Als die Grünen 1979 entstanden, hatte ich 13 Jahre außerparlamentarische Opposition verschiedener Härtegrade hinter mir. Jetzt ein neuer Aufbrauch, der für viele, auch für mich, um die existenziellen Gefahren der Atomkraft kreisten, der zivilen und militärischen. Die Grünen entstanden mit dem Rückenwind breiter Massenbewegungen, die ermutigten und Hoffnung machten. Hier einige Erinnerungssplitter. Fotos zur ersten 40-Jahre-Feier der Grünen Münster unter www.facebook.com/winfried.nachtwei
Erinnerungssplitter an die Entstehungszeit der Grünen Münster
Von Winni Nachtwei, Gründungsmitglied
(Fotos zum 40 Jahre Auftakt www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Fete zur Einweihung der Räume der neuen GAL-Fraktion in Münster -
Aus einem Brief von mir an Schwester und Schwager in Mexico
Kontext:
W.N. war seit 1977 Studienrat am Clemens-Brentano-Gymnasium Dülmen, unterrichtete Geschichte und Politik/Sozialwissenschaften und unterstützte dort die Bewegung für ein selbstverwaltetes Jugendzentrum (JZ). Als es um die Verbeamtung ging, stellte sich die Stadt Dülmen quer.
„Liebe Mecki, lieber Norbert, MS, 23.12.1979
(…) Bezüglich Dülmen läuft die Auseinandersetzung weiter, zeitweilig hat`s mit Kleiner Anfrage dazu im Landtag, Resolution des Schülerrats, Artikel in der Schülerzeitung – alles in der Lokalpresse veröffentlicht – einigen Staub aufgewirbelt. Inzwischen habe ich die dritte Ablehnung des Schulkollegiums, in Dülmen eine Stelle zu bekommen, mit immer windigeren Begründungen. Gegen die werde ich in diesen Tagen weiteres unternehmen. Um mich ruhig zu stellen, hat man mir drei Schulen angeboten, die von Münster aus gut zu erreichen sind. Ihr fragt euch vielleicht, warum ich nicht nachgebe. Weil ich eine offensichtliche Bestrafung meines Engagements für Jugendliche/JZ nicht hinnehmen kann – würde ich es hinnehmen, hätte das auf mich wie auf andere eine deprimierende Wirkung. Zweitens, weil ich in Dülmen wirklich zu zig Leuten – Schülern., Kollegen und „Dritten“ ein nahes Verhältnis habe, weil ich sehr viele da sehr mag. (…)
Einerseits voller Arbeitsdrang hatte ich gestern andererseits zu nichts Lust, besser zu fast nichts. Bin ich abends noch zur Feten-mäßigen Einweihung der Fraktionsräume der GAL (Grüne Alternative Liste) geradelt, es hat sich gelohnt. Seit langem mal wieder eine Fete, wo gespielt wurde, wo einer Gedichte von lustig bis ernst vortrug, wo am Stück getanzt wurde. Überhaupt komisch: Die Natur draußen ist zurzeit so wenig grün wie selten, doch die Sinne, die Geister vieler, vieler werden hier von Woche zu Woche grüner. Nicht grün vor Ärger wegen Galle, sondern dieses Hoffnungsgrün. In Münster hat sich eine solche Grüne Alternative Liste an den Kommunalwahlen beteiligt und auf den ersten Streich ca. 7000 Stimmen = 6% = 4 Stadträte gewonnen. Da sammelt sich zurzeit alles Oppositionelle, von konservativen Ökologen bis zu allen möglichen linken Schattierungen. Und was das besonders Gute daran ist: Hier reden Leute miteinander, lernen voneinander, die sich früher höchstens den Vogel gezeigt hätten. Das macht auch bei verhangenem Himmel sehr viel Hoffnung. Anfang Januar wird dann eine Bundepartei gegründet – gegen Strauß und Schmidt soll`s dann auf in die Bundestagswahl gehen. (…)“
Umfeld der Anti-AKW-Bewegung (1979 ff.) und Friedensbewegung (1980 ff.)
Die vielen riesigen, spannenden und motivierenden Demo-Erlebnisse, wo es jeweils um politisch-existenzielle Themen ging (Verhinderung von Super-GAU`s), wo die Verhältnisse/Lager/Gegner/Forderungen klar waren, die Stärke der eigenen Protestbewegung erlebbar war, wo Polizeitruppen an den AKW-Orten einen erheblichen
Solidarisierungseffekt ausübten:
In Brokdorf, Hannover (1979), Gorleben (Freie Republik Wendland Mai 1980), Hannover, Kalkar,
Ab 1980 die neue Friedensbewegung gegen die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ("Nachrüstung") bundesweit: 1981 in Bonn 300.000, 1982 500.000 (100 Busse aus Münster), 1982 erster Ostermarsch Münsterland mit 2.000, 1983 zweitägige Sitzblockade I. Korps mit 600 Teilnehmern, GAL-Friedens-AG mit bis zu 40 TeilnehmerInnen alle 14 Tage, enormes Laien-Expertentum. Die Friedensbewegung der 80er Jahre gilt bis heute als die größte soziale Massenbewegung in der Geschichte der Bundesrepublik
Die 80er Jahre
Der Abend der Bundestagswahl 6. März 1983 im proppenvollen Jovel an der Weseler Str.: 5,6% für Grüne bundesweit, MS mit 7,7% Erst- und 9,5% in NRW an der Spitze, fünfte Stelle bundesweit. Dass ich als Direktkandidat bei Platz 19 der Landesliste knapp nicht zur Bundestagsfraktion gehörte (eben auch nicht zu den aussichtsreichen Nachrückern), schlug mir nicht auf die Stimmung: an meiner Dülmener Schule unterrichtete ich gern. Und die Berufspolitik mit ihren Haifischbecken war emotional auch nur begrenzt anziehend.
Mitgliederversammlungen vor allem der 80er Jahre sind mir eher in unerfreulicher Erinnerung: viele harte Auseinandersetzungen, viel Streitunkultur. Dabei konnte man schnell erleben, dass bei dem hoch anspruchsvollen Projekt „Alternative zu den Etablierten“ nicht die „besseren“, sondern „normale“ Menschen mit ihren Licht- und Schattenseiten aktiv waren,
Auf meinem Feld der Friedensbewegung dominierte jahrelang der Protest ("Gegen ..."): In der zweiten Hälfte der 80er Jahre setzte in kleineren Teilen der geschrumpften Friedensbewegung eine Suche nach Alternativen der Sicherheitspolitik und Friedensförderung ein: „Defensivverteidigung, Soziale Verteidigung (Kongress 1988 in Minden), Verständigungs- und Versöhnungsarbeit gegenüber den Völkern der Sowjetunion (1988 Belarus-Reise der Grünen Friedens-AG 1988). Erste Riga-Reise 1989, Beginn der Spurensuche und Erinnerungsarbeit zu den Riga-Deportationen und Ghetto Riga, am 12. Dezember 1989, genau 48 Jahre danach, im Regenbogensaal der Münsteraner Grünen der bundesweit wohl erste Vortrag zu den Riga-Deportationen.
Erste politische Erfolge,
wo Grüne treibende Kraft und ich maßgeblich beteiligt war:
"Entschädigung" von Holocaust-Überlebenden in Osteuropa 1997 aus der Opposition heraus; Start der Ausbildung für Zivile Konfliktbearbeitung in NRW 1997, dann Aufbau des Zivilen Friedensdienstes (ab 1999), des Zentrums Internationale Friedenseinsätze (ab 2002), einer Infrastruktur Zivile Konfliktbearbeitung.
Nach Bundestagskandidaturen 1983 und 1987 war mein dritter Anlauf 1994 schließlich erfolgreich. Bis 2009 war ich der erste grüne Bundestagsabgeordneter aus dem Münsterland.
Ab Oktober 1998 "Bühnenwechsel" (nicht nur Rollenwechsel) von Opposition (z.T. fundamental) in Regierungsverantwortung von Rot-Grün: Jetzt musste vor allem auf dem Feld der internationalen Krisenbewältigung im Hier und Jetzt (ohne Möglichkeit des Aufschiebens) gehandelt werden; nie allein, sondern immer mit Partnern in Koalition und international; in Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns und Unterlassens (in Opposition bleibt`s beim Reden und ggfs. Besserwissen). Kaum an der Regierung waren die Grünen mit einem extremen Zielkonflikt/Dilemma konfrontiert – angesichts der Gewalteskalation im Kosovo der Konflikt zwischen dem Programmprinzip Gewaltfreiheit und dem praktischen Schutz von Zivilbevölkerung vor Massengewalt/einer breiten humanitären Katastrophe. Der Aufprall der Grünen auf dem Betonboden internationale Realpolitik führte zu härtesten Auseinandersetzungen, tiefen Enttäuschungen und Zerwürfnissen. Knapp schrammten die Grünen am Auseinanderbrechen vorbei. Ähnliches geschah zwei Jahre später nach den Terroranschlägen des 11. September und angesichts des strittigen Afghanistaneinsatzes. Das waren geradezu traumatische politische Erfahrungen und Konflikte, die auch durch die gelungene Verhinderung eines Bürgerkrieges 2001 in Mazedonien und die deutsche Verweigerung gegenüber dem Irakkrieg der USA nicht relativiert wurden. Immerhin wurde im Grundsatzprogramm 2002 und von der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission 2007 versucht, diese politische Erfahrungen zu verarbeiten und aus ihnen zu lernen.
Dass die so heterogenen, streitfreudigen Grünen mit ihrer enormen Personalfluktuation trotz Ausscheidens aus dem Bundestag 1990 und höchster Belastungen unter Rot-Grün am Leben blieben, sich erfolgreich „etablierten“ und vielfältig wirkten, grenzt für mich an ein politisches Wunder. Aber es hat zugleich identifizierbare Gründe. Dazu später mehr.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: