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Zur ISAF-Verlängerung - Auf verlorenem Posten in Kunduz und Faizabad?

Veröffentlicht von: Webmaster am 23. September 2004 18:53:21 +02:00 (46606 Aufrufe)
Am 30. September wird der Bundestag über den Antrag der Bundesregierung abstimmen, das Mandat für die Beteiligung von bis zu 2.250 Bundeswehrsoldaten, davon bis zu 450 in der Region Kunduz, an der NATO-geführten International Security Assistance Force (ISAF) für weitere zwölf Monate zu verlängern. Grundlage ist die vom VN-Sicherheitsrat am 17. September einstimmig beschlossene Verlängerung des ISAF-Mandats.
 

Zeit also, offen Zwischenbilanz zu ziehen - vor allem in Hinblick auf die Provincial Reconstruction Teams (PRT) der Bundeswehr in Kunduz und neuerdings in Faizabad.

Die FDP hatte schon vor einem Jahr die Ausweitung des Bundeswehreinsatzes auf die Region Kunduz abgelehnt. Inzwischen mehren sich auch skeptische bis ablehnende Stimmen aus der Union. Kritisiert wurde zuerst, dass die relative Ruhe der Region ein PRT überflüssig mache und dass die Neutralität humanitärer Organisationen beeinträchtigt werde. Jetzt wird das anfängliche Ausbleiben internationaler Beteiligung und deutscher Entwicklungshelfer beim zweiten PRT in Faizabad kritisiert. FDP-Fraktionschef Gerhardt sprach vom „wirklich schwachen Einsatz in Kunduz und Faizabad" (FR 18.9.04), der sich als „nicht sinnvoll" erwiesen habe (FR 18.9.04). Soldaten würden großen Gefahren ausgesetzt, um „Symbolpolitik" zu betreiben (Schmidt, CSU). Unterstellt wurde, das PRT Kunduz diene als Alibi, um sich aus dem Irak raushalten zu können. Schmidt deutete an, dass man sich an Stelle der PRTs ggfs. auf die Terrorbekämpfung konzentrieren müsse - also Teilnahme am US-geführten Kampfeinsatz im Süden und Südosten. Börnsen (CDU) forderte gar den Rückzug der Bundeswehr aus ISAF insgesamt. Er wirft ISAF vor, „dass durch den Schutz der westlichen Soldaten der Anbau und Handel mit Drogen besser blüht als je zuvor. (...) Es darf nicht weiter am Hindukusch gestorben werden". (FAZ 19.7.04) Von führenden Außenpolitikern der Union war hingegen keine Kritik am deutschen PRT-Engagement zu hören.

Oppositionspolitiker kritisieren mal dieses, mal jenes am deutschen PRT, ohne sich die Mühe zu machen, das PRT-Konzept umfassend vor dem Hintergrund möglicher Alternativen zu  überprüfen. Ein typischer Fall von billiger Opposition und Unions-Hühnerhaufen also.

Zugleich sind die Kritiken ernst zu nehmen. Denn sie knüpfen an verbreiteten Zweifeln an, verunsichern aber zugleich die Soldaten und vor allem ihre Angehörigen.

Völlig unabhängig von der Glaubwürdigkeit mancher Kritik gilt, dass solche riskanten und kostspieligen Einsätze selbstverständlich der ständigen kritischen Überprüfung bedürfen.

Hintergrund, Auftrag und Aufgaben der PRTs

(1) Der Afghanistan-Einsatz ist weder ein altruistisches Projekt angeblicher rot-grüner „Gutmenschen" und „bewaffneter Sozialarbeiter", noch eine „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch". Stabilisierung, Wiederaufbau und Friedensförderung in Afghanistan liegen aber im hohen sicherheitspolitischen Interesse der Internationalen Gemeinschaft, Europas und Deutschlands. Zu oft wird inzwischen verdrängt, dass Afghanistan bis 2001 der zentrale Rückzugs-, Ruhe- und Ausbildungsraum für Zehntausende (!) islamistischer Kämpfer und Terroristen war.

(2) Bisher drei große internationale Afghanistan-Konferenzen auf deutschem Boden markieren mit ihren Beschlüssen den konzeptionellen Rahmen von Stabilisierung und Aufbau in Afghanistan. Marksteine des politischen Prozesses sind die Verabschiedung der Verfassung, die Präsidentenwahl am 9. Oktober und die Parlamentswahl im nächsten Frühjahr. Teilkonzepte sind entwickelt für verschiedene Politikfelder, z.B. den Polizeiaufbau, wo Deutschland die Führungsverantwortung trägt. Die Vielfalt und Gegensätzlichkeit von Akteuren und Interessen, mangelnde Umsetzungskapazitäten, regionaler Disparitäten etc. beeinträchtigen die Entwicklung und Umsetzung von Konzepten.

(3) Angesichts der blutigen Erfahrungen mit früheren ausländischen Interventionen in Afghanistan ist das heutige, von den VN legitimierte internationale Engagement in Afghanistan von vorneherein zurückhaltender: die Schutztruppe heißt nicht von ungefähr „Assistance Force". Dementsprechend vergleichsweise niedrig ist auch die Truppenstärke von ISAF. Nach traditionellen militärischen Maßstäben ist ISAF „schwach", gegenüber einem umfassenderen militärischen Angreifer kaum durchsetzungsfähig und im Schlimmstfall auf die Unterstützung er US-Streitkräfte angewiesen. Aber in der „Schwäche" liegt zugleich die Stärke von ISAF: Ohne jede Möglichkeit, sich als Besatzungsmacht aufzuführen, spielen andere Aufgaben eine herausragende Rolle: die ständige Verbindungsarbeit mit allen relevanten Akteuren, Präsenzpatrouillen mit ständigem Bevölkerungskontakt, Radiosender und Zeitungen der „Operativen Information", Vertrauensbildung durch CIMIC-Projekte und Öffnung des Feldlazaretts für einheimisch Patienten. Bisher erreicht die Akzeptanz von ISAF in der örtlichen Bevölkerung Höchstwerte.

(4) Im Laufe des Jahres 2003 verstärkte sich die Debatte um eine mögliche Ausweitung von ISAF auf das ganze Land. Gefordert wurde sie von Präsident Karzai, dem VN-General-sekretariat sowie 89 internationalen NGOs, weil die erheblichen Fortschritte von Kabul offenbar nicht wie erhofft auf das ganze Land ausgestrahlt hatten und sich die Sicherheitslage im Südosten immer bedrohlicher entwickelte. Die internationale Afghanistan-Politik stand am Scheideweg: entweder im Hinblick auf die für 2004 geplanten Wahlen die Stabilisierungsbemühungen auf das ganze Land ausdehnen, oder das aktuelle Engagement einzufrieren mit den absehbar verheerenden Folgen für die Wahlen und die weitere Sicherheitslage.

Die beste Variante wäre die Voll-Ausweitung von ISAF gewesen. Dafür wären mindestens 10.000 weitere Soldaten notwendig gewesen. Die ISAF-Nationen waren zu einer solchen Aufstockung in keiner Weise bereit. Im Gegenteil: etliche verlagerten ihr Hauptengagement in den Irak.

Als zweitbeste, aber machbare Lösung wurde dann das Konzept der seit Herbst 2002 von den USA entwickelten Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) aufgenommen und vom VN-Sicherheitsrat im Juni 2003 ausdrücklich begrüßt. Geplant waren zunächst acht PRT für jeweils ca. fünf Provinzen. In Betrieb waren damals vier US-Teams mit 70 bis 140 Mitarbeitern, davon 60-100 Soldaten. Die PRT bringen internationale Präsenz in die Provinzen, wirken als robuste internationale Beobachter, halten ständigen Kontakt zu wesentlichen Akteuren, unterstützen die Zentralregierung, fördern Wiederaufbau und Reform des Sicherheitssektors (Aufbau von Armee und Polizei, Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration).

Wie ISAF haben PRT weder Mandat noch Fähigkeit für umfassende Erzwingungseinsätze.

Aber als Stabilisierungsinseln tragen sie zu einem sicherer Umfeld bei, in dem VN-Organisationen und NGO`s besser arbeiten können. Notfalls bieten PRT Zuflucht, medizinische Hilfe und Evakuierungsmöglichkeiten - wie kürzlich in Faizabad. 

(5) Nach den USA, Großbritannien und Neuseeland war die Bundesrepublik das vierte Land, das die Führung eines PRT übernahm - des ehemaligen US-Teams in Kunduz, zuständig für

die vier Nordost-Provinzen Kunduz, Baghlan, Takhar und Badakhshan. Bis dahin waren alle PRT Teil der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF), also eines Kampfeinsatzes. Nachdem sich in der Bundesregierung die Einsicht durchgesetzt hatte, dass ein PRT wegen Auftragsähnlichkeit, besserer Akzeptanz und politischer Wirksamkeit sowie multinationaler Führung besser zu ISAF als zu OEF gehört, machte sich die deutsche Regierung hierfür auch in VN und NATO stark - mit Erfolg. Als erstes wurde das PRT Kunduz dem NATO-geführten ISAF-Kommando unterstellt. Es wurde somit NATO-Pilotprojekt. Laut NATO-Beschluss soll im umgekehrten Uhrzeigersinn ausgehend vom Nordosten das PRT-Netz ausgeweitet werden. Inzwischen unterstehen ISAF/NATO neben Kunduz die beiden britisch-geführten PRT in Mazar-e-Sharif (mit Schweden, ca. 60 Personen) und Meymaneh (mit Norwegen, Finnland, Schweden, ca. 125) sowie das im Aufbau das niederländisch geführte PRT Pol-e-Khomri (ca. 20, bisher Außenstelle des PRT Kunduz). Von den zzt. 14 PRT im Rahmen von OEF (in der Masse US-geführt, eines von Neuseeland) sollen mit der Zeit weitere ISAF unterstellt werden.

Im Sommer 2003 erfuhr ich in Kabul und Washington, wie sehr die US-Seite ein deutsches PRT begrüßte, ja darauf drängte. Keine Spur von Irak-„Kompensation"!

Ein Armutszeugnis ist allerdings die mangelnde Bereitschaft etlicher NATO-Mitglieder, für ISAF und weitere PRTs etwas mehr Soldaten und Gerät zur Verfügung zu stellen. Auf der NATO-Parlamentarierversammlung im Mai in Bratislava richteten die Parlamentarier wie auch ein ehemaliger ISAF-Kommandeur dramatische Appelle an die Mitgliedsstaaten, die NATO-Priorität Afghanistan ernst zu nehmen.

Die militärische Komponente des PRT Kunduz mit seinen zzt. ca. 270 Bundeswehrangehörigen, zwei schweizerischen Militärbeobachtern, zwei französischen Planungsoffizieren, zehn ungarischen Militärpolizisten, vier belgischen Soldaten (Unterstützung Lufttransport) ist die bei weitem umfangreichste von allen PRT. Zur Wahlabsicherung sind weitere ca. 60 niederländische Soldaten vor Ort.

(6) Das PRT Kunduz ist eine ressortübergreifende integrierte Einrichtung der Bundesregierung, in der AA, BMVg, BMZ und BMI zusammenarbeiten. Das PRT wird von einer Doppelspitze aus zivilem Leiter (AA) und BW-Kommandeur geleitet. Während die drei AA-Mitarbeiter und drei BMI-Vertreter (Polizei) zusammen mit den Soldaten in einer Liegenschaft untergebracht sind, hat der BMZ-Vertreter seinen Sitz im „Afghanisch-Deutschen Haus für Entwicklungszusammenarbeit". (Der bloße Vergleich der Personalstärken ist allerdings irreführend, weil die Wirkungskreise von Soldaten, Polizisten und Zivilexperten sehr unter-schiedlich sind. Wo Polizisten oder Entwicklungshelfer beratende und koordinierende Funktionen wahrnehmen, wirken sie über einheimische Polizeitrainer, über GO`s und NGO`s und lokale Mitarbeiter weit in die Gesellschaft hinein. Zum BMZ-Koordinator sind deshalb hinzu zu zählen die Mitarbeiter von DED, GTZ, KfW - und indirekt noch mehr deutsche und internationale (N)GO-Mitarbeiter sowie lokale Helfer.)

Die Aufgaben und Akteure des PRT sind in seinem Emblem, einem Balken mit zwei schrägen Stützpfeilern, zusammengefasst und der um 90° nach links gedreht das Kunduz-K ergibt: Den linken Pfeiler „Sicherheit" stellt die Bundeswehr, den rechten Pfeiler „Wiederaufbau" das AA, BMI und BMZ, daran angedockt Regierungsorganisationen wie GTZ, DED.

Auftrag des Bundeswehr-Kontingents:

  • - Stabilität in der Region erhöhen und damit ein sichereres Umfeld für Staatsorgane, Personal der VN und anderes internationales Zivilpersonal schaffen
  • - Sicheres Arbeitsumfeld für das PRT
  • - Förderung und Unterstützung des Aufbaus von Sicherheitsstrukturen
  • - Beratende Unterstützung des DD&R-Prozesses (Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration)
  • - Ausbildungsunterstützung für die afghanische Armee ANA

Schwerpunkt der BW-Aufgaben ist die Verbindungsarbeit, Networking, um darüber die Sicherheitslage genau beobachten und beeinflussen zu können.

Es ist ein notorisches Missverständnis, Kernaufgabe der Soldaten sei der direkte Schutz ziviler Helfer vor Ort. Selbstverständlich müssen humanitäre Organisationen unabhängig arbeiten können. Deshalb ist in der Regel eine gewisse Distanz zwischen Hilfsorganisationen und Militär unabdingbar. Selbstverständlich ging es aber auch der Bundeswehr nie um direkten Schutz durch Eskorten etc. Es geht um das breite Aufgabenspektrum, ein insgesamt sichereres Umfeld für die - schwachen - Organe der Zentralregierung, für den Polizei- und Armeeaufbau, für die Entwaffnung, für internationales Personal, für Wiederaufbauanstrengungen zu fördern. Es geht um Nothilfe und Schutz für „Internationale", wenn die einheimische Polizei es nicht schafft.

Am 30.1.2004 wurde eine erste PRT-Außenstelle in der Nachbarprovinz Takhar in Taloquan, dann eine in Pol-e-Khomri (Prov. Baghlan) mit jeweils 15-20 Personen eingerichtet.

In der entlegenen Hochgebirgsprovinz Badakshan (Kfz-Fahrtzeit mindestens 12 Stunden) sollte in Faizabad eine dauerhafte und stärkere Präsenz aufgebaut werden. Was ursprünglich als Außenstelle geplant war, wird inzwischen als eigenes PRT mit max. 85 Soldaten geplant. Auch hier kommt eine Verstärkung zur Wahlabsicherung hinzu. Anfang 2005 sollen Kontingente aus Dänemark und Tschechien das PRT verstärken. Am 1.9. wurde die vorläufige Einsatzbereitschaft erklärt. In diesen Tagen trifft ein AA-Beamter dort als ziviler Leiter ein. Ein ziviler BMZ-Vertreter sollte zunächst aus Kostengründen nicht entsandt werden. Falsch ist aber die Schlussfolgerung, hier gebe es kein internationales Zivilpersonal. Bisher arbeiten in der Provinz Badakshan zahlreiche VN-Organisationen (WFP, UNICEF, WHO, FAO, UNFPA) sowie NGO`s (Afghan Aid, Medair, Child Fund Afghanistan, Concern worldwide, Focus Humanitarian Assistance, Mission East, Medical Emergency Relief International, Norwegian Afghan Committee, Oxfam, Swedish Committee for Afghanistan, Shelter for Life).

Deutsche Polizeiberater planen zusammen mit UNODC in Faizabad den Aufbau einer regionalen Drogenbekämpfungsstelle. Da die Provinz ein Zentrum des Opiumanbaus ist, kann diese Polizeimaßnahme gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Insofern ist der Vorwurf, Bundeswehr werde sich hier nur selbst schützen, Unsinn. Er ignoriert völlig das breite Aufgabenspektrum. (s.o.)

Inzwischen wurden mehrere Projekte zwischen BMZ und BMVg vereinbart.

Angesichts der Personalstärken in Kunduz und vor allem im schwer zugänglichen Faizabad stellt sich die Frage, ob da Bundeswehr nicht „auf verlorenem Posten" stehe. Die PRTs sind wie ISAF generell nicht zu umfassenderen Zwangseinsätzen in der Lage. Stärke und Ausrüstung des PRT orientieren sich an der Aufgabenstellung und Risikoanalyse. PRTs sind so ausgelegt, dass sie Schutz gewähren, Angriffe begrenzter Intensität abhalten und sich insgesamt so lange behaupten können, bis quick reaction Kräfte von ISAF Kunduz, Mazar-e-Sharif,  Kabul oder US-Luftnahunterstützung einträfen. Pläne für Land- oder Luftevakuierung liegen vor. Die Rettungskette wird durch Übungen geprüft. Lt. Aussage eines früheren ISAF-Kommandeurs war bei ISAF Kabul auf taktischer Ebene die US-Unterstützung in kritischen Situationen immer schnell und verlässlich. Nichtsdestoweniger ist ein wesentlicher Zweck des Besuches von Minister und Verteidigungsobleuten am 26.9. in Kunduz und Faizabad, die Vorsorge für den worst case, also die Verantwortbarkeit einer so abgelegenen Stationierung zu prüfen. Hier das richtige Maß zu finden, ohne in fahrlässigen Leichtsinn einerseits und einsatzhemmende Übervorsicht andererseits zu verfallen, ist ausnehmend schwierig.

Zwischenbilanz

Eine Bewertung der bisherigen PRT-Wirksamkeit wird dadurch erheblich erschwert, dass Gewaltakte viel sichtbarer sind als schrittweise Entwicklungsprozesse, dass es kaum bzw. keine statistische Erfassung gibt (z.B. Entwicklung schwerer Gewaltdelikte), dass sich die Lage in verschiedenen Regionen höchst unterschiedlich darstellt - von Kampfzonen ohne VN- und NGO-Präsenz bis zur Provinz Nimrod im Südwesten, „wo Frauen keine Burka tragen" (Reportage von Ute Scheub in taz v. 4.8.2004)

Nützlich ist, sich die Ausgangslage im Großraum Kunduz zu vergegenwärtigen. Ende Januar wurde sie so beschrieben:

  • - „überwiegend ruhig, aber nicht stabil": keine konkreten Bedrohungshinweise, aber erhebliche Destabilisierungsfaktoren, latentes Eskalationspotenzial lokaler Konflikte (in der Provinz Baghlan z.B. ca. 2.000 ehemalige Talibananhänger; bewaffnete Kräfte verfügen über schwere Handwaffen und Flugabwehrwaffen)
  • - keine staatlichen Strukturen
  • - komplizierte, zerbrechliche Sicherheitsstrukturen, feines Netzwerk von Loyalitäten
  • - (noch) ineffiziente Polizei
  • - General Doaud als die Schlüsselperson
  • - Kaum vorhandene Infrastruktur in einer Region, die eine Fläche von Bayern und Hessen umfasst und bis auf die Provinz Kunduz von Gebirgen bis über 6.000 m Höhe (Badakhshan) geprägt ist. Die faktische Höchstgeschwindigkeit über Land liegt bei 20-30 km/h.

Von vorneherein traf also die FDP-Behauptung nicht zu, wegen seiner relativen Ruhe sei der Raum Kunduz für die Bundeswehr eher eine Unterforderung. Im Juni erschütterte eine Serie von Zwischenfällen das Bild vom ruhigen Kunduz (12 Tote beim Überfall auf ein Camp chinesischer Bauarbeiter; Bombenanschläge auf das Büro einer brit. Hilfsorganisation und einen Mietwagen des PRT Kunduz mit vier Toten).

Das PRT Kunduz hat in seinem ersten Jahr in allen vier Provinzen ein umfassendes Netzwerk aufgebaut und erhebliche Aufbauarbeit geleistet bzw. gefördert:

  • - aus dem AA-Kleinprojektetitel 13 Schulbrunnen, Renovierung von zwei Schulen
  • - in Kunduz ist die Asphaltierung von 14 km Innenstadtstraßen weit fortgeschritten (bis

     her gibt es nur Schlaglochposten und Schlammbahnen)

-     im Dezember beginnt der Aufbau eines Trinkwassernetzes in Kunduz, an das 90% der    

     Haushalte angeschlossen sein werden

  • - am 13.9. wurde in Taloqan eine mit AA-Geldern von der privaten Hilfsorganisation „Katachel" grundsanierte Schule für 1.800 SchülerInnen übergeben. Vier Wochen zuvor eröffneten PRT und GRZ eine Schule für 2.000 SchülerInnen bei Taloqan - errichtet von der Aga Khan Stiftung mit BMZ-Geldern. Insgesamt wurde binnen vier Wochen Schulraum für 8.000 SchülerInnen geschaffen, bis zum Wintereinbruch sollen es 25.000 sein. Diese Maßnahmen haben eine enorme Breitenwirkung.
  • - In den nächsten Monaten werden mehrere Polizeistationen sowie eine Malariastation fertig gestellt.
  • - Unterstützung eines Projekts der Alternativen Entwicklung in fünf Distrikten der Provinz Badakhshan (Straßenbau, Bewässerung, Energieversorgung, Gesundheitseinrichtungen und Schulen, Verbesserung legaler landwirtschaftlicher und nichtlandwirtschaftlicher Einkommensmöglichkeiten). Seit 2002 führt die GTZ zusammen mit dem Aga Khan Development Network in derselben Provinz ein Vorhaben zur „Förderung von Ernährungssicherheit, regionaler Kooperation und Stabilität" durch. Ähnliche Projekte sollen noch in diesem Jahr in den anderen drei Provinzen anlaufen. Die Entwicklung alternativer Einkommensmöglichkeiten ist ein strategischer Beitrag zur Drogenbekämpfung.
  • - Rehabilitierung der Zuckerfabrik in Baghlan, wofür das BMZ 2 Mio. € bereit gestellt hat und die erheblich Arbeitsplätze schafft.
  • - Einsatz von zwei Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes im Bereich Konfliktmediation.
  • - Anfang März wurden von NGOs in der Region Kunduz insgesamt 2.262 Einzelprojekte durchgeführt, davon 705 in der Provinz Badahshan, 434 in der Provinz Kunduz, davon 557 in Health & Social Welfare, 286 Education, 315 Agriculture Food Security

Direkte Bekämpfung des Mohnanbaus und der Drogenwirtschaft gehört ausdrücklich nicht zu den Aufgaben des PRT, weil das nicht leistbar und nicht verantwortbar wäre. Deshalb aber ISAF und Bundeswehr vorzuwerfen, unter ihrem Schutz blühe die Opiumproduktion, ist eine grobe Verdrehung von Tatsachen. Zur indirekten Opiumbekämpfung leisten die PRTs sehr wohl erhebliche Beiträge: durch Aufklärung, durch Rückendeckung für Polizeiaufbau und für Projekte zur Entwicklung alternativer Erwerbsquellen. Oft wird der Eindruck erweckt, der Opiumanbau habe erst unter ISAF Spitzenwerte erreicht. Die Wirklichkeit ist komplizierter: In 2003 wurden 3.600 to Rohopium produziert, in 2002 3.400 to, in 2001 190 to, in 2000 3.300 to, in 1999 4.600 to. Es ist also ein lang andauerndes Problem, das auch nur mittelfristig zu bewältigen ist.

Unter der Überschrift „Hebammen in Uniform" (ZEIT 16.9.04) berichtete Constanze Stelzenmüller aus dem US-PRT Ghasni, dem britischen PRT Masar-i-Sharf und dem deutschen PRT Kunduz. Einzig das deutsche PRT rechtfertige seine Existenz mit der Notwendigkeit, Entwicklungshelfer zu schützen. „In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Seit der Ankunft der Bundeswehr im Oktober haben sich Dutzende Hilfsorganisationen hier angesiedelt. Die PRTs sind eben auch politische Symbole, Versprechen und Magnete internationalen Engagements. So brummt im schläfrigen Kunduz der Handel, Hotels haben aufgemacht, neue Autos und Motorräder machen die Pferde scheu (...) Ironisch ist das schon. Die PRTs, vom Westen aus Verlegenheit und Personalnot in den afghanischen Provinzen zu Hebammen einer staatlichen Frühgeburt gemacht, haben - bei allen Schieflagen, Fehlern und Absurditäten - mehr Erfolg gehabt, als ihre zaghaften Erfinder in den Planerstuben hoffen durften."

Hans Monath im Tagesspiegel vom 15.9. unter Überschrift" Die Deutschen leisten in Afghanistan mehr als andere: kein Grund, sich zurückzuziehen":

„Für den Übergangspräsidenten Hamid Karzai sind die regionalen Kriegsfürsten ‚eine schlimmere Bedrohung als der Terrorismus', wie er mehrfach betont hat. Aber Karzai preist die Leistung der Deutschen in Kabul und die der PRT-Kontingente (...) Ähnlich wie manche deutsche Außenpolitiker weiß Karzai, dass auch die Zusammemnarbeit von Bundeswehr und Warlords auf Dauer die Macht der Warlords schwächen kann. Anders als islamistische Terroristen, die auch in den PRT-Einsatzorten Wähler, Schulen für Frauen und ISAF-Soldaten bedrohen, fragen Kriegsfürsten sehr wohl nach ihrem eigenen Vorteil: Wenn sie sehen, dass auch andere Produkte als Opium Geld bringen und dass Hilfsprojekte oder Investitionen den Wohlstand ihrer Region mehren, werden sie sich nicht mehr allein auf die Macht der Gewehre verlassen und eher bereit sein, mit der noch schwachen Zentralregierung zu kooperieren."

Im Mai kam UNHCR zu folgender Zwischenbilanz: „Immer mehr afghanische Flüchtlinge kehren in ihr Heimatland zurück. Etwa drei Millionen Menschen haben inzwischen den Weg nach Hause angetreten. (...) Das UNHCR spricht angesichts dieses großen Rückkehrerstroms von einem großartigen erfolg, jetzt sei das Ziel erreicht, von dem man jahrelang ´geträumt` habe. Viele Afghanen hielten die Verhältnisse im Land offenbar für so gut, dass sie ihren Status als Flüchtlinge wieder aufgeben wollten." (FAZ 10.5.2004)

Fazit

Die PRTs Kunduz und Faizabad sind dringend notwendig als Katalysatoren von Stabilisierung und Wiederaufbau. Sie sind kein deutscher Alleingang, sondern vorbildlicher Beitrag zu einem von VN und NATO beschlossenen multinationalen Konzept.

Die Zögerlichkeit mancher Verbündeter, ihren angemessenen Beitrag zur NATO-Priorität Afghanistan zu leisten, ist kurzsichtig.

Die PRTs haben zur relativen Ruhe in größeren Teilen Afghanistans entscheidend beigetragen. Präsident Karzai bewies Durchsetzungsfähigkeit gegenüber konkurrierenden Machthabern wie Verteidigungsminister Fahim und Gouverneur Ismail Khan in Herat.

Die Risiken nehmen vor den Wahlen zu, scheinen aber noch verantwortbar.

Wenn FDP-Fraktionschef Gerhardt von einem schwachen und sinnlosen Einsatz der deutschen PRTs spricht, dann missachtet er deren Aufbauleistung unter schweren Bedingungen. Wenn seine Fraktion den Rückzug aus dem PRT-Prozess fordert, dann wäre das nicht nur der Ausstieg aus einem gemeinsam getroffenen NATO-Beschluss. Dann wäre das vor allem der Rückzug eines Landes, das bisher ganz vorne war bei der Friedensförderung in Afghanistan und dafür höchste Anerkennung bei der afghanischen Bevölkerung, den VN und den internationalen Partnern gewann. Das hätte eine rundum entmutigende, ja zerstörerische Wirkung auf den gesamten Stabilisierungsprozess!

Nach 23 Jahren Krieg braucht Afghanistan aber vor allem verlässliche Unterstützung seitens der Internationalen Gemeinschaft - in unser aller Sicherheitsinteresse.

Weitere Informationen:

- AA/BMI: Polizeiliche Aufbauhilfe in Afghanistan, hrg. vom BMI (Broschüre) April 2004

- Bericht des Generalsekretär an Generalversammlung und Sicherheitsrat der VN „The situation in Afghanistan and ist implications for international peace and security" vom 12.8.2004

- UNHCR Afghan Operation, update 30.6.2004

- Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch das AA über die relevanten Fragen der Entwicklung und des Wiederaufbaus in Afghanistan vom 6.9.2004

- Berichte „Delegationsbesuch der ISAF-Insel Kunduz am 31. Januar 2004" und „Kabul im August 2003: Afghanistanpolitik am Scheideweg", www.nachtwei.de


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Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

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Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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