-------- Original-Nachricht --------
Betreff: ISAF-FortsetzungDatum: Tue, 27 Sep 2005 19:49:17 +0200
Von: Winfried Nachtwei <winfried.nachtwei@bundestag.de>
An: presse@gfbv.de
An
Gesellschaft für bedrohte Völker
Göttingen
ISAF-Verlängerung; Ihre Pressemitteilung vom 27. September
Liebe Frau Geismar,
lieber Herr Delius,
vielen Dank für Ihre Presseerklärung, mit der sie zur öffentlichen Diskussion eines Themas beitragen, das sonst in der Öffentlichkeit viel zu wenig Beachtung findet. Meine Stellungnahme haben Sie erhalten. In ihr sind schon einige der von Ihnen angesprochenen Punkte angesprochen. Deshalb hier nur noch wenige Anmerkungen zu Ihrer Erklärung:
Die florierende Drogenökonomie ist inzwischen die Hauptbedrohung für den ganzen Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozess in Afghanistan. Deshalb kommt der Drogenbekämpfung oberste Priorität zu.
Allerdings hat nur eine ganzheitlich angelegte Antidrogenstrategie Aussicht auf Erfolg. Illusorisch sind bloß entwicklungspolitische oder bloß repressive Vorgehensweisen. Zu dieser umfassenden Drogenbekämpfung trägt die Bundeswehr sehr wohl bei, allerdings ausdrücklich nicht zu direkten repressiven Maßnahmen gegen Mohnfelder, Heroinlabore und den Drogenschmuggel.
Wenn Sie den Vorwurf erheben, Afghanistan habe sich seit dem Sturz der Taliban unter dem Schutz westlicher Soldaten zum Drogenstaat entwickelt, dann ist das eine äußerst verkürzte Darstellung und eine so nicht haltbare Unterstellung. Ihnen müsste bekannt sein, dass seit 1980 der Mohnanbau in Afghanistan kontinuierlich angestiegen ist und in 1999 sein Maximum von 4.600 to erreichte. Ihre Behauptung, dass der Drogenanbau gerade in den Regionen zugenommen habe, in denen westliche Soldaten stationiert seien, wird durch die Summary Findings of Opium Trends in Afghanistan, 2005, von UNODC nicht bestätigt. In der Provinz Badakhshan z.B. ist die Anbaufläche seit 2004 um 53% zurückgegangen. Eher besteht eine Korrelation zwischen Rückgang der Anbaufläche und Investitionen in alternative Erwerbsmöglichkeiten.
Der Vorwurf des Wegschauens ist schlichtweg falsch. Die Aufforderung, die Bundeswehr solle auch den Drogenanbau und Drogenhandel bekämpfen, ist zu ungenau. Die tatsächlichen Bundeswehrbeiträge zur Drogenbekämpfung nenne ich in meiner Stellungnahme.Wenn ich mich nicht täusche, meinen sie aber mehr: Teilnahme an repressiven Maßnahmen, Feldervernichtung, Zerstörung von Laboren, gewaltsame Unterbindung des Drogenschmuggels.
Wenn dem so ist, sollten sie aber auch die Konsequenzen nennen:
Vervielfachung der ISAF-Kontingente, Inkaufnahme von vielen Toten und Verwundeten. Nach allen Einschätzungen vor Ort würde ein massives Einsteigen von ISAF in die direkte Drogenbekämpfung die fragile Sicherheitslage kippen lassen und eine "Drogenvolksfront" provozieren. Das alles ist absehbar und deshalb nicht zu verantworten. Sie werden verstehen, dass wir nicht leichtfertig mit Leib und Leben der Soldaten spielen dürfen, deren Aufträge und Einsätze wir verantworten.
Demgegenüber treten wir dafür ein, den beschlossenen ganzheitlichen Ansatz mit Vorrang für die alternative Entwicklung energisch, aber auch mit Geduld voranzutreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Nachtwei, MdB
Sicherheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen
Deutsche Welthungerhilfe
*Ihre Pressemitteilung zum Afghanistan-Mandat*
Sehr geehrte Frau Rimpa,
für Ihre Pressemitteilung und die darin deutlich werdende Unterstützung für den ISAF-Einsatz danke ich Ihnen.Meine Stellungnahme zzur ISAF-Fortsetzung haben Sie schon erhalten.
Ihre Forderung, dass die Grenzen zwischen Militärs und Hilfsorganisationen nicht verwischen dürfen, teile ich. Die Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzepts zur Rollenverteilung zwischen ziviler Aufbauhilfe und Militär scheint mir sehr sinnvoll zu sein. Es wäre lohnenswert, sich hierüber noch genauer auszutauschen. Haben Sie dazu Vorschläge entwickelt?
Die generell kurze Stehzeit bei den Bundeswehrkontingenten erschwert in der Tat eine stetige Arbeit. Hier müsste man zumindest zu einer Differenzierung nach Funktionen kommen. Außerdem könnte es sinnvoll sein, dass vor allem Offiziere bei ihren Auslandseinsätzen nicht immer die Regionen wechseln, sondern auch zum zweiten, zum dritten Mal in einer Mission arbeiten. Das würde erheblich mehr Kontinuität in die Einsätze bringen.
Mit besten Grüßen
Winfried Nachtwei, MdB
Sicherheitspolitischer Sprecher
Bundesausschuss Friedensratschlag
Lieber Peter Strutynski,
vielen Dank für Eure Stellungnahme, die - auch wenn ich sie inhaltlich nicht teile - hoffentlich zu mehr öffentlicher Diskussion um ein Thema führt, das üblicherweise viel zu wenig Aufmerksamkeit erfährt.
In Anlage übersende ich Euch meine Stellungnahme an meine FraktionskollegInnen, in der schon einige der von Euch angesprochenen Punkte angesprochen sind.
Ihr behauptet, Deutschland sei als Krieg führende Partei in Afghanistan nicht geeignet, wirksame zivile Aufbauhilfe zu leisten. Diese Behauptung ist eine ideologische Ableitung, die mit der Wirklichkeit vor Ort nichts zu tun hat. Fakt ist, dass die Bundesrepublik im Rahmen der von der UN koordinierten und vom Sicherheitsrat mandatierten internationalen Stabilisierungsunterstützung einen erheblichen Beitrag leistet - diplomatisch, zivil, militärisch und polizeilich. Diese Maßnahmen dienen eindeutig der Gewalteindämmung und Kriegsverhütung und werden von der großen Mehrheit der Einheimischen hoch geschätzt. Mit Eurer Abzugsforderung verkennt Ihr, dass in Afghanistan Entwicklung ohne ein Mindestmaß an Sicherheit und aufzubauender Rechtsstaatlichkeit nicht zu haben ist. Und in einem so fragmentierten und gewaltaufgeladenen Umfeld ist Sicherheit ohne eine UN-mandatierte Friedenstruppe nicht zu haben. Eure Forderung läuft darauf hinaus, den enormen Gewaltpotenzialen der afghanischen Gesellschaft, den Warlords, Taliban- und Al-Qaida-Resten sowie anderen Terrorgruppen das Feld zu überlassen - und die zarten Ansätze Ansätze von Wiederaufbau, Zivilgesellschaft, demokratischen Ansätzen sowie die UN im Stich zu lassen. Was das mit Friedensförderung zu tun hat, bleibt Euer Geheimnis.Über die KSK-Einsätze werden die Obleute des Verteidigungsausschusses (also auch ich) regelmäßig unterrichtet. In der Tat wäre es notwendig, wenn die Bundesregierung hier die Geheimhaltung auf das zum Schutz von Operationen und Personen notwendige Maß beschränken würde und insgesamt offener mit diesen Einsätzen umgehen würde. Entgegen den z.B. vom stern gebrachten Gerüchten bleiben KSK-Soldaten eindeutig an Recht, Gesetz und Völkerrecht gebunden. Zu Ihrem Auftrag gehört ausdrücklich nicht die Drogenbekämpfung.
Für mich bleibt nicht nachvollziehbar, wie Ihr mit dem hohen Anspruch von Friedensbewegung vereinbaren könnt, so ignorant mit den Vereinten Nationen und ihrer Afghanistanpolitik umzugehen. Offenbar gibt es den Multilateralismus a la carte nicht nur auf Seiten der Bush-Administration.
Mit besten Grüßen
Winni Nachtwei
Berlin, 26. September 2005
Liebe Freundinnen,
liebe Freunde,
Vielen Dank für Euren Offenen Brief zur Bundestagsdebatte und -entscheidung über die weitere deutsche Beteiligung an der ISAF-Friedenstruppe in Afghanistan. Ich hoffe, dass Euer Brief zur vertieften Auseinandersetzung um ein Thema beiträgt, das viel zu wenig diskutiert wird. (Für mich war es übrigens eine erneute Ernüchterung, wie sehr im Wahlkampf das Interesse nur um die Binnenverhältnisse in Deutschland kreistem und dass mit friedens- und sicherheitspolitisschen Fragen nahezu kein Gehör zu finden war.)
Vor einem Jahr hatten wir schon mal die Kontroverse. Offenbar hat sich an unseren Grundpositionen nichts geändert. Meine Position zur aktuellen Fortsetzung, Aufstockung und Erweiterung des Bundeswehrkontingents bei ISAF habe ich in der beiliegenden Information an meine FraktionskollegInnen ausgeführt. Dabei bin ich auch auf einige Eurer Kritiken eingegangen. Deshalb hier meine Erwiderung nur in Kürze:
· Die angebliche Erfolglosigkeit von ISAF: Das kann nur behaupten, wer die Kriegs- und Unterdrückungssituation bis 2001 verharmlost und die augenscheinlichen Fortschritte in den ISAF-Regionen, die Resonanz in der Bevölkerung, die nüchternen Zwischenbilanzen von Afghanistan-Experten und der UN nicht zur Kenntnis nimmt. Die Sicherheitslage hat sich regional auseinanderentwickelt: besser in ISAF-Regionen, weiterhin sehr kritisch in Grenzprovinzen zu Pakistan (der Verdacht erhärtet sich, dass der pakistanische Geheimdienst die unselige Rolle fortsetzt, die er schon beim Talibanaufbau vor Jahren spielte) und den drei Südprovinzen, die früher Talibanhochburgen waren.
· ISAF-Einsatz habe dem Terrorismus nicht den Nährboden entzogen und die Lebensbedingungen nicht entsprechend verändert: Auch Struck weiß, dass Militär nur dazu beitragen, das aber selbstverständlich nicht allein bringen kann. Eigentlich müsste bekannt sein, dass das Engagement der Staatengemeinschaft, koordiniert von den UN, umfassend angelegt ist, diplomatisch, zivil, polizeilich, militärisch. Allerdings ist die Lage in Afghanistan noch so aufgeladen mit Gewaltpotenzialen, mit Gewaltmotiven und Waffen, dass diese eingedämmt werden müssen. Ein typischer Fall für UN-mandatierte Friedenssicherung gemäß der Grunderfahrung, dass es keine Entwicklung ohne Sicherheit, aber auch keine Entwicklung ohne Sicherheit gibt.
· Zu Recht betont Ihr die Bedeutung eines "aus der afghanische Gesellschaft heraus gestalteten Prozesses" sowie die mühsame Kleinarbeit durch zivile Konfliktbearbeitung und Wiederaufbauarbeit an der Basis. Kumpanei mit Warlords läuft dem in der Tat zuwider. Allerdings sind es gerade die ISAF-Regionen, wo zivilgesellschaftliche Akteure und insbesondere Frauen etwas mehr Freiheit erleben. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass diese sich gegen die traditionellen Machthaber, Warlords und Drogenbarone ohne internationale Rückenstärkung entwickeln könnten.
· Die Ausweitung des Einsatzgebietes bereite der Verzahnung mit Enduring Freedom den Weg. Das Zusammengehen der beiden Operationen lehnen wir eindeutig - und bisher ausgesprochen erfolgreich - ab. Als ich mich im August 2003 in Kabul in Sachen PRT-Konzept umsah, war in Berlin und erst Recht internatioinal die Haltung vorherrschend, PRT`s müssten selbstverständlich unter Enduring Freedom laufen. Deutsche ISAF-Generäle bestärkten mich in der Auffassung, dass wegen des sehr unterschiedlichen Auftrags, der sehr verschiedenen Wirksamkeit, Akzeptanz in der Bevölkerung und schließlich Mandatierung die PRT unter ISAF gehörten und beide Operationen getrennt bleiben müssten. Die Bundesregierung übernahm dann das PRT Kunduz ausdrücklich als ISAF-Insel. Danach konnte der Ansatz auch in der NATO umgesetzt werden. Inzwischen haben die USA sogar ein PRT ISAF unterstellt. Eine gewisse Koordination (schon im Luftraum) ist unumgänglich. Auch ist ISAF im schlimmsten Fall eines umfassenden Angriffs nicht durchhaltefähig und z.B. bei Evakuierung auf Enduring Freedom angewiesen. Das ist es dann aber auch an Zusammenwirken. Eine Verschmelzung beider Operationen, wie sie auch vom Unionssprtecher Christian Schmidt befürwortet wird, würde die Erfolge von ISAF zunichte machen.
· Abschiebungen nach Afghanistan sind zynisch und verantwortungslos.
· Warum geht Ihr mit keinem Wort darauf ein, dass der angestrebte Bundestagsbeschluss auf den einstimmigen Beschluss des UN-Sicherheitsrats zurückgeht, der die Mitgliedsstaaten zur Unterstützung von ISAF und ihrer Ausweitung aufruft? Ist es egal, was die zentrale Einrichtung für Frieden und Sicherheit auf der Welt beschließt?
Zusammengefasst: Gerade weil wir eine entschiedene zivile Politik zu Gunsten der afghanischen Bevölkerung wollen und seit Jahren praktizieren (unsere Fraktion übrigens schon viele Jahre vor dem 11. September), ist eine Fortsetzung und konditionierte Ausweitung des deutschen ISAF-Einsatzes unabdingbar. Der von Euch geforderte Abzug bedeutet im Klartext: Zerstörung des international gestützten und UN-mandatierten Stabilisierungsprozesses, freies Feld für die Warlords mit ihren Milizen, Taliban- und Al-Qaida-Resten. Ich halte die Abzugsforderung, die aus dem Munde Lafontaine`s übrigens noch demagogisch aufgeladen wird, für friedens- und sicherheitspolitisch verantwortungslos. Ihr müsst Euch schon fragen im Hinblick auf ein Land, dessen Bevölkerung nach 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg kriegsmüde ist: Wem nutzt der Abzug?
Nach diesem zweiten Briefaustausch wäre es angebracht, wenn wir uns demnächst mal live darüber auseinander setzen würden.
Mit besten Grüßen
Winni Nachtwei, MdB
sicherheits- und abrüstungspolitischer Sprecher
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: