"Was machen Sie denn so?" werde ich häufig bei Wiederbegnungen gefragt. Hier eine Übersicht über meine friedens- und sicherheitspolitischen Verwicklungen und Bemühungen in 2015, jüngste Ausgabe (Nr. 55) meiner langjährigen Meldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik.
Mein persönlich-politischer Jahresrückblick 2015:
Krisen-Multitasking ohne Ende - Mein vernetzter Ansatz
(Persönliche Meldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik Nr. 55)
von Winfried Nachtwei, MdB a.D. ( April 2016)
Vor 20 Jahren, in meinem ersten Abgeordnetenjahr, stritten wir bei den Grünen und in der Friedensbewegung heiß über Menschenrechtsschutz und Gewaltfreiheit im Bosnienkrieg.
Vor zehn Jahren endeten sieben Jahre rot-grüne Koalition – gerade auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik voller Umbrüche, Brüche, auch Fortschritte, vor allem voller Erfahrungen.
Seit sechs Jahren bin ich raus aus der tagespolitischen Mühle des Bundestages, aber nicht raus aus der politischen Arbeit. Als „unabhängiger friedens- und sicherheitspolitischer Experte“, wie es bei Veranstaltungsankündigungen oft heißt, kann ich meine Schwerpunkte selbst bestimmen und vertieft bearbeiten. Die Nachfrage nach meiner Mitarbeit und meinen Beiträgen ist weiterhin ausgezeichnet und fordernd, meine Vernetzung ist breit, ressortübergreifend und weiter wachsend. Meine Grundloyalität zu den Grünen ist ungebrochen, die Arbeitskontakte sind flott und hilfreich. Überwiegend arbeite ich aber in nicht-grünen Kontexten, wo ich mich über mangelndes Echo nicht beschweren kann.
Die Häufung näher rückender und sprunghafter, vernetzter Krisen, der enorme Zustrom an Flüchtlingen nach Europa, vor allem nach Deutschland, verunsichern mich erheblich, setzen mich innerlich unter Druck und erhöhen mein Orientierungsbedürfnis. Der mindestens verdoppelte Informationsbedarf kostet Zeit. Als plötzlich die Sonderaufgabe Leitung der G36-Kommission dazu kam, musste ich im Grunde zwei Vollzeitbeschäftigungen unter einen Hut bekommen. Im Vergleich zu den aktiven Abgeordneten, gegenüber deren Arbeitseinsatz ich heute noch mehr Respekt empfinde, ist mein Arbeits- und Lebensstil aber immer noch relativ entschleunigt. Aber Urlaub gab`s keinen in 2015.
(vgl. „Ein Loch wird kommen“ von Robert Birnbaum im Tagesspiegel/Potsdamer Neueste Nachrichten vom 6. August 2009, www.pnn.de/dritte-seite/203008 )
Thematische, sich ergänzende Schwerpunkte in 2015
(1) Lernen aus der Geschichte? Riga/Baltikum, Deutsch-Niederländische Beziehungen, „Nie wieder!“ Nie wieder?
(2) Wachsender Stellenwert der Krisenprävention und UN-Friedenssicherung
(3) Kommission „G36 im Einsatz“: die scharfe Seite der deutschen Auslandseinsätze
(4) Afghanistan: Sicherheitsabsturz, Sinnverlust - bleibende VErantwortung und Lernen, Lernen!
(5) Einsatzrückkehrer und Einsatzfolgen
(6) Konzeptionelle Weiterentwicklungen: Partizipationsphase zum Weißbuch 2016
Gerüst meiner Aktivitäten
ist die ehrenamtliche Mitgliedschaft in einer Vielzahl von Beiräten und Vorständen (in zehn Fällen aktive Mitarbeit).
- Beirat Zivile Krisenprävention beim AA, zweimal/Jahr: Seit Herbst 2011 Ko-Vorsitzende Dr. Jörn Grävingholt (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik DIE, Bonn) und ich (Mitglied im Beirat seit 2010, vorher seit Gründung 2005 als Gast/Fraktionsvertreter)
- 14. Beirat für Fragen der Inneren Führung bei der Bundesministerin der Verteidigung, viermal/Jahr, zusätzliche Arbeitsgruppen. Die AG „Einsatzrückkehrer und –folgen“ wird von Generalleutnant a.D. Rainer Glatz (ehemaliger Befehlshaber Einsatzführungskommando) und mir geleitet. Außerdem arbeite ich im „Netzwerk der Hilfe“ mit. (Beiratsmitglied seit 2010),
- Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen DGVN (seit 2001, Wiederwahl bei der MV im November): Hervorragende aktuelle Informationsquellen sind die DGVN-Internetportale zu Friedenssicherung, Klimawandel, menschlicher Entwicklung, Menschenrechte; Schulprojekt „VN im Klassenzimmer“ (www.dgvn.de )
- Vorstand „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ (seit 2004): Schwerpunkte NS, SED-Regime Politischer Extremismus, Demokratieförderung (www.gegen-vergessen.de )
- Vorstand von „Lachen Helfen e.V.“: Initiative deutscher Soldaten und Polizisten für Kinder in Kriegs- und Krisengebieten, wird 2016 20 Jahre alt. Projekte aktuell in Südsudan, Nordirak, Kabul, Balkan (www.lachen-helfen.de)
- AG „Gerechter Friede“ der Bischöflichen Kommission „Justitia et Pax“: tagt viermal/Jahr, Hauptthema in der Arbeitsperiode 2009-2014 war die Auswertung humanitär begründeter militärischer Interventionen in friedensethischer Perspektive (Sudan, Bosnien, Afghanistan, UN-Friedensmissionen). Neuberufung für die Arbeitsperiode 2015-2016, Schwerpunktthema Europäische Außen- und Sicherheitspolitik (http://www.justitia-et-pax.de/jp/index.php )
- Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ beim Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (ISFH) an der Uni Hamburg, Vors. Prof. Dr. Michael Brzoska (https://ifsh.de/das-ifsh/bundeswehr-kommission/ )
- Fachbeirat Europa/Transatlantik der Heinrich-Böll-Stiftung (https://www.boell.de/de/navigation/struktur-2230.html )
- Neuberufung in den Beirat der Katholischen Friedensstiftung Hamburg (http://www.katholische-friedensstiftung.de/ )
- Mitarbeit in der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden und Internationales von Bündnis 90/Die Grünen als kooptiertes Mitglied (mit Stimmrecht), Mitarbeit seit Gründung Anfang der 80er Jahre
- Facharbeitskreis „1648 – Dialoge zum Frieden“ bei der Stadt Münster
- Kuratorium von CARE Deutschland-Luxemburg und des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerkes/IBB
- Beirat Stiftung Friedensbildung Marburg (früher Stiftung Friedensbewegung)
Hinzu kommt die Mitgliedschaft in etlichen Vereinen und Initiativen, angefangen bei der vorbildlichen Friedensinitiative Nottuln (bei Münster), dem ForumZiviler Friedensdienst/ ZFD, Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Münster, Gesellschaft für bedrohte Völker, Politisch-Militärischen Gesellschaft.
Herzstück meiner Aktivitäten
sind weiterhin Vorträge (und Teilnahme an Podiumsdiskussionen), wegen der fünfmonatigen Kommissionsarbeit aber in geringerer Zahl: bundesweit 39 (2014: 55, 2013: 47, 2012: 60), davon 16 zu Afghanistan (20, 15, 28) zu Afghanistan (seit 2002 ca. 185); 18 (20, 17, 23) zu Friedens- und Sicherheitspolitik allgemein; 5 (15, 15, 12) zu Riga-Deportationen und Erinnerungspolitik.
Seit Herbst 2014 verknüpfe ich die AFG-/Kriseneinsatz-Bilanz und –Lehren zunehmend mit den neuen, nahen Kriegen und Krisen in Ukraine, Nordirak/Syrien/IS, nördlichem Afrika und Schlussfolgerungen für eine deutsche Friedens- und Sicherheitspolitik: Schneller besser werden! wird die Devise. Die illustrierten Vorträge finden durchweg beste Resonanz – bei allgemein Interessierten, bei SchülerInnen und Studierenden, bei Fachpublikum, bei Einsatzerfahrenen.
Besonders gut war die Resonanz bei
- Aschermittwoch-Forum der Pfarre St.Clemens/ Sachausschuss „Mission – Entwicklung – Frieden“ in Viersen Vortrag „Kriegsverhütung, Friedensförderung – Erfahrungen aus 20 Jahren Kriseneinsätzen und die neuen, nahen Kriege“
- Gesellschaft für Sicherheitspolitik Landau/Pfalz in Kooperation mit Kulturzentrum Altstadt und Frank-Loeb-Institut der Uni Koblenz-Landau Vortrag „Afghanistan: Chancen und Risiken nach 13 Jahren ISAF“
- Kurztagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristenkommission-Kommission über „Parlamentsbeteiligung bei außenpolitischem Handeln der Bundesregierung“ Stellungnahme zu den Empfehlungen der „Rühe-Kommission, unter den Teilnehmern sechs Richter am Bundesverfassungsgericht
- Jahresempfang des Reservistenverbandes in Augustdorf Vortrag „Afghanistan – was nun? Eine Bilanz der Bundeswehrauslandseinsätze aus politischer Sicht“, 150 Gäste
- Kommando Heer in Strausberg Vortrag „Truppenführung aus Sicht eines Politikers“ im Rahmen der Offiziersweiterbildung
- Seminar „Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik“ von Prof. S. Gareis an der Uni Münster Vortrag „Sicherheitspolitische Entscheidungsprozesse am Beispiel von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“
- Podium „Reflexive Praxis oder wie lebt es sich mit Engagement?“ bei der Jahrestagung des Fachverbands Philosophie in Springe mit Prof. Jürgen Hannemann („Philosophie der Hoffnung“), Franziska Martinsen (Uni Hannover) und Lars Schröder (Hannah-Arendt-Gymnasium Barsighausen)
- Reservistentag des Einsatzführungskommandos Vortrag „Bilanz und Lehren des Afghanistaneinsatze aus Sicht eines politischen Auftraggebers“
- Gedenkstunde für den Frieden im Rathaus Greven am Volkstrauertag, Ansprache: „Nie wieder!“ Nie wieder? Verantwortung zum Schutz vor Krieg und Massengewalt
Publikationen: Deutlich zugenommen haben meine aktuellen Berichte und Beiträge auf www.nachtwei.de (2015: 52, 2014: 60) zu friedens- und sicherheitspolitischen Themen und Ereignissen, die in den herkömmlichen Medien kaum oder keine Beachtung finden. Sie wurden oftmals auch von anderen Verteilern und Blogs übernommen und weiterverbreitet. Viele Textbeiträge flankiere ich mit Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei , wodurch sich interessante Querverbreitungen ergeben. Meine mediale Reichweite ist verglichen mit früher stark geschrumpft, die Wirkung aber teilweise konzentrierter. Über individuelle E-Mail-Verschickungen erreiche ich meine Zielgruppen, darunter viele Multiplikatoren, aber recht gut. (Spitzenreiter auf www.nachtwei.de sind Reisebericht Kongo vom 24.5.2008 mit 64.800 Aufrufen, Sicherheitsvorfälle AFG Nord 2010 vom 5.8.2010 über 34.000.)
Medienkontakte haben sich weiter reduziert auf einige ausführliche Hintergrundgespräche (z.B. mit dem japanischen, öffentlich-rechtlichen TV-Sender NHK zu deutscher Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen). Eine Ausnahme war die G36-Kommission: Während der Kommissionsarbeit gehe ich zurückhaltend und dosiert mit Presseanfragen um. Zur Vorstellung des Abschlussberichts kommen mehr als 30 Journalisten. Erleichtert stelle ich fest, dass ich den klaren Umgang mit den Medien noch nicht verlernt habe.
Offen sind die Münsteraner Lokalzeitungen für persönliche Kurzmeldungen, aber auch für spezielle aktuelle Angebote.
Einzelne wissenschaftliche Interviews (z.B. zu Politikerreisen in Krisengebiete) und mehrere Zeitzeugen-Interviews mit SchülerInnen im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten.
Neu hinzugekommen sind informelle Beratungsaufträge (z.B. Kommentierung von Publikationen aus der Friedens- und Konfliktforschung)
Zugenommen haben selbst gewählte umfangreichere Rechercheaufgaben (zu Krisenfrüherkennung, Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen und Wirksamkeitsevaluierung, Militärsoziologie und Sicherheitspolitik, Merkmale der aktuellen Krisen). Afghanistan bleibt ein Feld dauernder Recherche.
Zentrale Themen
(1) Lernen aus der Geschichte? Riga/Baltikum, Deutsch-Niederländisches Korps, „Nie wieder!“ Nie wieder?
„Fast gelungene Kriegsprävention“. Bei den Königsbronner Gesprächen zur „Herausforderung Gleichzeitigkeit von Krisen“ am 27./28. März stoße ich gegenüber vom Veranstaltungssaal auf die Gedenkstätte für Georg Elser. Eine Woche später Preview des Films „Elser – Er hätte die Welt verändert“ mit dem Hauptdarsteller in Münster.
Am 8. November 1939 hatte seine Bombe Hitler und andere Nazi-Größen im Münchner Bürgerbräukeller um 13 Minuten verfehlt. Hätte der 36-jährige Schreiner Georg Elser aus dem schwäbischen Königsbronn Erfolg gehabt, wäre der gerade begonnene Krieg sicher anders verlaufen, wären wahrscheinlich nicht zig Millionen Menschen Weltkrieg und Völkermorden zum Opfer gefallen.
Im Film von Oliver Hirschbiegel verkörpert Christian Friedel aus Dresden fulminant den lebensfrohen, grundfriedlichen Handwerker, der von Anfang an den Nazi-Kurs durchschaut , sich widersetzt und nach dem Münchner Abkommen im Alleingang akribisch den Tyrannenmord vorbereitet – um viel größeres Blutvergießen zu verhindern. Nach fünfeinhalb Jahren KZ-Haft wurde Georg Elser am 9. April 1945 erschossen.
Nach 1945 wurde Georg Elser viele Jahre totgeschwiegen und bis in die 90er Jahre in der offiziellen deutschen Erinnerungskultur kaum gewürdigt. Obwohl seine Tat hervorsticht im Hinblick auf ihren frühen Zeitpunkt, ihr gigantisches Präventionspotenzial, ihre Konsequenz und die innere Stärke des im Alleingang handelnden Individuums. Im Verhör sagte er, er sei ein freier Mensch. Dann müsse man das Richtige tun. Ohne Freiheit sterbe alles ab.
http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1349
Erinnerungs- und sicherheitspolitische Beobachtungen in Riga: Im Vorfeld des 2. Symposiums des Dt. Riga-Komitees recherchiere ich sechs Tage in Riga – auf den Spuren der sowjetischen und der Naziokkupation sowie zur aktuellen sicherheitspolitischen Lage. Vor dem Hintergrund gespaltener traumatischer Erinnerungen werden der Krieg in der Ukraine und die hybriden Operationen Russlands gegenüber dem Baltikum als besonders bedrohlich empfunden. Nachdem die meisten in Mittel- und Westeuropa von der Ukraine-Eskalation überrascht wurden, ist im Baltikum wirksame Krisenprävention + Stabilisierung gefragt. Mein Reisebericht http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1363 .
2. Symposium des Dt. Riga-Komitees, unterstützt vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, im historischen Rathaus von Münster: Umfassend zur Sprache kommt die Gleichzeitigkeit sehr gegensätzlicher kollektiver Erinnerungen. Verschiedene Initiativen aus dem Münsterland präsentieren ihre Erinnerungsprojekte. Skype-Interview mit Margers Vestermanis in Riga (http://www.volksbund.de/partner/deutsches-riga-komitee.html )
90. Geburtstag von Alexander Bergmann, seit 1993 Vorsitzender des Vereins der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands, am 30. Mai in Riga mit seinen beiden Kindern, Freunden, Mitstreitern, Unterstützern aus Deutschland. (Am 12. Januar 2016 starb Sascha Bergmann. http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1387 )
„Srebrenica vor 20 Jahren: "Nie wieder!" und der Ernstfall. Die Zeugin, der Streit, die Lehren“: Mit Srebrenica kehrte Völkermord nach Europa zurück. Reichlich Anlass zu selbstkritischer Rückbesinnung, vor allem aber zum LERNEN. Dazu einige Dokumente, angefangen bei Joschkas "Brief-Bombe" vom 30. Juli 1995, und Angebote. (Juli 2015 auf
http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1364 )
20 Jahre Deutsch-Niederländisches Korps am 29. August in Münster in Anwesenheit des niederländischen Königs Willem-Alexander. Die lokale Berichterstattung kreiste vor allem um den sympathischen König. Die historische Einmaligkeit des Deutsch-Niederländischen Korps wird deutlich vor dem Hintergrund seiner Vorgänger im Stabsgebäude am Schlossplatz. Hier befand sich 1940 u.a. der Befehlshaber des Wehrkreises VI der Wehrmacht, in dem insgesamt 14 Divisionen für den Krieg gegen die europäischen Nachbarn aufgestellt wurden, darunter zwei für den Angriff auf Holland und Belgien.
1983 demonstrierten wir mit der damaligen Friedensbewegung vor dem I. Korps der Bundeswehr gegen die geplanten Mittelstreckenraketen und die Beteiligung von Verbänden des Korps am „atomaren Heimatschutz“.
Mehrfach begegnete ich Angehörigen des 1. GE-NL Korpsstabes bei Kriseneinsätzen, insbesondere in Afghanistan. In meinem Bericht zum 20-jährigen Bestehen des Korps konstatierte ich „Positive Kontinuitätsbrüche und friedenspolitische Chancen. „Noch nie war Militär in Münster so dicht am Motto des Westfälischen Friedens ´Pax optima rerum`.“ (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1370 )
„Nie wieder!“ Nie wieder? Verantwortung zum Schutz vor Krieg und Massengewalt: Ansprache bei der Gedenkstunde der Stadt Greven zum Volkstrauertag im Rathaus der Stadt – anderthalb Tage nach den Terroranschlägen von Paris.
„Gegen Vergessen – Für Demokratie“, Mitgliederversammlung am 21. November im Duisburger Rathaus: Die 36 Regionalen AG`en brachten insgesamt 423 Veranstaltungen auf die Beine. Die kleine Geschäftsführung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bringt sehr professionell Projekte voran, die aktueller nicht sein könnten: z.B. Argumentationstraining gegen rechte Parolen mit Peer-Training für Jugendliche und junge Erwachsene, Weiterbildung für lokale Akteure im Programm gegen Rechtsextremismus, Präventionsnetzwerk gegen religiös begründeten Extremismus etc. Inzwischen ist der Verein anerkannt als „bundeszentraler Träger“ der professionellen Arbeit gegen politischen Extremismus.
(2) Wachsender Stellenwert der Krisenprävention und UN-Friedenssicherung
Neue Aufmerksamkeit für zivile Krisenprävention: Am 6. Februar debattierte der Bundestag über den 4. Umsetzungsbericht der Bundesregierung zu ihrem Aktionsplan zivile Krisenprävention von 2004. Erstmalig redete ein Außenminister ausführlich und kundig zum Thema, erstmalig lief eine Plenardebatte zu dem Thema zur besten Zeit, erstmalig erhielt das Politikfeld so breiten Zuspruch quer durch alle Fraktionen.
Am 10. Februar besuchte Bundespräsident Joachim Gauck das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und lud anschließend zum Bellevue-Forum „Experten für den Frieden – Deutschlands zivile Beiträge zur internationalen Konfliktlösung“ ein. Erstmalig besuchte ein Bundespräsident das vor 13 Jahren gegründete ZIF. (Mein Bericht http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1341 )
Sondersitzung des Beirats Zivile Krisenprävention am 2. März im Auswärtigen Amt: Der Bertelsmann-Transformations-Index (BTI) als Instrument der Krisenprävention; Analyseinstrumente des BMZ; Ergebnisse des Review-Prozesses
22. Sitzung des Beirats Zivile Krisenprävention am 27. April u.a. zu verstärkter Einbeziehung von Zivilgesellschaft auf dem Feld der Krisenprävention, Stabilisierung; Weißbuch-Prozess und Schnittstellen zur zivilen Krisenprävention; mittelfristige FinanzplanungUkraine – Erfahrungen mit early warning, early action; Umbau des ZIF zur Entsendeorganisation; Review-Prozess.
Review 2014 – eine überfällige Premiere mit neuen Chancen: Artikel zu den Konsequenzen des Review-2014-Prozesses des Auswärtigen Amtes in: Ute Finckh-Krämer/Michael Vietz, Zivile Konfliktbearbeitung in der deutschen Außenpolitik, Berlin (AphorismA) 2015.
„Den Frieden fördern, nicht den Krieg“, Schwerpunkt des Juli-Heft der „WELT-SICHTEN“, Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit, ausführliches Gespräch mit Bernd Ludermann, Chefredakteur (https://www.welt-sichten.org/artikel/28922/wege-zum-frieden-bahnen )
Aufbau der neuen Abteilung S „Krisenprävention, Stabilisierung und Konfliktnachsorge“ im Auswärtigen Amt: Endlich legt sich das AA Arbeitsmuskel für das Politikfeld zu, darunter auch Grundsatzfragen und fragile Staaten (S01), Frühwarnung und Szenarienplanung (S04), Stabilisierung und Mediation (S03), ZIF, Zivilgesellschaft, RtoP (S06) etc.Gespräche mit Abteilungsleiter und Stellvertreterin, mehreren Referatsleitern und Mitarbeitern. Schnell vertrauensbildend ist, dass mir etliche von früheren Verwendungen, v.a. in Krisenregionen, bekannt sind.
Erneute Berufung in den (6.) Berat Zivile Krisenprävention, der am 2. November erstmalig in neuer Zusammensetzung zusammentrifft. Jörn Grävingholt (DIE) und ich werden zum dritten Mal für zwei Jahre zu den Vorsitzenden gewählt. Themen sind u.a. Umsetzung der Review-Ergebnisse und Weißbuch-Prozess, Leader`s Summit on Peacekeeping, Evaluierung, Fluchtkrise.
Gespräch des Beirats mit Abgeordneten des Unterausschusses Zivile Krisenprävention am 14. Dezember über den 4. Umsetzungsbericht
Tagung Internationale Krisenprävention in der Evang. Akademie Thüringen in Neudietendorf in Kooperation mit der Uni Jena am 28./29. November: Referat im Workshop „Zur Wirksamkeit ziviler und militärischer Instrumente der Prävention“ neben Brigadegeneral Kay Brinkmann (bis Oktober Senior Military Adviser UNAMA in Kabul) und Teilnahme am Schlusspodium „Prävention wirksamer planen und gestalten“ mit Brinkmann, Thomas Bagger (Leiter Planungsstab AA), Caroline Kruckow (Brot für die Welt/FriEnt), Prof. Christoph Meyer (King´s College, London) und Prof. Michael Haspel. Besonders spannend die Vorträge von Prof. Meyer („Early Warning, Early Action and the Pitfalls of Crisis Prevention“) und Rainer Hermann/FAZ (“Der arabische Krisenbogen”).
„Krisenprävention im Kontext dt. Außen- und Friedenspolitik“, Veranstaltungsreihe der Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem Forum Ziviler Friedensdienst: „Immer nur das Militär? Der zivilen Krisenprävention mehr Einfluss verschaffen!“ am 10. März mit Heidi Meinzolt, Thomas Nehls und mir; „Ich sehe was, was Du nicht siehst. Krisen früh erkennen, zivile Prävention stärken!“ mit Martina Fischer (Berghof-Foundation), Rüdiger König (Leiter der neuen Abtlg S im AA) und Tom Koenigs, MdB, am 2. Juni ( http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1342 ); „Zwischen Atemlosigkeit und Schockstarre: Wege zum Frieden im Angesicht von Terror und Gewalt – Jahresrückblick“ mit MdB Franziska Brantner, Prof. Hajo Gießmann, Dr. Sylke Tempel (Chefredakteurin IP-Internationale Politik). Alle Abende hervorragend moderiert von Oliver Knabe/ForumZFD.
Internationale Polizeimissionen: Thema der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie der Grünen am 28. Februar in Köln mit Dieter Wehe, Vorsitzender der AG IPM und Inspekteur der NRW-Polizei, und mir als Referenten
„Mehr deutsche Polizei in UN-Friedenseinsätzen!“ Mein Standpunkt-Beitrag im Themenheft „UN-Polizeiarbeit“ der Zeitschrift „Vereinte Nationen“ der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen, 2/2015 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1354 )
„Bundeswehr in UN-geführten Friedenseinsätzen“ – internes Fachgespräch der Grünen Bundestagsfraktion am 13. Januar u.a. mit Martin Kobler, SRSG in der DR Congo
Teilnahme an der Kommandoübergabe beim UN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg am 26. März von Oberst Rainer Barz (Kdr seit 10 Jahren) an Oberst Michael Uhrig; ich bin der einzige aus dem „politischen Berlin“.
3. Tag des Peacekeepers am 10. Juni, jetzt auf Einladung von Innenminister de Maiziére im neuen BMI. 270 Gäste, die meisten aktive und ehemalige TeilnehmerInnen an UN-mandatierten Einsätzen. Anlässlich des 15-jährigen Jubiläums der UN-Sicherheitsratsresolution 1325 stehen in diesem Jahr „Frauen, Frieden und Sicherheit“ im Vordergrund. Gastrednerin ist die UN-Untergeneralsekretärin Phumzile Mlambo-Ngcuka, Exekutivdirektorin von „UN Women“. Stellvertretend geehrt wurden je drei Polizistinnen, Soldatinnen und Zivilexpertinnen.
Die Peacekeeper erleben die Veranstaltung als glaubwürdige Anerkennung und Unterstützung ihrer Arbeit. Die Ehrung deutscher Peacekeeper in Zivil und verschiedenen Uniformen war wieder ein friedenspolitisches Großereignis. Vertreten sind viele Verantwortliche aus den Ressorts, die LeiterInnen von ZIF und zivik, das Einsatzführungskommando und mehrere Inspekteure der Bundeswehr. Der Bundestag ist mit drei Abgeordneten wie in den Vorjahren nur spärlich vertreten. Angesichts der sonst so hoch geschätzten Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen und dem Anspruch von „Parlamentsarmee“ ist mir diese faktische Geringschätzung des Tages des Peacekeepers unbegreiflich. (Mein Bericht (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1359 )
Fachtagung des DGVN-Forschungsrates „70 Jahre VN – Legitimität, Krise und Potenzial“ am 8. Oktober in der Hamburger Landesvertretung, Teilnahme am Panel „Was bleibt von der Friedensmacht UN? Herausforderungen für die Sicherheitspolitik“ mit Prof. Joachim Koops, Wibke Hansen, Thomas Fitschen und Prof. Johannes Varwick.
„Deutsches Engagement in UN-Friedenssicherung: Tun wir genug?“ ZIF-Breakfast-Briefing am 24. September im Internationalen Club des AA mit Wolfgang Weisbrod-Weber, zuletzt SRSG für Westsahara, Dr. Thomas Fitschen, Beauftragter für die VN, Cyber-Außenpolitik und Terrorismusbekämpfung im AA.
70 Jahre Vereinte Nationen: Festakt am 21. Oktober in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Bundespräsident a.D. Horst Köhler als Festredner. Unter den 500 Gästen Botschafter und Gesandte aus 36 Ländern. (Mein Bericht www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1375 )
Die VN wurden vor 70 Jahren „nicht gegründet, um der Menschheit den Himmel zu bringen, sondern um sie vor der Hölle zu bewahren“ – so der zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld. Heute sind die VN dringlicher denn je: Wirksamere Vereinte Nationen gegen die Kriegsbrände, humanitären Großkatastrophen und globalen Herausforderungen. Köhler hält eine herausragende, wirklich große Rede, eine nachdenkliche, selbstkritisch-ehrliche, ermutigende Ruck-Rede an die Regierungen und Zivilgesellschaften, die Chancen der Vereinten Nationen endlich besser zu nutzen. Eine so orientierungsstarke und wichtige Rede habe ich zur internationalen Politik seit Jahren nicht gehört. Sie verdient breiteste Beachtung. (Der Redetext unter http://www.dgvn.de/fileadmin/user_upload/DOKUMENTE/Vortraege/Festakt_K%C3%B6hler/Festakt_70_Jahre-RedeK%C3%B6hler.pdf )
Für politisch skandalös halte ich allerdings die Null-Berichterstattung über die Rede in den deutschen Tagesmedien. Warum erhalten Hetzreden bei Pegida breiten medialen Resonanzraum, während eine solche bedeutende Hoffnungsrede trotz breiter Vorabinformation der Presse ausnahmslos (!) ignoriert wird? (Dass dies kein bloßes Tagesversäumnis war, zeigt die „verlässliche“ Nichtberichterstattung über die friedenspolitischen Großereignisse der inzwischen drei „Tage des Peacekeepers“ in Deutschland wie auch den „Leaders` Summit on Peacekeeping“ mit seinen spektakulären Blauhelm-Zusagen am 28. September in New York.)
„Deutschland muss eine aktivere Rolle in den Vereinten Nationen einnehmen“, sagt der Parlamentarische Staatssekretär im BMVg Markus Grübel bei seinem Vortrag „Die sicherheitspolitische Verantwortung für Europa und die Welt am Beispiel des deutschen Engagements im Rahmen der Vereinten Nationen“ beim Parlamentarischen Abend der Gesellschaft für Sicherheitspolitik und der Dt. Gesellschaft für Wehrtechnik am 24. November in der Hessischen Landesvertretung. Dazu macht er konkrete Vorschläge – ein Lichtblick! In einer anschließenden „Kurzintervention“ danke ich den Veranstaltern ausdrücklich für die Aufsetzung des Themas und unterstütze die Forderung nach verstärktem UN-Engagement als weitsichtig und klug.
Mitgliederversammlung der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen/DGVN am 5. Dezember in Berlin: Dem intensiven Wirken der geschäftsführenden Vorstandsmitglieder ist zu verdanken, dass der Zuschuss des Auswärtigen Amtes für die DGVN in 2016 um 50% auf 980.000 Euro steigt. Angesichts der verbreiteten Nichtwahrnehmung der UN in Deutschland ein überfälliger Schritt. Mit großer Dankbarkeit und viel Beifall verabschiedet die Versammlung die bisherige Generalsekretärin Beate Wagner und „VN“-Chefredakteurin Anja Papenfuß, Mit großem Elan und überzeugend stellen jüngere Mitglieder die „Junge DGVN“ vor, insbesondere „UN im Klassenzimmer“ und das Projekt „Jugenddelegierte“ (jetzt 122 Bewerbungen nach ca. 80 in vergangenen Jahren; http://www.dgvn.de/junge-dgvn/ ). Beschluss der Resolution „Fluchtursachen wirksam bekämpfen, multilaterale Zusammenarbeit ausbauen, UNHCR stärken“.
Die letzte Streubombe der Bundeswehr wird am 25. November zerstört – von ursprünglich über einer halben Millionen Behälter mit Streumunition Ende der 80er Jahre. (FAZ 26.11.2015) Damit ist das Osloer Abkommen über die weltweite Ächtung von Streumunition von der Bundesrepublik drei Jahre vor Fristende voll umgesetzt. Ein Schritt in diese Richtung gelang mir vor zehn Jahren, am 18. April 2005, in Verhandlung mit BMVg-Staatssekretär Dr. Eickenboom vor dem Hintergrund unseres Koalitionsstreits um MEADS: Vereinbart wurde die schnellstmögliche Aussonderung und Vernichtung von Streumunition ohne Selbstzerlegemechanismus und mit einer Blindgängerquote über 1% (sowie ein „substanziellen Beitrag“ des BMVg zu Projekten des Aktionsplans Zivile Krisenprävention. Der 10-Mio.-Beitrag aus dem Verteidigungsetat wurde dann zu einer wesentlichen Starthilfe für den Provincial Development Fund für Nordostafghanistan, in dem erstmalig afghanische und deutsche Seite gemeinsam Aufbauprojekte beschlossen. Später erfuhr ich, dass diese Gelder „Nachtwei-Millionen“ genannt wurden.)
(3) Kommission „G36 im Einsatz“: die scharfe Seite der deutschen Auslandseinsätze
Am 2. April, Gründonnerstag, erreicht mich völlig überraschend der Anruf von Verteidigungsministerin von der Leyen mit der Bitte, ob ich den Vorsitz der geplanten G36-Kommission übernehmen könne. Sie brauche jemand mit Bundeswehr- und Afghanistan-Kenntnis und Unabhängigkeit. Ich sagte noch am selben Tag zu. Bild am Sonntag drei Tage später: „Grüner leitet Gewehr-Kommission“.
Ausschlaggebend waren für mich: Als Mitglied des Verteidigungsausschusses war ich bis 2009 an 70 Mandatsentscheidungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt, davon allein 20 zu Afghanistan. Das Land besuchte ich bisher 18 Mal, zuletzt im Februar. Meine Mitverantwortung für die entsandten Soldatinnen und Soldaten (aber auch Polizisten und Entwicklungsexperten) endete nicht 2009, sondern hält bis heute an. Sie schlug sich erstens nieder im ständigen Drängen auf systematische Einsatzevaluierungen und Stärkung ziviler und präventiver Fähigkeiten. Sie schlug sich zweitens nieder im Beirat Innere Führung, in dem die Einsatzrückkehrer und einsatzbedingte Schädigungen meine Arbeitsschwerpunkte sind.
Weil der Afghanistaneinsatz gerade in meiner Fraktion hoch umstritten war und weil die ministeriellen Informationen ausgesprochen unzureichend waren, recherchierte und veröffentlichte ich seit 2003, verstärkt seit 2007 intensiv zur Entwicklung der Sicherheits- und Aufbaulage in Afghanistan. Ich bemühte mich um kritisch-unabhängige Lagebeurteilungen und Wirkungsorientierung. Die Kommissionsarbeit sah ich als Herausforderung, Einblick in die schärfsten Seiten der deutschen Auslandseinsätze, insbesondere des Afghanistaneinsatzes zu bekommen und dabei mit den blutigen Konsequenzen der eigenen politischen Aufträge konfrontiert zu werden. Gerade bei hochmoralisch legitimierten Einsätzen werden diese Konsequenzen oft ausgeblendet.
Auftrag der unabhängigen Kommission „Untersuchung des Einsatzes des G36-Sturmgewehrs in Gefechtssituationen“ war zu klären, ob deutsche Soldaten im Zusammenhang mit Präzisionsabweichungen des G36 in Einsätzen zu Schaden gekommen oder einem erhöhten Risiko ausgesetzt worden sind.
Die Kommissionbestand aus dem ehemaligen Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus und mir als Vorsitzendem. Als militärische Berater beigestellt waren uns Generalmajor Johann Langenegger, Kommandeur der 1. Panzerdivision, und Oberstleutnant i.G. Lutz Kuhn. Unterstützt wurden wir von einem siebenköpfigen Sekretariat unter Leitung von Oberst i.G. Oliver Kohl. Die Kommission startete Anfang Juni und legte ihren Abschlussbericht am 14. Oktober vor. Es war eine Vollzeitaufgabe.
Durchforscht wurden alle Gefechtsberichte der Bundeswehr, die Datenbank des Informationssystems Einsatzerfahrungen der Bundeswehr, alle diesbezüglichen Feldjägerberichte, Jahresberichte über besondere Vorkommnisse und Mängel mit/an Waffen und Munition, Meldungen zum G36 und Erkenntnisse anderer Nutzerstaaten. Im Zentrum der Untersuchungen standen Befragungen von einsatz- und gefechtserfahrenen Soldaten. Über 500 Soldatinnen und Soldaten wurden identifiziert, über 150 wurden befragt, 350 weitere angeschrieben. Etliche antworteten schriftlich. Die Soldaten aller Dienstgradgruppen berichteten aus allen größeren Einsätzen, der Schwerpunkt lag beim Afghanistaneinsatz der Jahre 2009-2012. Viele waren mehrfach in Afghanistan im Einsatz, etliche hatten 15, 20 Gefechte durchgemacht. Die Soldaten waren in ihren freiwilligen Stellungnahmen uneingeschränkt offen. Oft betonten sie, vorher mit Kameraden über ihre G36-Erfahrungen gesprochen zu haben – und dabei zu einem einhelligen Urteil gekommen zu sein. Einzelne bedankten sich ausdrücklich, dass jetzt endlich ihre praktischen Erfahrungen gefragt waren.
Die Gespräche mit Soldaten des Karfreitagsgefechts, des komplexen Hinterhalts vom 29. April 2009 und vieler anderer Gefechte empfand ich immer wieder als ausgesprochen aufwühlend.
Schwerpunkt der Untersuchungen: Die Kommission verschaffte sich auch einen Überblick über Erfahrungen mit dem G36 in der Ausbildung und in Übungen, insbesondere beim Ausbildungszentrum Infanterie in Hammelburg und beim KSK in Calw. Angesichts der Tatsache,
- dass es beim Bosnieneinsatz maximal zu einigen wenige Warnschüssen,
- beim KFOR-Einsatz zu vereinzelten Schusswechseln gekommen war,
- aus dem Kongoeinsatz und den Marineeinsätzen keine Schusswaffeneinsätze gemeldet wurden,
- beim ISAF-Einsatz in Afghanistan zwischen 2001 und 2005 nur ein Schusswechsel gemeldet wurde (allerdings gab es bei sieben Angriffen mit Sprengfallen in vier Jahren acht Gefallene und über 40 Verwundete)
konzentrierten sich die Untersuchungen auf den Afghanistaneinsatz ab 2006 und insbesondere ab 2009. In Afghanistan waren Bundeswehrsoldaten insgesamt über 380 Mal mit gegnerischen Angriffen konfrontiert, mindestens 150 Mal kam es dabei zu Schusswechseln und Gefechten. (2010 war das kampfintensivste Jahr mit rund 130 Feindkontakten, davon über 50 mit eigenem Schusswaffeneinsatz)
Das Ergebnis der Untersuchungen war klar und eindeutig: Kein deutscher Soldat ist im Zusammenhang mit Präzisionsabweichungen des G36 gefallen, verwundet worden oder einem konkreten erhöhten Risiko ausgesetzt gewesen. Es stellte sich heraus, dass die meisten Soldaten bei gegnerischer Feuereröffnung durch IED oder RPG-Beschuss gefallen oder verwundet worden waren, bevor überhaupt ein einziger G36-Schuss gefallen war. (Zusammenfassung + Links http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1374 )
Die Vorstellung der Berichtsergebnisse am 14. Oktober und 4. November im Verteidigungsausschuss traf bei den Abgeordneten auf großes Interesse, Erleichterung und keinerlei Einwände. Die Medienresonanz war flächendeckend und prominent. Nachträgliche Zweifel an den Kommissionsergebnissen wurden nicht bekannt. Selbstkritische Beiträge von solchen Journalisten, die die Causa G36 ohne Rücksicht auf Einsatzerfahrungen der Soldaten überskandalisiert hatten, wurden nicht bekannt.
Da der Abschlussbericht leider nicht voll veröffentlicht wurde (auch nicht bundeswehrintern), fanden weitere wichtige, von mir bei der Pressepräsentation und im Ausschuss wohl benannte Erkenntnisse keine weitere Beachtung:
- zum Schusswaffeneinsatz in den Bundeswehreinsätzen insgesamt, der – außer bei Afghanistan 2006 ff. – ausgesprochen selten war (s.o.) und die verzerrende Darstellung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr unterschiedslos als Kriegseinsätze widerlegt;
- zu Gefechtsverläufen, die jetzt erstmalig systematisch „von außen“ untersucht wurden, und dem Gefechtsverhalten deutscher Soldaten in asymmetrischen Szenarien;
- zur Professionalität, Einsatzmotivation und –belastung, zur Besonnenheit und Rechtstreue der Bundeswehrsoldaten im Einsatz, im Gefecht.
(Allerdings: Eine systematische Untersuchung der Wirkungen der deutschen Beteiligungen an internationalen Krisenengagements, insbesondere in Afghanistan, steht noch aus!)
Den Kommissionsmitgliedern wurde erneut eindringlich deutlich, wie extrem die Anforderungen an Einsatzsoldaten in Bodenkämpfen sind. Unsere persönliche Begegnung mit der kriegerischen Einsatzrealität der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan bekräftigte unsere Grundhaltung, dass Bundesregierung und Bundestag höchst verantwortlich mit dem Einsatz von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr umgehen müssen: bei der den Entscheidungen zu Einsätzen, zur Einsatzausstattung und –führung, bei der Wirkungskontrolle und insbesondere auch gegenüber den Einsatzrückkehrern und ihren Familien. Von diesen tragen etliche oft noch lange an den Einsatzfolgen, während ihre Auftraggeber längst mit anderen Aufgaben befasst sind.
Die besondere politische Sorgfaltspflicht gilt meines Erachtens genauso für den Export des G36. Dass ab Dezember 2005 immer wieder der Export von Tausenden G36 nach Mexiko genehmigt wurde und ab 2006 der von vielen Tausenden G36 nach Saudi-Arabien, war ein eklatanter Verstoß gegen diese friedens- und sicherheitspolitische Sorgfaltspflicht.
Die Arbeitsbedingungen waren hervorragend: volles Akteneinsichts- und Befragungsrecht, Unterstützungspflicht aller Bundeswehrstellen, direkte Anbindung an Staatssekretär Hoofe, völlige – externe wie innere – Unabhängigkeit. Perfekte materielle, aber vor allem personelle Ausstattung. Die Zusammenarbeit mit den einsatzerfahrenen, hoch kompetenten, kritischen und geistig unabhängigen Mitarbeitern war bestens organisiert, ausgesprochen offen, produktiv und bereichernd. Wo der Primat der Politik immer außer jedem Zweifel stand, erfuhr ich zugleich die militärisch organisierte, strukturierte Arbeitsweise von ihrer besten Seite. Aufschlussreich waren Einblicke in Alltagsrituale und Organisationskultur von Ministerium und Bundeswehr. Streckenweise unglaublich war, was ich bei Unterhaltungen alles an bundeswehrinternen Absurditäten erfuhr. Umso erfreulicher und ermutigender waren die vielen Begegnungen mit sehr kompetenten, zupackenden und nachdenklichen Bundeswehrangehörigen.
Dankesbrief der Ministerin schon am 16. Oktober: „Ihre Kommission hat hervorragende Arbeit geleistet. Ich bin äußerst beeindruckt von der empathischen und zeitaufwändigen Methode und Gründlichkeit, mit der Sie sich der für mich wichtigsten und dringendsten Frage angenommen haben. Der Frage, ob die technischen Defizite des G36 zu Tod, Verwundung oder Gefährdung unserer Soldatinnen und Soldaten geführt hat. Dass dem nicht so ist, hat mich unbeschreiblich erleichtert. (…)“
Ein „Begleitschatten“ der Kommissionsarbeit war, dass ich in der „Verarbeitung“ der internationalen Krisenentwicklung und der anschwellenden Fluchtkrise nicht mehr nachkam.
(4) Afghanistan: Sicherheitsabsturz, Sinnverlust - bleibende Verantwortung und Lernen, Lernen!
Erster Afghanistanbesuch nach ISAF-Ende (18. insgesamt) Mitte Februar anlässlich des Kommandowechsels bei Resolute Support, überfällig nach zweieinhalbjähriger Pause. Trotz der kurzen Zeit ergeben sich erhebliche Einblicke: die aktuelle Lage im Norden, den Ansatz von Train, Advise, Assist bei Resolute Support, das erheblich ausgedünnte Camp Marmal, die auf 12 deutsche Polizisten geschrumpfte Polizeiberatung in Mazar, mehrere von Deutschland geförderte Entwicklungs- und Aufbauprojekte. Ausgesprochen solide und hoffnungsvoll das Berufsbildungsprojekt auf dem Campus Takhta Pul mit der künftigen Agrartechnikerschule, einer Berufsschullehrerakademie und einer Technikerschule; traumhaft der Spaziergang ganz in Ruhe um die Blaue Moschee; das deutsche Generalkonsulat.
(Bericht „Ihr habt die Uhr “ http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1345 )
Trotz der Konkurrenz anderer Großkrisen komme ich immer wieder auf Afghanistan zurück: angesichts besonderer Gewaltereignisse, durch bevorstehende Vorträge und Artikel, über Monate in den Befragungen von gefechtserfahrenen Afghanistanrückkehrern, in Vorbereitung der 29. Afghanistan-Tagung in Villigst Ende November.
Kunduz – eine Woche im April: Informationen zum Beginn der Frühjahrsoffensive der Taliban am 24. April im Raum Kunduz unter www.nachtwei.de . Zwei Tage zuvor
„Lehrstunde AFG“ von Deutscher Gesellschaft für Auswärtige Politik und Dt.-Atlantischer Gesellschaft (Teilnehmer am Panel 1 zur Sicherheit) im Bundespresseamt. Andere Panels zu Entwicklung, guter Regierungsführung. Am 23. April Vorstellung des Sammelbandes
„Am Hindukusch - und weiter? Die Bundeswehr im Auslandseinsatz: Erfahrungen, Bilanzen, Ausblicke“, hrsg. Von Rainer L. Glatz und Rolf Tophoven (Bundeszentrale für politische Bildung). Von mir stammt der Beitrag „“Die Politik und Afghanistan: persönliche Bilanz und Ausblick eines politischen Auftraggebers“. Meine unangenehme Kernaussage: „Der Knackpunkt des abgedrifteten Afghanistaneinsatzes war ein kollektives politisches Führungsversagen.“ http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1353
6 Monate nach Abzug von ISAF: Höchstzahl an Zivilopfern, v.a. unter Frauen und Kindern, Anstieg komplexer und Suizid-Attacken um 78%! Meine Zusammenfassung und Kommentierung des UNAMA-Halbjahresberichts zu Zivilopfern verfasst am schwarzen Freitag des 7. August, als um 1.00 Uhr morgens im Kabuler Stadtteil Shah Shaheed ein mit Sprengstoff beladener Lkw explodiert, 15 Menschen tötet und mehr als 400 verletzt; als sich am Abend am Haupteingang der Polizeiakademie ein Selbstmordattentäter in Polizeiuniform inmitten einer Gruppe zurückkehrender Polizeischüler in die Luft sprengt und 26 von ihnen ermordet, 27 verwundet; als kurz später Bewaffnete ein Camp von RSM beim Flughafen angreifen und einen RSM-Soldaten und acht Wachmänner töten. http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1366
Better News von Aufbauprojekten: Aktuell zum Berufsbildungsprojekt in Takhta Pul bei Mazar; zum neuen Radio- und TV-Studio in Samangan; zur Eröffnung des neuen Gebäudes der Nationalen Umweltschutz-Agentur in Feyzabad; erstmals deutscher Botschafter auf Dari bei Ariana TV: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1368
Die Eroberung von Kunduz – ein Weckruf!? Am 28. September erobern die Taliban Kunduz innerhalb weniger Stunden. Erst nach 15 Tagen können die afghanischen Sicherheitskräfte mit US-Unterstützung die Stadt zurückgewinnen. Genau zum Zeitpunkt der Kunduz-Eroberung spreche ich mit einem Soldaten, der mir von seiner Patrouille berichtet, die am 29. April 2009 in einen komplexen Hinterhalt geraten war. Hierbei fiel zum ersten Mal ein Bundeswehrsoldat im Kampf. Interview von Andre Bochow mit mir in der Märkischen Oderzeitung: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1373 .
„Freundschaft verpflichtet … 100 Jahre deutsch-afghanische Beziehungen“ ist das Motto der 29. Afghanistan-Tagung am 27.-29. November in der Evang. Akademie Villigst/Ruhr, zu deren Vorbereitungsteam ich gehöre. Dazu mein Bericht mit Erinnerungen an den Deutschlandbesuch des afghanischen Königs Amanullah 1928: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1380
Alarmsignale, Hoffnungszeichen – Afghanistan-Nachrichten, die hierzulande nicht durchdringen: zum Beispiel die größte Demonstration gegen politische Gewalt seit Jahrzehnten. Am 11. Und 12. November, unmittelbar vor den Terroranschlägen von Paris, sollen allein in Kabul mehr als 20.000 Menschen auf die Straße gegangen sein. Der Anstoß war die Ermordung von sieben Hazara wenige Tage zuvor in der Provinz Zabul. Zum Beispiel die weiteren Fortschritte auf dem Berufsbildungs-Campus Takhtar Pul bei Mazar-e Sharif. (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1381 )
Bundestagsdebatte zur Fortsetzung und Aufstockung von Resolute Support am 17. Dezember: Der Entschließungsantrag meiner früheren Fraktion veranlasst mich, wenige Stunden vor der Debatte der Fraktion zu schreiben: Zu der äußerst beunruhigenden Sicherheitslage in Afghanistan werde faktisch keine Position bezogen. Das nenne ich einen „Offenbarungseid“. Nach der Plenardebatte und vor dem Hintergrund des UN-Untersuchungsberichts zur Taliban-Besetzung von Kunduz, der Reportage „Gigantischer Beutezug“ von Susanne Koelbl im Spiegel und dem Bericht des UN-Generalsekretärs zur Situation in Afghanistan nehme ich umfassend zu den Reden aller Fraktionen Stellung: „Stell Dir vor, es ist Krieg, ISAF geht, es gibt Kriegsopfer mehr denn je – und kaum jemand sieht noch hin“: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1383 In Afghanistan ist deutsche Politik so dicht an Fluchtursachen - ihrer Bekämpfung wie ihrer Beförderung - wie in wenigen anderen Regionen. Jüngste UN-Berichte sind alarmierend. In der Debatte schlug sich das nur sehr begrenzt wieder. Realitätsflucht und Verdrängung sind längst nicht überwunden. Die Grünen MdB Frithjof Schmidt und Agnieszka Brugger laden mich danach zu einem Gespräch ein, das unsere Positionen klärt und verständlicher macht.
Erfahrungen und Lehren - Veröffentlichungen: (a) Selbstkritische Bilanz und dringende Lehren nach 13 Jahren deutschen Afghanistaneinsatzes, in: Robin Schröder, Stefan Hansen (Hrsg.), Stabilisierungseinsätze als gesamtstaatliche Aufgabe – Erfahrungen und Lehren aus dem deutschen Afghanistaneinsatz zwischen Staatsaufbau und Aufstandsbekämpfung (COIN)
(b) „Dranbleiben! 13 Jahre in Afghanistan“ in: ADLAS Magazin für Außen- und Sicherheitspolitik (Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen/BSH) 3/2015, S. 52-59, (https://adlasmagazin.files.wordpress.com/2015/12/adlas-2015-03.pdf ):
„Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen“ von Swetlans Alexijewitsch, der diesjährigen Literatur-Nobelpreisträgerin: Nachdem in der Sowjetunion die Realität des eigenen Krieges in Afghanistan jahrelang vertuscht worden war, ließ die weißrussische Autorin 1989 überlebende Soldaten, Versehrte und Witwen, Krankenschwestern und Mütter von Gefallenen zu Wort kommen. Über einen grenzenlos grausamen Krieg, in dem mindestens 50.000 Sowjetsoldaten fielen, in dem Zehntausende verstümmelt und seelisch zerstört wurden. Ein Panzerschütze: „Ich habe geschossen und niemand geschont. Ich konnte ein Kind töten. Gegen uns haben ja alle gekämpft: Männer, Frauen, Alte, Kinder …“ Eine Krankenschwester: „Wir hatten nichts. Eine Spritze für alle … Die Offiziere haben Alkohol zur Betäubung gekriegt, die Wunden haben wir mit Benzin ausgewaschen. (…) Den ganzen März hindurch wurden die abgetrennten Arme, Beine, das, was von unseren Soldaten und Offizieren übrig geblieben war, gleich neben den Zelten auf einen Haufen geworfen. Die Leichen waren halb nackt, die Augen ausgestochen, Sterne auf Rücken und Bauch geritzt. (…) Wie muss man sein Volk hassen, um es in so einen Krieg zu schicken!“
Devise Genauer Hinsehen! Liste meiner Beiträge und Berichte zu Afghanistan 2001-2016: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1393
(5) Einsatzrückkehrer und Einsatzfolgen
Einsatzrückkehrern (Soldaten, Polizisten, Zivilexperten) begegne ich relativ häufig und bei verschiedenen Anlässen: regelmäßig bei Veranstaltungen, beim Tag des Peacekeepers, zahlreich und intensiv im Kontext der G36-Kommission. Zu etlichen halte ich Mail-Kontakt.
In der AG „Einsatzrückkehrer und Einsatzfolgen“ des Beirats Innere Führung befassen wir uns laufend mit der aktuellen Lageentwicklung zu Einsatzverwundeten (in 2014 204 PTBS-Neuerkrankungen) und Einzelfällen, Sporttherapie nach Einsatzschädigung (Besuch der Sportschule und des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr in Warendorf), Betreuungsmaßnahmen der Evang. Militärseelsorge und des Bundes Deutscher Veteranen, neue Einsatzformen und deren Herausforderungen (Verabschiedung von Empfehlungen zum neuen Missionsmodell an die Ministerin).
Weitere wichtige Themen sind das Lernen aus den Einsätzen und der Umgang mit der sich verschlimmernden Lage in Afghanistan, die für viele Einsatzrückkehrer den Sinn ihres Einsatzes infrage stellt. Mitarbeit im Netzwerk der Hilfe/AG 3 „Möglichkeiten der Unterstützung von einsatzgeschädigten Soldaten und Soldatinnen sowie Reservisten und Reservistinnen“. http://www.bundeswehr-netz.de/hinterbliebene-familien-ptbs-solidaritaet.html , https://www.bundeswehr-support.de/bws/
(6) Konzeptionelle Weiterentwicklungen: Partizipationsphase zum Weißbuch 2016
Nachdem in der Vergangenheit Weißbücher und Verteidigungspolitische Richtlinien immer unter Ausschluss der Öffentlichkeit und des Parlaments erstellt und erlassen wurden, ist die geplante Öffnung des Prozesses zu interessierten und Fachöffentlichkeiten ein wichtiger Fortschritt.
Ein Grundwiderspruch der federführend vom BMVg erarbeiteten Weißbücher von 1994 und 2006 war, dass sie erst einen umfassenden Sicherheitsbegriff entfalteten und dann nur militärische Schlussfolgerungen zogen. (Vgl. unten einige Kommentare zum Weißbuch 2006) Damit wurde einer Fehlinterpretation Vorschub geleistet, als solle jedwede Sicherheitsbedrohung militärisch beantwortet werden.
Auch das elfte Weißbuch soll unter Federführung des BMVg in Abstimmung mit den anderen Ressorts erarbeitet und nach Beschluss des Bundeskabinetts das zentrale sicherheitspolitische Grundlagendokument der Bundesregierung sein. Wo grundsätzlich Konsens besteht über ein umfassendes Verständnis von Sicherheitspolitik, wo der Primat bei der politischen Konfliktlösung liegt und Militär diese in bestimmten Fällen nur absichern und unterstützen kann – müsste da das strategische Grundlagendokument zur deutschen Sicherheitspolitik nicht ressortgemeinsam unter Federführung des Auswärtigen Amtes erstellt werden? Oder wäre nicht als „Dach“ eine Friedens- und Sicherheitsstrategie angesagt? Diese sinnvolle Option hat offenbar zzt. aber keine Chancen, weil maßgebliche Kräfte der Regierung, angefangen wohl beim Kanzleramt, eine umfassende und ressortgemeinsame Strategiebildung ablehnen.
Mit einer Auftaktveranstaltung am 17. Februar beginnt die öffentliche Phase der Erarbeitung des „Weißbuch 2016 zur Sicherheitspolitik und Zukunft der Bundeswehr“.
Von den vier parallelen Arbeitsgruppen moderiere ich die AG 3 zu Perspektiven des nationalen Handlungsrahmens und Gesamtstaatlichem Ansatz mit MdB Florian Hahn, GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner, Prof. Matthias Herdegen und Dr. Klaus Naumann auf dem Podium. Nach dem Auftakt folgten zehn (geplant ursprünglich vier) Workshops für eingeladenes Fachpublikum mit anschließenden Kolloquien in größerem Rahmen. Vor dem Hintergrund meiner beiden Beiräte nahm ich an fünf Workshops teil: Perspektiven des nationalen Handlungsrahmens in der BAKS, Herausforderung Krisenfrüherkennung im AA (als Referent), Perspektiven Entwicklung und Sicherheit (bei der GIZ), Bundeswehr in der Gesellschaft und Perspektiven der Bundeswehr teil. (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1356 )
Zusätzliche Teilnahmen:
- Kamingespräch der Evang. Akademien zu „Ziviler Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztem Handeln im neuen Weißbuch“ am 20. April in Berlin (Impuls),
- Veranstaltung der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung/GKKE „Leitbild Frieden - Was bedeutet das für die Sicherheitspolitik?“ am 23. September in Berlin,
- Veranstaltung der Evang. Akademien zu „Evangelische Perspektiven auf die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik. Eckpunkte zum Weißbuch 2016“ am 14. Oktober in Berlin (https://www.ekd.de/EKD-Texte/eckpunkte_sicherheitspolitik.html )
- Tagung „Friedens- und Außenpolitik im neuen Weißbuch“ am 16.-18. November an der Evang. Akademie Loccum (Input)
- Expertenworkshop zur „Strategischen Vorausschau 2040“ am 3. Dezember im BMVg in Bonn
- Diskussion um eine gemeinsame Stellungnahme der Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ zum Weißbuch-Prozess am 8. Dezember im ISFH (Die Stellungnahme https://ifsh.de/file-IFSH/IFSH/pdf/aktivitaeten/BW-Kommission_Weissb%C3%BCcher.pdf )
Meine Stellungnahmen zum Weißbuch-Prozess:
- „WEISSBUCH 2016 (…)“ – Endlich mit breiterer sicherheitspolitischer Debatte? Auftakt in Berlin“ mit Stellungnahmen zum Weißbuch 2006, Februar 2015 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1342 )
- „Buntbuch statt Weißbuch. Für die Aufnahme nicht-militärischer Akteure in die Sicherheitspolitik“, Artikel in „Zur Sache Bw – Evang. Kommentare zu Fragen der Zeit“ 1/2015 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1361 )
- „Klärungsbedarfe und Empfehlungen zum Weißbuch 2016“: Bei der Loccumer Tagung im November vorgetragen, schriftliche Fassung angekündigt, aber bisher nicht geschafft.
(Viele Anregungen dazu im jüngsten Doppelvortrag „20 Jahren dt. Friedens- und Sicherheitspolitik – Umbrüche + Erfahrungen - und Zivile Friedensförderung und Schutzverantwortung – Fortschritte + Hemmnisse“ vom März 2016, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1395 )
Herzlichen Dank für Ihr/Euer Interesse, für fruchtbaren Austausch, Anregungen, Widerspruch, Ermutigungen, Zusammenwirken – ich freue mich auf die Fortsetzung!
Münster, 7. April 2016 Winfried Nachtwei (winfried@nachtwei.de ; 0170-314 8779)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: