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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + Internationale Politik und Regionen + Bericht von Winfried Nachtwei
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Heiß in jeder Hinsicht: Besuch der Bundeswehrkontingente in Djibouti, Gabun und Kongo

Veröffentlicht von: Webmaster am 4. Oktober 2006 11:20:16 +01:00 (97735 Aufrufe)
Vom 24. bis 27. September 2006 besuchten die Obleute und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses zusammen mit Verteidigungsminister und Generalinspekteur die Bundeswehrkontingente in Djibouti, Gabun und Kongo. Winfried Nachtwei nahm an der Reise teil und verfasste anschließend folgenden Bericht:

Heiß in jeder Hinsicht: Besuch der Bundeswehrkontingente in Djibouti, Gabun und Kongo
Winfried Nachtwei, MdB (4. Oktober 2006)

Am 24.-27. September besuchten die Obleute und die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses zusammen mit Verteidigungsminister und Generalinspekteur die Bundeswehrkontingente in Djibouti, Gabun und Kongo. Mit dabei waren ca. 20 Pressevertreter und eine Menge Personenschützer. Am Horn von Afrika interessiert vor allem die Realität des wenig beachteten Marine-Dauereinsatzes vor dem Hintergrund der im Oktober anstehenden Mandatsverlängerung und des anlaufenden Libanon-Einsatzes. Im Kongo interessieren Stand des Wahlprozesses und Sicherheitslage nach den schweren Auseinandersetzungen um den 21. August und die Frage, ob EUFOR und Bundeswehr tatsächlich ab 1. Dezember abziehen können. Am Horn von Afrika war ich zuletzt vor 24 Jahren - im Rahmen des Notärzte-Komitees in Hargeisa/Nordsomalia, dem heutigen Somaliland. Nach der Woche im April ist es mein zweiter Kongo-Besuch. (Bericht unter http://www.nachtwei.de/)

Djibouti und Horn von Afrika

Als wir nach sieben Stunden um 20.00 Uhr mit dem Luftwaffen-Airbus „Konrad Adenauer" in Djibouti landen, herrschen noch 32° C, die dank extremer Luftfeuchtigkeit den Schweiß auch beim Sitzen nur so fließen lassen.

Besuch der Fregatte „Schleswig-Holstein", die an der äußersten Spitze des großen und recht modernen Hafens von Djibouti angelegt hat. Mit seiner Lage an den Hauptschlagadern des Welthandels und als Zentralhafen für das Binnenland Äthiopien mit seinen ca. 80 Mio. Einwohnern hat Djibouti eine herausragende Bedeutung. Zusammen mit dem Betriebsstoffversorger „Spessart" und der Marine-Logistik-Basis in Djibouti bildet die Fregatte den dt. Beitrag zur Coalition Task Force 150 als Teil der US-geführten Operation Enduring Freedom (OEF) - Horn of Africa (HOA). (vgl. http://www.hoa.centcom.mil/) Das dt. Kontingent umfasst ca. 320 Soldaten, davon 240 (12 Soldatinnen) auf der Fregatte unter Fregattenkapitän Wetters. (Obergrenze lt. Bundestagsbeschluss 1.500 Soldaten)

Zur CTF 150 gehören außerdem zwei französische, je eine pakistanische und US-Fregatte sowie zwei US-Zerstörern. Die CTF 150 wird zum 4. Mal von Deutschland (Flottillenadmiral Lange) geführt. Neben der CTF 150 unterstehen dem US Central Command in Tampa/Florida und dem Coalition Forces Maritime Component Command (CFMCC) bzw. USNAVCENT in Bahrein ("Doppelhut" des US-Vizeadmiral Walsh) etliche weitere Task Forces in der Region: CTF 152 südlicher Persischer Golf, TF 158 irakische Küste, TF 50 Carrier Strike Group, TF 54 Submarine Force, TF 56 Mobile EOD Unit, TF 57 MPA/RECCE Force, TF 53 Logistic Forces, TF 55 Middle East Forces, TF 561 Naval Special Warfare Group, TF 51 Expeditionary Strike Group.

Der Einsatzraum der Task Force umfasst das Seegebiet um das Horn von Afrika, südliches Rotes Meer und Bab el Mandeb, Golf von Aden, Golf von Oman, Straße von Hormus bis 56° Ost, Küste Somalias bis Höhe Mombasa, insgesamt ca. 6.000 nautische Meilen (1 nm = 1852 m) Küstenlinie, 2.100 nm diagonal SW - NO und die zehnfache Fläche Deutschlands. Hierdurch gehen die wichtigsten und sensibelsten Seewege der Welt: ca. 50% der weltweiten Ölversorgung, der ganze Container-Verkehr zwischen Ostasien und Europa. Durch die Straße von Hormus/Persischer Golf (55 km schmal) gehen pro Tag 75 Supertanker und andere Großschiffe, durch den Bab el Mandeb („Straße der Tränen„, Eingang Rotes Meer, 27 km schmal) 55. Vor zwei Wochen habe es im Jemen zeitgleich einen Anschlagsversuch gegen eine Ölverladestelle bei Mukalla und eine Raffinerie mit zwei Fahrzeugen gegeben. Das erste sei durchgebrochen, das zweite von Sicherheitskräften gestoppt worden. (Erinnerung an den Anschlag auf den Tanker Limburg in derselben Gegend vor vier Jahren) Reichlich individuelle und organisierte Piraterie gab es vor den Küsten Somalias und Somalilands. Mit der Machtergreifung der islamistischen „Union islamischer Gerichte" in Somalia ist die von den Warlords betriebene Piraterie zum Erliegen gekommen. Am Tag unseres Djibouti-Besuches nehmen dort die Islamisten die strategisch wichtige Hafenstadt Kismayo ein. Während des gerade begonnenen Fastenmonats Ramadan soll sogar das sonst allgegenwärtige Rauschmittel Khad verboten werden. Die „islamischen Gerichte" sind als extremistisch eingestuft, manche ihrer Akteure sollen Al Qaida nahe gestanden haben. Die von Äthiopien unterstützte Interimsregierung beherrscht nur noch die Provinzhauptstadt Baidao 250 km nordwestlich von Mogadischu. Schmuggel gibt es in dieser Region seit alters her.

Auftrag des Verbandes: Seeraumüberwachung, Kontrolle terroristischer Nachschubwege und Konterbande (Schleichhandel bzw. Schmuggel auf See), Eskortieren gefährdeter Schiffe an neuralgischen Punkten, Sammlung und Auswertung von Informationen, Nothilfe bei Seenot, Unglücksfällen und Naturkatastrophen, Unterstützung regionaler Sicherheitskooperation. Generell gehe es darum, durch Präsenz mehr Sicherheit und Stabilität in einem unstrukturierten Gebiet zu schaffen und Terrorismus abzuschrecken.

Operationsformen:

- Heute Baseline-Operations: Patrouillenfahrten in zugewiesenem Seegebiet.

- Beobachtung und Erfassung aller Schiffsbewegungen, von Piraterie und Menschenhandel (zu letzterem hat man wohl kein Mandat, gibt aber die Informationen an Zuständige weiter); ggfs. Abfragen von Schiffen;

- „Contacts of Interest" sind auf Grund nachrichtendienstlicher Hinweise bzw. anderer Anhaltspunkte verdächtige Schiffe, die „besucht2 werden (Boarding): Untersuchung von Papieren und Ladung, Personalienfeststellung; hierbei ist ein Handelsoffizier sehr hilfreich; Datenweitergabe an`s Hauptquatier;

- Die Rules of Engagement (Einsatzregeln) gelten nur für Seeoperationen, also nicht an Land und nicht innerhalb fremder Territorialgewässer. Sie ermöglichen vielfältige abgestufte Maßnahmen zur Durchführung des Auftrags und zum Eigenschutz: Sie reichen bis Schuss vor den Bug, gezielte Beschädigung, zwangsweise Umleitung und Festnahme. Solche Maßnahmen mussten in den vier Jahren bisher nicht ergriffen werden. Die deutschen Einsatzregeln seien angemessen und hinreichend und lägen im normalen Durchschnitt der Teilnehmernationen. Die deutschen Kräfte agieren im unteren Level der Eingriffsrechte und erreichen in der Regel Kooperation. In der Praxis komme es viel mehr auf Fingerspitzengefühl an. Die Besatzungen seien oft zuvorkommend. Oft werde man auch an Bord eingeladen: Man bringe dann kleine Geschenke wie Arbeitshandschuhe, Erste-Hilfe-Kästen oder Wasser mit. Ein Boardingteam kommt per Schlauchboot oder vom Hubschrauber aus an Bord. Ein solcher „Besuch" kann ca. vier Stunden dauern und ist schon wegen der manchmal unmöglichen Verhältnisse an Bord nicht ungefährlich. Die Art und Weise des Auftretens sei wichtiger als alle Richtlinien.

Die US-Kräfte hätten neben einem über OEF hinausgehendem Aufgabenspektrum (offensiv gegen Drogentransporte) auch weitergehende Rechte, ggfs. auch zum opposed, also zwangsweisen Boarding. US-Kräfte seien überhaupt mehr für das obere Risikospektrum ausgebildet. Das aber laufe dem Anliegen eines strategischen Dialogs zuwider.

- Territorialgewässer: Diese dürfen nur mit Genehmigung der jeweiligen Anrainerstaaten befahren werden. Bei dem failed State Somalia ist das ein offenkundiges Problem. Mit Oman und Jemen laufen zzt. Verhandlungen, um hier zwar nicht generell Zugangsrechte, aber für schwere Fälle zu erhalten. Denn Vorrang soll die Eigenbefähigung der Anrainerstaaten haben.

- Pulse Operation, um verdächtige Schiffe zu entdecken (Abweichung vom „Normalverhalten");

- Begleitschutz vor allem bei Tankern.

- Nothilfe ist immer wieder mal angesagt. In dieser Weltgegend mangelt es den Anrainerstaaten an entsprechenden Rettungskapazitäten.

- Sicherheitskooperation: Die Anrainerstaaten sollen befähigt werden, selbst für Küstenschutz und Seesicherheit zu sorgen. („Endstate") Unterstützung beim Aufbau von Marinen und Küstenwachen und Übungen mit ihnen. Im Jemen z.B. wird die Hafensicherheit gefördert. (Offen bleibt für mich der Stellenwert diese strukturellen Stabilisierungsbeiträge und wie intensiv und umfassend sie betrieben werden.)

Bilanz des dt. Kontingents: Seit Februar 2002 wurden 11.100 Seefahrzeuge kontrolliert (z.T. abgefragt), es gab 50 Boardings verdächtiger Schiffe und 70 Geleitschutzaufträge. Nach 120.000 Inspektionen in See insgesamt durch die gesamte CTF 150 habe man einen ganz guten Überblick, wer auf welchen Pfaden wandle.

An Bord der Fregatte: Im Unterschied zu den größeren US-Zerstörern hat die „Schleswig-Holstein" Raum für die Operationszentrale der Task Force 150. Hier hätte dann beim Libanon-Kontingent auch ein libanesischer Verbindungsoffizier seinen Platz.

- Beim Auslaufen aus dem Hafen sind vor allem die Waffenstationen für den Nahbereich zum Selbstschutz (20-mm-Maschinenkanone und Maschinengewehre) besetzt. Auch hier sind die Einsatzmöglichkeiten abgestuft. Die Soldaten müssen sehr genau und schnell unterscheiden können. Manche kleinen Fischerboote schaffen mehr als 30 Knoten, sind bis zu sieben Tagen unterwegs und haben manchmal eine Fahrweise wie Piraten. Den Soldaten ist kein scharfer Einsatz in Erinnerung.

- Versorgungsmanöver mit dem Tanker „Spessart": In Parallelfahrt werden Versorgungsschläuche rübergeholt und verkoppelt.

- Boarding: Die Ausbildung der Boardingteam-Soldaten dauert sechs Monate. Unter ihnen sind auch einige FWDL`er (längerdienende Wehrpflichtige) sowie eine 21-jährige Soldatin. Auf der „Spessart" seilt sich das Boardingteam aus dem Hubschrauber ab.

Die Arbeitsbedingungen für die Soldaten sind extrem: Wenn die Maschinen nicht selten mit Meereswasser von bis zu 37° „gekühlt" werden müssen und im Maschinenraum bis zu 65° herrschen, dann ist ein Schlafen in den Kajüten nicht mehr möglich. Auf Dauereinsätze in solchen Breiten sind kaum irgendwelche Marinen voll eingestellt. Angefangen mit der Fregatte „Bayern" soll bei der Bundesmarine eine entsprechende Umrüstung anlaufen.

Die „Schleswig-Holstein" ist seit Juni im Einsatz. Die übliche Einsatzzeit liegt bei 180 Tagen, fünf Monate im Einsatzraum und je 14 Tage hin und zurück. Davor läuft die zweimonatige Einsatzvorbereitung in Großbritannien. Wegen des Libanon-Einsatzes wird die Fregattenbesatzung einen Monat später, also auf Weihnachten nach Hause kommen. Solche Unberechenbarkeiten sind nicht selten, aber vor allem für Angehörige eine enorme Belastung. Nicht der Einsatz, sondern die lange Abwesenheit sei das Belastende. Drei Monate nach Rückkehr gehe es dann schon wieder Richtung Libanon. Die Trennungsquote bei Marineangehörigen ist besonders hoch.

Zusammengefasst: Kern des Einsatzes hier ist, zur Seesicherheit in einem vital bedeutsamen wie gefährlichen Raum beizutragen. Der deutsche Beitrag zu OEF-HOA ist offenkundig mehr eine Art maritime ISAF als ein OEF-Anti-Terroreinsatz. Wie wirksam der Ursprungsauftrag „Überwachung und Verhinderung terroristischer Bewegungen über See" umgesetzt wird, lässt sich nicht beweisen und höchstens vermuten: Belege für terroristische Bewegungen auf See wurden bisher nicht gefunden. Es gab nur Vermutungen. Das kann das Ergebnis einer abschreckenden Wirkung des Marineeinsatzes sein, muss aber nicht. Seit dem Terrorangriff auf den Tanker Limburg vor vier Jahren gab es immer wieder kriminelle Angriffe Einzelner auf Schiffe, aber keinen weiteren organisierten terroristischen Zwischenfall auf See.

Da Deutschland hier keine Sonderinteressen vertrete und kooperativ auftrete, sei es in der Region besonders angesehen.

Ein Ende des Einsatzes ist angesichts der „Vitalität" der zugrunde liegenden Interessen und der weit entfernten Stabilisierung und Eigenbefähigung der Anrainerstaaten nicht absehbar.

Djibouti allgemein: Im expandierenden Hafen mit seinen Container-Gebirgen sind nur kleine traditionelle Inseln zu sehen - ein Gehege mit Kamelen, auf dem Wasser einige Dhow`s, die traditionellen arabischen Handels- und Segelschiffe. Auf dem gegenüberliegenden Ufer liegen kaum erkennbar ein Armenviertel und Lager für Flüchtlinge aus Somalia, dazwischen die größte Moschee der Stadt. Für Soldaten gilt die Gegend als no-go-area. Von dort schwimmen Männer immer wieder zum - landseitig kräftig gesicherten - Hafen, um sich dort als Tagelöhner zu verdingen.

Von der Stadt selbst sehen wir nur ziemlich ordentliche Randgebiete mit auffällig vielen Kreisverkehren. In Djibouti können sich Soldaten frei bewegen. Allerdings gibt es Viertel, wo auch französische Fremdenlegionäre lieber nicht hingehen. Wer dort verschwindet, wird nicht mehr gesucht.

Die Kerndelegation ist wohl klimatisiert im Sheraton-Hotel untergebracht. Das Hotel der Presseleute ist wegen Stromausfällen weniger verlässlich klimatisiert und für seine Gäste deshalb landestypisch schweißtreibend.

Wiedersehen mit dem berlinernden, ehemaligen US-Militär-Attache in Berlin, der jetzt für Äthiopien und „Umgebung" zuständig ist und über langjährige Erfahrungen im arabischen Raum verfügt und dem noch schlimme Erlebnisse von Kongo 1997 in den Knochen stecken. Im Gespräch mit ihm kommt viel von der Kompliziertheit und Brutalität der Konflikte in dieser Weltgegend hoch, von der wir bei unserer perfekt organisierten und geborgenen Stippvisite nur entferntest, abstrakt und klimatisiert was mit bekommen.

Gabun

Am 25.9. ab 15.00 in fünf Stunden über Äthiopien, Sudan, Zentralafrikanische Republik nach Libreville/Gabun am Atlantik knapp oberhalb des Äquator. Bei Ankunft sind es hier nur 28° C.

Gabun ist seit 1960 unabhängig. Seit 1967, also 39 Jahren, ist der zum Islam übergetretene El Hadj Omar Bongo Ondimba Präsident eines der „reichsten" und stabilsten Länder Afrikas. Gabun hat nie solche Krisen wie die Nachbarländer gesehen. Ende des Jahres finden Parlamentswahlen statt. Hier scheint der Rohstoffreichtum (Erdöl, Tropenholz, Mangan, Uran, Gold) noch nicht zum Fluch geworden. Bei einer Bevölkerung von 1,5 Mio. beträgt das statistische Prokopfeinkommen/Jahr immerhin 3.760 Euro (im Kongo Ende 2003 um 100 US-$!). Gabun sei besonders an einem stabilen Kongo interessiert. Hier kommen im Krisenfall auch als erstes die Flüchtlinge an. Der alte Präsident soll Einfluss auf die jungen Streithähne im Kongo haben. Massiv ist die französische Präsenz. Seit dem Niedergang und der Spaltung der unter Staatspräsident Houphouet-Boigny (1960-1993) stabilen Elfenbeinküste ist Gabun ist eine der letzten Säulen von France afrique.

Bei unseren schnellen Konvoifahrten über die mehrspurige Durchgangsstrasse macht Libreville einen sehr aufgeräumten und relativ „unarmen", ja z.T. wohlhabenden Eindruck. Ein Indikator ist der Zustand der Autos: Sie sind meist gut in Schuss, kein Vergleich mit der Masse der Schrottkisten auf den Straßen von Kinshasa. Dass sich Soldaten, die von dort hierher kamen, nahezu im Paradies wähnten, kann ich verstehen. Umgekehrt ist dieser Eindruck für uns und ein etwas differenzierteres Afrikabild wichtig.

Empfang durch die deutsche Botschafterin Ilse Lindemann-Macha. Besuch des dt. Einsatzkontingents EUFOR RD Congo, von dem zzt. 386 Soldaten in Libreville und 339 in Kinshasa sind. In Libreville sind die deutschen Kräfte an vier Orten untergebracht und an fünf Orten eingesetzt. Im Camp „Dragages Gabon" liegen Stab, Logistik, Role 1. Im Feldlager „Police Academy" ist inzwischen die Masse der Soldaten untergebracht.

Am 18. Juli war Buwe mit allen Teilen hier, teilweise mit 500 Soldaten. Innerhalb von elf Tagen wurde planmäßig die Einsatzbereitschaft gemeldet. Ein ganz besonderes Erschwernis war, dass die spanische Firma, die Unterbringung und Verpflegung bereitstellen sollte, dies aus verschiedenen Gründen nicht fristgerecht schaffte, weshalb anfangs acht Hotels und zwei andere Unterkünfte für teures Geld genutzt werden mussten. In dieser schwierigen Startphase war offenbar auch die Zusammenarbeit mit der französischen Seite enttäuschend.

Die Personalobergrenze ist so knapp bemessen, dass bei einem Personalaustausch Übergaben nicht möglich sind. (Das ist eine Folge der innenpolitisch motivierten Knauserigkeit bei der Festlegung von Obergrenzen. Es widerspricht der langjährigen Erfahrung, dass Obergrenzen Spielraum für einen gleitenden Personalwechsel lassen müssen.)

Sehr wichtig ist die ständige Rotation mit Kinshasa, wo neben den ständigen Kräften dort ständig ein Einsatzzug ist. Anfangs war die Unsicherheit groß, was einen in Kinshasa erwarten würde.

In Libreville und Kinshasa verfügt die Buwe jeweils über hundert Fahrzeuge. Die Masse der 23 Mungos ist voraus in Kinshasa stationiert.

Angesichts des Enddatums 30. November hat Buwe mit der Planung der Rückverlegung (Redeployment) begonnen. Die Soldaten beschäftigt es sehr, ob es ab 30. November wirklich zurückgeht.

Im Feldlager Police Academy stehen für Buwe 39 klimatisierte Unterkunftszelte für je 6-9 Personen zur Verfügung. Pro Soldat gibt es ein Bett (1,90 m), einen Stuhl, einen Leichtschrank und ein Wertfach.

Beim Gespräch mit den Vertrauensleuten sind Hauptthemen die fristgemäße Beendigung der EUFOR-Mission und angebliche Defizite beim ärztlichen Personal - was später zufriedenstellend geklärt wird.

Auf dem militärischen Teil des Flughafens Verabschiedung von deutschen und gabunesischen Fallschirmjägern zum gemeinsamen Sprungdienst mit französischen Schirmen.

Die deutsche Präsenz sei, wie es heißt, sehr willkommen. Die zivil-militärische Zusammenarbeit gewinne an Fahrt. Erwartungen an Deutschland seien riesig. Gespräche kreisen auffällig lange um Buwe-Hilfen (quick-impact bei Impfprogrammen und in Lambarene), so dass der eigentliche und einzige Auftrag, schnellst- und bestmöglich für Kinshasa zur Verfügung zu stehen, in den Hintergrund tritt.

Darüber bleiben auch Möglichkeiten ungenutzt, mehr zu den Realitäten des Landes zu erfahren (was kommt nach dem 71-jährigen, kranken Bongo? Risiko einer Elfenbeinküsten-Entwicklung) und den Stellenwert des relativ stabilen Gabun in einer deutschen Afrikapolitik zu diskutieren. Angesichts der Tatsache, dass die hiesige Botschaft aus nur zwei „Entsandten" plus drei Ortskräften (während EUFOR um drei Entsandte aufgestockt) besteht, scheint der Stellenwert Gabuns aus Berliner Sicht eher gering zu sein. Für andere Länder sieht das ganz anders aus. Neben dem hier etablierten Frankreich fasst China in Gabun massiv und strategisch Fuß: Aufgegriffen werden Projekte, die der Westen liegen ließ: Hafen, Eisenbahnlinie, Parlamentsgebäude - lauter Prestigeprojekte. Kredite gibt es zu günstigen Bedingungen, mit antikolonialer Rhetorik und ohne politische Auflagen wie Good Governance und Menschenrechtern bei EU-Krediten.

Nach dem offiziellen Programm erlauben wir uns zu drei Kollegen am Abend noch etwas Freigang an der Küstenstraße entlang. Unsere Personenschützer kommen so auch endlich mal an die etwas frischere Luft.

Kinshasa - Demokratische Republik Kongo

Am 26.9. um 11.00 Uhr Abflug nach Kinshasa/Kongo. Empfang am internationalen Flughafen N`Djili durch den kongolesischen Verteidigungsminister Dr. Adolphe Onusumba. Wider mein Erwarten gelangt der Konvoi sehr zügig über den sonst berüchtigt vollen Boulevard Lumumba ins Zentrum. Die Eskorte der Spezialpolizei UPI (Unité de Police Integrée) bringt tatsächlich den Chaos-Verkehr an die Seite und zum Stehen. Die Kongo-Erstlinge sind überwältigt-erschüttert von den Menschenmassen, von den vermüllten Flächen, den überladenen Schrottautos, den ärmlichsten Provisorien. Umso bemerkenswerter die sehr saubere Kleidung der Menschen. Ab und zu sind am Straßenrand kleine Parzellen mit Gemüse zu sehen.

Das Force Headquarter von EUFOR auf dem Innenstadt-Flugfeld N`Dolo besteht im Zentrum aus modernen und mobilen französischen Funktionscontainern. Briefings durch den Force Commander, den frz. Generalmajor Damay, und seinen Stellvertreter, den dt. Flottillenadmiral Henning Bess.

Zzt. stehen 1.150 Soldaten in Kinshasa und 1.250 in Gabun. Die Strategische Reserve in Südfrankreich umfasst 850 Soldaten. EUFOR stehen sieben Flugzeuge und drei Hubschrauber zur Verfügung. Die Einsatzbereitschaft wurde planmäßig am 29. Juli hergestellt. Vom 6.-16. August fand in Kananga eine Übung statt, um EUFOR auch außerhalb Kinshasa bekannt zu machen.

Die Präsidentschaftswahlen: Inzwischen haben die dritt- und viertplazierten Kandidaten Gizenga (13%) und Mobutu (5%) Kabila (45%) ihre Unterstützung für den zweiten Wahlgang zugesagt. Der zweitplazierte Bemba, der vor allem in Kinshasa und Equateur gewann, ist deshalb ohne größeren Partner. (Inzwischen wollen ihn aber Teile der Tschisekedi-Partei UDPS unterstützen.) Bemba, der am 21. August seinen Hubschrauber verlor und einen Monat später durch Großbrand seine beiden Fernseh- sowie seinen Radiosender (sie senden inzwischen wieder mit schwacher Kraft), müsse jetzt schnell seinen Wahlkampf intensivieren. Auch wenn sein Sieg unwahrscheinlich sei, sei er nicht abgeschrieben. Seine demagogischen Fähigkeiten seien erheblich, Zwischenfälle könnten provoziert werden, Risiko von Überreaktionen des Kabila-Lagers. Die beiden Lager stünden sich antagonistisch gegenüber. Die Lage in Kinshasa bleibe zerbrechlich. Hohes Gewaltrisiko bestehe um den Tag der Präsidenten-Stichwahl und der Provinzwahlen am 29. Oktober und die Verkündigung des Wahlergebnisses der Stichwahl am 19. November.

MONUC und EUFOR bemühen sich um Deeskalation und vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu gehören eine teilweise Demilitarisierung von Kinshasa, eine Kontrolle des Zugangs zu den Medien und ein Verhaltenskodex für die Wahlen.

Zusammengefasst: Kinshasa ist offenkundig der wichtigste Hotspot. Das EUFOR-Eingreifen vom 20./21. August hat die Glaubwürdigkeit der Mission erhöht. Für eine effiziente Abschreckung ist die Synergie aller internationaler Partner essentiell. EUFOR und MONUC sind verstärkt als Schiedsrichter gefragt, der ein fair play beim restlichen Prozess garantieren soll. „Wir sollten mit Forderungen rechnen, die EUFOR-Präsenz in Kinshasa über das Ende des laufenden Mandats (30. Nov.) hinaus zu halten."

Flottillenadmiral Bess schildert in Anwesenheit der Presse die Ereignisse ab 20. August. Für den Tag der Verkündigung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl bestand für EUFOR hohe Alarmbereitschaft bei niedriger Einsatzschwelle. (Die Gewalteskalation am 21.8. wird recht genau im Bericht des VN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat vom 21. September, S/2006/759, http://www.un.org/, geschildert: Kleinere Gruppen der Präsidentengarde lieferten sich an Bembas Residenz mit leichten und schwereren Kalibern Schusswechsel mit ca. 200 Milizionären Bembas. Auf Seiten der Präsidentengarde sollen auch einzelne T 54/55-Panzer - sowjetische Standardpanzer der 50er bis 70er Jahre - gewesen sein. In der Residenz befanden sich die Diplomaten der Internationalen Kommission zur Begleitung der Transition/CIAT, darunter der deutsche Botschafter. Zwei MONUC- und eine EUFOR-Kompanien holten die in der Residenz Eingeschlossenen, darunter internationale Botschafter, heraus. Inzwischen alles noch detaillierter in: Policy Briefing 42 der International Crisis Group vom 2. Oktober 2006: Securing Congo`s Elections: Lessons from the Kinshasa Showdown; http://www.crisisgroup.org/)

Mit dem intensiven Engagement des Sondergesandten des VN-Generalsekretärs und flankiert von MONUC und EUFOR gelang es, die Gewalt zu stoppen und einen Waffenstillstand zu vereinbaren.

Die MONUC-Bitte an EUFOR, Enforcement Patrols zu stellen, wurde - weil angeblich vom Mandat nicht gedeckt - abgelehnt. EUFOR beteiligt sich aber an Joint Verification Teams unter MONUC-Leitung. Diese sollen die Umsetzung der Waffenstillstandsvereinbarung vom 22. August überwachen und zur Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien beitragen. Nach bisher 25 JVT-Einsätzen sei die Verifikation teilweise erfolgreich gelaufen. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Garden sei begrenzt.

EUFOR-Patrouillen zur Aufklärung und Erkundung an Hotspots: anfänglich nur mit Fahrzeugen, inzwischen auch z.T. zu Fuß. In bestimmten Vierteln könne man sich gut bewegen.

Weitere Operationen laufen nach (a) Stabilization Plan Kinshasa, (b) Redeployment (Rückverlegung) Plan. Man sei auf Worst-Case-Szenarien vorbereitet.

Die Strategische Reserve habe eine politische Seite (Signal von Entschlossenheit durch Ankündigung) und eine militärische Seite (Erhöhung der Kapazitäten). Sie ist binnen 20-30 Tagen in Kinshasa verfügbar. Hier sind Beschleunigungen notwendig, z.B. von Einzelelementen, und Vorrausstationierungen von Gerät.

Die Rückverlegung: Das Operation Headquarter in Potsdam ist schon intensiv damit befasst. Alle Fähigkeiten müssen bis zum 30. November auf 100% bleiben. Danach gibt es nur noch Force Protection (Selbstschutz). Angesichts der Tatsache, dass bis zum 29. November spätestens die Wahlergebnisse verkündet werden dürfen und für den 10. Dezember die Amtseinführung des Präsidenten angesetzt ist, stellt die letzte Folie der Powerpoint-Präsentation für die Rückverlegungsphase ab 1. Dezember die Frage in den Raum: „Military tasks 0%?"

Minister Jung`s Antwort darauf ist hundertprozentig: Stabile Vorrausetzungen seien geschaffen. VN- und Bundestagsmandat gehen bis zum 30. November. Deutschland habe keinerlei Absicht, dass Mandat zu verlängern. Danach sei wieder MONUC allein verantwortlich.

Am 23. September hatte Chris Patton, Vorsitzender der International Crisis Group und ehemaliger EU-Außenkommissar, in der SZ geschrieben, es wäre „Wahnsinn die EU-Operation wie geplant Ende November zu beenden. Die Europäer können dem Land doch kaum ausgerechnet in dem Moment den Rücken kehren, der der kritischste im ganzen Drama sein wird. Die von DEU geführte EU-Truppe sollte ihr Mandat verlängern, bis die neue Regierung vereidigt ist." Nach Kinshasa müsste viel mehr Einsatztruppe verlegt werden. Von Deutschland fordert er „kühne Führung".

Seine Intervention wird mit der Bemerkung abgetan, es sei schleierhaft, wie er auf das Datum 17. Januar für die Amtseinführung der neuen Regierung komme. (Hier bleibt eine zentrale Frage ungeklärt: Wenn die Amtseinführung des Präsidenten am 10. Dezember sein soll, ist das nicht gleichbedeutend mit der Vereidigung der ganzen Regierung.)

Beim Gespräch mit Vertrauensleuten geht es um passende Stiefel, fehlende Nachtsichtgeräte und den Antrag auf höheren Auslandsverwendungszuschlag (hier zzt. Stufe 4/66,47 Euro/Tag bei „hoher Belastung, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen")

Gespräch mit dem Präsidentschaftskandidaten und bisherigen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba in seinem Dienstsitz, der auch von gepanzerten MONUC-Fahrzeugen gesichert wird. Trotz aller Vorabsprachen bedarf es massiver Interventionen, dass wir Abgeordnete von den grimmig-harten Bemba-Männern rein gelassen werden. Im Hof sitzen ca. 200 Menschen. Es sind Bemba-Verbündete der „Union für die Nation", die über die Wahlkampfstrategie beraten.

Im Unterschied zu unserem Treffen im April tritt der berüchtigte ehemalige Warlord, der mich tatsächlich wieder erkennt, jetzt seriös, verbindlich und längst nicht so machtvoll-autoritär und bedrohlich auf - als hätte er ganz viel Kreide zu sich genommen. Während er mit seiner kompakten Statur zurückgelehnt unter einem Bild mit heroisch-muskulösen Fischern in seinem Sessel thront, hocken einzelne Delegationsmitglieder auf der Vorderkante ihres Sessels.

Fünf Stunden lang sei er am 21. August zusammen mit dem Botschafter angegriffen und bombardiert worden. Er wolle den Prozess aufrechterhalten. Ohne die Präsenz der Botschafter wäre der Prozess wohl zu Ende gewesen. Er sei EUFOR für ihr effizientes Handeln dankbar. Bei der Stichwahl dürften sich solche Zwischenfälle nicht wiederholen. Das Ergebnis werde hoffentlich respektiert. Bei der Umsetzung der Vereinbarung vom 22. August sei EUFOR sehr wichtig.

Von deutscher Seite wird der Wille versichert, nach EUFOR zum Aufbau und zur weiteren friedlichen und demokratischen Entwicklung beitragen zu wollen. (Die Frage ist, ob Bemba die uns so leicht von den Lippen gehenden Werte und Ziele teilt oder sie eher als störend empfindet.)

Ich schnappe mir die einzige Abgeordnetenfrage: Er könne stolz auf sein Volk und dessen Engagement bei den Wahlen sein. Jeder Kandidat setze selbstverständlich auf Sieg. Das Problem bei ihm und Kabila sei die in ihren Wahlergebnissen zutage tretende Teilung des Landes. Wie wolle er nach einem Wahlsieg die Teilung überwinden? Bemba: Das Wahlergebnis sei wohl geteilt, aber nicht aus inhaltlichen Gründen. Auch im Osten wollten die Menschen Sicherheit. Er trete für Sicherheit, Gerechtigkeit und Entwicklung ein. In der „Union für die Nation" seien Politiker aus allen Regionen.

Thomas Nehls (WDR) stellt ihm unter den Augen von Jung die Frage nach dem Mandatsende: Bemba, der sich im April eher ironisch zu EUFOR geäußert hatte, spricht sich jetzt für eine gewisse Verlängerung aus.

Vor dem Gebäude spreche ich zwei uruguayische MONUC-Offiziere an und danke Ihnen für Ihre gute Arbeit und Ihr Engagement. In der notorischen Bundeswehr-Fixiertheit solcher Besuche wird MONUC praktisch nicht wahrgenommen.

Zwei geplante Spitzengespräche kommen nicht zustande: Präsident Kabila fällt wg. des bekannten Organisationschaos im Präsidentenumfeld kurzfristig aus. Im Büro des Vorsitzenden der Unabhängigen Wahlkommission ist man von einem Termin 24 Stunden später ausgegangen. Jetzt befindet sich der Vorsitzende in Afrika. Wer hier die „Schuld" bei der Botschaft sieht, ist offenbar ganz neu hier. Anfang des Jahres ließ Kabila wider alle afrikanische Achtung des Alters die Weltautorität und den älteren Kofi Annan einfach sitzen.

 

Gespräch mit deutschsprachigen Kongo-Kennern auf der Terrasse der Botschaft oberhalb des Kongo-Flusses - mit einem Steyler Missionar, der seit 1969 im Land ist, mit Vertretern der Konrad-Adenauer-, der Franz-Seidel-Stiftung und GTZ sowie einer Mitarbeiterin des Evangelischen Entwicklungsdien-stes:

- Die Wahlen seien beeindruckend friedlich gewesen. Das Volk habe sehr viel Reife dabei bewiesen. Jetzt gebe es enorme Erwartungen und Hoffnungen, aber auch Angst vor dem nächsten Wahltag.

- EUFOR sei vorher von einigen Kreisen stark misstraut worden. Mit dem 21. August sei der Verdacht, EUFOR sei Schützenhilfe für Kabila, zerstreut worden.

- Nach der Stichwahl seien wieder Unruhen möglich. Die würden aber kaum länger andauern.

- Wenn das Mandatsende am 30. November breit bekannt werde, könnten sich Störer darauf einstellen.

- Das Bildungsniveau sei extrem niedrig. Es gebe ein hohes Potenzial an Menschen, sie sich betrogen fühlen und verführbar sind. Es sei höchst ungeschickt, dass der Abzug für den 30. November so angekündigt worden sei. Man habe mehr Angst vor dem Mob als vor allem anderen.

- EZ-Maßnahmen laufen ununterbrochen weiter: Integration von Kindersoldaten, Wasserversorgung, Gesundheitswesen, Kleingewerbe.

- Viele Menschen sind vom Kampf ums Überleben absorbiert. „In diesem Land geht nichts. Aber es geht alles."

- Nächste Schritte: Demokratie muss sich lohnen! Sichtbare Projekte sind notwendig, z.B. im Straßenbau. Um der Korruption von unten entgegenzuwirken, müssen Staatsdiener ausreichend bezahlt werden.

 

In halsbrecherischer Konvoifahrt geht es anschließend wieder zum Flughafen, wo ein zweites Treffen mit dem Verteidigungsminister stattfindet. Dieser entschuldigt sich für die ausgefallenen Gespräche und überreicht seinem Kollegen eine Leopardenstatuette als Symbol der Macht.

Emotional empfinde ich diesen so kurzen Kinshasa-Aufenthalt dank vieler Wiedererkennungs- und Vergleichssituationen als viel länger. Bei dem stv. Force-Commander und Kommandeur des deutschen Kontinents FltAdm Bess spüre ich über die überzeugende Professionalität hinaus politisch-menschliches Engagement für die Menschen im Kongo. Bewusst verlasse ich als letzter kongolesischen Boden.

Ergänzung und Zusammenfassung:

(a) Nach dem innerdeutschen Streit um die Kongo-Mission wechselte die allgemeine Aufmerksamkeit schnell wieder zu anderen Themen. Der Fortgang des schwierigen und risikoreichen Prozesses wurde kaum noch wahrgenommen - abgesehen vom Kurzurlaub von General Viereck zum unpassenden Zeitpunkt.

Festzustellen bleibt: Mehrere Hürden wurden erfolgreich genommen.

- Die Bevölkerung hat beim Wahlprozess sehr engagiert und ernsthaft mitgemacht, die Wahlbeteiligung von 70,43 % bei mehr als 25 Mio. registrierten Wahlberechtigten unter den Kongo-Bedingungen ist bewundernswert. Die im Vorfeld so beachtete Boykottbewegung spielte keine erkennbare Rolle. Vorher waren 260.000 Wahlhelfer trainiert worden. 47.500 nationale und 1.773 internationale Wahlbeobachter kamen zum Einsatz, außerdem 466.000 Beobachter der Parteien. Von mehreren Wahlbeobachtern hörte ich inzwischen sehr positive, ja bewegende Berichte auch aus dem Osten - zum Verhalten der WählerInnen, der Polizisten, von MONUC. Im Bericht des VN-Generalsekretärs vom 21. September an den Sicherheitsrat heißt es, die Wahlen seien in generell friedlicher und ordentlicher Weise und mit breitem Enthusiasmus in der Bevölkerung gelaufen. Probleme gab es in 239 Wahllokalen in beiden Kasai`s - bei 50.000 Wahllokalen insgesamt. Dort wurde die Wahl sofort nachgeholt. Die Auszählung klappte vor allem dank südafrikanischer technischer Hilfe bis auf einzelne Ausreißer insgesamt ordentlich. Überhaupt habe es bei der ganzen Wahlorganisation eine beste Nord-Süd-Zusammenarbeit gegeben. Dass Kabila nicht im ersten Wahlgang gewann, entkräftete den Parteilichkeitsvorwurf gegen EUFOR und verschaffte EUFOR einen großen Glaubwürdigkeitsgewinn.

- Praktisch unbeachtet blieb hierzulande die andere, wahrlich nicht unwichtige Wahl am 30. Juli, die des Parlaments mit einem recht bunten Ergebnis. Am 22. September traf es zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.

- Ausgesprochen bewährt haben sollen sich die durch die EU-Polizeimission EUPOL ausgebildeten Polizeieinheiten. Eine Erfolgsgeschichte!

- Die Auseinandersetzungen vom 21. August bewiesen, wie notwendig die EUFOR-Stationierung in Kinshasa war. Hier ist der Hotspot Nr. 1. Ohne die EUFOR-Flankierung wäre der ganze Wahlprozess möglicherweise entgleist.

Chris Patton, ICG-Vorsitzender, am 23. September in der SZ, die Tatsache der Wahlen sei angesichts der Voraussetzungen „im Grunde unglaublich".

(b) Am 29. September verlängerte der VN-Sicherheitsrat die MONUC-Mission unverändert bis zum 15. Februar 2007. Bis soll genügend Zeit sein zu Gesprächen mit der neuen kongolesischen Regierung über die künftige Rolle von MONUC. Nicht unwahrscheinlich ist, dass ein künftiger Präsident die Internationale Gemeinschaft mit ihrer Forderung nach Good Governance - ein Horror für erfahrene Kleptokraten - lieber heute als morgen vom Hals haben möchte. Das hochinteressierte und mit Krediten äußerst großzügige China könnte da hilfreich sein. (Bei MONUC scheint die Bundesrepublik inzwischen keine sonderliche Rolle mehr zu spielen: Der von DEU gestellte stellvertretende Leiter der politischen Abteilung ist routinemäßig im Sommer wegrotiert und nicht ersetzt worden. Das hätte viel mehr öffentliche Aufregung verdient als ein von BILD hoch gezogener Kurzurlaub! Bei den MONUC-Uniformierten ist DEU sowieso mit null Personen vertreten - im Unterschied zu NL, TSCH und Elfenbeinküste je 1, DÄN + POL je 3, BOS-HERZ/5, GB 6, BEL/9, ..., CHI 238, ... IND 4.648)

Die Verstärkung von MONUC durch ein Bataillon der VN-Mission in Burundi (ONUB) bleibt erhalten. Darüber hinaus wurde keine Aufstockung beschlossen.

- Am 2. Oktober bestätigte das Treffen der EU-Außenminister in Finnland auf deutsche Empfehlung hin, dass EUFOR pünktlich am 30. November enden soll.

- Nach aller bisherigen Erfahrung ist kaum damit zu rechnen, dass sich der Wahlverlierer bzw. seine Anhänger mit einer Niederlage, d.h. einem existenziellen Verlust an Pfründen, abfinden würden. Diese erhöhte Risikophase kann bis zum 30. November abgeflacht sein, muss es aber nicht. Zu dem Zeitpunkt EUFOR auf Null zu schalten und damit die multinationale Präsenz in Kinshasa ersatzlos zu reduzieren, ist regelrecht eine Einladung an die eine oder andere Seite, auf alt bekannte gewaltsame Weise um Macht zu kämpfen.

Während Außenminister Steinmeier noch kein Mal den Kongo besucht hat - erst kam der Iran, dann der Libanon dazwischen -, trat Minister Jung bei seinem 2. Kongo-Besuch deutlich als ein Ressortminister auf, der immer wieder betont, dass die Bundeswehrsoldaten zu Weihnachten wieder zu Hause seien, dass also am 30. November Schluss sei. Diesen Wunsch teile ich.

Dieser Wunsch ist aber innenpolitisch und gegenüber den Soldaten so berechtigt wie außenpolitisch verkürzt. Und er wird auch nicht durch die völlig richtigen Angebote verantwortlicher, von DEU aus künftig verstärkt zu Polizei- und Streitkräftereform (EUPOL und EUSEC) beitragen zu wollen (dabei bleibt offen, wieweit das in der Bundesregierung überhaupt abgemacht ist). Die Betonung dieses legitimen Interesses und das auf dem internationalen Parkett notwendige Pokern eines Ministers entbinden ganz und gar nicht von dem europäischen und internationalen Interesse an einem friedlichen Abschluss des Wahlprozesses bis zur Amtseinführung des Präsidenten und der Regierung. Wie das von VN + MONUC, von EU und Deutschland mit der jetzigen Kräfteplanung gewährleistet werden kann, bleibt außen vor. Im Force-Headquarter in Kinshasa höre ich Beunruhigung über die Tabuisierung dieser Schlüsselfrage. Im November kann das zu äußerst kritischen und hochnotpeinlichen Situationen für VN, EU und nicht zuletzt eine Bundesregierung führen.

Die renommierte International Crisis Group fordert in ihrem jüngsten Policy Briefing eine deutliche Aufstockung der EU-Einsatztruppen in Kinshasa und eine Verlängerung des EU-Einsatzes bis zum Ende des Wahlprozesses im Januar 2007. Mir wäre am liebsten, sie hätte damit nicht Recht. Aber es ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Bundesregierung, diese Forderungen zu prüfen, zu entkräften oder die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen.

Bisher höre und spüre ich aber vor allem die Botschaft: „Ihr macht das schon. Hauptsache weg!"

Angesichts der großen und hehren Worte in der EUFOR-Startphase ist das ein politischer und moralischer Salto mortale.

(c) Ausgesprochen sympathisch und gut ist, wie sehr militärisch Verantwortliche am Horn von Afrika wie im Kongo betonen, dass deutsche Soldaten im Unterschied zu manchen anderen Verbündeten respektvoll und möglichst kooperativ mit ihren „Kunden" umgehen. Das ist kooperative Sicherheitspolitik ganz konkret.

Besseres Verhalten und Auftreten bedeutet aber noch längst nicht bessere Politik. Hier gibt es noch reichlich Nachholbedarf bei deutscher Afrika-Politik, angefangen bei den Kapazitäten und Fähigkeiten, die überhaupt dafür zur Verfügung gestellt werden.

Der Kongo ist dafür weiterhin eine Nagelprobe.

Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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