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Rede von Winfried Nachtwei
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Grüner Parteitag zur Schutzverantwortung (RtoP) - Nachtwei`s Redebeitrag

Veröffentlicht von: Nachtwei am 21. November 2012 18:43:39 +02:00 (43991 Aufrufe)

In geradezu spektakulärer Einmütigkeit beschloss der Bundesparteitag der Bündnisgrünen am 16. November in Hannover einen friedenspolitischen Grundsatzantrag zur internationalen Schutzverantwortung. In einem intensiven und ausgesprochen konstruktiven Diskussionsprozess hatte die BAG Frieden & Internationales die Voraussetzungen dafür geschaffen. Hier der Beschluss und mein Redebeitrag.

Friedenspolitischer Grundsatzbeschluss zur Schutzverantwortung auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen am

16. November 2012 in Hannover und

Redebeitrag von Winni Nachtwei zum Antrag A-01

„Für eine Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte - Responsibility to Protect - Vom Recht des Stärkeren zum Schutz des Individuums durch Stärkung des Rechts",

 

I.                     DER BESCHLUSS

Angestoßen hatte das Projekt Robert Zion im Vorjahr mit einem ersten Antragsentwurf. Die Bundearbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden & Internationales debattierte auf einer Sitzung unter großer Beteiligung die Schutzverantwortung/Responsibility to Protect und einigte sich danach auf einen umfassenden Antragsentwurf.  Nach kleineren Änderungen übernahm der Bundesvorstand den Antrag.  Er wurde damit zum Leitantrag der außenpolitischen Debatte, die schon am ersten Abend der BDK stattfand. Nach der Einbringung durch BAG-Sprecher Michael Kellner sprechen ca. 15 RednerInnen. Die Debatte verläuft ruhig und ohne jede emotionale Aufwallung, die früher bei Themen mit Militärbezug an der Tagesordnung waren. Als Gast spricht auch Martin Kobler, VN-Sonderbeauftragter für den Irak. Der erfahrene VN-Spitzenbeamte ist voll des Lobes für den ausgesprochen VN-freundlichen Antrag. Anschaulich schildert er die Stärken einer politischen VN-Mission, aber auch ihre Grenzen.

Die Änderungsanträge werden alle konsensual übernommen. Bei der Frage, was bei einer Blockade des Sicherheitsrates zu tun sei, entscheidet sich die BDK für die Alternative A: Mandatierung eines friedenserzwingenden Einsatzes im Rahmen der Schutzverantwortung ggfs. auch durch Beschluss der Generalversammlung (qualifizierte Mehrheit).  In der Schlussabstimmung stimmen die Delegierten dem Antrag mit überwältigender Mehrheit bei nur wenigen Gegenstimmen zu. (www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Beschluesse/Aussenpolitik-Schutzverantwortung-Beschluss-BDK-11-2012.pdf )

In der allgemeinen Parteitagsberichterstattung geht das Spektakuläre dieses Beschlusses überwiegend unter: Auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik, wo bis vor wenigen Jahren immer wieder die Wogen hoch gingen und die Gräben tief waren, findet jetzt ein Grundsatzbeschluss, der auch die harten Fragen behandelt, einmütige Zustimmung.  Ausschlaggebend dafür war die Art und Weise, wie vor allem die BAG das heiße Thema bearbeitete und die Bundestagsfraktion dazu beitrug - eine konstruktive Streitkultur.

 

II.                  MEIN REDEBEITRAG (3 Min.)

Liebe Freundinnen und Freunde,

(Missbrauchsgefahr)

mit Fragen von Krieg und Frieden habe ich seit 45 Jahren zu tun. Überreichlich habe ich dabei erlebt, wie oft Gewalt und Krieg mit hohen Werten, mit Menschenrechten  und „Schutz" gerechtfertigt wurden.

Die Instrumentalisierung hoher Werte und bester Absichten ist ein reales Risiko. Da ist Wachsamkeit geboten!

(Primärrisiko Wegsehen)

Tatsache ist aber auch: Wenn wir auf Fälle schwerster Massenverbrechen schauen, auf Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, „ethnische Säuberungen", dann ist nicht Instrumentalisierung das Problem, sondern Wegsehen, Passivität. So seit Jahren gegenüber der Kriegshölle im Ostkongo. So war es 1994 in Ruanda, als der Massenmord angekündigt war, als die Hauptstädte und New York abwinkten - und dann binnen drei Monaten 800.000 Menschen abgeschlachtet wurden. Oder 1975-1978 die Terrorherrschaft der Roten Khmer, die ich damals - und viele meiner politischen Generation - lange nicht wahrhaben wollten.

(Distanz zur Schutzverantwortung)

Nachdem sich 2005 der Milleniumsgipfel der VN zur Schutzverantwortung bekannt hatte, gingen die Staaten eher auf Distanz zu dieser völkerrechtlichen Norm im Erden. Auch die Bundesregierung betonte stattdessen verstärkt nationale Sicherheitsinteressen. Die Distanz zur Schutzverantwortung zeigt sich auch in der schändlichen Vernachlässigung von VN-geführten Missionen durch die reicheren Staaten, in denen die Schutzverantwortung ein besonderes Gewicht hat. Deutschland liegt hier auf Rang 53 der Personalsteller.

(Primat der Prävention)

Zu - ich schätze - ca. 90% wird die Schutzverantwortung unter der Überschrift „Militärintervention" diskutiert. Das ist eine kurzsichtige und dumme Militärfixiertheit.

Das verdreht das Konzept der Schutzverantwortung, wo die Vorbeugung ganz vorne stehen soll.

Elementar für wirksame Prävention sind Mechanismen der Frühwarnung und Frühaktivierung. Da hat sich in letzter Zeit etwas auf zivilgesellschaftlicher Ebene getan.  Aber solche Mechanismen gibt es bisher nicht auf Ebene der VN und nicht in Deutschland. Ich kann Euch aber wenigstens mitteilen, dass wir im Beirat Zivile Krisenprävention beim AA, dessen Vorsitzender ich bin, an Empfehlungen dazu arbeiten. (Zur strukturellen Prävention von Massenverbrechen trägt vor allem die Förderung verlässlicher und legitimer Staatlichkeit bei. Für diese Schlüsselaufgabe stehen bisher nur schwache Kapazitäten zur Verfügung.)

(Militäreinsatz zum Schutz)

Für die äußerste Maßnahme, den Einsatz von Militär und ggfs. militärischer Gewalt zum Schutz, setzt der Antrag hohe Hürden. Die aufgeführten Leitlinien sind keine Kopfgeburt, sondern konzentrierte Erfahrung aus den internationalen Kriseneinsätzen der letzten 20 Jahre. Gegenüber dem Beschluss der Friedens- und Sicherheitspolitischen Kommission von 2007 ist jetzt als  weiteres Kriterium hinzugekommen „Verantwortlicher Multilateralismus". Gemeint ist damit die Verpflichtung zu mehr Übereinstimmung und Kohärenz bei multinationalen Einsätzen - insbesondere bezüglich des humanitären Völkerrechts, der Beachtung von local ownership und des do-no-harm-Prinzips.

(Wort eines MdB a.D.)

Nach vielen Jahren in der grünen Bundestagsfraktion bin ich seit drei Jahren ein „freier Mitarbeiter im friedens- und sicherheitspolitischen Außendienst der Grünen". Als solcher erlaube ich mir, der BAG Frieden und Internationales  herzlich zu danken für die ausgesprochen produktiven Beratungen hin zu einem Antrag, der hohe Zustimmung verdient. Eine so fundierte Positionierung zur Schutzverantwortung hat bisher keine andere Partei in Deutschland hinbekommen.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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