Für eine restriktive Rüstungsexportpolitik setzt sich Winfried Nachtwei in seiner zu Protokoll gegebenen Rede ein:
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Nachdem wir auf Antrag der Grünen im Dezember erstmals in dieser Legislaturperiode eine parlamentariÂsche Aussprache über die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung hatten, mussten wir erleben, dass die Koalitionsfraktionen alles dafür taten, dass die RüstungsÂexportpolitik der Bundesregierung nicht öffentlich theÂmatisiert wird. Die Rüstungsexportberichte und unser Antrag wurden im Eilverfahren und ohne Aussprache durch die Ausschüsse gepeitscht. Und auch heute müssen wir wieder erleben, dass für eine mündliche Aussprache im Parlament keine Zeit ist.
Die Grünen mahnen seit Jahren an, dass sich dieser Bundestag intensiver mit der Frage der RüstungsexportÂpolitik beschäftigen muss. Leider scheuen die meisten Fraktionen und Abgeordneten das Thema. Insbesondere die Regierungsfraktionen stellen sich taub und blind. Man beklagt im besten Fall, dass man vonseiten der BunÂdesregierung zu spät unterrichtet wird, und versteckt sich ansonsten hinter der Behauptung, dass die BundesrepuÂblik eine besonders restriktive Rüstungsexportpolitik beÂtreibe und von daher alles in Ordnung sei. In der Union, bei SPD und bei der FDP wird sogar offen gefordert, dass Deutschland sich die Rüstungsexportgeschäfte nicht entÂgehen lassen dürfe, dass man eine starke eigene RüsÂtungsindustriekapazität erhalten müsse. Und weil der naÂtionale Markt das nicht hergibt und unsere Partner in der NATO und EU ihre Rüstungsmärkte abschotten, wächst der Druck, außerhalb von NATO und EU Absatzmärkte zu finden.
Wir haben uns oft beklagt, dass die deutschen RüsÂtungsexportberichte so spät kommen und andere RegieÂrungen ihre Parlamente frühzeitiger und umfassender informieren. Eine vernünftige parlamentarische BehandÂlung ist damit unmöglich. Selbst die EU wird von der BunÂdesregierung früher und umfassender informiert als der Bundestag. Gegenüber dem Bundestag wird behauptet, die Ressorts müssten den knapp 30-seitigen Text mit den Tabellen und Schaubildern oft mühsam Wort für Wort abÂstimmen. Wenn die Bundesregierung mehr Zeit braucht, um dem Bundestag weniger Informationen zu geben als anderen, dann werden wir in Zukunft verstärkt dafür sorÂgen, dass der Bundestag wieder zeitnäher unterrichtet wird.
Wenn wir uns die vorliegenden Zahlen für die verganÂgenen Jahren anschauen und auch in Betracht ziehen, was internationale Erhebungen wie die des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI ergeben, dann wird zum wiederholten Mal deutlich, dass von Restriktivität keine Rede sein kann. Obwohl Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Russland immer wieder behaupten, sie würden ihre Rüstungsexporte nun weiter und offensiv ausbauen, landet in der Praxis dann doch die BundesreÂgierung mit ihrer vermeintlich restriktiven Exportpolitik regelmäßig unter den führenden Rüstungsexporteuren weltweit. Und selbst wenn Franzosen oder Briten wieder einen spektakulären Export verbuchen können, wie zum Beispiel bei der skandalumwitterten Lieferung des EuroÂfighters an Saudi-Arabien, verdient die deutsche RüsÂtungsindustrie an diesem Geschäft. Die RüstungsunterÂnehmen haben inzwischen ein ausgeklügeltes und arbeitsteiliges System entwickelt, wie man über FirmenÂsitz, Tochterfirmen, Kooperationsprojekte und ZuliefeÂrungen die Schwächen der jeweiligen nationalen ExportÂpolitik nutzen kann, um am schnellsten und effektivsten zum Ziel zu kommen.
Alljährlich werden auf direktem Wege Rüstungsgüter im Wert von mehren hundert Millionen Euro in EntwickÂlungsländer und in Krisenregionen, 2007 zum Beispiel an Pakistan und Indien, exportiert. Auch Staaten wie ÄgypÂten, Indonesien, Jordanien, Südkorea oder die VereinigÂten Arabischen Emirate werden fleißig bedient. Wie hoch die Exporte tatsächlich sind, was zu welchen Konditionen geliefert wurde, wissen wir nicht. Denn die ExportstatisÂtik erfasst lediglich die tatsächliche Ausfuhr von KriegsÂwaffen und nicht die tatsächliche Ausfuhr der übrigen Rüstungsgüter oder Güter mit doppeltem VerwendungsÂzweck. Die Genehmigungszahlen, etwa im KleinwaffenÂbereich, sind erschreckend. Im Jahr 2007 hat die BundesÂregierung den Export von Kleinwaffen im Wert von 30 Millionen Euro in Staaten außerhalb der EU und NATO genehmigt. Amnesty International und andere beÂklagen zu Recht, dass diese deutschen Kleinwaffen in Staaten wie Ägypten, Indien, Mexiko, Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten nichts verloren haÂben.
Ich halte nichts davon, jegliche Rüstungsexporte zu verfluchen, und auch eine verstärkte RüstungskooperaÂtion in Europa bedeutet in meinen Augen nicht zwangsÂläufig eine Militarisierung der EU. Im Gegenteil, wir Grünen sind sogar der Auffassung, dass wir ÃœberkapaziÂtäten im Rüstungsbereich nur dann mit Aussicht auf ErÂfolg abbauen können, wenn wir im Bündnisrahmen und im Rahmen der EU enger zusammenarbeiten und auf naÂtionale Alleingänge verzichten. Das heißt aber grundÂsätzlich Ja zur europäischen Rüstungskooperation. Das heißt Ja zu einer Europäischen Verteidigungsagentur, soÂfern sie endlich in die Lage versetzt werden würde, sich dieses Themas auch ernsthaft annehmen zu dürfen. Und das heißt Ja zu einer restriktiven und verbindlichen geÂmeinsamen Rüstungsexportpolitik der EU. Im internatioÂnalen Maßstab heißt dies auch Ja zu einem weitreichenÂden internationalen Waffenhandelsabkommen, wofür sich nicht zuletzt dankenswerterweise zahlreiche NobelÂpreisträger und NGOs wie Amnesty International, OXFAM und IANSA nachdrücklich einsetzen. Viele ExÂporte sind in der Regel und im Grundsatz auch nicht zu beanstanden. Aber es gibt hier eine Reihe von GeschäfÂten, bei denen wir Grüne, Menschenrechtsgruppen und viele andere - frei nach den Worten des BundespräsidenÂten - sagen: Das tut man nicht.
Eigentlich haben wir mit den RüstungsexportrichtliÂnien und dem Gemeinsamen Standpunkt zu WaffenausÂfuhren gute Grundlagen, anhand derer wir entscheiden könnten. Diese Bundesregierung interpretiert diese Grundsätze aber nicht mehr restriktiv, sondern extensiv. Nachdem Rot-Grün damit Schluss gemacht hat, Länder wie Indonesien den NATO-Staaten gleichzustellen, setzt diese Regierungskoalition immer ungehemmter auf ExÂporte in Krisenregionen. Die Kanzlerin, der WirtschaftsÂminister, der Verteidigungsminister und der AußenminisÂter reisen nach Pakistan und Indien und bieten den beiden Kontrahenten mit U-Booten, Jagdflugzeugen und HubÂschraubern das Modernste an, was deutsche RüstungsÂschmieden zu bieten haben. Die Käufer spielen die ExÂportnationen hemmungslos gegeneinander aus. Sie wollen ihre eigene Rüstungsindustrie aufbauen, die dann wiederum exportieren muss, um ökonomisch überleben zu können. Um den Zuschlag zu bekommen, werden nicht selten dubiose Sonderzuwendungen fällig. Importeure wie Pakistan und Indien fordern Technologietransfer und Kompensationsgeschäfte in Milliardenhöhe. Die riskanÂten Geschäfte werden dann auch noch mit milliardenteuÂren Hermes-Bürgschaften abgesichert.
Wir meinen: Damit muss Schluss sein. Dies widerÂspricht eindeutig den Politischen Grundsätzen für den Rüstungsexport. Rüstungsexporte sind kein Geschäft wie jedes andere. Wir fordern eine stärkere ParlamentsbeteiÂligung. Und wir halten es für die Pflicht des Deutschen Bundestages, bei solchen Exporten genauer hinzuÂschauen und die Stimme zu erheben. Es geht nicht an, dass der Bundestag über den Einsatz bewaffneter StreitÂkräfte entscheidet, aber bei der Lieferung von Waffen wegschaut und sagt, das ist Aufgabe der Exekutive. Wir Grünen haben im Dezember einen Antrag vorgelegt, in dem wir für mehr Transparenz und parlamentarische Kontrolle und einen Systemwechsel in der RüstungsÂexportpolitik geworben haben. Uns geht es um ExportÂkontrolle und nicht Exportförderung.
Wir appellieren insbesondere an die RegierungsfrakÂtionen: Nehmen Sie Ihre Kontrollaufgabe wahr! UnterÂstützen Sie uns dabei, dass der Bundestag in die Lage verÂsetzt wird, im Vorfeld von strategisch wichtigen oder kritischen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Es kann nicht sein, dass dem Bundestag mit dem Hinweis auf BeÂtriebs- und Geschäftsgeheimnisse Informationen vorentÂhalten werden, die Rüstungsindustrie aber weiß, wann der Bundessicherheitsrat tagt, was auf der Tagesordnung steht und was entschieden wurde. Anschließend rühmt sich das Unternehmen öffentlich für diese Aufträge. Der Bundestag erfährt dann im besten Fall anderthalb Jahre später offiziell von diesen Exporten, aber nur, wenn er in der Lage ist, die kryptischen und lückenhaften Berichte der Bundesregierung zu entschlüsseln. So kann und darf es nicht weitergehen.
Bedanken möchte ich mich zum Schluss bei der GeÂmeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung - GKKE -, bei Amnesty International, OXFAM und den anderen Nichtregierungsorganisationen, die mit ihrer kritischen Beobachtung, ihren Berichten und ihren Forderungen dazu beitragen, dass das Thema Rüstungsexportpolitik auf der politischen Tagesordnung bleibt. In Zeiten einer Großen Koalition ist dies wichtiger denn je.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: