2. Teil meiner Kunduz-Reiseberichte ...
Reisebericht Oktober 2006 (Forts.)
Das ZFD-Programm AFG des DED läuft seit 2004 und zunächst bis 2012 angelegt. 12, später 18 Friedensfachkräfte arbeiten mit 10 afg. Partnerorganisationen zusammen. Die Handlungsfelder sind: Versöhnungsarbeit durch Bildungsmaßnahmen und Stärkung von Informations- und Kommunikationsstrukturen; Stärkung lokaler Konfliktregelungsstrukturen. Der Rahmen ist der nationale „Action Plan on Peace, Reconciliation and Justice in AFG" vom Dezember 2005. (vgl. DED: Kurzdarstellung Ziviler Friedensdienst in Afghanistan, Oktober 2006)
Von Corinna V., die ich im Bundeswehr-Airbus nach Termez treffe, und Cornelia Brinkmann, der ZFD-Mitstreiterin von Anfang an, erfahre ich einiges aus der ZFD-Praxis in AFG: C. arbeitet in der Peacebuilding-Abteilung des „Educational + Training Centers for poor women + girls" (ECW, seit 1997 in Kabul) in Kunduz. Zzt. werden Kurse für Mitglieder örtlicher Shuren (Räte) durchgeführt. Die Frauen-Shura von Kunduz soll nach eigenen Angaben 5.000 Mitglieder haben. Kurse in Konfliktbearbeitung gibt es auch für religiöse Shuren und Mullahs sowie als Train-the-Trainers Programme, um auch die Distrikte auf dem Land zu erreichen. Das erste Gebot ist Respekt. Die andere C. hat bei Oxfam und Afghanaid in Badakhshan gearbeitet. (vgl. Lessons learned of a pilot project, Dezember 2005) In solchen Peace Building Kursen geht es z.B. um Familienkonflikte, die schnell eine ganze Dorfgemeinschaft spalten können, um Rückkehrerkonflikte etc. Dort gab es mehr als 40 Zielgruppen (Älteste, Mullahs, Lehrer, Parlamentskandidaten, Kommandeure ...). Gesprächskontakte waren mit 3.500 Menschen, hinter denen ca. 17.000 Menschen standen. Diese ZFD-Frauen scheinen so dicht an einer Gesellschaft der primär mündlichen Kommunikation, den Menschen und ihren Konflikten dran zu sein wie kaum jemand sonst. Und dann als einzelne europäische Frau im wilden Badakhshan - unglaublich. Doch solche Arbeit ist unsichtbar. Dabei wäre die Wahrnehmung und Veröffentlichung solcher Arbeit und der Erfahrungen mit den Afghanen dabei enorm wichtig: als Korrektur des üblichen AFG-Bildes der Warlords, Drogenbarone, Taliban und Korrupten, als Indikator, ob über die Gewalteindämmung hinaus Friedensförderung in AFG überhaupt Sinn macht.
Die Nachwuchsgewinnung für die EZ in AFG macht immer wieder Probleme. Medienberichte über Anschläge in AFG wirken immer wieder abschreckend.
Bei der Haushaltsdebatte über den Entwicklungsetat am 22.11. teilt die Ministerin mit, dass mehrere Millionen € kurzfristig in die entwicklungsorientierte Nothilfe in den Südostprovinzen Khost und Paktia gehen sollen. Insgesamt wendet DEU seit 2002 jährlich 80 Mio. € für die EZ in AFG auf, festgelegt bis 2010.
Bei der Fahrt durch Kunduz fällt mir nach zwei Jahren Unterbrechung doch einiges auf: Die wichtigen Innenstadtstraßen sind asphaltiert Die Rohbauten von 2004 sind fertig. Viele, viele Geschäfte und auffällig oft an der Hauptstraße afghanisch-deutsche Projektschilder.
Der Kunduz-Tag endet wie in einem Sommergärtchen im gemütlichen Innenhof eines PRT-Gebäudes. Er scheint zu enden. Denn als alle brav in ihren Betten liegen, ertönt um 22.45 eine Sirene und die Lautsprecherdurchsage „Alarm! Blitzschlag! Alarm! Blitzschlag!" in ständiger Wiederholung. Ein Feldjäger in voller Montur und Nachtsichtgerät auf dem Helm holt uns ab in den nächsten Schutzraum, die Kantine. Unweit von unserem Besuchsort von heute Nachmittag wurde bei Anghur Bogh (wie schon am 28. Juni) eine Nachtpatrouille aus WOLF und FENNEK mit Schusswaffe und drei Panzerfäusten (RPG 7) überfallen. Ein Soldat wurde am Unterschenkel verletzt. Diese Panzerfäuste sind nicht zielgenau. Aber gegenüber einem Volltreffer gibt es keinen Vollschutz. Schnell fährt Verstärkung raus.
Über die Hintergründe des Anschlags wird spekuliert: War das die Antwort auf unsere heutige massive Präsenz in der Gegend? Gibt`s vielleicht unter Gewalttätern einen „Wettbewerb", wer den FENNEK mit seinen bekannten Aufklärungsfähigkeiten ausschaltet?
Mai 2007 - Wende zum Schlechteren in Kunduz
1.-5. Mai 2007 Afghanistan-Reise
mit Renate Künast, Jürgen Trittin und Mitarbeitern.
In Kabul, Mazar-i-Sharif, Kunduz und Termez sprechen wir mit den Spitzen von VN(UNAMA), EU, ISAF, dem stellv. Justizminister, dem dt. Botschafter, afghanischen ParlamentarierInnen und NGO`s, dt. Polizisten, dem Kommandeur des dt. Einsatzkontingents, dt. Soldaten in Kabul, Mazar und Termez, den zivilen und militärischen Leitern des PRT Kunduz, Vertretern verschiedener Entwicklungs- und Hilfsorganisationen im „Deutschen Haus" in Kunduz sowie Schülern der dortigen Koran-Schule.
Zur Sicherheitslage hören wir unterschiedliche Einschätzungen: Lt. ISAF gibt es einen Rückgang von Sicherheitsvorfällen, bei Diplomaten ist die Einschätzung skeptischer.
In Kunduz war die Stimmung bis zum Selbstmordanschlag vom 16. April (auf dem Ausbildungsplatz einer Polizeiausbildungsstätte, mindestens 10 Polizisten getötet, über 40 verwundet) regelrecht euphorisch. Über den ganzen Winter war nichts passiert! Am 25.4. folgte ein Anschlag auf das Polizei-HQ in Kunduz, kurz später gegen den Gouverneurssitz, ein Toter.
Die Provinzen Kunduz und Takhar gelt als „überwiegend ruhig und nicht stabil". Es gebe Hinweise auf je 6 mögliche Attentäter in den Distrikten Chahar Darreh und Imam Shahib, je 4 in Aliabad und Dasht Archi. „Mögliche Infiltration des AOR PRT Kunduz durch Insurgenten, umfassende multiple terroristische Bedrohung, vorhandene Absicht, Fähigkeit und Kompetenz für Terrorakte, Drogenwirtschaft, Interessenkonflikte regionaler und lokaler Machthaber, ethnische Spannungen, Organisierte Kriminalität. Vornehmliches Ziel möglicher Angriffe und Anschläge sind noch die ANSF!"
Am 1. April begann in Kunduz die Ausbildungsunterstützung für die ANP durch 30 deutsche Feldjäger.
Alarmierend seien die jüngsten alliierten Fehleinsätze in Nangarhar und Süd-Herat, denen Dutzende Zivilisten zum Opfer fielen und die enorme politische Rückschläge sind. Auslöser waren Operationen von Enduring Freedom und direkt aus den USA geführten Special Forces, in die dann ISAF hineingezogen wurde. Auf ziviler Seite wird massiv kritisiert, wie exterritorial und ohne jedes Stationierungsabkommen OEF auch im 6. Jahr noch agiere.
Beim Besuch des Tornado-Geschwaders in Mazar wird betont, dass die Tornados (seit 5. April vor Ort) vor allem zur „Mobilitätsaufklärung" eingesetzt würden: Patrouillenstrecken, Zustände von Brücken, (il-)legale Checkpoints, Aufklärung bisher unbekannter Gebiete. Im Kontext des Shindang-Zwischenfalls in Süd-Herat sollen die Tornados explizit nicht eingesetzt gewesen sein. Sie hätten lt. Mandat auch nicht eingesetzt werden dürfen, weil es dort um ISAF-Unterstützung für OEF und nicht um OEF-Unterstützung für ISAF ging. Inwieweit die Tornados auch im Kontext ausdrücklicher Kampfunterstützung im Süden zum Einsatz kommen, wollte man nicht deutlich sagen.
Ein Lichtblick ist das Afghanistan Country Stabilization Picture: Diese von ISAF geführte Datenbank versucht erstmalig systematisch und landesweit alle Aufbauprojekte zu erfassen - Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur, landwirtschaftliche Entwicklung, Gesundheitsversorgung etc.
In der Nordregion, wo ein Drittel der afghanischen Bevölkerung lebt, sei die Gesamtentwicklung noch eindeutig positiv. Das gelte ganz besonders für die Provinz Kunduz, wo die Fortschritte bei meinem inzwischen fünften Besuch seit 2004 mit Händen zu greifen sind: die Straßen, die Bautätigkeit, der Handel. Nach Aussage örtlicher Autoritäten ging es den Menschen hier noch nie so gut wie jetzt. Zugleich sind die Risikofaktoren durch hiesige Kriminalität, Machtkonflikte, eingesickerte Terroristen erheblich.
Ein besonderes Erlebnis ist der Besuch der Larkabi-Koranschule, die mitten in der Stadt liegt. Der Innengarten ist umgeben von Unterrichts- und Unterkunftsräumen und der großen Moschee. Die Schüler kommen aus ganz Nordostafghanistan. Die Schule hat einen guten Ruf, ihre Mullahs gelten als offen. Das AA unterstützt hier den Ausbau der sanitären Anlagen. Das komme phantastisch an. Im Ort heiße es: ´Wenn Koranschulen in Ordrnung sind, brauchen wir unsere Kinder nicht nach Pakistan schicken." Jürgen und ich sprechen im Garten mit einer Gruppe von ca. 20 Schülern. Ich stelle uns als Politiker vor, die die deutschen Soldaten hergeschickt hätten. Ein „Talib" (Koranschüler) antwortet, dass sei gut, und dankt dafür. Ich frage, ob sie mit den Soldaten einverstanden wären - neben uns steht ein Hauptmann, dessen Vater früher Bürgermeister von Kunduz war und der zum Studium nach Dresden kam. Die Antwort: „Ja, die verhalten sich anständig." (Ein Personenschützer neben uns gibt derweil über Funk durch: „20 Männer, bin allein, kann nicht kämpfen")
Die dt. Aufbauhilfe hat mit dem „Deutschen Haus" eine ganz andere Sichtbarkeit bekommen. Im Rahmen des neuen, mit den so genannten „Nachtwei-Millionen" finanzierten „Provincial Development Fund" werden von jeweils vier afghanischen und deutschen Vertretern gemeinsam die nächsten Projekte vereinbart. Nach Einschätzung der dt. Entwicklungsexperten brauche man deutlich mehr Personal. (bisher 30-40) Während die Zusammenarbeit vor Ort gut funktioniere, sei die institutionelle Aufsplitterung der dt. zivilen Hilfe (TZ, EZ, FZ, Entwicklungsorientierte Nothilfe/BMZ, Humanitäre Hilfe/AA und CIMIC/ BMVg) ausgesprochen hinderlich. Äußerst verunsichernd sind die jüngsten Morde an zwei Mitarbeitern der Welthungerhilfe. (29.4.) Sie stellen die Grundvoraussetzung der langjährigen Arbeit - Schutz durch die Einheimischen - in Frage.
(aus: Persönliche Kurzmeldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik April/Mai 2007, Nr. 29)
Zwei Wochen nach unserem Besuch am 19. Mai Selbstmordanschlag auf dem Markt von Kunduz: 3 deutsche Soldaten und 7 afghanische Zivilpersonen getötet, ein Sprachmittler, 13 Zivilpersonen - z.T. schwer - verwundet.
Am 24.5. in Kunduz Veranstaltung mit mehreren hundert Afghanen und Würdenträgern zum Anschlag vom 19, Mai. Dabei wird die folgende Resolution verabschiedet - und persönlich unterschrieben.
Für die Bundeswehr markiert der 19.5. einen Wendepunkt zum Schlechten. Über Wochen nur noch Nahbereichsschutz, erhebliche Einschränkung der Patrouillentätigkeit. Hilfsprojekte laufen nur noch über afghanische Mitarbeiter.
„So notwendig wie das Wasser zum Leben" -
Beschluss der
Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schülerinnen + Schüler, Jugendorganisationen und Handwerksgenossenschaft der Provinz Kunduz nach dem Selbstmordanschlag am 19. Mai 2007 in Kunduz
Wir, die Rechtgelehrten, die Ältestenvertreter, die Lehrerschaft, die Schülerinnen und Schüler, die Jugendorganisationen und Handwerksgenossenschaft der Provinz Kunduz verabschieden aufgrund der letzten Selbstmordattentate in der Stadt Kunduz, die durch Feinde Afghanistan aus dem Ausland organisiert und gegen Unschuldige durchgeführt wurden, folgendes Kommunique:
Wir verurteilen die Selbstmordattentate, wobei unschuldige Menschen, die dabei waren ihren täglichen Lebensunterhalt zu verdienen oder zu besorgen, ums Leben kamen. Wir sehen diese Tat als eine unislamisch und verfluchte Tat an.
Entführung und andere terroristische Taten an sich und ganz besonders als solche, die sich gegen Unschuldige richten, sind nach der Aja 23, Sure Israel des heiligen Qurans, verboten. Bezugnehmend auf diese Sure des Qurans verurteilen wir jede terroristische Aktivität.
Die Erhaltung des Frieden, der Freiheit, der Freundschaft und der Brüderlichkeit ist eine Glaubens- und islamische Aufgabe jeden Muslims und wir unterstützen auch jeden, der die Schaffung einer friedlichen Atmosphäre, der Sicherheit, der friedlichen Koexistenz auf seine Fahne geschrieben hat.
Wir fordern die Sicherheitsorgane wie Polizei, NDS auf, entschlossen gegen erklärte Feinde Afghanistans und all diejenigen, die ethnische Konflikte schüren, die Sicherheitslage destabilisieren, vorzugehen, ihre Pläne im Vorfeld aufzudecken und die Verantwortlichen in die Fänge des Gesetzes zu übergeben.
Wir fordern die Zentralregierung auf, Sicherheitsorgane wie die ANA, ANP, NDS und weitere Sicherheitsorgane mit besserem Material und Personal auszustatten, sie immer wieder zu motivieren, damit sie effektiver gegen Taten und Pläne der Feinde vorgehen können.
Wir verurteilen ganz besonders das Selbstmordattentat vom 19.05.2005, wobei drei Soldaten unserer befreundeten Nationen aus Deutschland ums Leben kamen, die in der Provinz Kunduz für Sicherheit, Stabilität und Wiederaufbau sorgten.
Wir bitten UNAMA, PRT und andere Vertreter der Weltgemeinschaft, unsere Botschaft auf der ganzen Welt zu verbreiten.
Die Anwesenheit des deutschen PRT´s in der Provinz Kunduz ist so notwendig wie das Wasser zum Leben. Die leidgeplagten Einwohner der Provinz Kunduz brachen weiterhin die Unterstützung des PRT´s.
Möge der Allmächtige Sie schützen und Ihnen Erfolg bringen.
(Deutsche Ãœbersetzung durch den Leiter des Sprachendienstes des PRT Kunduz vom 25.5.2007)
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Besuch in West-, Süd-, Zentral-, Nord-Afghanistan:
Viele Lichtblicke bei immer mehr Düsternis
Winfried Nachtwei, MdB (15.09.2008)
(Vollbericht www.nachtwei.de )
Nach der Teilnahme an der kurzfristig anberaumten viertägigen Reise mit Außenminister Steinmeier Ende Juli nach Herat, Kabul und Mazar besuchte ich vom 6.-10. August 2008 erst die ISAF-Stützpunkte Kandahar und Tarin Kowt/Provinz Uruzgan im Süden (zusammen mit Niels Annen/SPD, unseren Mitarbeitern Rene Wildangel + Inken Wiese sowie Dr. Stefan Willeke/ZEIT). Anschließend waren meine Kollegin Kerstin Müller und ich vom 11.-16. August zu Gesprächen in Kabul sowie Mazar und Kunduz. Der nachstehende Reisebericht ergänzt den gemeinsamen Reisebericht „Kurswechsel für Afghanistan" von Kerstin Müller und mir über die gemeinsamen Reiseteile[1]. (http://www.gruene-bundestag.de/cms/internationales/dok/248/248323.kurswechsel_fuer_afghanistan.htm).
Die Reise war überfällig, weil für mich die Lage in Afghanistan (AFG) trotz meiner vielen Informationsquellen mehr als ein Jahr nach dem letzten Besuch vor Ort zunehmend unübersichtlich geworden war. Die Reise sollte zugleich Blicke über die Tellerränder von ISAF/Bundeswehr und deutschem Verantwortungsbereich hinaus ermöglichen.
Es war meine inzwischen 11. Reise nach AFG seit 2002. In Uruzgan und Taloqan waren wir die ersten deutschen Abgeordneten überhaupt. Zu danken ist Oberstleutnant Charles Janssen von den NL Streitkräften und Simone Stemmler von der Dt. Botschaft für ihre so hervorragende wie freundliche Organisation und Unterstützung unserer Abgeordnetenreise. (...)
Zusammenfassung + Schlussfolgerungen
Etliche better news erleben wir im Widerspruch zum tiefdunklen AFG-Bild hierzulande: In Herat, Mazar, Kabul sehen wir pulsierendes städtisches Leben. Aufbaufortschritte sind gerade auch im Vergleich mit früheren Besuchen offenkundig.
o   Eine Gesundheitsstation, ein Lehrerausbildungszentrum und ein Wasserwerk stehen beispielhaft für die breiten Fortschritte im Gesundheits- und Schulwesen und viele andere Entwicklungsprojekte (z.B. im Rahmen des National Solidarity Program). In Uruzgan begegnen uns deutsche Entwicklungsexperten, die sogar unter den Bedingungen einer Konfliktprovinz an einem breit angelegten Entwicklungsprogramm arbeiten. Sie können es, weil sie als Landeserfahrene nah an den Menschen sind.
o   Bemerkenswert sind von Deutschland unterstützte Ansätze von lokalem Peacebuilding, der Zusammenarbeit mit Stammesautoritäten und der Förderung einer demokratischen Zivilgesellschaft.
o   Der Aufbau der ANA als einer Säule selbsttragender Sicherheit verläuft besser als erwartet und sehr systematisch. Der Anteil der ANA-geführten Operationen wächst.
o   Die deutsche bilaterale Polizeihilfe ist endlich in die Basisausbildung eingestiegen. Das Police Training Center in Mazar stand binnen drei Monaten.
o   ISAF-Bundeswehr agiert im Norden weiterhin als Unterstützungstruppe und lässt sich trotz kritischerer Entwicklung in Kunduz nicht in die Kriegsfalle locken.
o   Die Niederländer verfolgen unter härteren Bedingungen einen Ansatz, der mit seiner Fokussierung auf die Bevölkerung aussichtsreicher zu sein scheint als die Gegnerfokussierung bei Enduring Freedom und manchen anderen ISAF-Nationen.
o   Ein Fenster der Gelegenheit bietet die Entwicklung des Weizen- und Opiumpreises und der erhebliche Rückgang des Mohnanbaus in den sicheren Provinzen.
o   Mutmacher und Hoffnungsanker sind vor allem die vielen Frauen + Männer, die wir treffen, die sich mit hoher fachlicher und sozialer Kompetenz, unter Entbehrungen, Risiken und erheblichem Gegenwind für eine Überwindung der Gewalt und friedlichen Aufbau einsetzen. Es sind Afghanen, Niederländer, Deutsche, Kanadier, viele andere Internationale, Polizisten, Diplomaten, Entwicklungsexperten, Soldaten, Friedensfachkräfte.
Die Bad News der großen Trends lassen - allen Abwehrmechanismen eines Politikers zum Trotz - bisweilen Gefühle von Ratlosigkeit bis Hoffnungslosigkeit hochkommen:
o   Parallel zur ISAF-Aufstockung haben die Anschläge und Gefechte vor allem im Osten und Süden massiv zugenommen, gibt es dort eine heterogene Aufstandsbewegung, die sich aus vielen Quellen speist. Die Zonen der Unsicherheit umgeben inzwischen auch Kabul. Im Norden wird Kunduz kritischer. Der Zustrom von Kämpfern aus Pakistan und der Aufstieg der pakistanischen Taliban ist ungebrochen. Stark zugenommen haben Luftangriffe gegen Bodenziele und inzwischen auch wieder die Zahl an Zivilopfern dabei.
o   Unverändert ungeklärt ist auch zu Beginn des 8. Jahres (!) der Dissens unter den Haupttruppenstellern von ISAF hinsichtlich der strategischen Prioritäten: auf Sieg setzende militärlastige Terror- und Aufstandsbekämpfung oder Stabilisierungs- und Aufbauunterstützung mit Aufstandseindämmung? Das destruktive Nebeneinander verschiedener Ansätze, wo mühsame Aufbauerfolge und Fortschritte beim Kampf um „Köpfe + Herzen" immer wieder durch Zivilopfer und rücksichtsloses Verhalten zurückgeworfen werden.
o   Die verbreitete schwache bis schlechte Regierungsführung, Korruption, die breite Ablehnung der Karzai-Regierung, die Enttäuschung auch über die Internationale Gemeinschaft, die starke Stellung vieler Warlords + Kriegsverbrecher, die personelle Alternativlosigkeit.
o   Das deutsche Engagement geht in die richtige Richtung und hat bei den Afghanen einen guten Ruf. Gemessen an den Herausforderungen, dem Ernst der Lage, den Erwartungen der afghanischen Seite und dem Engagement etlicher anderer Partner ist es aber halbherzig.
Zusammengefasst:
Die Negativdynamik der sich verschlechternden Sicherheitslage und der schlechten politischen Stimmungslage erscheint kräftiger als die konstruktive Aufbaudynamik. Ein Sofortabzug der internationalen Truppen würde die Gewalteskalation rasend beschleunigen, die Talibanisierung des Südens und Ostens, Bürgerkrieg in anderen Landesteilen und ein massiver Destabilisierungsschub in den schwankenden Atomwaffenstaat Pakistan wären vorprogrammiert. (So die einhellige Meinung aller zivilgesellschaftlichen Gesprächspartner.)
Der breite Negativtrend ist mit etwas Nachjustieren und viel Weiter So nicht zu bremsen. Um ihn zu stoppen und positiv zu wenden, bedarf es besonderer Anstrengungen. Deutschland hat dabei besondere Chancen und Verantwortung.
Elemente eines dringlichen Kurswechsels:
o   Eine ehrliche und selbstkritische Bilanz der Leistungen, Defizite und Fehler des internationalen und deutschen AFG-Engagements nach fast 7 Jahren. (vgl. Ahmed Rashid, Descent into Chaos - The United States and the Failure of Nation Building in Pakistan, Afghanistan, and Central Asia, New York 2008; Citha Maaß, Afghanisierung der Sicherheitsstrategie, in der jüngsten SWP-Studie „Das internationale Engagement in AFG") Ohne diese wird verlorenes Vertrauen nicht zurück gewonnen werden können. Die Bilanz muss ihre Fortsetzung in einer begleitenden unanhängigen Wirksamkeitsbewertung finden. Nur mit ehrlicher Kommunikation lässt sich auch einer Propaganda der Linkspartei entgegenwirken, die mit Pauschalisierungen, Verzerrungen und Lügen breitenwirksam für den Sofortabzug trommelt - ohne Rücksicht auf Verluste in AFG.
o   Klärung des strategischen Dissenses und Verpflichtung aller internationalen Truppen auf den Unterstützungsansatz, Absage an die extralegale Terror- und Aufstandsbekämpfung durch Enduring Freedom und andere „black operations". Die politischen Spitzen der NATO haben den Strategiedissens immer verdrängt, sie muss ihn endlich im NATO-Rat klären. Die strategische Klärung wird dadurch erschwert, dass die Schere zwischen dem massiv wachsenden Engagement der USA und dem anderer immer mehr auseinanderklafft. Damit verschieben sich die Einflussmöglichkeiten.
o   Die Einbeziehung der lokalen Strukturen, der Stammesautoritäten und Shuren, von Friedens-Jirgen, der Zivilgesellschaft und Frauen, die politische Konfliktlösung auf allen Ebenen müssen einen viel höheren Stellenwert bekommen. Hierfür bedarf es vermehrter lokaler Kompetenzen und Kapazitäten.
o   Kampf gegen Korruption, Ineffizienz und Missmanagement gilt nicht nur für die AFG Seite, sondern auch für die Internationalen.
o   Aufbau und nachhaltige Entwicklung brauchen Zeit und Geduld. Zugleich braucht es für realitätsnahe Ziele eine regelrechte Aufbauoffensive. Sie muss anfangen bei den offenkundigsten Defiziten und nächsten Chancen: Verstetigung und Erweiterung der Provincial Development Funds, zügige Stärkung des PAT Taloqan (militärisch und vor allem AA, BMZ), Förderung der landwirtschaftlichen Produktion, Aufstockung der Polizeiausbildungskapazitäten, um auch das 6-8 monatige Mentoring zu gewährleisten. Deutschland darf sich nicht im Norden politisch einmauern. In bestimmten Südostprovinzen (z.B. Paktia), in Herat und anderswo hat dt. EZ einen sehr guten Ruf und gute Chancen. Diese sind zu nutzen. Notwendig sind im Hauptverantwortungsbereich im Norden Bedarfsabschätzungen und Schwerpunktsetzungen, die das enorme Bevölkerungswachstum berücksichtigen, für die verschiedenen Sektoren, um daraufhin den personellen + finanziellen Ressourcenbedarf planen zu können. Gefragt ist mehr intelligentes Klotzen.
o   Ohne die Eindämmung des Kämpferzustroms aus Pakistan ist AFG ein Fass ohne Boden, sind die Feuer der Aufständischen nicht zu löschen. US-Offensivoperationen in die pakistanischen Grenzgebiete werden diese Feuer eher noch anfachen. Dringend notwendig sind politische Bemühungen um grenzüberschreitende Sicherheits- und Aufbaukooperation mit Nachbarn und in der Region, mit dem Iran vor allem bei der Drogenbekämpfung.
o   Exit-Perspektiven können nicht länger ein Tabu sein. Appelle an die Geduld sind so richtig wie unzureichend. Die Zeitbedarfe in verschiedenen Aufbausektoren sind sehr verschieden. Justizaufbau braucht viel länger als Straßenbau. Fakt ist, dass ein Einsatz internationaler Truppen in der jetzigen Intensität nicht 10 oder 15 Jahre durchzuhalten ist, weder auf afghanischer, noch auf Seite der ISAF-Gesellschaften. Ein Abbau und Abzug von ISAF muss für einen absehbaren Zeitraum angestrebt werden. Dafür ist der intensivierte Aufbau der AFG Sicherheitskräfte die notwendige Voraussetzung. Exemplarisch für eine energische Aufbau-Exit-Planung stehen die Niederlande + Kanada, die ihre Lead-Rolle in Uruzgan + Kandahar bis 2010 bzw. 2011 befristet haben, aber jetzt powern. Genau zu bedenken sind die politischen Botschaften einer Exitperspektive in AFG (Absage an Dauerpräsenz, Ermutigung + Entmutigung), in der Staatengemeinschaft und hierzulande. Exitperspektive ist keine Flucht aus der Verantwortung, sondern zügige Verantwortungsübergabe in Kernbereichen, die mit verlässlicher weiterer Unterstützung in anderen Bereichen einhergeht.
o   Die deutsche AFG-Politik braucht überzeugende politische Führung und Gesicht statt eine Mentalität des Verwaltens auf bestimmten Berliner Führungsebenen. Das vom Bundeskabinett am 9. September verabschiedete AFG Konzept wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Es ist wahrlich nur eine „Fortschreibung" von 2007, kritisch nur gegenüber der AFG Seite, selbstzufrieden mit dem eigenen + internationalen Engagement. Zeitgleich mit Erscheinen des Human Rights Watch Reports über Zivilopfer bei alliierten Luftangriffen legt das AFG Konzept ein Blanko-Bekenntnis zu OEF ab. Wo - an richtigen Stellen - nachjustiert wird, geschieht das mit unverbindlichen Absichtserklärungen. Das AFG Konzept ist nicht geeignet, verlorenes Vertrauen in die deutsche AFG Politik zurückzugewinnen.
Die Bundesregierung könnte das in der politischen Praxis korrigieren: Sie sollte in den Mandatsbeschluss zur weiteren Beteiligung der Bundeswehr an ISAF Schlüsselaspekte des zivilen Aufbaus aufnehmen. Was will Deutschland in den nächsten ein, zwei Jahren beitragen zur Energie- und Wasserversorgung, zum Straßenbau, zur Förderung der landwirtschaftlichen Produktion, zum Bildungswesen, zum Polizei-, Armee- und Justizaufbau, zu Aufbau + Entwicklung außerhalb des deutschen Hauptverantwortungsbereiches. Die Ziele müssen realitätsnah + ehrgeizig zugleich sein. Die dafür notwendigen finanziellen + personellen Ressourcen sind verbindlich zu erklären. Nur so besteht die Chance, den notorischen Rückstand des zivilen Aufbaus aufzuholen und das Missverhältnis zwischen militärischem + zivilem Engagement zu überwinden. Die Forderung nach einem in diesem Sinne „erweiterten Mandat" findet gerade unter einsatzerfahrenen Soldaten bis zur Generalsebene deutliche Unterstützung.
Ich dränge nicht zuletzt auch deshalb auf selbstkritische Offenheit, einen Kurswechsel und neue Anstrengungen,weil ich als Sicherheitspolitiker verantworten können muss, dass junge Soldaten in AFG einen Auftrag erfüllen müssen, der mit ständiger Todes- und Verwundungsgefahr und Angst einhergeht. Die Todesfälle vom 27. und 28. August zeigen das nachdrücklich. Der Sinn ihres - und der Polizisten, Zivilexperten, Diplomaten - Auftrages und ihrer guten Arbeit darf nicht durch Fahrlässigkeit und Versäumnisse der Politik in Frage gestellt werden.
(..)
Kunduz
Provincial Reconstruction Team (PRT) Kunduz
Allgemeine + Sicherheitslage
Grundbotschaft des dt. PRTs sei: Wir sind hier, um die Afghanen beim Aufbau des Landes zu unterstützen. Nach der Gewalt der Vergangenheit gab es keine Wahrheitskommission und keine Aufarbeitung, sondern ein Amnestiegesetz. In hohen Ämtern gebe es Kriegsverbrecher mit Waffen und Geld. Auch wenn der Einfluss solcher Herrschaften abnehme - von einigen müsse man sich verabschieden. Bemerkenswert sei, wie oft die deutsche Seite aufgefordert werde, in Konflikte einzugreifen. AFG sei ein Land mit starken Personen und schwachen Strukturen.
Das PRT ist für > 500 Personen geplant und mit inzwischen ca. 1.000 so stark wie nie belegt. (zzt. auch QRF hier) Die Sicherheitsvorfälle nehmen seit 2006 zu:
|
April |
Mai |
Juni |
Juli |
2006 |
3 |
1 |
11 |
8 |
2007 |
3 |
2 |
4 |
2 |
2008 |
14 |
12 |
12 |
10 |
In bestimmten Distrikten z.B. westlich Kunduz (Chahar Darreh) besteht das Risiko von IED + Hinterhalten. Bei Sprengfallen kommen in Reaktion auf die Störsender wieder mehr solche zum Einsatz, die durch Druckplatte oder per Draht gezündet werden. Die Tätergruppen sind relativ klein (Zellen) und verschaffen sich vor allem durch Einschüchterung (Drohplakate, Todesdrohungen), aber auch Angebote (400 $ für Unterstützung) Deckung bis Unterstützung. Es gebe viele Hinweise aus der Bevölkerung. Andere schweigen aus Angst.
Insgesamt sei die Antwort verstärkter Nahbereichsschutz gegen den Beschuss mit ungelenkten Raketen (meist 107 mm, 18 kg, alte russische + chinesische Modelle, improvisierte Abschussgestelle) mehr Präsenz in der Fläche und Ausbildungsunterstützung für die AFG Sicherheitskräfte. Für ersteres stehen zusätzlich zu den PRT-Kräften zwei Fallschirmjäger-Züge zur Verfügung. (Von Ende Februar bis Juni war es eine verstärkte Kompanie mit ca. 200 Mann.) Die seien jetzt ständig nachts unterwegs. Tagespatrouillen werden z.T. zu Fuß mit der ANP durchgeführt.
Die Relation zwischen Kräften, die außerhalb des PRT agieren, und Unterstützungskräften soll in Kunduz bei 60 : 40 liegen. (Sonst liegt die Relation eher bei 80:20 oder 70:30.)
Der Südeinsatz werde in der örtlichen Bevölkerung, insbesondere bei Angehörigen des paschtunischen Ghilzai-Stammes mit seinen ethnischen Verbindungen nach Helmand + Kandahar, kritisch gesehen.
Bei den insgesamt mehr als 150 geschützten bzw. gepanzerten Fahrzeugen seien mehr von der stärkeren Wolf-Variante angebracht. Aber man komme mit der Ausstattung klar - so die PRT-Spitze. Auf der Patrouille hört sich das etwas kritischer an. Dass einige Tage nach unserem Besuch der hiesige PRT-Kommandeur abgelöst wird, überrascht mich nicht.
Die zivile Seite des PRT:
Das AA stellt 3 Beamte, das BMWi 2, das BMI 2 (+ 2 Kurzzeit). Der eine BMZ-Vertreter lebt außerhalb. Die praktische Arbeit zwischen Bundeswehr, AA, BMI sei exzellent. Das BMZ sei bei der Wochenlage dabei.
Die BMZ-Schwerpunkte sind Lehrerausbildung und Schulbau, Berufsausbildung (Kfz-Werkstätten); erneuerbare Energien + Elektrizität (Wasserkraftwerk Khanabad 1,5 MW; Stromversorgung in Kunduz zu 64%, auf dem Land zu 57%, in Takhar zu 16% - auf dem Land 3%); Trinkwasserversorgung; Infrastruktur (Straßen- und Brückenbau); ländliche Entwicklung + Wirtschaftsförderung (KMU).
AA-Schwerpunkte sind: Polizeireform (GPPT); Umfeldstabilisierung PRT; Stärkung Zivilgesellschaft + Rechtsstaatlichkeit; Humanitäre Hilfe + Gesundheitswesen (Kinder Berg).
Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft: Renovierung von Moscheen und Madrassen zzt. in den kritischeren Distrikten Chahar Darreh und Aqtash (von besonderer Bedeutung, weil das Respekt und Achtung gegenüber dem Islam signalisiert), Unterstützung von Shuren (informelle Konfliktlösung wie Schiedsgerichtsbarkeit)
Die KfW bringt große Gelder, die GTZ Experten. Im Rahmen der Entwicklungsorientierten Nothilfe (EON) wurden mehr als 600 Kleinprojekte zusammen mit der Dorfbevölkerung durchgeführt. Der DED wiederum schickt Experten, die vor Ort als Berater für einheimische Organisationen und Regierungsstellen arbeiten.
Bemerkenswert sei die Entwicklung des Baugewerbes: Inzwischen gibt es richtige Bauunternehmen mit guter technischer Ausstattung. Afghanen betreiben Transport, Handel, Berufsausbildung, Guards. Von dem Riesen-Etat der Bundeswehr bleibe einiges im Land.
Zu CIMIC gehören 5 Liaison und Monitoring Teams (LMT), die als Erkundungstrupps den Kontakt mit der Bevölkerung suchen. Ihre Erkenntnisse gehen ein in eine Datenbank zur zivilen Lage: District Assessments und Village Profiles. Auf CD erhält die Daten auch UNAMA. Die EZ bedient sich der Daten bei der Festlegung ihrer Schwerpunkte. Im November soll es als Karte zur Verfügung stehen, in die man sich nur noch einklicken muss. Keine andere Nation verfügt über so eine Datenbank.
Beispiel das District Assessment für den Problemdistrikt Chahar Darreh mit seinen 61.000 Einwohnern. Detailliert sind hier erfasst die Sicherheitslage (Keyplayer, IED & Anschläge, Drogen & OK, Illegale bewaffnete Gruppen/IAG, Ethnische Konflikte, Sonstige Konflikte), Zivile Lage (Lebensbedingungen, Humanitäre Belange, Verkehr + Kommunikation, Öffentliche Ordnung, Bildung, Wirtschaft) und anschließend systematisch bewertet. Beispiel Sicherheit: Die AFG Bevölkerung unterstützt nicht die Aufständischen (insurgencies), verweigert Zuflucht (sanctuaries).
Alle Dörfer eines Distrikts sind bezüglich Lebensbedingungen, Humanitäre Fragen, Zivile Infrastruktur, Zivile Verwaltung, Bildung, Wirtschaft nach gut, durchschnittlich, schlecht bewertet. Mit Hinweisen auf erwartete Ernteausfälle wegen der Trockenheit (50-90%) hat die Datenbank auch eine Frühwarnfunktion.
Entwicklungszusammenarbeit, Gespräch mit VertreterInnen von deutschen Durchführungsorganisationen in Kabul + im Deutschen Haus in Kunduz (zur dt. EZ in AFG insgesamt vgl. Übersicht in „Better News"):
Im Rahmen des DED arbeiten 28 Entsandte, 26 Einheimische und zwei Hauptamtliche, bei der GTZ 70 (einschließlich CIM) und 630 Nationale, bei der KfW ein Internationaler (ab August eine zweite Person in Kunduz) und im Rahmen der Projekte 100-200 Einheimische und weitere Internationale.
Die Bewerberlage wird schwieriger: Bei vielen Bewerbungen einerseits gibt es andererseits auch viele Rückzieher. Nicht alle Organisationen können mit hohen Gehältern werben. Die Entwicklungshelfer und Friedensfachkräfte des DED erhalten lediglich rund 1.400 Euro Unterhaltsgeld nebst einem Paket von Versicherungsleistungen! Beim DED verlängern ca. 30% (zumeist um einige Monate), 10-20% steigen vorzeitig aus. Insgesamt ist die Personalfindung eine Herausforderung. Um die familiären Beziehungen der Mitarbeiter zu stützen, wird z.T. gemeinsamer Urlaub in der Region bis zu Stationierung in der Region gefördert oder 2-3 Mal ein Flugticket nach Deutschland bezuschusst.
Problem der zu hohen Erwartungen bei den AFG Partnern. Auf Seiten der Regierung gebe es eine Mentalität des Handaufhaltens und unglaubliche Korruption. Die Provinzregierung sei desaströs, die Afghanen selbst aber seien sehr fleißig.
Der ständige Wechsel der Staatsgewalt in den letzten Jahrzehnten sei zerstörerisch für die Verwaltungsentwicklung. Und warum solle man sich auf die Internationalen einlasen, wenn unsicher  sei, wie lang sie bleiben. Die Zeit, wo sich die Menschen etwas von den großen Strategien, die in Kabul entwickelt werden, viel versprachen, sei vorbei. Die Leute müssen was davon haben. Da kann man nicht auf Kapazitätenaufbau warten. (Dilemma) In manchen Sektoren könnte man mehr Geld gebrauchen. Beim Straßenbau können relativ schnell größere Summen umgesetzt werden.
Der Provincial Development Fund (PDF) hat sich mit vielen kleinen Projekten bewährt. In der Provinz Kunduz wurden in 2008 bisher 179 Anträge eingereicht (Takhar 289), 78 vorgestellt (47) und 35 ausgewählt (23). Insgesamt stehen 2008 für den PDF Kunduz 757.352 $ zur Verfügung, für Takhar 687.500 $. Für District Development Funds stehen pro Distrikt 300.-500.000 Euro zur Verfügung. Der PDF sei wohl das beste Modell für Partnerschaft + local ownership. Hier könnten Millionen umgesetzt werden, wenn das entsprechende Geld da wäre. Ein Kernproblem der PDF-Mittel sei die Planungsunsicherheit. Er müsse unbedingt fortgeführt werden. Bei anderen Nationen scheint es Vergleichbares nicht zu geben. Warum also nicht auch PDF in den Provinzen Khost und Paktia? Ich habe ein persönliches Verhältnis zum PDF, weil er wesentlich mit Hilfe der 10 Mio. Euro in Gang gesetzt wurde, die ich 2005 im Kontext des MEADS-Konflikts dem BMVg zu Gunsten des Ressortkreis Krisenprävention abgerungen hatte und die seitdem zuweilen „die Nachtwei-Millionen" genannt wurden.
Die Rehabilitierung von Wasserkraftwerken bringt schon einiges. Die Nordleitung von Uzbekistan sollte bis Herbst ans Netz gehen. Aber da gibt es Schwierigkeiten. Das ist ein Hinweis darauf, dass der Regionalkontext ganz anders beachtet werden muss.
Exkurs: Umspannwerk in Mazar, 220.000 KW: Vor 16 Monaten für insgesamt 22 Mio. Euro (KfW) errichtet. Damit würde die Kapazität des Umspannwerks aus sowjetischer Zeit verdoppelt. Es soll den Strom von Najbabad an der usbekischen Grenze beziehen und gehört zum Netz Richtung Kabul. Mit Inbetriebnahme wäre die Stromversorgung für Mazar rund um die Uhr gewährleistet. Die Inbetriebnahme verzögert sich aber aus politischen Gründen: Es konnte noch keine Einigung über den Preis erzielt werden. Aus sowjetischer Zeit gibt es noch gute Ingenieure.
Ein Grundproblem von Ausbildungsprojekten ist, dass Ausgebildete schnell abwandern und ein eigenes Geschäft aufmachen. Dieser brain drain behindert Kapazitätenbildung.
Wirtschaftsförderung: Gründung von Wirtschaftsverbänden (inzwischen > 40 Innungen), eine Fabrik für Tomatenpaste. Für die landwirtschaftliche Produktion sei zu wenig geschehen. Hier ist zu 80% Trockenfeldbau, der also vom Regenaufkommen abhängt. Hierzu gebe es nichts. An die Produktionsseite müsse man ernsthaft ran.
Wirksamkeit der EZ: Die Wirkungen seien vor Ort zu sehen und zu erfahren. „Wir machen kleine Schritte. Man muss gehen lernen, um laufen zu können." Auf meine Frage an die EZ-Vertreter, wie man das AFG-Bild in Deutschland wahrnehme: Dort herrsche ein Zerrbild vor. Und Journalisten seien in der Regel an EZ nicht interessiert.
Sicherheit: Die zwei Angriffe auf ein Polizeifahrzeug und die KfW irritieren erheblich. Bisher sei aber noch unklar, was überhaupt die Motive waren. Das kann aber dazu führen, dass die Feldarbeit nur noch durch Ortskräfte erfolgen kann.
Die schärferen Sicherheitsbestimmungen erfordern zusätzliches Personal, und belasten die Budgets. Z.B. dürfen nur immer zwei Fahrzeuge unterwegs sein. Zwei geschützte Fahrzeuge kosten aber 250.000 Euro. Das überfordert viele Organisationen.
Zivil-Militärische Zusammenarbeit aus EZ-Sicht:
Das größte Problem sei der schnelle 4-Monats-Wechsel auf Seiten der Bundeswehr. Die Dt. Welthungerhilfe sei klar auf Distanz zum Militär und nach der Ermordung eines Mitarbeiters nach Taloqan gegangen. Ein Wasserwerk-Berater berichtet von guter Zusammenarbeit mit CIMIC, deren Soldaten zurückhaltend auftreten würden und jede Unterstützung geben. Jeder wisse, dass er mit dem Militär zusammenarbeite.
Insgesamt funktioniere die zivil-militärische Zusammenarbeit vor Ort sehr gut, die Berührungsängste vom Anfang seien weg, so die Vertreter der EZ-Durchführungsorganisationen. Bundeswehr helfe bei der Identifizierung von Schwerpunktdistrikten und gebe die PDF-Anträge weiter. Die Bundeswehr gebe sich hier nicht als der große Helfer. Aber zunehmend seien Offiziere zum wiederholten Male da. Und solche verfügten über gewachsene entwicklungspolitische Expertise.
Gesellschaftliches Peace Building
Marzia Rustami vom "Educational Training Center for poor Women + Girls of AFG" (ECW) in Kunduz und die DED-Friedensfachkraft Corinna Vigier, die seit über zwei Jahren das Peacebuilding Department dieser NGO berät, berichten gemeinsam über Peace Building im Nordosten AFGs. Auch hier wird als erstes die Vielfalt der relevanten Konflikte betont - um Ressourcen (vor allem Nutzungsrechte von Wasser + Land), Familienkonflikte (arrangierte Ehen, Erbstreitigkeiten, Konflikte über Geschlechterrollen), Macht, Taliban vs. Regierung/Internationale. Bei Befragungen von afghanischen Vertretern von Zivilgesellschaft und Regierung in Kunduz, die ECW einige Monate zuvor durchgeführt hatte, war interessanterweise der Konflikt „Taliban vs. Regierung/Internationale" für niemanden prioritär! Verschärft werden die Konflikte durch die Rückkehrerproblematik, das explosive Bevölkerungswachstum zwischen 3,2-4,5% (!), hohe Arbeitslosigkeit und Analphabetenquote, Korruption und Vetternwirtschaft, bad governance (...), Agitation der Bevölkerung entlang ethnischer + religiöser Linien, geringe Islamkenntnis, mangelhafte Fähigkeiten zur Konfliktlösung, Kriegskultur, hohe Traumatisierung, Kleinwaffenschwemme (ein Mann mit weniger als drei Waffen gelte als „entwaffnet") sowie durch ökologische Faktoren wie Dürre, unkontrollierte Abholzung und Umweltverschmutzung. Der ECW Peace Building Ansatz zielt auf die Stärkung von Konfliktlösungsfähigkeiten innerhalb der afghanischen Gesellschaft durch Trainings mit Mullahs, Journalisten, Lehrern, Frauen + Jugendlichen, Zusammenarbeit mit bestehenden Strukturen (z.B. Shuren) und durch erfahrene afghanische Kräfte. Einzelaktivitäten waren zunächst Workshops in Kunduz, Baghlan + Takhar, Durchführung der „Peace Caravan" zusammen mit der Mediothek (Dialogprojekt mit bekannten Persönlichkeiten, Musikern etc. zwischen Kunduz + Khost), Training in Friedens-Journalismus, Koordination des National Peace Days am 21. September. Inzwischen legt ECW Peacebuilding Department seinen Schwerpunkt verstärkt auf internsivere + langfristigere Projekte wie z.B. dreiwöchige Trainings für 450 Shura-Mitglieder in Kunduz + Baghlan. Praktisch „nebenbei" wurde auch ein  Workshop mit UNAMA-Mitarbeitern zu Konfliktanalyse und -lösung durchgeführt. Gerade angelaufen sind die Projekte „Shuras for Peace" mit Religiösen und Frauen Shuren in Takhar + Kunduz (AA-gefördert) und „Youth`s Peace Network Kunduz" (gefördert von DED/ZFD). Das ECW Peace Building Project mit seinen insgesamt 15 Personen hat inzwischen ein dreibändiges, reich illustriertes Peace Building Handbuch herausgegeben. Ein weiteres Projekt ist eine Kampagne (DED/ZFD gefördert) gegen Spielzeugwaffen für Kinder - mit Abstand das verbreiteste Geschenk für die Feiertage nach Ramadan, die dieses Jahr Ende September/Anfang Oktober stattfinden. („No Guns for Eid")
Die Mediothek ist in einem großzügigen neuen Rundbau (japanische Finanzierung) in dem Neubauviertel auf dem Plateau untergebracht, deren Mittelpunkt ein großer Veranstaltungssaal für ca. 200 Personen ist. Die Mediothek ist Teil eines Verbundes mit dem Zentrum in Kabul und 5 Außenstellen in Kunduz, Khost, Wardak, Nangarhar und Zabul. Es gibt eine Medienabteilung, in der - unterstützt von der Friedrich Ebert Stiftung - „AFG heute" in einer Auflage von 2.500 herausgegeben wird und Journalisten ausgebildet werden. In einer 2. Abteilung geht es um Projekte zur Unterstützung der Zivilgesellschaft. Wichtigstes Vorhaben ist hier zzt. die Peace Caravan (DED unterstützt). Das Haus wird von afghanischen Mitarbeitern geführt und von einer deutschen ZFD-Kraft unterstützt. (www.mediothek.org.af; Broschüre „Ziviler Aufbau in AFG - Der Beitrag des DED" unter www.ded.de)
Afghan Women and Children Association: Die Vereinigung wurde 1994 von Flüchtlingen in Pakistan gegründet und eröffnete Ende 2001 ein Büro in Kunduz. Sie setzt sich vor allem für Rechte von Frauen und ihre wirtschaftliche Selbständigkeit in den Provinzen Balkh (Mazar), Kunduz, Takhar und Badaghshan ein. Die Vorsitzende + unsere Gesprächspartnerin wurden in den Provinzrat gewählt. Sie hat den Eindruck, dass die zivilgesellschaftliche Bewegung stärker wird. Bei AWCA arbeiten 11 Hauptamtliche + ca. 50 Freiwillige. Auf die Frage, was sie von einem sofortigen Abzug der internationalen Truppen halte: Seit 2002 seien Gewalt und Krieg reduziert. Bei einem schnellen Abzug gehe es zurück nach 1992/94 in den Bürgerkrieg. Sie habe selbst noch Hunderte von Leichen auf der Straße in Erinnerung.
Taloqan
Am Freitagmorgen geht es im Konvoi mit mehreren Dingos durch das freitagsruhige Kunduz auf der gut ausgebauten Asphaltstraße der „LOC Taurus" nach Takhar in der Nachbarprovinz Taloqan. Hinter Takhar wird die Strecke weiter nach Feyzabad im Nordostzipfel zur Piste. Wir durchqueren ein breites, ausgesprochen fruchtbares Tal, saftiges Grün, Assoziationen in Richtung Toskana - wenn nicht die rechts und links hoch schwingenden gelb-braunen Berghänge wären. Aber das Grün der Reisfelder hinter Kunduz reicht nicht. Große Grundbesitzer in Taloqan haben zu viel Wasser auf ihre Felder geleitet, so dass für die Bauern in der Provinz Kunduz zu wenig übrig bleibt. Die Reisernte im September wird mager werden. Nach dem harten Winter ist das der zweite Schlag. Teilen der Bevölkerung droht Hunger!
Ab und zu zieht eine bunte Karawane durch die Landschaft. Die sonnige Ruhe der Straße wird durch die Kenntnis überschattet, dass es hier des öfteren IED-Warnungen gibt. Wir kommen auch an der Einmündung einer Schotterstraße vorbei, an der genau 14 Tage später abends der von ANA, ANP und dt. Feldjägern betriebene Checkpoint war, wo ein verdächtig erscheinendes Fahrzeug nach vergeblichen Stoppversuchen von einem Bundeswehrsoldaten beschossen wurde. Dabei kamen eine Frau und zwei Kinder ums Leben. Der seit Jahren gefürchtete und in der Ausbildung immer wieder thematisierte Alptraum wurde jetzt erstmals Wirklichkeit.
Besuch bei „Kinderberg International", HNO- und Augenstation, Patient Care Center + Baby Care Station: Die Stationen ergänzen das Provinzhospital und haben 40-60 Patienten pro Tag aus Takhar + Badaghshan. Kinderberg arbeitet seit 2002 in AFG, seit 2007 auch im Nordosten. Hier betreibt Kinderberg in Abstimmung mit Distrikt- und Provinz-Jirgen 17 medizinische Einrichtungen: 5 mobile Teams (Arzt + Hebamme) für entlegene Gebiete, 4 Basic Health Centers, 3 Triple Continer als Behelfsstationen. Seit Anfang 2008 wurden mehr als 180.000 Patienten betreut.
Alle Schlüsselpositionen sind von Afghanen besetzt. Patrick Gergen aus Stuttgart ist nur zeitweilig als Monitor + Supervisor vor Ort. Der zupackende jüngere Mann trägt auf seiner Kappe zwei Sticker: die Friedenstaube + die deutsch-afghanische Fahne.
Der Compound des Provincial Advisory Teams liegt mitten im Ort an der Hauptstraße. Es ist wie ein Zurück zu den PRTs der 1. Generation in Kunduz und Feyzabad, die auch mitten im Ort lagen, Nachbarn hatten und unkompliziert erreichbar waren. Dicht an den Leuten eben. Das PAT ist seit dem 23. Februar in Betrieb und wird seit April von OTL Carl Peters geführt. Wir sind die ersten Abgeordneten hier. Als Mini-PRT sollte das PAT in der 1. Phase 25 Personen incl. AA, BMZ + BMI umfassen, die in der 2. Phase in der 2. Jahreshälfte auf 40 aufwachsen sollen. Der Aufwuchs läuft verzögert: Die AA-Stelle war anfangs zweimal 8 Wochen besetzt und ist bis September vakant, dann ist ein AA-Vertreter für 3 Monate in Aussicht mit Verlängerungsoption; BMZ + BMI sind gar nicht vor Ort. Also muss Taloqan von Kunduz mit betreut werden. Dadurch ist die Reaktionsfähigkeit eingeschränkt, kann die Nähe zu den Menschen nicht entsprechend genutzt werden. So werden Chancen verspielt. Dass die Bundeswehr hier 11 Feldjäger für die Polizeiausbildung stellt, ist vor diesem Hintergrund umso höher zu bewerten.
Das PAT arbeitet und lebt in einem zweistöckigen Gebäude mit einigen Containern drum herum. Es ist was von Arbeits- und Wohngemeinschaft in einem. Von den 27 Soldaten zzt. kommen über 20 immer wieder raus. Das ist eine ungewöhnliche Relation. Trotzdem ist der geplante Kräfteansatz deutlich zu schwach für eine Provinz von der Größe Hessens und mit 2 Mio. Einwohnern. Soll das PAT ernsthaft in die Fläche wirken können, dann muss hier deutlich nachgesteuert werden. Die Rede ist von 70-90 Soldaten insgesamt. Ein Ortskundiger: „Wenn wir Erfolg haben wollen, dann reicht das Bisherige hinten und vorne nicht aus."
Beim Abschied erinnere ich an einen früheren Carl Peters, den berüchtigten deutschen Kolonialisten aus dem 19. Jahrhundert. Gegenüber dem sehr drahtigen, klaren + gewinnenden Offizier drücke ich meine Freude aus, endlich mal einen anderen, vorbildlichen Carl Peters getroffen zu haben.
Patrouille über das Plateau:
Ich habe ausdrücklich die Teilnahme an einer Patrouille gewünscht, weil ich als Verantwortlicher im Verteidigungsausschuss die Herausforderung für die Soldaten „draußen" nicht nur indirekt per Briefing erfahren, sondern zumindest ansatzweise mit erleben will. Voraus fahren Fallschirmjäger vom FSchJ-Btl 263 in Zweibrücken auf offenen Wölfen. Jenseits des Flugfelds beginnt eine Staubsandpiste, die kaum mehr als 20/km/h erlaubt. Die Fahrzeuge ziehen eine regelrechte Staubwand hinter sich her. Am Observation Point Berlin am Nordrand des Plateaus geht der Blick frei auf die Ebene, durch die sich in West-Ost-Richtung die Straße nach Taloqan (LOC Taurus) zieht.
In wenigen km Entfernung liegen Stellen, von denen ab und zu Raketen abgeschossen werden. Sie heißen deshalb „Raketenhügel" oder „Raketendorf xy". In südöstlicher Richtung ist der Rand einer zweiten Plateaustufe zu sehen. Von den dortigen ehemaligen sowjetischen Stellungen kommen auch mal Raketen. Vorbei immer wieder an zerstörtem sowjetischen Kriegsgerät durch einen Wadi zum OP Florenz am Westrand des Plateaus. Von hier Blick auf die Straße nach (LOC Pluto), die Zubringerallee zum PRT und die Schleife des Kunduz-Flusses. Jenseits liegt der Distrikt Chahar Darreh, der seit einiger Zeit besondere Probleme macht.
In dieser übersichtlich erscheinenden Landschaft steckt der Teufel im Detail: Denn durch diese „norddeutsche Knicklandschaft" der Gräben, Baum- und Buschreihen gehen nur schlechte Wege, wo ein Dingo oft kaum noch durchkommt und ein Wolf auch mal umkippen kann. Hinzu kommt, dass in der Dunkelheit viele unterwegs sind, an den Bewässerungsgräben arbeiten oder draußen schlafen. Hunde in jedem Gehöft verhindern ein Einsickern von Aufklärern. Unter diesen Bedingungen ist es ausgesprochen schwierig, Angreifer zu identifizieren oder gar zu fassen. Sie zu verfolgen, geht zudem mit einem erhöhten IED-Risiko einher. Auch Aufklärungsdrohnen bringen da nicht letzte Sicherheiten. Wenn manche Strategen in Deutschland den Einsatz von schweren Waffen fordern, dann wären damit Zivilopfer und eine Konflikteskalation vorprogrammiert.
Ein Fallschirmjäger-Offiziere meint, die Männer seien hier um Jahre gealtert und ernster geworden. Das andauernde Anschlagsrisiko draußen bleibt nicht in den Kleidern hängen. Vielleicht war in der Patrouille der Hauptfeldwebel Mischa M. dabei, der am 27. August durch einen IED-Anschlag am Kunduz-Fluss umgebracht wurde.
Gegen 20.00 Uhr endet abrupt unser Abschiedsessen im gemütlich erscheinenden Atrium vom Stab 1. Nach zwei ruhigen Nächten ist wieder Raketenalarm. Kurz vorher hat es einen Beschuss Richtung ANA-Camp gegeben. In der Dunkelheit beginnt eine ruhige Betriebigkeit. Wir werden zu unseren Unterkünften gebracht und haben die Schutzwesten anzulegen. Nach ca. einer Stunde wird der Alarm wieder aufgehoben. Am nächsten Morgen könnte man in den Unterkünften mit ihrem sonnendurchfluteten Atrium, dem gehegten Blumengärtchen und den behängten Wäscheleinen meinen, man wäre in einem „Bad Kunduz". Im Esssaal verschwindet dieser Eindruck wieder schnell. Hier sitzen wir unter den Einschusslöchern einer Granate, die hier vor Monaten - zum Glück ohne Explosion und Personenschäden - niederging.
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Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: