Vom 8.-11. August besuchte ich Kabul. Zweck der Reise im Umfeld der ISAF-Kommandoübergabe vom Deutsch-Niederländischen Korps an die NATO war, über die Siebenstunden-Stippvisite einer Ministerdelegation hinaus der Akutfrage nachzugehen, wieweit ein erweitertes internationales zivil-polizeilich-militärisches Engagement in AFG notwendig und verantwortbar ist. Massiv gefordert worden war das zeitgleich vom VN-Under-Sectretary-General Guehenno in seinem Bericht in der Offenen Sitzung des VN-SR am 16./17. Juni sowie dem 'Call for Security' von 85 internationalen NGO`s am 17. Juni.
Auf dem Programm standen u.a. Gespräche mit dem bisherigen ISAF-Kommandeur Generalleutnant van Heyst aus Münster sowie seinem Nachfolger Generalleutnant Gliemeroth, dem dt. Ständigen Vertreter Dr. Lotz, dem Leiter Sonderstab AFG im AA, der Referentin der Botschaft für Zivilgesellschaft und Frauen, Claudia Schütt, bei Medica Mondiale, mit drei Expertinnen der gtz, mit US-General Eikenberry, Innenminister Jalali und Staatspräsiden Karzai, Briefing beim Kommandeur des deutschen Kontingents, Oberst Retzer, Führung durch das Feldlager „Camp Warehouse", Teilnahme an einer Patrouille im 5. Polizeidistrikt und Gespräch mit Soldaten des Einsatzverbandes, Besuch des Projektbüros Polizei mit Besichtigung der Polizeiakademie, des künftigen „LKA" und des Rauschgifthauses.
(1) Angesichts aktueller Forderungen nach Konzept und Perspektive für die internationale AFG-Politik ist daran zu erinnern, dass mit dem Petersberg-Abkommen/Bonn-Prozess seit Dezember 2001 und ergänzt durch die Folgekonferenz vom Dez. 2002 zumindest ein konzeptionelles Gerüst vorliegt. Nächste Schritte im sukzessiven Staatsaufbau sind nach Bildung der Übergangsregierung die verfassungsgebende Loya Jirga im Oktober sowie die Wahlen im Juni 2004. Die Internationale Gemeinschaft (I.G.) soll „die neuen afg Behörden bei Ausbildung und Aufbau afg Sicherheits- und Streitkräfte unterstützen". Da das einige Zeit benötige, möge der VN-Sicherheitsrat eine Truppe mit Mandat entsenden, die dazu „beitragen solle, die Sicherheit in Kabul und den umgebenden Gebieten zu gewährleisten. Diese Truppe könnte gegebenenfalls nach und nach auch in anderen Städten und anderen Gebieten eingesetzt werden." (Petersberg-Abkommen) Die I.G. verfolgt hier im Unterschied zum Kosovo einen „light-footprint"-Ansatz. In Petersberg II wurden weitere Abmachungen getroffen zur Reform des Sicherheitssektors (Aufbau von Armee, Polizei, Justiz, Entwaffnung, Drogenbekämpfung).
(2) Zwanzig Monate nach der ersten Petersberg-Konferenz ist die Zwischenbilanz ambivalent. Auf den Straßen Kabuls und vor den Kulissen exzessiver Zerstörungen ist zu spüren, was es bedeutet, dass der langjährige Krieg gestoppt und die Taliban-Diktatur gestürzt wurde. In einem Viertel reiht sich Baustelle an Baustelle. Vielerorts werden Massen an Bauholz verkauft. Nach Ende der Dürre erzielte AFG die beste Getreideernte seit Jahrzehnten. Zugleich sind die Probleme gigantisch. Die politische Macht ist zersplittert und oft in der Hand korrupter und großkrimineller Männer. Der Drogenanbau boomt, die Entwaffnung (Demilitarisierung, Demobilisierung, Reinintegration/DDR) ist trotz aller Beschlüsse noch immer nicht angelaufen. Während die Sicherheitslage in Kabul einigermaßen im Griff, aber fragil ist, kann davon vor allem in östlichen und südlichen Provinzen keine Rede sein. Die Sicherheitslage in den Provinzen ist sehr uneinheitlich. Ein Drittel des Landes ist für die VN nicht erreichbar. Der Gesamttrend wird sehr unterschiedlich beurteilt („gleich bleibend" bis „deutlich verschlechtert"). Die Negativeinschätzungen überwiegen. (VN-USG-Bericht und NGO-Aufruf vom 17. Juni, Halbjahresbericht BMVg)
Das erhoffte Maximalziel, Kabul werde ausstrahlen und eine landesweite positive Dynamik in Gang setzen, hat sich so nicht bestätigt. Deshalb den Bonn-Prozess für gescheitert zu erklären, verkennt die extrem schwierigen Ausgangsbedingungen und ist Ausdruck einer völlig überzogenen westlichen Erwartungshaltung und Kurzatmigkeit.
(3) Die verfassungsgebende Loya Jirga im Oktober und vor allem die Wahlen im Juni 2004 sind Schlüsselereignisse für die weitere Entwicklung AFG`s. Bei bloßer Fortsetzung des status quo ist das Scheitern der Wahlen wie auch die Zuspitzung der Sicherheitslage mit Rückwirkungen auf Kabul vorprogrammiert. Die internationale Gemeinschaft steht jetzt an einem strategischen Scheideweg ihrer AFG-Politik. Statt AFG im Schatten des Irak latent zu vernachlässigen, muss sie ihre Stabilisierungsunterstützung ausweiten, verstärken und beschleunigen. Es gilt „nicht kleckern, sondern klotzen!"
(4) Sicherheit und Wiederaufbau bedingen sich gegenseitig. Kein Aufbau ohne einigermaßen Sicherheit. Keine Sicherheit ohne sichtbare Aufbauleistungen.
Bei der Reform des Sicherheitssektors sind Polizeiaufbau und Entwaffnung kurzfristig von größter Bedeutung. Armee- und Justizaufbau sowie Drogenbekämpfung brauchen mehr Zeit.
Für Entwaffnung und Polizeiaufbau muss die I.G. Druck machen und deutlich mehr Ressourcen und Personal zur Verfügung stellen. Für DEU als Lead-Nation im Polizeiaufbau heißt das: Schnelle und deutliche Aufstockung der dt. Beratergruppe (bisher 17 BeamtInnen), damit auch in den Provinzen die Ausbildung voran gebracht werden kann. Politische Widerstände (manche Bundesländer sperren sich gegen AFG-Einsätze ihrer Beamten!) müssen überwunden und Anreize für genügend freiwillige Meldungen geschaffen werden. Im Polizeisektor kann mit relativ geringen Investitionen ein hoher Sicherheitsgewinn erzielt werden.
Zugleich braucht eine Drogenbekämpfung, die wirksam sein soll, eine Strategie. Wo Bauern in existentieller Abhängigkeit vom Opiumanbau sind, wo die größten Drogenhändler zugleich politische, militärische und polizeiliche Machthaber sind, da bleibt Drogenbekämpfung sonst ein äußerst gefährlicher Kampf gegen Windmühlenflügel.
(5) Die Provinzen brauchen große und sichtbare Aufbauprojekte, vor allem in der Verkehrsinfrastruktur und im Gesundheitswesen. Straßen und Krankenhäuser sind das erste.
(6) Um landesweit Stabilität zu fördern, die Autorität der Zentralregierung zu stärken und den Wiederaufbau voranzubringen, wäre eine Ausweitung von ISAF a la Kabul der beste Weg („ISAF-Inseln"). Das wird seit langem von Brahimi, Karzai, seit dem 17. Juni auch von 85 internationalen NGO`s gefordert. Nach Schätzungen des ISAF-Kommandeurs wären dafür mindestens 10.000 zusätzliche Soldaten notwendig. Die I.G. ist dazu in keiner Weise bereit. Schon die Ablösung von ISAF III durch ISAF IV machte größte Probleme. Irak wirkt als Konkurrenz. Die ISAF-Ausweitung kann mit guten Gründen gefordert werden. Kurzfristig ist sie aber keine realistische Option.
(7) „Zweitbeste" bzw. „schlechteste, aber machbare" Lösung sind die von den USA seit Herbst 2002 entwickelten Provincial Reconstruction Teams (PRT). Der VN-Sicherheitsrat hat am 17. Juni den Aufbau von PRT`s ausdrücklich begrüßt. Geplant sind PRT für acht Hauptorte in den Provinzen parallel zu den dortigen UNAMA-Niederlassungen und dort jeweils für die umgebenden ca. fünf Provinzen zuständig. Installiert wurden bisher vier ( US in Gardez, Kunduz und Bamian, GB in Mazar-i-Sharif). Ihre Dreifach-Aufgabe (Stabilität, Stärkung Zentralregierung, Wiederaufbau) und Zusammensetzung ist je nach Provinz unterschiedlich gewichtet. Die Gesamtstärken liegen bisher zwischen 70 und 140 Mitarbeitern, die militärische Komponente umfasst 60-100 Soldaten, davon ein großer CIMIC-Anteil.
Die PRT bringen internationale Präsenz in die Provinzen, wirken als robuste internationale Beobachter, stehen in ständigem Kontakt mit den wesentlichen Akteuren, fördern Wiederaufbau und können Druck auf lokale Führer ausüben. Wie ISAF haben sie aber kein eigenes Erzwingungsmandat. An die PRT können Elemente der Sicherheitssektorreform, vor allem Polizeiaufbau, angegliedert werden. PRT bilden Stabilisierungsinseln, in deren Windschatten humanitäre und NGO`s unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit arbeiten können. Das PRT-Konzept ist flexibel und kann von der jeweils verantwortlichen Nation offen gestaltet werden.
Wenn die PRT schon eine Minimallösung sind, dann müssen sie zumindest ernsthaft und mit vollem Einsatz betrieben werden. DEU muss ein wirklich handlungsfähiges PRT aufbauen. Die Übernahme eines PRT bloß als Alibihandlung wäre unverantwortlich.
Der dt. Rolle in AFG angemessen ist die Übernahme eines zivil-militärischen PRT in einer mittelschweren Region (z.B. Kundus) und der Aufbau eines rein zivilen Zentrums (erweitertes Generalkonsulat) in Herat. An beidem könnten sich andere europäische Partner beteiligen. Nachdem das DEU Kontingent mit Abgabe der Lead-Rolle um 800 Soldaten reduziert wurde, besteht zumindest quantitativ Spielraum für die Bereitstellung von einigen hundert Soldaten.
Wegen der Auftragsähnlichkeit, besseren Akzeptanz und multinationalen Führung/Koordina-tion sollten die PRT auf Basis eines erweiterten ISAF-Mandates und nicht um Rahmen von Enduring Freedom arbeiten. Die Evakuierungskapazität würde aber wie bei ISAF von E.F. gestellt.
Die Signale hierfür in New York, Washington und Bagram sind positiv.
PRT müssen sorgfältig vorbereitet und aufgebaut werden. Der bevorstehende Wahlprozess gebietet aber Zügigkeit dabei. Deshalb dürfen Entscheidungen nicht erst im Winter und nach einer Konferenz gefällt werden. Damit würde äußerst knappe Zeit verspielt.
(8) Zum Jahresende ist eine Petersberg-III-Konferenz notwendig. Nach zwei Jahren ist eine Zwischenbilanz der bisherigen Fortschritte und Defizite, eine Weiterentwicklung des Stabilisierungskonzeptes und eine Neumobilisierung der I.G. überfällig. (Die Zusagen der Staaten reichen in der Regel bis 2004/5.)
(9) Die Bundesrepublik Deutschland steht für AFG in besonderer Verantwortung: Sie gab wesentliche Anstöße zum Bonn-Prozess, hat eine führende und besonders verlässliche Rolle bei ISAF und Polizeiaufbau und leistet vorbildliche Beiträge zum Minenräumen, humanitärer Hilfe, Förderung des Bildungswesens und der Zivilgesellschaft. Das überaus hohe Ansehen der Deutschen in AFG geht mit besonders hohen Erwartungen gegenüber der Bundesrepublik einher. Diese besondere Verantwortung lässt sich nur mit einer Konzentration - und Verstärkung - der begrenzten politischen, militärischen, polizeilichen und zivilen Kräfte erreichen. Ein umfassendes Irak-Engagement würde dem zuwider laufen.
Die Erfahrung gerade der diplomatischen, zivilen und polizeilichen Kapazitätsgrenzen der Bundesrepublik unterstreicht die Bedeutung des „Aktionsplans Krisenprävention", der zzt. erarbeitet wird und mit dem die nichtmilitärischen Fähigkeiten systematisch gestärkt werden sollen.
(10) Rückzug ist immer eine mitzudenkende Option. In der jetzigen Situation wäre ein Rückzug der Gipfel an Verantwortungslosigkeit und verheerend. Der Ausstieg DEU`s als dem verlässlichsten Partner AFG`s hätte eine Kettenreaktion bei anderen Ländern zur Folge und würde die Stabilisierungsbemühungen der I.G. de facto abbrechen. Die große Mehrheit der kriegsmüden Afghanen würde den Taliban, Al Qaida, Hekmatyar und anderen Warlords überlassen. AFG könnte wieder zum Ausbildungs- und Exportland des internationalen Terrorismus werden. Ein Rückzug würde die Bundesrepublik in eine Reihe mit den schlimmsten VN-Gegnern in der Bush-Regierung stellen und wäre der Bruch mit allen Prinzipien einer Außenpolitik der Kriegsverhütung und globalen Mitverantwortung.
ISAF ist im Unterschied zur Protektorats-Streitkraft KFOR ausdrücklich nur eine Assistance-Force, wo die Hauptverantwortung für Sicherheit, Entwaffnung etc. bei den afghanischen Stellen (Regierung, Polizei) liegt - unabhängig von ihrer Schwäche, Widersprüchlichkeit, partiellen Korruptheit. („second row approach")
An ISAF III mit insgesamt 5.369 Soldaten waren 29 Nationen beteiligt, davon DEU mit 2.290, NL 572, FR 503, IT 270, TÜR 112 ... Die Kabul Multinational Brigade (KMNB) stand bisher unter DEU Kommando und bestand aus zwei dt., einer frz. Battlegroup/Einsatzver-band. Die dt.BG bestand aus acht Zügen. Ein Zug ist jeweils einem Polizeidistrikt zugeordnet. Zusammen mit afg Polizisten werden pro Tag 80-100 Patrouillen durchgeführt, die Hälfte davon nachts. Der dt. CIMIC-Anteil umfasst ca. 100 Soldaten.
Die allgemeinen Rules of Engagement sind durch nationale Vorbehalte weiter eingegrenzt, z.B. Einsatz der türk. Kompanie ausschließlich im 1. Polizeidistrikt, Kommandeur-Vorbehalt bei Einsatz von mehr als Handfeuerwaffen, kein CS-Gas (D).
Das Kommando über die KMNB ist am 11. Juli auf CAN übergegangen. Das dt. Kontingent sank um 800 auf knapp 1.500, davon 668 in der KMNB, 100 (bisher 200) im ISAF-Head-quarter, 220 (440) Kabul International Airport.
Die Force Regeneration (Rekrutierung der Ablösekräfte) machte erhebliche Probleme: NL wie TSCH ziehen ganz aus AFG zugunsten Irak ab, auch GB hat deshalb Ablöseprobleme. DEU hält über ursprünglichen Termin hinaus Kräfte für den Betrieb von KIA.
Feldlager Camp Warehouse an der Ausfallstraße nach Jalalabad. In den frühen Morgenstunden ist der Himmel noch strahlend blau, die Luft klar und frisch, ringsum die Berge des Hindukusch. Nach Westen steht aber schon die graue Staubglocke über Kabul. Über die Schotterwege laufen Jogger - und kehren staubbedeckte offene Jeeps von der Nachtpatrouille zurück. Schon meine drei Tage und Nächte im Camp lassen mich die strapaziösen Lebens- und Arbeitsbedingungen nachempfinden: die Hitze, der Staub, die Enge, die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, die Dauerbelastung einer Siebentagewoche, wo nur sonntags später aufgestanden werden kann.
Das Camp war ursprünglich für 1.200 Soldaten geplant, war dann mit 2.600, schließlich 1.600 belegt. Folge war ein ständiges Improvisieren, An- und Umbauen. Der improvisierte Feldlageraufbau führt zu erschwerten Arbeits- und Lebensbedingungen und letztendlich höheren Kosten. Über die Schotterstraßen und -wege können sich die alltäglichen Staubwinde und -stürme besonders leicht ausbreiten. Hochwertiges technisches Gerät z.B. im Feldlazarett ist nur begrenzt gegen den Staub abschirmbar. Dass es anders geht, zeigen jetzt gerade die kanad. Streitkräfte: Die faktische Lead-Nation von ISAF IV legt binnen einiger Wochen planmäßig ein Lager aus „einem Guss" an, in dem dann das Kontingent untergebracht wird. CAN hat eine Stehzeit von einem Jahr angekündigt. DEU geht bisher nicht so vor, weil Mittel nur für die Laufzeit des Mandates zugewiesen werden und keine Mittel für längerfristige Vorhaben zur Verfügung stehen.
Die ersten Kontinente waren alle in Zelten untergebracht. Inzwischen stehen zwölf „Feldhäuser" zur Verfügung. Die Soldaten sind voll des Lobes über die Fertighäuser für 96 Soldaten und die zugehörigen Funktionsräume. Auf einer Stube liegen vier Mannschaftsdienstgrade. Die Hitze wird möglichst mit Totalverdunkelung und Klimaanlagen rausgehalten.
Dt. Feldlazarett mit Notaufnahme, Ambulanz, OP, dem einzigen Computertomographen in Kabul, Bettenstation, Intensivbetten, Telemedizin, Labor, Veterinärmedizinern etc. Ständig fallen Notfälle an, von Verkehrsunfällen bis zu Minen- und Anschlagsopfern. Betreut werden hier mit politischer Absicht afghanische Prominente, aber auch Normalbürger. Binnen weniger Minuten ist das multinationale Personal einsatzbereit. Ausgezeichnet lief diese Zusammenarbeit, als am 7. Juni 24 zum Teil schwerst Verletzte versorgt werden mussten.
Das Feldlazarett verschafft der Bundeswehr, den Deutschen in Kabul höchsten politischen Gewinn.
Patrouille mit dem Alpha-Zug der GE BG West (Dt. Einsatzverband West), die aus einer türkischen und einer dt. Kompanie besteht. Die dt Kp umfasst 94 Soldaten, von denen 80 Einsatzsoldaten sind. Die Soldaten stammen alle aus dem PzGrenBtl 152 (7. PzDiv.) in Schwarzenborn/Hessen unter Oberstleutnant Remus und sind seit dem 23. Juni in Kabul. Der Alpha-Zug ist dem 5. Polizeidistrikt zugeordnet, dessen Polizeichef vor drei Wochen ermordet wurde.
Auftrag: Präsenz zeigen, Informationsgewinnung, sechstägige Kurzausbildung für Polizisten.
Grundsätze: Assistance-Rolle, täglich (wenn möglich mit afg Polizisten) und ca. 50% nachts, offen, bestimmt und höflich/"wave and smile" (Frauen tabu), keine Versprechen und keine Geschenke, stets mit Sprachmittlern
In der Art der Patrouillen gibt es Unterschiede zwischen den Nationen. CAN patrouilliert mit Helm, die dt. Soldaten tragen Tropenhut, legen Wert auf Fußpatrouillen und Gesprächskontakte. Probleme macht aber manchmal die „2. Reihe", wenn man sich z.B. bei einem zu kontrollierenden verdunkelten Pick up sicher ist, dass er Waffen oder Drogen transportiert, die begleitenden afg Polizisten aber mit Verweis auf den „vertrauenswürdigen" Besitzer durchwinken.
Befehlsausgabe in der Operationszentrale. Die Threat Warnings Liste umfasst 14 Anschlagswarnungen seit dem 4. Juni. Die Ernsthaftigkeit der Warnungen ist schwer zu beurteilen - manchmal sollen sie auch vom afg Geheimdienstquellen lanciert sein.
Die Patrouille umfasst zehn Soldaten mit zwei offenen Wolf-Jeeps und zwei geschützen Dingos und wird von einem Leutnant geführt. Der Dingo fasst fünf Soldaten, schütz t gegen Schusswaffen und Minen und erlaubt gegenseitigen Sichtkontakt. Vor dem Beifahrersitz befindet sich der große Monitor des taktischen Führungssystems FAUST, das den jeweiligen aktuellen Kartenausschnitt des Einsatzraumes und den eigenen Standort zeigt. Auf der fast einstündigen Fahrt zum 5. Polizeidistrikt im Westen wird erst auf der Jalalabad-Route immer die Anschlagsstelle vom 7.Juni passiert. Dann geht es durch ein Viertel, das bis zu hundert Prozent zerstört ist und wo Mauerreste wie Zahnstümpfe aus dem Trümmermeer hervorragen. Der Verkehr ist dicht, chaotisch, unberechenbar. Der größte Teil sind gelbe Taxen. Die Fahrzeuge aller Arten sind meist überladen.
Anlaufpunkt ist die Polizeiwache des Distrikts, wo ca. hundert afghanische Polizisten auf 70.000 Einwohner kommen. Nach dem Mord von vor drei Wochen steht hier rund um die Uhr ein Dingo mit zwei dt. Soldaten. Das Büro des neuen Polizeichefs ist voller Plastikblumen.
Bei der folgenden Fußpatrouille bilden zwei afg Polizisten Hand in Hand die Spitze. Die folgenden dt. Soldaten sichern rundum und verhalten sich zugleich offen für Kontakte. Auf ihr aktives Lächeln, Grüßen und Winken antworten Jüngere durchweg freundlich bis herzlich, Ältere freundlich bis verhalten. Ab „Romeo-Kreisel" geht es durch quirlige Menschenmassen.
Auf dieser Patrouille erlebe ich leibhaftig die Stärke von ISAF: Mit 80 Soldaten auf eine Million Einwohner im Verantwortungsbereich der BG West wäre sie als feindlich empfundene Besatzungstruppe völlig chancenlos. ISAF kann nur frei agieren und wirken, weil sie eine hoch angesehene Unterstützungs- und Stabilisierungstruppe ist. Nach Umfragen begrüßen 98% der Kabuler Bevölkerung die ISAF-Präsenz.
Das gilt in besonderer Weise für das dt. Kontingent. Noch nie habe eine Patrouille gemeldet, dass sie in Gefahr geraten sei - so ein hoher Offizier. Mit Zulieferung der neuen, der US-Uniform ähnelnden Tropenuniform führte die Bundeswehr eine Kampagne zur besseren Unterscheidung von dt. und US-Uniform durch.
Hier ist der schon auf dem Balkan bewährte OTL Grönhagen die besonders kreative Kraft. Neben Plakaten, Flugblättern und ISAF-News (Zeitung mit der größten Auflage in Kabul) ist Hauptmedium der Sender „Sada-e-Asadi/Stimme der Freiheit", der 24 Stunden im Großraum Kabul sendet. Neben stündlichen Nachrichten, regelmäßigen Gruß- und Hörersendungen wird afg und europäische Musik ausgestrahlt. Nach BBC soll das Radio der zweitbeliebteste Sender sein. Er ließ den Absatz von Radios deutlich ansteigen und von Kassetten zurückgehen. Die Hörerbindung ist enorm: Von 20.000 verteilten Karten kamen 16.000 zurück. Beim Sender arbeiten etliche AfghanInnen. Er wird massiv vom AA unterstützt und soll demnächst privatisiert werden.
Beim Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern wird die Erinnerung an die sowjetischen Streitkräfte mitbedacht. Anlässlich verstärkter Hubschrauberflüge wurde eine Informationskampagne durchgeführt. Panzer werden auch wegen dieser noch wachen Assoziationen ausdrücklich nicht eingesetzt.
Zum Schulbeginn am 22. März führte OpInfo eine Kampagne für den Schulbesuch von Mädchen durch. Während der Irak-Krise startete man eine Anti-Gewalt-Kampagne, bei der die weiße Friedensschleife mit grünem ISAF-Sticker sowie Drachen mit afghanischen, ISAF- und Friedensfarben und -symbolen verbreitet wurden. Kinder bekamen für Spielzeugwaffen Schulhefte und Bleistift.
Am Tag des Kommandowechsels sehe ich an den Straßensperren zwei besondere dt. Dingos: Die Soldaten haben ihnen „Einstein" und „Pythagoras" auf den Stahl gepinselt.
Die Ausstattung mit (teil-)gepanzerten und geschützten Fahrzeugen und der Fahrzeug-Mix auf der Straße wird allgemein als ausreichend gewertet. Allerdings habe man für den Schlimmstfall einer Evakuierung unter feindlichen Bedingungen nichts in der Hinterhand, z.B. Marder. Hier ist man völlig auf die US-Streitkräfte angewiesen.
Dass auch Transport-Füchse keinen absoluten Schutz gegen Terroranschläge bieten, zeigen mehrere Situationen am Hochsicherheitstag des Kommandowechsels: Die Fuchs-Kolonne muss immer wieder Taxen, Lkw`s und auch mal einen Tanklastzug überholen.
Allgemein versuchen Militärfahrzeuge und Internationale Anschlagsrisiken durch offensive und schnelle Fahrweise (eingebaute Vorfahrt) zu reduzieren. Das führte inzwischen zu einer Zunahme von Unfällen.
Gegenüber den PRT-Überlegungen äußert kein Soldat Ablehnung. Nach dem Grundsatz „ganz oder gar nicht" wird eine gewisse Ausweitung eher als Konsequenz aus der ISAF-Präsenz gewertet.
Ein besonderes Sicherheitsrisiko sind die lokalen Arbeitskräfte. Im Camp Warehouse arbeiten ca. 120 lokale Sprachmittler und 150 Arbeiter. Ihre Überprüfung erfolgt durch einzelne MAD-Mitarbeiter. Der MAD als Organisation darf lt. MAD-Gesetz bisher nur im Inland arbeiten.
Zur Sicherheitslage ergeben sich unterschiedliche Darstellungen und Wahrnehmungen.
In Kabul hat sich lt. General van Heyst die Lage in den letzten Monaten verbessert. Durch vorgeschobene Überwachungen im Osten und Süden habe man die bis Ende März monatlichen Raketenbeschüsse gestoppt. Inzwischen werden vermehrt Anschlagsversuche mit z.T. ferngesteuerten Sprengvorrichtungen registriert. Ein Schwachpunkt ist die Durchlässigkeit der Grenze zu Pakistan, wo die Stammesgebiete als Rückzugs- und Ausbildungsraum für gegnerische Gruppen dienen. Diese bekämen weiterhin Unterstützung aus dem pakistanischen Geheimdienst.
Die Bundeswehr achtet - weil als Militär auch mehr im „Visier" - viel stärker auf Sicherheit als internationale Zivilisten oder Polizisten. Während ich bei der Bundeswehr draußen immer Schutzweste tragen muss und bei der Patrouille von Militärpolizisten mit Schnellfeuergewehren abgeschirmt werde, gibt es bei Fahrten mit Botschaft und Polizei keinen Extra-Schutz. Verständlicherweise extrem sind die Sicherheitsvorkehrungen vor und während der Kommandoübergabe, wo die Umgebung der Armani-Schule tatsächlich zur Festung ausgebaut ist, wo die Delegation nur mit Fuchs-Transportpanzern zwischen Flughafen, Schule und Warehouse pendelt. Ein solcher Hochsicherheitstag kann zusammen mit einem Sicherheits-Briefing über die Anschläge der letzten Monate bei Kurzzeitbesuchern den Eindruck erwecken, als sei Kabul = Bagdad und im latenten Kriegszustand.
Zur unterschiedlichen Sicherheitswahrnehmung gehört, dass dt. Expertinnen ohne militärischen Schutz sogar außerhalb Kabuls arbeiten, dass ein dt. VN-Mitarbeiter mit langjähriger AFG-Erfahrung die Sicherheitslage gelassener und weniger dramatisch bewertet.
US-Position: Im Unterschied zu vor einigen Monaten, wo über einen baldigen Abzug der USA gemunkelt wurde, hat AFG inzwischen für die US-Regierung wieder hohe Priorität. Gerade im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen will man auch in AFG den Erfolg. Und dafür wird gepowert. Eine Mrd. US-$ (nach jüngsten Meldungen 1,8 Mrd.) wurden für AFG zur Verfügung gestellt, davon angeblich 250 Mio. für den Polizeiaufbau. Tausend Ausbilder sollen beim Aufbau der afg. Armee ANA helfen. Der Befehlshaber der US-Enduring-Freedom-Streitkräfte (Combined Joint Task Force 180) siedelt vom HQ Bagram nach Kabul in die US-Botschaft über und wird dadurch in die politischen Strukturen integriert.
Gerne sähe man eine stärkere dt. Beteiligung am ANA-Aufbau und der Restrukturierung des Verteidigungsministeriums.
Bei den PRT habe man in der Vergangenheit Fehler gemacht. PRT-Aufgabe sei internationale Präsenz, Kontakt und Druck gegenüber lokalen Führern, Koordinierung der verschieden Aktivitäten. Dabei sei der schnelle Polizeiaufbau wichtiger für die Innere Sicherheit als der der Armee. Am PRT-Ort Gardez seien inzwischen ein sehr inkompetenter Gouverneur und korrupte Militär- und Polizeikommandeure durch seriöse Personen abgelöst worden. (Anm.: Um solche Herren nicht den Feinden der Zentralregierung und I.G. zuzutreiben, muss ihnen aber meist ein anderer Posten geboten werden.) DEU sei weitgehend frei hinsichtlich PRT-Ort, Struktur etc.. Sowohl ein rein ziviles PRT („Deutsches Haus") in Herat würde begrüßt wie auch ein gemischtes PRT in Kunduz oder Jalalabad. Charikar werde als zu wenig für DEU angesehen.
Wer auf absehbare Zeit ISAF abziehen will, muss alles für den Sicherheitssektor tun.
Bei den Wahlen im nächsten Juni brauchen 25.000 Wahlhelfer Schutz. Einigermaßen fairer Wahlverlauf ist nur mit Sicherheit auch in den Provinzen gewährleistet. „Wer den Bonn-Prozess fortführen will, muss Wahlen durchführen und akzeptable Sicherheit schaffen."
Dafür gibt es drei Optionen:
Anmerkung: Die NATO errechnete für drei Varianten einer ISAF-Ausweitung einen Kräftemehrbedarf von 5.000, 30.000 und 60.000 Soldaten
Die bisherigen US-PRT`s sind in der Startphase mehr militärisch, in der zweiten Phase mehr zivil-politisch orientiert. Das PRT Gardez ist wie ein Fort angelegt und hat 120 Soldaten, fünf Zivilisten. Das PRT Bamian liegt im Hochland, ist kleiner, hat eine stärker zivile Komponente und wird von Neuseeland übernommen. Das PRT Kunduz ist das kleinste mit 40 Soldaten (überwiegend Support) und Vertretern von State Departement und US-Aid.
Es war nie geplant, dass NGO`s in PRT arbeiten sollten. NGO`s sollen viel mehr im Schatten der PRT arbeiten können.
Zwei der drei Kernaufgaben (Stabilisierung und Unterstützung der Zentralregierung) stehen dort massiv im Konflikt, wo Provinzstabilität aus den Gewehrläufen von Warlords kommt.
Erste Voraussetzung für PRT ist die grundsätzliche Zustimmung lokaler Machthaber. Bei der Standortwahl und Ausstattung der PRT sind Versorgungs- und Rettungsketten zu berücksichtigen. Für die Breitenakzeptanz ist die klare Unterscheidbarkeit von Enduring Freedom und die Anbindung an ISAF von zentraler Bedeutung.
Botschaft: Zum Verfassungsprozess laufen erste Konsultationen in den Provinzen. Insgesamt soll der Diskussionsprozess wegen zentrifugaler Risiken möglichst kurz gehalten werden. Strittig sind noch die Rollen von Präsident und Ministerpräsident, die Parität der Volksgruppen, das föderale Element und die Rolle des Islam. Zugleich beginnt in den nächsten Monaten die Wählerregistrierung durch UNAMA, die bei Null anfangen muss. Bei den Paschtunen herrscht Verweigerungshaltung gegen die Registrierung von Frauen. Der Wahlmodus ist noch nicht geklärt. Eine kulturell angepasste Informationskampagne hat sich gut angelassen.
Schwerpunkte der Botschaft sind: Unterstützung des Bonn-Prozesses, Lead-Rolle im Sicherheitsbereich, Unterstützung des Wiederaufbaus. Hierzu kommen vom AA und BMZ je 30 Mio. €, mit EU- usw. Anteilen insgesamt 80 Mio. €. Von Dezember 2001 bis Dez. 2002 wandte DEU insgesamt eine knappe Mrd. € für AFG auf.
Auf die Frage, ob das Geld reiche, wird zwischen Bedarf und Absorptionsfähigkeit unterschieden. Mit dt. Geld könne man Anstöße geben. Mehr Mittel brauche man für die Polizei. Und für die richtig großen Projekte wie Straßenbau habe DEU kein Geld. Die EU schaffte es bisher nicht, die hierfür bewilligten Gelder auch umzusetzen. Auf dem Land gibt es keine Telefonverbindungen und nur schlechteste Straßenverbindungen. Die Menschen müssen sehen und spüren, dass sich was tut. Insofern sei es schon richtig, dass die USA jetzt im Hinblick auf die Wahlen klotzen. Das darf dann nur nicht abbrechen.
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit/gtz: Dr. Monika Klinger und Dr. Citta Maaß (swp) arbeiten an dem gtz-Projekt „Förderung von Rechtsstaatlichkeit". Frau Klinger arbeitet vor allem auf dem Polizei- und Justizsektor (Förderung des Frauenanteils in der Polizei, Überarbeitung aller poliz. Gesetze, Training von Staatsanwälten, Polizisten, Vollzugspersonal, Disziplinarkommission im Innenministerium). Frau Maaß unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit zur Vorbereitung der Wahlen durch train-the-trainer-workshops zur Gewaltenteilung, durch Aufbau eines Netzwerkes in den Provinzen. Die Lehr- und Lernmethoden sind der Erfahrungswelt und den Denkstrukturen der Menschen auf dem Lande angepasst. Bei den bisher acht workshops zeigten die TeilnehmerInnen eine enorme Lernbereitschaft und Motivation. Frau Maaß erstellt für UNAMA ein Lexikon für die Wahlen.
Barbara Clasen arbeitet seit eineinhalb Jahren in AFG, seit 1. Juli in einem Frauenförderprojekt in Kandahar. Schwerpunkte sind hier Bildung, Ausbildung Save House für Schülerinnen und Studentinnen), Gesundheit (Basisgesundheitsaufklärung, Grundhygiene), einkommensschaffende Maßnahmen und Medien. Die Erfahrung zeige, dass auch in der berüchtigten Kandahar-Region einiges möglich sei.
Ganze Regionen - z.B. Jalalabad ostwärts - seien ganz ohne medizinische Versorgung, auch wegen fehlender Verkehrsinfrastruktur.
In der Regel gehen NGO`s nicht mehr in negativ abgestempelte Provinzen. Dabei gibt es genügend engagierte AfghanInnen. Aber die brauchen Flankierung und Unterstützung über Geld hinaus.
Vom PRT Gardez wird berichtet, dort seien Special Forces, Militär und Zivilkräfte nicht unterscheidbar gewesen. Bei einem dt. PRT solle die polizeilich/zivile Komponente auf jeden Fall eine stärkere Rolle spielen.
Medica Mondiale arbeitet seit Februar 2002 in Kabul. Schwerpunkte sind capacity building, Traumaarbeit, gynäkologische Klinik mit afg Ärztinnen aus D (für ein, drei und mehr Monate), weibliche Gefangene (ihr „Delikt": Sex vor der Ehe, Verweigerung gegenüber dem versprochenen Mann, Verlassen des Ehemannes), zwei Frauenhäuser, Führerscheinunterricht mit enormem Andrang.
Staatspräsident Karzai: Das Gespräch in seinem Dienstzimmer ergibt sich kurzfristig und dauert 40 Minuten. Zunächst erinnert er freundlich an die kleinen Grünen mit ihren neuen Ideen in den 80er Jahren und betont ihre heutige Bedeutung.
Die VN hätten uns mehr Zeit für Verfassung und Wahlen geben sollen. Jetzt ist der Verfassungsentwurf fertig. ER soll in den nächsten zwei Wochen veröffentlicht werden. In den nächsten vier Monaten sollen die Auffassungen der Menschen aufgenommen werden. Die Verfassungs-Loya Jirga werde wohl eher im Dezember als im Oktober stattfinden.
Die unabhängige Wahlkommission muss die Sicherheit und Freiheit der Wahlen garantieren. Für die Wahlen im Juni müssen schnell genügend afg. Polizisten trainiert werden, müssen Entwaffnung und Demobilisierung vorankommen. Wo notwendig, sollten internationale Streitkräfte eingesetzt werden. Ihr Einsatz müsse ausgeweitet und verstärkt werden. Nicht ISAF, sondern gestärkte afg. Kräfte sollen Waffen einsammeln. Das ist ein sehr populärer Prozess.
Innenminister Jalali (er hat den seltenen Ruf von Integrität; er gilt als hoch gefährdet): In der Polizeiakademie haben seit 2002 1.500 Polizeischüler die Dreijahresausbildung für Polizeioffiziere begonnen. Diese soll nun verkürzt werden. Der ANA-Aufbau sei relativ teuer und brauche Zeit. Die Polizei hingegen könne schneller und billiger aufgebaut werden. Sechs Ausbildungszentren seien in Hauptorten parallel zu UNAMA-Niederlassungen und PRT`s geplant.
Für 6.000 Wahllokale müsse Sicherheit gewährleistet werden. In einem Wettrennen mit der Zeit müssten 60.-80.000 Streifenpolizisten und zehn Einheiten Bereitschaftspolizei aufgestellt werden. Die Polizisten bekommen Vierjahresverträge mit Verlängerungsoption. Mit 60 $/ Monat seien aber Freiwillige nicht zu gewinnen - erst recht keine loyalen.
Mit der deutschen Polizeiausbildung habe man sehr gute Erfahrungen gemacht.
Projektbüro Polizei Kabul, nahe beim ISAF-HQ: Das PBPK besteht aus 17 BeamtInnen von BKA, BGS und Länderpolizeien mit dem Leitenden Kriminaldirektor Peter Zumhoff (BKA) an der Spitze. Je ein bis zwei Beamte sind zuständig für Aus- und Fortbildung, IT/Logistik, Werkstatt, Rauschgift, Terrorismus, Kriminaltechnik. Auftrag des PBPK ist, in Wahrnehmung der dt. Lead-Rolle Beratung und Koordinierung beim Aufbau der afg. Polizei - bei der Struktur des Innenministeriums, der Ausbildung, der Rauschgiftbekämpfung, der Ausstattung. Das Büro koordiniert die finanziellen und personellen Unterstützungsleistungen von insgesamt 13 Staaten.
Vorschläge zur IM-Struktur wurden akzeptiert, noch nicht zu Prozessen (z.B. personelle Umbesetzungen, wo Polizeichefs zugleich große Drogenhändler sind).
Ausbildung: Die zerstörte Polizeiakademie wurde mit Hilfe des THW und 300 örtlicher Kräfte wiederaufgebaut. (s.u.). Ein Ausbildungskonzept und Curricula wurden erarbeitet, Lehrgänge durchgeführt und ein Kurs-Katalog für internationale Partner erstellt. Von insgesamt 36 Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen organisiert DEU 26, z.B. Train-the-Trainer Lehrgänge Führungslehre, Menschenrechte, Polizei im Rechtsstaat, Seminar mit 30 der 32 Provinzkommandeure, Frauenseminar für 40 Polizistinnen, Verwaltungshandeln - Menschenrechte zusammen mit der gtz in Herat etc. (Seit April haben die USA und Grundausbildung und Ausstattung des einfachen Polizeidienstes übernommen.)
Ausstattung: DEU stellte 190 Polizeifahrzeuge, 150 Motorräder, Uniformen (z.B. für die Grenzpolizei am Flughafen) und Computer zur Verfügung. Hamburg lieferte allerdings 40 Paletten mit unbrauchbar gemachten Uniformen!
(Wieder-)Aufbau von bisher elf Polizeistationen mit Hilfe von CIMIC (60.-85.000 €/Station), des Rauschgifthauses, Umbau des Innenministeriums und des Zentralen Kriminalamtes („LKA"). Geplant sind das Hauptquartier der Grenzpolizei und ein Gebäude Terrorismusbekämpfung.
Schwerpunkte 2003/4 sind: Wiederaufbau weiterer Dienstgebäude in Kabul und auch in den Provinzen, Aufbau von Einheiten für LKA, Kriminaltechnische Untersuchung, Rauschgift- und Terrorismusbekämpfung, Aufbau der Grenzpolizei (12.000 bis 2005) und der Fernstraßenpolizei (2.500 Polizisten innerhalb von drei Jahren gegen illegale „Zöllner").
Hauptproblemfelder sind Sicherheit für die Verfassungs-Loya Jirga, die Wählerregistrierung ab Herbst (600 Registrierungsteams mit je zwei Fahrzeugen müssen geschützt werden) und die Wahl spätestens im September 2004.
Bisher ist das Polizeimandat auf Kabul beschränkt. Jetzt müsse es auf die Provinzen ausgeweitet werden! Ein zentralistischer Polizeiaufbau allein in Kabul sei aussichtslos. Man warte auf ein politisches Signal.
Zu den PRT: In dt. PRT solle auch ein dt. Polizei-Ausbildungsteam sein. Ein Regionalteam für low level training brauche acht Beamte. Hier seien auch solche des mittleren Dienstes einsetzbar. In anderen PRT sollten ein bis zwei Beamte als Ausbilder tätig sein.
Der Leiter der Polizeiakademie Kabul wünscht darüber hinaus vier bis fünf Polizeiausbilder für Kernfächer.
Das alles würde einen erheblichen personellen und materiellen Mehraufwand zur Folge haben. (Innenminister wie US-Seite tragen den Wunsch nach einer Ausweitung und Verstärkung des dt. Polizeiengagements sehr deutlich vor. Das AA will hierfür weitere zwei Mio. € bereitstellen. Von den 30 Mio. € des AFG-AA-Etats werden 10-12 Mio. für den Polizeiaufbau verwandt.)
Freiwilligengewinnung: Ein ausgeweitetes Engagement erfordert zugleich bessere Anreize für die freiwilligen Polizisten. Bisher seien die Anreize bei Balkaneinsätzen (Relation Risiken/Entfernung zu Leistungen) höher als bei AFG, wo die gesetzlichen Höchstsätze gezahlt werden. So manche gesetzliche Regelung ist unflexibel und behindert die Motivation von Freiwilligen mehr als dass sie befördert wird. Hinzu kommt die Haltung mancher Bundesländer: Einige verweigern ganz die Freistellung von Beamten für AFG. Andere erlauben keine Verlängerung über ein Jahr hinaus, weil sie dann die Gehälter zahlen müssten.
Besichtigungen: Beim künftigen „Zentralen Kriminalamt" auf dem Gelände des Innenministeriums ist noch die Ausgangslage zu besichtigen: eine alte Fingerabdruckdatei, die von über 70-Jährigen betrieben wird; ein „Labor" mit wenigen Behältern und ohne technisches Gerät; stinkende Zellen. Neu ist die Interpol-Niederlassung. Die Trakte der Polizeiakademie sind ein Paradebeispiel für Wiederaufbaufortschritte in Kabul. Einige Trümmerreste bleiben mit Absicht stehen. In einem Raum trainieren Polizeischüler mittleren Alters Selbstverteidigungstechniken. Zurzeit wird noch ein Gästehaus für internationale Ausbilder errichtet.
Rauschgiftbekämpfung und Rauschgifthaus: Hier hat GB die internationale Lead-Rolle. Die Drogenbekämpfung ist getrennt von der sonstigen Polizei in diesem von DEU errichteten und ausgestatten Gebäude organisiert. Unter dem deutschsprachigen Herrn Satari arbeiten fünf Einheiten. Die Ermittlungseinheit umfasst 18, die Zugriffseinheit 30 Mitarbeiter. Bisher wurden Polizisten für fünf Provinzen ausgebildet. Eine tägliche Kommunikation mit den Provinzen gibt es nicht. In sieben Schlüsselprovinzen (darunter Kunduz und Herat) wird die Masse des Opiums angebaut. Felder gibt es aber inzwischen in allen Provinzen.
Meist sind sie klein, umgeben von Weizen, zum Teil bewacht und vermint. Die Bauern stecken oft in der Schuldenfalle: Mit 1.000 $ wurde viele in den Mohnanbau gelockt. Mit ihren Ernteerlösen zahlen sie in endlosen Raten ihre Schulden ab. In manchen Landesteilen sind die Parzellen so klein, dass mit dem Anbau von Weizen kein Überleben ist - zumal Weizen sieben Bewässerungen braucht, Mohn aber nur zwei. Insofern ist der Mohnanbau für viele Bauern eine nackte Existenzfrage. Verwickelt in den Opiumanbau und -handel sind viele Machthaber und höchste Beamte, z.B. in Kunduz. Gerade wurden bei einem Militärkommandeur 31 kg Opium beschlagnahmt - zu besichtigen im Asservatenkeller. Die Drogenerlöse fließen vor allem in die Waffenbeschaffung, ganz und gar nicht in die Förderung von Infrastruktur. Solange die lokalen Machthaber nicht entwaffnet werden, sind Zugriffe nicht möglich.
In 2002 wurden ca. 3.400 to Opium in AFG produziert, 2003 können es 5.000 to werden, woraus sich 500 to Heroin erstellen lassen.
Die Nationale Drogenkontrollstrategie ist sehr ehrgeizig, in zehn Jahren sollen alle Opiumfelder vernichtet sein. UNDCP, die Drogenbekämpfungsorganisation der VN, bereist zzt. die Provinzen, um dort Drogenbüros aufzubauen, die mit dem Rauschgifthaus in Kabul vernetzt werden sollen. UNDCP-Einheiten sollen die Zugriffe durchführen. Ihre Aufstellung stagniere.
In AFG hat es niemals funktionierende Drogenbekämpfung gegeben. Das Opiumanbauverbot der Taliban konnte nur durch militärische Gewalt durchgesetzt werden. Zurzeit gibt es keine effektive Drogenbekämpfung. Sie wird mit Ausweitung und Verfestigung von Anbau und Handel immer schwieriger. Wenn die I.G. nicht massiv hilft, droht AFG zu einem „Staat" zu werden, wo nur noch Drogenhändler das Sagen haben.
Reichweite des Polizeiaufbaus: Die afg Kollegen und Polizeischüler sind sehr offen, lernbereit und gutwillig. Doch wie sollen sie das Gelernte, die rechtsstaatlichen Normen umsetzen?
Sie erhalten einen Sold von 40-50 $. 100 $ sind aber notwendig für ein einfaches Leben, 200 $ für das standesgemäße Leben eines Polizeioffiziers. Der LOTFA-Fonds für die Auszahlung von Polizeigehältern (Einzahlungen von DÄN, IRL, FIN, GB, CAN, SCHWEIZ und DEU) ist notorisch unterfinanziert.
Schwerbewaffnete Truppen vieler Provinzfürsten verhindern jede effektive Polizeiarbeit. Entwaffnung tut not - von der ist aber nichts zu sehen. Der polizeiliche Ansatz greife zu kurz, wo Gouverneure, Militärkommandeure und Polizeichefs die größten Drogenhändler sind, wo gegen sie zu ermitteln Todesgefahr für die Ermittler bedeute. Bestimmte Machthaber müssten raus, loyale Gouverneure und Kommandeure müssten eine Chance haben und sich durchsetzen können - nur wie? Die USA hätten dazu die Power, DEU nicht.
Notwendig sei ein strategischer Ansatz und ein langfristiges Gesamtkonzept, wo Polizeiaufbau von unten und politischer Ansatz von oben Hand in Hand gehen.
Anmerkung: Immer deutlicher wird die strategische Schlüsselrolle des Polizeiaufbaus und die hervorragende Wahrnehmung der dt. Lead-Rolle durch die erstaunlich wenigen Beamten vor Ort. Das wird auch international so gesehen. Im Gegensatz dazu steht die relativ geringe Beachtung, die die dt. Polizeihilfe in Politik - insbesondere Parlament - und Öffentlichkeit in Deutschland findet. Bei Ministerbesuchen mit Medientross - so meine Erfahrung in AFG und Balkan - bleiben die PolizistInnen meistens im Hintergrund. Das ist nicht nur undankbar gegenüber den verdienten Beamten, sondern auch politisch kontraproduktiv. Es behindert die Förderung des immer wichtigeren Instrumentes polizeilicher Auslandseinsätze. Dass diese nicht nur übergangsweise, sondern dauerhaft zum Aufgabenspektrum der Polizeien des Bundes und der Länder gehören, ist bisher zu wenig realisiert worden. Für die neue Aufgabe Auslandseinsatz muss eine Stellenreserve geschaffen werden.
(Wegweiser bei der German Heli Unit am Kabul International Airport)
Der ISAF-III-Stab unter Generalleutnant van Heyst und Generalmajor Bertholee (NL) als Stellvertreter kam vom Deutsch-Niederländischen Korps in Münster.
Vor dem Headquarter ISAF entsteht ein Foto mit den ISAF-Kommandeuren und dem Straßenschild „Hindenburgplatz" im Hintergrund. Das Foto verweist nicht nur auf die Heimatadresse des Korps, sondern auch auf seine ganz andere Vorgeschichte. Im Dienstgebäude des GE-NL Korps war vor und während des 2. Weltkrieges der Stab des Wehrkreises VI untergebracht. Aus ihm wurden 14 Divisionen in den Krieg gegen die europäischen Nachbarn entsandt, gegen Polen, die Niederlande, Frankreich, Jugoslawien und vor allem die Sowjetunion.
Dass im GE-NL Korps seit Jahren frühere Kriegsgegner bestens zusammenarbeiten, dass sie jetzt gemeinsam ein halbes Jahr für Sicherheit und Gewalteindämmung in Kabul verantwortlich waren und im wahrsten Sinne Friedensunterstützung geleistet haben, ist ein historischer Meilenstein. Das „Kabul-Tagebuch" von General van Heyst macht anschaulich, wie Militär im Auftrag der Vereinten Nationen der Durchsetzung von Recht und Sicherheit mit Klugheit und Entschiedenheit wirksam dienen kann.
Gerade weil ich um die aktive und meist verdrängte Kriegsgeschichte der „Stadt des Westfälischen Friedens" weiß, bin ich froh, als Münsteraner Abgeordneter die Übergabe des ISAF-Kommandos und den internationalen Dank an die „Münsteraner" miterleben zu können.
Hin weis: Winfried Nachtwei, MdB, ist außen- und sicherheitspolitischer Koordinator der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: