittelausstattung inzwischen als Spitzenreiterin.

Mit seinen regelmäßigen Gesprächsrunden mit Spitzenexperten aus internationalen Friedensmissionen ist das ZIF inzwischen ein zentraler Ort der ressortübergreifenden Reflexion von Friedensmissionen. (www.zif-berlin.org)

(b) Polizeimissionen/CIVPOL: Enorm wächst die Nachfrage auf dem Feld der Sicherheitssektorreform in schwachen, versagenden Staaten. Vor allem der Aufbau einer einigermaßen rechtsstaatlichen Polizei und Justiz hat dabei strategische Bedeutung.

Beim Besuch des Instituts für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW (IAF), Dezernat 13/Auslandseinsätze in Brühl bei Köln Anfang Dezember 2007 zusammen mit Monika Düker/MdL wurden uns die rasanten Entwicklungen auf dem Feld polizeilicher Auslandseinsätze geschildert. Seit die EU ein wesentlicher Akteur ist, haben sich die Anforderungen an Polizeimissionen grundlegend gewandelt: weg von Exekutivfunktionen wie im Kosovo hin zu kleineren Beratungs- und Monitoring-Missionen. Angefragt werden aus Brüssel in der Regel Spezialisten. Eine militarisierte Polizei wird den gestiegenen Anforderungen immer weniger gerecht. Hinzu kommt der wachsende Zeitdruck: Manchmal sollen erste Kräfte binnen 20 Tagen rausgehen.

Mit Stand vom 8.12.2007 sind 227 dt. Polizeivollzugsbeamte in Auslandseinsätzen, davon 146 UNMIK/Kosovo, 26 EUPOL/AFG, 10 PGPAA/AFG, 15 EUPM BuH, 9 EUBAMMD/ Border Assistance Moldawien, 7 UNMIS/Sudan, 5 UNMIL/Liberia, 4 EU AMIS II/Darfur, 3 UNOMIG/Georgien, je 1 Polizist EUBAM Rafeh und EUCOPPS/Palästina. (In 2001 waren 550 Polizisten im Einsatz)

Im Rahmen des Zivilen Krisenmanagements der EU sind 5.000 Polizisten vorgesehen, davon sollen bis zu 1.000 binnen 30 Tagen einsatzbereit sein. Deutschland hat hierfür 910 Beamte zugesagt. Im Hinblick auf Rotationen läuft das auf ca. 3.000 einzuplanende Beamte hinaus. Der Bund stellt 33% des dt. EU-Kontingents, ab 451 50%.

Die Ausbildung + Einsatzvorbereitung ist im Länderverbund organisiert: Nord (Lübeck) umfasst Niedersachsen bis Brandenburg, Mitte (Brühl) NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Thüringen, Sachsen, Süd (Wertheim) Bayern, Hessen, Baden-Würtemberg. Das zweiwöchige Basistraining läuft in den Länderverbünden. Die Schweiz, Niederlande Luxemburg schicken alle ihre Leute nach Brühl, wo die ganze Ausbildung in Englisch stattfindet. Die einwöchige Einsatzvorbereitung ist zwischen den drei Ausbildungsstätten aufgeteilt. Brühl ist für Kosovo zuständig. Ab 3.12.2007 führte das IAF gemeinsam mit der Schwedischen Nationalen Polizeiakademie den ersten „EU-Train-the-Trainer-Course" durch.

(www.police-mission.de; www1.polizei-nrw.de/auslandseinsaetze; hier auch der Dokumentarfilm „Einsatz in Afghanistan. Von Mostar bis Monrovia - Auslandseinsätze der Polizei NRW", 50 Min.)

Gerade in Sachen Polizeiaufbau gelten die deutschen Beiträge qualitativ als ausgezeichnet. Die Diskussion um den so vordringlichen wie zurückbleibenden Polizeiaufbau in Afghanistan zeigt aber auch, dass der Umfang der deutschen Beiträge unzureichend ist. Der Polizeihilfe im Rahmen der VN + EU fehlt es bisher an politischer Begleitung und Förderung hierzulande. (vgl. mehrere Anfragen und Anträge der Grünen Bundestagsfraktion dazu)

(c) Das Projekt zivik (Zivile Konfliktbearbeitung) des Instituts für Auslandsbeziehungen wurde im Oktober 2006 fünf Jahre alt. 2001 entstand zivik aus der Öffnung des AA-Haus-haltstitels „Friedenserhaltende Maßnahmen (FEM)" für zivilgesellschaftliche Projekte. Bis Ende 2007 wurden ca. 400 Projekte gefördert. 2007 waren die die meisten bewilligten Projekte in Afrika und Asien. Für 2008 steigen die Haushaltsmittel von 2,1 auf 4 Mio. Euro. Neben diesem erfreulichen Aufwuchs bleibt das Dauerproblem mangelnder Planungssicherheit angesichts jährlicher Zuwendungen und fehlender Verpflichtungsermächtigungen. Unter www.ifa.de/zivik finden sich 24 Good Practise Projekte. Das im Wochenschau-Verlag erschienene Buch „Frieden und Zivilgesellschaft. Programm, Praxis, Partner. 5 Jahre Förderprogramm zivile Konfliktbearbeitung" schildert das anschaulich. Der Anteil einheimischer Träger unter den Geförderten ist erheblich und wächst weiter. Ich selbst kenne etliche dieser Projekte, mit denen Friedenspotenziale gestärkt werden. Es sind Inseln der Hoffnung mit tollen Leuten.

(d) Ziviler Friedensdienst: Die Jahrestagung des European Network for Civil Peace Services (EN.CPS) und der Nonviolent Peaceforce Europe am 20.-26. April 2007 in Berlin verdeutlichte, was sich auf dem Feld der Zivilen Friedensdienste inzwischen getan hat. Vor genau elf Jahren begann in Frille bei Minden der erste, von der rotgrünen Landesregierung NRW unterstützte Ausbildungskurs in Ziviler Konfliktbearbeitung. Jetzt trifft sich das europaweite Netzwerk dazu in den Räumen des Bundestages, sind im Rahmen des vom BMZ geförderten ZFD weltweit 150 Friedensfachkräfte im Einsatz. Als Träger des ZFD sind im Konsortium ZFD zusammengeschlossen Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden/AGDF, AG für Entwicklungshilfe AGEH, Christliche Fachkräfte International, Dt. Entwicklungsdienst/ded, Ev. Entwicklungsdienst/EED, Eirene, forumZFD und Weltfriedensdienst. Im März 2007 wurde das forumZFD als Entsendeorganisation anerkannt.

Der ZFD-Haushaltstitel beim BMZ stieg von 17 Mio. Euro in 2007 auf 19 Mio. Euro 2008. Dieser Zuwachs bleibt weit hinter dem Notwendigen zurück: Wenn der ZFD endlich von einem Pilotprojekt zu einem über die Mikroebene hinaus wirksameren Instrument werden soll, dann wären ca. 500 Friedensfachkräfte, also 40-45 Mio. Euro notwendig. Hierfür fehlt offenkundig der politische Wille.

Die Akademie für Konflikttransformation im forumZFD vermittelt in Kursen, Workshops und Seminaren Kenntnissen und Fähigkeiten für nachhaltige Friedensarbeit im In- und Ausland. Neben dem viermonatigen Qualifizierungskurs „Friedensfachkraft/Konfliktberater" stehen im 1. Halbjahr u.a. Themen wie Transitional Justice, gender in conflict + conflict transformation, Mediation im interkulturellen Kontext, Friedensjournalismus auf dem Programm. (http://www.forumzfd-akademie.de)

Das forumZFD gibt vierteljährlich die Zeitung „Frieden braucht Fachleute" heraus. Die Ausgabe 3/2007 wurde durch unsere Vermittlung erheblich von der Heinrich Böll Stiftung unterstützt. Jürgen Trittin steuerte den Aufmachertitel „Friedenspolitik braucht erneuerbare Energien" bei. Informativ und anschaulich ist die Ausstellung „Frieden braucht Fachleute", die seit Jahren erfolgreich durch`s Land tourt. (Katalog unter http://www.forumzfd.de )

Organisiert vom forumZFD und örtlichen Partnern fanden 2007 in Aachen, Augsburg, Berlin, Berlin, Bonn, Bremen, Freiburg, Hamburg, Münster, Nürnberg Friedensläufe mit mehr als 13.000 LäuferInnen statt. Beim 6. Friedenslauf in Aachen nahmen mehr als 3.000 Kinder und Jugendliche teil. (http://www.run4peace.eu/)

Ein Kernproblem zivilgesellschaftlicher Träger des ZFD ist die Schere zwischen Zunahme der entsandten Friedensfachkräfte, die durch`s BMZ finanziert werden, einerseits und geringen organisatorischen Kapazitäten, die hauptsächlich aus Eigenmitteln bestritten werden müssen, andererseits. Im Unterschied zu Umwelt-, Entwicklungs- und Hilfsorganisationen ist aber die private Spendenbereitschaft auf dem Feld der Friedensarbeit und -politik relativ gering.

Bei jüngsten Besuchen auf dem Balkan und auch in Afghanistan hörte ich immer wieder die selbstkritische Feststellung, die Internationale Gemeinschaft habe sich in ihren Aufbauunterstützungen in den letzten Jahren viel zu sehr auf den top-down-Ansatz fixiert und den bottom- up-Ansatz vernachlässigt. Abgesehen davon, dass das schon vor zwölf Jahren unsere ständige Rede war - in Afghanistan finanziert das BMZ zzt. 10 ZFD-Stellen. Am Beispiel der Arbeit der ZFD-Mitbegründerin Cornelia Brinkmann in der afghanischen Nordostprovinz Badaghshan wird plastisch und beeindruckend deutlich, was Peacebuilding in einer traditionellen Gesellschaft bedeutet und welche enorme Reichweite schon eine Friedensfachkraft in einem Netz einheimischer NGO`s haben kann. Die OXFAM-Studie „Community Peacebuilding in Afghanistan - The Case for a National Strategy" vom Februar 2008 belegt die Schlüsselrolle der lokalen Friedensförderung, ihre Erfolge und ihren Verstärkungsbedarf.

(http://www.peace-building.org/; http://www.ziviler-friedensdienst.org/, www.oxfam.de/download/AFG_Peacebuilding_E.pdf)

Editorial der Zeitung des Forum ZFD „Frieden braucht Fachleute" 3/2007:

„Liebe Leserinnen und Leser,

bei der gegenwärtigen Afghanistan-Debatte fällt mir ein merkwürdiger Gegensatz auf:

Einerseits sagen fast alle, dass Militär dort keine Lösung bringen kann und die Aufbauanstrengungen massiv gestärkt gehören. Andererseits kreisen öffentliche Diskussionen fast nur um die Bundeswehr. Eine bemerkenswerte Militärfixiertheit - und das auf allen Seiten.

Anfang 2004 traf ich im nordafghanischen Kunduz zufällig Angelika Spelten. Sie erkundete dort die Möglichkeiten zum Einsatz von Friedensfachkräften. Als langjähriger Unterstützer des Projekts Ziviler Friedensdienst freute ich mich über das Vorhaben. Zugleich war ich reichlich skeptisch: War das Vorhaben nicht blauäugig angesichts einer so traditionellen, männerdominierten und gewaltträchtigen Gesellschaft?

Ganz und gar nicht, wie ich seitdem erfuhr. Zum Beispiel von Cornelia Brinkmann, die als einzige Internationale mit einheimischen Nichtregierungsorganisationen im wilden Badaghshan arbeitete: friedliche Konfliktbearbeitung einüben im Dorf, in der Großfamilie, im Distrikt, auf gleicher Augenhöhe mit den einheimischen Frauen, Lehrern, Mullahs.

Frappierend war, wie viele Menschen dabei erreicht wurden. Solche FriedensmacherInnen habe ich in vielen Krisenländern erlebt. Aber solche klugen, mutigen, motivierenden Profis fallen nicht vom Himmel, sie brauchen Ausbildung und Unterstützung - durch die Politik wie durch die Zivilgesellschaft. Deshalb bin ich Mitglied im Forum Ziviler Friedensdienst. Winfried Nachtwei, MdB"

Die Nonviolent Peaceforce (NP) ist ein Zusammenschluss von ca. 90 Mitgliedsorganisationen (in Deutschland forumZFD, Bund für Soziale Verteidigung) mit dem Ziel, eine internationale, gewaltfreie und zivile Friedens"armee" aufzubauen, die auf Anfrage in Krisengebiete entsandt werden kann. Langfristig sollen hierfür mehrere Tausend Friedensfachkräfte in gewaltfreier Konfliktbearbeitung und Friedenssicherung ausgebildet werden und in Krisengebieten arbeiten. Die NP geht von den Erfahrungen und Erfolgen gewaltfreier internationaler Interventionen im kleineren Maßstab aus und versucht diese für größere Maßstäbe weiterzuentwickeln. NP konzentriert sich auf die unmittelbare Gewaltverhinderung durch schützende Begleitung, internationale Präsenz, kritisches Beobachten (Monitoring), beschützendes Dazwischentreten, Informationstransfer, Beratung und Training.

(e) Die Gruppe Friedensentwicklung/FriEnt ist ein Zusammenschluss aus BMZ, Evangelischem Entwicklungsdienst/EED, GTZ, Heinrich Böll Stiftung, Misereor, Konsortium ZFD, Plattform ZKB/Institut für Frieden + Entwicklung/INEF. FriEnt soll die Friedensförderung besser in der Entwicklungszusammenarbeit verankern. Schwerpunktthemen sind Transitional Justice (Recht, Strafverfolgung oder Amnestie, Aufarbeitung nach Konflikten), Perspektiven Entwicklungspolitischer Bildungsarbeit und Prävention (Umsetzung von Early Warning und Early Action). Sehr hilfreich ist der monatliche Info-Dienst „Impulse". (http://www.frient.de/)

Dieselbe Zielsetzung verfolgt das gtz-Sektorvorhaben Krisenprävention in der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Zusammen mit den Sektorvorhaben Kleinwaffenkontrolle, Sicherheitsektorrefom, Bildung + Konfliktbearbeitung gibt es den halbjährlichen Newsletter SPICE (Securing Peace in Crisis Environments) heraus.

In dem „Übersektoralen Konzept zur Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedensförderung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit - eine Strategie zur Friedensentwicklung (Strategy for Peacebuilding)" vom Juni 2005 nennt das BMZ Arbeitsschritte für einen strategischen Einsatz der Entwicklungszusammenarbeit für die Friedensentwicklung.

(f) Deutsche Stiftung Friedensforschung: Die DSF förderte seit 2001 vierzig größere Forschungsvorhaben in den Schwerpunkten Friedensvölkerrecht und Internationale Organisationen, Konflikt- und Krisenprävention, Intervention in Gewaltkonflikte, Friedenskonsolidierung nach Beendigung von Gewaltkonflikten, Rüstungskontrolle und Abrüstung, Friedenspädagogik sowie ca. 90 Kleinprojekte. Die Struktur- und Nachwuchsförderung besteht aus den Teilprogrammen sozial- und geisteswissenschaftliche Masterstudiengänge, postgradualer Masterstudiengang des Kooperationsverbundes dt. Friedensforschungsinstitute, strukturierte Promotionsförderung und Stiftungsprofessur im Bereich der naturwissenschaftlichen Friedensforschung an der Uni Hamburg. Darüber hinaus fördert die DSF Publikationen wie das jährliche Friedensgutachten und die Zeitschriften „Die Friedens-Warte" und „Wissenschaft & Frieden".

Die jährlichen Parlamentarischen Abende der DSF in Berlin sind ein High-Light des Austausches zwischen praxisorientierter Friedensforschung und Politik und ein Treffpunkt der ZKB-Community, so zuletzt mit dem Thema „Was können multilaterale Friedensmissionen beim Wiederaufbau staatlicher Strukturen in Krisengebieten leisten? Erfahrungsbilanz für Entsende- und Zielländer" im Oktober. (www.bundesstiftung-friedensforschung.de)

Ein Grundproblem ist die regelrechte Zerschlagung der wissenschaftlichen Regionalforschung an den Unis in den letzten Jahren. Wo Friedenssicherung und Friedensförderung aber immer offenkundiger auf Regional- und Lokalexpertise in Krisenländern angewiesen ist, da mangelt es inzwischen flächendeckend an Kompetenz und Erfahrung. Dieses Großversagen der Wissenschaftspolitik kann durch die DSF auch nicht annähernd ausgeglichen werden.

Auf dieser Linie friedenspolitischer Ignoranz liegt die Einstellung des Studienganges „Master of Peace Studies" an der Fern-Uni Hagen durch Beschluss der Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften. Das Hagener Institut für Frieden und Demokratie wurde Mitte der 90er Jahre mit Prof. Hajo Schmidt an der Spitze gegründet. Der interdisziplinäre und praxisorientierte Studiengang fand eine gute Resonanz. Die Absolventen arbeiten in internationalen Organisationen, Entwicklungsdiensten und vielen Krisenregionen.

(g) Frauen, Frieden + Sicherheit: Die Bundestagsfraktion brachte den umfassenden Antrag „UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan zur Strategischen Umsetzung" (Drs. 16/4555 vom 7.3.2007) unter Federführung von Kerstin Müller in den Bundestag ein. Der jüngste Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der Resolution 1325 listet eine beeindruckende Fülle von Einzelmaßnahmen auf (input), verzichtet aber auf eine Gesamtbewertung. Nach den Erfahrungen mit der nationalen Umsetzung der Resolution 1325, angesichts der Beispiele von Großbritannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Kanada und Schweiz sowie der Vorlage des „Systemweiten Aktionsplans 2005 bis 2007" durch den UN-Generalsekretär in 2005 fordert der Antrag eine unabhängige Gender-Monitoring-Stelle und die Aufstellung eines nationalen Aktionsplans zur strategischen Umsetzung der Resolution 1325. Hierzu gab es am 5. März im Verteidigungsausschuss aus den Reihen der Koalitionskolleginnen wohl unübersehbar inhaltliche Zustimmung. Bei der Abstimmung galt aber der Primat der Koalitionsräson: Ablehnung.

(h) Friedensjournalismus: Die Anziehungskraft von bad news und Gewaltthemen einerseits, die schwere mediale Verkäuflichkeit der ZKB als komplexe good news und die „Unsichtbarkeit" ihrer Erfolge andererseits sind weiterhin strategische Handicaps. Die Folge davon ist, dass die breite Zustimmung zur ZKB meist auf der Gesinnungsebene, damit politisch-praktisch ziemlich folgenlos bleibt und das Entstehen einer wirksamen Lobby für ZKB behindert wird. Der verbreitete Konsens in Sachen ZKB und der damit fehlende Streitfaktor erschweren darüber hinaus Aufmerksamkeit für ZKB. Auffällig ist zugleich, wie gering auch bei der überschaubaren Schar sicherheitspolitischer Journalisten Interesse an und Kenntnis über ZKB sind. (Diskussionslose Zustimmung zur und freundliches Desinteresse an ZKB erlebe ich übrigens auch in breiten Teilen der heutigen Friedensbewegung, auch bei den Grünen und beim jüngsten Streit um grüne Friedenspolitik. Zu 90% geht es immer wieder um Militärfragen.)

Angesichts dieser strukturellen Erschwernisse ist professionelle Öffentlichkeitsarbeit für ZKB umso wichtiger. Das vom AA unter Rotgrün über drei Jahre durch unsere Mithilfe maßgeblich geförderte Peace Counts Project („Die Friedensmacher" von Michael Gleich und Petra Gerster; www.peacecounts.org) brachte einen tollen Sprung nach vorne zu einer spannend-attraktiven Friedensberichterstattung. Inzwischen ist die „Phase II" der „tour de paix" angelaufen: Die Peace-Counts-Reportagen über erfolgreiche und faszinierende „Friedensmacher" und konstruktive Konfliktlösungen weltweit sollen nun im Laufe von drei Jahren in insgesamt 12 Konfliktregionen zurücktransportiert werden. Erste Station des Programms aus Ausstellung, Workshops mit Lehrern und Multiplikatoren war Sri Lanka. Die Resonanz war bestens.

(Partner von Peace Counts Procect sind das Bonn International Center for Conversion, das Projekt zivik des Instituts für Auslandsbeziehungen, die GTZ, das Institut für Friedenspädagogik, die Agentur Zeitenspiegel, die Dt. UNSECO-Kommission, der WDR, Paul Hahn Fotografie und „zivil", die Zeitschrift für Frieden und Gewaltfreiheit der evangelischen Zivildienstseelsorge. Auf www.peace-counts.org und der CD-Rom „Die Erfolge der Friedensmacher" sind best practise Beispiele zu finden aus Afghanistan, Bosnien-Herzegowina, Brasilien, Deutschland, Georgien, Israel/Palästina, Japan, Mali, Mazedonien, Nordirland, Österreich, Philippinen, Ruanda, Sri Lanka, Sudan, Südafrika, Tansania, Türkei, Uganda, USA, Zypern. „Peace Counts on Tour - Peace Education in Conflict Regions", Station Colombo/Sri Lanka Feb 2007, Documentation und Bericht )

Um zu einem Durchbruch für die ZKB-Popularisierung zu kommen, bedarf es aber noch ganz anderer, vor allem ressortübergreifender Anstrengungen. Dieses muss ein Schlüsselprojekt der weiteren Umsetzung des Aktionsplans werden. Der Umsetzungsbericht kündigt hierzu eine Kommunikationsstrategie an. Schritte dazu sind mir nicht bekannt.

Ausgehend von meinem Folienvortrag zu „Gewaltminderung und Friedensförderung" habe ich hierzu eine Foto-CD in Arbeit.

Ein völlig offenes Problem ist, wie medial vermittelten Konflikteskalationen entgegengewirkt, wie zumindest ein eigenes ungewolltes Anheizen vermieden werden kann. Immerhin können globale Lauffeuer wie der Karikaturenstreit das binnen Wochen millionenfach wegspülen, was anderweitig in mühsamer Verständigungsarbeit aufgebaut wurde.

(i) Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (www.konfliktbearbeitung.net)

Die Plattform ist ein offenes Netzwerk zur Förderung der ZKB in Deutschland. Sie wurde 1998 von 14 Organisationen und 60 Einzelpersonen gegründet. Heute beteiligen sich 130 Einzelpersonen und 53 Organisationen und Gruppen an der Plattform. Hoffnung machte bei der Jahrestagung der Plattform im Februar 2007 die gute Teilnehmerzahl und der hohe Anteil Jüngerer. Die nächste Jahrestagung findet am 4.-6.4.2008 in Bonn statt unter dem Thema "Friedensfähigkeit auf dem Prüfstand. 10 Jahre Plattform ZKB".

Unterstützt von der Plattform, der AGDF, dem Bund für Soziale Verteidigung, der DFG/VK, dem forumZFD, der Kooperation für den Frieden u.a. entsteht zzt. die Kampagne „Vorrang für Zivil", die Druck entwickeln will für den Vorrang ZKP und gewaltfreier Konfliktlösung und für eine Stärkung der dafür notwendigen Kapazitäten. Der Forderungskatalog benennt wesentliche Schritte. (Gründungsversammlung 18.2.2008)

„Monitoring Projekt: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention - Die Alternativen der Friedensbewegung zum militärischen Konfliktaustrag" im Rahmen der Kooperation für den Frieden: Anhand konkreter krisenhafter eskalationsträchtiger Situationen im Einflussbereich von BRD und EU soll gemahnt werden, „rechtzeitig mit zivilen Mitteln zur Deeskalation und - wo möglich - zur Lösung von Konflikten beizutragen." Das Monitoring soll auch dazu dienen, „in Politik, Medien und Öffentlichkeit Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention als Leitkonzepte zu verankern." Die ersten Dossiers zum Iran-Konflikt (I), zum türkisch-kurdischen (II) und Israel-Palästina-Konflikt (III) wurden überwiegend von Prof. Andreas Buro verfasst und erschienen in Auflagen von 10.000 bis 20.000. (www.koop-frieden.de)

(j) Wirksamkeitsanalysen/Evaluation ist ein Dauerthema in der ZKB und für Maßnahmen der ZKB ständige Praxis. So wurde schon im Juni 2002 eine Gesamtevaluierung des Zivilen Friedensdienstes vorgelegt, die von 15 unabhängigen GutachterInnen durchgeführt worden war. Das Gutachten kam zu insgesamt positiven Ergebnissen und betonte, dass die Ziele des ZFD mittelfristig nur dann wirksam erreicht werden könnten, wenn er über genügend „kritische Masse" verfüge. Diese setze eine deutliche Steigerung der ZFD-Mittel auf jährlich 50 Mio. Euro (d.h. 500 Friedensfachkräfte gleichzeitig) voraus.

Sehr ergiebig war die die Tagung „Tun wir das, was wir tun, richtig? Tun wir das Richtige? Evaluation in der zivilen Konfliktbearbeitung" im April 2005 in der Ev. Akademie Loccum. (vgl. Loccumer Protokolle 14/05; mein Beitrag dazu unter www.nachtwei.de)

Barbara Müller vom Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung/Wahlenau veröffentlichte 2007 die 44-seitige Handreichung „Gewaltfreie Interventionen Planen und Anpassen (GIPA)" als neues Planungs- und Evaluierungsinstrument für NGOs, die in Krisenregionen Konfliktinterventionen durchführen. GIPA entstand aus der Begleitung der Auslandsarbeit des Bundes für Soziale Verteidigung, wurde von der Berghof-Stiftung mit einer Anschubfinanzierung gefördert und orientiert sich konzeptionell an den Vorschlägen des Friedensforschers und -praktikers John Paul Lederach („Infrastructure for Peacebuilding" 1997).

Eine aufschlussreiche regionale Wirksamkeitsanalyse zu Friedenssicherung und Aufbau insgesamt legte im Februar 2008 ein Forscherteam der FU Berlin, Sonderforschungsbereich 700, mit einer Studie zu „Internationalen Akteuren in Nordostafghanistan" vor. Hier wurde die Einstellung der Bevölkerung zu Sicherheit, Aufbau und verschiedenen Akteuren (internationale Truppen und Entwicklungshelfer, Regierung, Warlords und lokale Strukturen) ermittelt.

(9) ZKB auf EU-Ebene

(a) Bis heute wird oft übersehen, dass die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht nur eine militärische, sondern auch eine zivile Komponente hat. Von 16 ESVP-Missio-nen weltweit sind 13 ziviler Natur. Bei den zivilen ESVP-Missionen handelt es sich nicht um traditionelle diplomatische, wirtschaftliche etc. Mittel, sondern um wenige auf Krisenbewältigung spezialisierte Instrumente: Polizeikräfte, Experten für den Aufbau von Administrationen + Rechtsordnungen, von Beobachtern und Katastrophenschutzexperten. Insgesamt sind der EU 11.331 Fachleute als verfügbar für ESVP-Missionen gemeldet. Die Spannweite reicht von der sehr erfolgreichen Aceh-Mission bis zu der über dreiviertel Jahr stagnierenden und inaktiven Polizeimission in Afghanistan EUPOL. Gegenwärtig wächst mit EULEX (Kosovo) die bisher größte zivile ESVP-Mission auf. Von den bis zu 1.600 MitarbeiterInnen sollen ca. 900 PolizistInnen sein.

(b) Ziviles Planziel (Civilian Headline Goal/CHG): Mit den EU-Gipfeln in Helsinki und Feira 1999/2000 begann der Ausbau von Fähigkeiten der nicht-militärischen Krisenbewältigung. Bei der nicht-militärischen Säule konnte auf ein breites, bisher aber wenig koordiniertes Spektrum an Instrumenten zurückgegriffen werden. Als prioritäre Bereiche wurden festgelegt Polizei, Rechtsstaatlichkeit, Zivilverwaltung und Bevölkerungsschutz. Mit dem „Programm zur Verhütung gewaltsamer Konflikte" (Göteborg 2001) wurde nicht-militärische Krisenbewältigung zu einem außenpolitischen Schwerpunkt der EU. Der Aktionsplan für die zivilen Aspekte der ESVP (2004) definierte ein Ziviles Planziel (Civilian Headline Goal) 2008: knapp 6.000 Polizisten, 631 Rechtsexperten, 576 Verwaltungsexperten, Rechtsexperten, 5.000 Fachleute für den Katastrophenschutz, dazu 516 Krisenbeobachter und 444 Experten für Menschenrechte, politische Fragen, Gender und Sicherheitssektorreform zur Unterstützung der EU-Sonderbeauftragten. Deutschland hatte im 2.Halbjahr 2007 gemeldet 910 Polizisten, 38 Rechtsstaatspersonal, 73 Fachleute für Zivile Verwaltung, 123 für Bevölkerungsschutz, 48 Überwachung, 20 für EUSR-Unterstützung, 36 für Missionsunterstützung.

Inzwischen haben die Arbeiten für das neue zivile Planziel CHG 2010 begonnen.

Der Vorschlag zur Gründung eines European Civil Peace Corps (ECPC) kam 1994 von Alexander Langer, MdEP der Grünen. 2001 forderte das EP den Aufbau eines Friedenskorps. 2004 erschien dazu eine Machbarkeitsstudie als Projekt des Berghof Zentrums für konstruktive Konfliktbearbeitung/Berlin und des International Security Information Service, Europe. (Catriona Gourlay: Feasibility Study on the European Civil Peace Corps, Berlin/Brüssel 2004)

(c)Das am 1. Januar 2007 in Kraft getretene EU-Stabilitätsinstrument eröffnet neue Möglichkeiten zur Finanzierung von Maßnahmen des zivilen Krisenmanagements. Es geht zurück auf einen Bericht der Grünen Europaabgeordneten Angelika Beer, der nach anderthalb Jahren teils zähen Verhandlungen mit Rat und Kommission im Juli 2006 vom EP mit großer Mehrheit angenommen wurde. (http://www.angelika-beer.de/)

Es gehört zu insgesamt acht Instrumenten der außenpolitischen Aktivitäten der EU-Kommission. Mit dem Stabilitätsinstrument soll rasch, flexibel und kohärent auf Krisenfälle in Drittländern reagiert werden können. Die außerordentlichen Hilfsmaßnahmen und Interimsprogramme gehen über maximal 18/24 Monate und betreffen 16 Anwendungsbereiche wie vertrauensbildende Maßnahmen, Wiederaufbau von Infrastruktur, Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Staatsorgane, Förderung der Menschenrechte, Demilitarisierung/Demobilisierung und Reintegration (DDR), Minenräumung und Hilfe für Minenopfer. Das Stabilitätsinstrument sieht zweitens langfristige Maßnahmen vor: z.B. bei Bedrohungen von Recht und Ordnung (Terrorismus und Organisierte Kriminalität), zum Aufbau von Kapazitäten der Frühwarnung, Vertrauensbildung, Aussöhnung und Wiederaufbau nach Konflikten und Katastrophen. Hierunter fällt auch die Förderung der „Peace Building Partnership". Mit dieser sollen Kapazitäten nicht-staatlicher Akteure aufgebaut und Kommunikation + Austausch zwischen ihnen, internationalen Organisationen und EU-Institutionen verbessert werden. Schwerpunkte des Annual Action Plan 2007 sind Kapazitätenausbau und Frühwarnung, Best Practices und Erfahrungsaustausch, Teilnahme an Internationalen Netzwerken. Dafür stehen 3,35 Mio. Euro zur Verfügung.

Generell sollen bei dem neuen Instrument die spezifischen Belange von Frauen in allen Aktionsfeldern berücksichtigt und alle Anti-Terror-Maßnahmen unter strikter Einhaltung er Menschenrechte durchgeführt werden. (vgl. FriEnt Briefing Nr. 7: Das EU-Stabilitätsinstrument und die Peace Building Partnership)

Das Stabilitätsinstrument ist für den Zeitraum 2007-2013 mit 2,062 Mrd. Euro ausgestattet, das Instrument Entwicklungskooperation mit 17 Mrd., die Humanitäre Hilfe mit 5,6 Mrd.

(d) Rolle der Zivilgesellschaft (RoCS): Die Jahrestagung der Plattform ZKB am 2./3. Februar 2007 in Berlin stand unter dem Thema „Civil Society + Civilian Crisis Managment". Martina Weitsch (EPLO und Quaker Council) referierte über „Göteborg plus 5 - Neue Potenziale und neue Instrumente für eine krisenpräventive Politik" auf EU-Ebene, Anne Palm über RoCS ("Role of Civil Society in European Civilian Crisis Management"). RoCS I wurde unter der finnischen Präsidentschaft 2006 angestoßen. Im Rahmen des Projekts RoCS II wurde von Oktober 2006 bis August 2007 untersucht, wie die Zusammenarbeit zwischen EU und europäischen NGOs bei der Lösung gewaltsamer Konflikte verbessert werden kann. Ausgangspunkt waren Länderfallstudien zur Demokratischen Republik Kongo und zu Somalia. Das Projekt wurde gemeinsam vom AA, der Crisis Management Initiative (CMI), dem European Peacebuilding Liaison Office (EPLO) und der Bertelsmann Stiftung durchgeführt. Im Juni 2007 fand in Berlin die Abschlusskonferenz „Partners in Conflict Prevention and Crisis Management: EU and NGO Cooperation" mit 140 TeilnehmerInnen statt. Erarbeitet wurden Empfehlungen an die EU-Präsidentschaften, den Rat der EU, die Europäische Kommission und die Europäischen NGOs. (vgl. den 47-seitigen Abschlussbericht der Berliner Konferenz "Partners in Conflict Prevention and Crisis Management": EU and NGO Cooperation", Gütersloh Oktober 2007)

Die Schattenseite: Im Rahmen der dt. EU-Präsidentschaft beschränkte die Bundesregierung ihre Aktivitäten zur ZKP weitgehend auf den RoCS-Prozess. Während des dt. G8-Vorsitzes zeigte die Bundesregierung diesbezüglich keine Initiative. Der lautstarke Einsatz vor allem des Verteidigungsministers für den „comprehensive approach" in Afghanistan ist da kein Ausgleich.

EPLO ist die Plattform für NGOs, NGO-Netzwerke und think tanks, die auf dem Feld des Peacebuilding arbeiten und unter Entscheidungsträgern der EU eine Politik des nachhaltigen Peacebuilding fördern wollen. (http://www.eplo.org/)

d) Die grüne EFA-Fraktion im europäischen Parlament hat im Januar 2008 eine „Grüne Sicherheitsstrategie für Europa" verabschiedet. (Siehe hierzu http://www.angelika-beer.de/) Sie ist ein wichtiger Markstein in der Diskussion über eine integrative Sicherheitsstrategie.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch