Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte die Kolleginnen und Kollegen aus dem kanadischen Parlament sehr herzlich begrüßen. Kanada hat eine sehr lange Tradition der Teilnahme an FriedensÂmissionen im Auftrag der Vereinten Nationen. Als wir kürzlich in Ottawa waren und dort die Ausstellung Afghanistan: A Glimpse of War gesehen haben, haben wir erfahren und empfunden, wie die kanadische GesellÂschaft mit dem Afghanistan-Engagement, das für ihre Soldaten tatsächlich auch ein Kriegseinsatz ist, umgeht und um den richtigen Weg ringt.
Kollege Lafontaine, die Vorfälle, die Sie aus dem Stern zitieren, sind, wenn sie tatsächlich so geschehen sind, schändlich. Ich denke, das ist hier die einmütige Bewertung.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Es ist versucht worden, weitere Hinweise dafür zu beÂkommen, ob diese Meldungen der Wahrheit entsprechen. Bisher haben wir keine gefunden. Aber die Bewertung ist völlig eindeutig.
(Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein, hier wird so getan, als wäre das gar nicht wahr!)
Unabhängig von dem, was Sie gerade genannt haben: Kollege Lafontaine, vielleicht haben Sie Anfang DezemÂber 2007 die Umfrage von ABC, BBC und ARD zur Kenntnis genommen, die überraschende Ergebnisse brachte. Die Leute, die mit dieser Umfrage zu tun haben, sind bekannt, und es handelt sich hier mit Sicherheit um eine seriöse Umfrage. Das Ergebnis war, dass die BevölÂkerung gegenüber dem internationalen Engagement und auch gegenüber ISAF viel positiver eingestellt ist, als wir das hierzulande wahrnehmen. Zwar ist - das muss man ganz nüchtern dazusagen - die Tendenz bröckelnd, aber die Mehrheit ist eindeutig dafür. Vielleicht sollte IhÂnen das etwas zu denken geben.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)
Unabhängig von der Auseinandersetzung mit Ihnen finde ich, dass die Fragen und Befürchtungen zum EinÂsatz der Quick Reaction Force völlig berechtigt sind. GeÂraten wir in eine Eskalation hinein? Geraten wir in einen Kriegssumpf hinein? Diese Fragen treiben sicherlich alle um. Man muss auch angesichts der Tatsache misstrauÂisch sein, dass gewichtige Stimmen darauf drängen, dass die Quick Reaction Force ausdrücklich an KriegseinsätÂzen teilnimmt.
Worum geht es bei dieser „Schnellen ReaktionsÂtruppe"? Was ist zu verantworten und was nicht? Um es klar zu sagen: Es geht um eine relativ kleine militärische Reserve und Verstärkungseinheit für bestimmte NotÂsituationen, wenn die sowieso schon sehr schwachen Kräfte der Wiederaufbauteams, die in einem riesigen, komplizierten Raum verteilt sind, nicht mehr klarkomÂmen. Kollege Beck hat vorhin schon Beispiele aus dem letzten Jahr dafür genannt, welche Einsatzformen das waren. Diese bewegen sich vollkommen im Rahmen der bisherigen Erfahrungen der ISAF im Norden des LanÂdes. Sie gestatten, dass ich regional differenziere, weil es in anderen Regionen, mit denen auch unsere kanadiÂschen Freunde zu tun haben, ganz krass anders aussieht. Darüber kann man nicht hinwegsehen.
Allerdings - auch das ist völlig richtig - ist diese Quick Reaction Force Ende Oktober, Anfang November letzten Jahres zum ersten Mal in ein Gefecht gekommen und hatte einen ausdrücklichen Kampfeinsatz. Das kann man nicht verniedlichen.
Zusammengefasst: Diese Truppe liegt mit ihrer AufÂgabenstellung noch im Rahmen des bisherigen ISAF-Nord-Mandates; das ist eindeutig. Allerdings sind beÂstimmte Punkte klar zu garantieren. Erstens darf es nur eine Unterstellung unter den Commander Nord geben. Zweitens ist es - wie es im Mandat festgelegt ist - ein Einsatz im Norden. Drittens ist die Aufgabenstellung nicht so, wie sie von manchen fahrlässig beschrieben wurde, dass es jetzt um offensive Terroristenjagd oder offensive Aufstandsbekämpfung gehe. Nein, es geht weiterhin um Stabilisierungsunterstützung, allerdings mit härteren militärischen Anforderungen, und es ist auch riskanter; da gibt es kein Vertun.
Wir sind hier auf dem Sicherheitssektor. Hier geht es um schnelle Reaktion. Gestatten Sie, dass ich noch zu eiÂnem anderen Punkt komme, nämlich zu Yolo II. Dieser Einsatz in Nordwest-Afghanistan war notwendig, weil die Polizeikräfte vor Ort äußerst schwach waren. Wie sieht es nun - Herr Staatssekretär Bergner, das geht jetzt auch sehr stark an Ihre Adresse - mit dem Polizeiaufbau aus, von dem wir alle wissen, dass er für nachhaltige Sicherheit in Afghanistan von strategischer Bedeutung ist?
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wir haben im letzten August, September und Oktober festgestellt, dass die EUPOL-Mission der Europäischen Union nicht in die Pötte kam, dass sie viel weniger schaffte als das deutsche Polizeiprojekt. Wie sieht es zurzeit aus? Im März sollen dort 195 Polizisten sein. Zurzeit sind dort 30 internationale Polizisten. Wie sieht es mit den deutschen Polizisten aus? Bis zum letzten Jahr waren über 40 da. Jetzt sind gerade noch 15 dort. Das bedeutet nichts anderes als: Hier wird die KapitulaÂtion der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland im entscheidenden Bereich des PolizeiaufÂbaus vorbereitet.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN - Alexander Bonde [BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœÂNEN]: Eine Schande für das InnenministeÂrium!)
Ich muss der Bundesregierung sagen: Ich bin inzwischen ausgesprochen zornig darüber, wie die Beschönigung der Situation in diesem Bereich aus den Reihen der BunÂdesregierung bis gestern - heute haben Sie die Chance, das zu ändern - fortgesetzt wurde.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, ich muss Sie an Ihre Redezeit erinnern.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Ich komme zum Schluss; aber ich bin zornig.
(Heiterkeit und Beifall beim BÃœNDNIS 90/ DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das ändert nichts daran, dass Sie Ihre Redezeit überÂschritten haben.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Worauf das so hinausläuft: Wir verlieren das besonÂdere Vertrauen der Afghanen. Wir machen uns in der Staatengemeinschaft lächerlich. Jetzt tut das not, was die Kanadier und die Briten machen, was die Amerikaner zweifach machen: endlich einmal eine unabhängige Ãœberprüfung des Afghanistan-Engagements, um klar zu sehen, wie es aussieht, und nicht nur immer zu erzählen, was Schönes gemacht wird. Wie sieht es aus? Was kommt dabei heraus? Wo müssen wir umsteuern? Bitte, die Entscheidung drängt!
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: