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Artikel von Winfried Nachtwei für Zeitschriften u.ä.
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Außenpolitik-Review 2014: Einmischen oder zurückhalten? "Kommt ganz drauf an!" Zur Umfrage der Körber-Stiftung zu den außenpolitischen Einstellungen der Deutschen

Veröffentlicht von: Nachtwei am 27. Mai 2014 14:41:33 +01:00 (89937 Aufrufe)

Außenminister Steinmeier hat den Prozess "Review-2014 - Außenpolitik Weiter Denken" initiiert. Am 20. Mai fand dazu im Auswärtigen Amt eine vielversprechende Auftaktveranstaltung statt. Was halten die Deutschen vom Ruf nach einem stärkeren außenpolitischen Engagement Deutschlands? Dazu wurde eine von der Körber-Stiftung herausgebene Umfrage vorgestellt. Hier meine ZUsammenfassung und Kommentierung ...  

Einmischen oder Zurückhalten? „Kommt ganz drauf an!“

Anmerkungen zur Umfrage der Körber-Stiftung zu den

außenpolitischen Einstellungen der Deutschen

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (24. Mai 2014)

Bei der Auftaktveranstaltung zu „Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken“ am 20. Mai 2014 im Auswärtigen Amt wurden die Ergebnisse der repräsentativen Infratest-Umfrage „Einmischen oder Zurückhalten?“ vorgestellt, bei der im Auftrag der Körber-Stiftung im April und Mai 2014 1000 Personen befragt wurden.

In der ersten Phase der Außenpolitik-Überprüfung hatten außenpolitische Experten ihre (hohen) Erwartungen an deutsche Außenpolitik formuliert. Mit Hilfe der Umfrage sollte nun ermittelt werden, wie die deutsche Bevölkerung zu der „internationalen Verantwortung“ Deutschlands steht, ob sie mehr oder weniger davon will, für welche Ziele und mit welchen Maßnahmen. (www.koerber-stiftung.de/umfrage-aussenpolitik )

Hilfreich ist der Abgleich mit der alljährlichen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaftler der Bundeswehr[1] zum „Sicherheits- und verteidigungspolitischen Meinungsklima in der Bundesrepublik Deutschland“ (seit 2000). Zuletzt wurden im September 2012 2627 Personen befragt. (www.zmsbw.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/sicherheitspolitik.pdf?PHPSESSID=e1fc5c8a9d7ad03ac4acb00cf77a96 )

1. „Großes außenpolitisches Interesse“ (Zwischenüberschriften wie in der Umfrage)

68% gaben an, sich sehr stark (12%) oder stark (56%) für Außenpolitik zu interessieren, zunehmend jeweils mit Alter und Bildung.

Anmerkung: Dieses Ergebnis ist erfreulich, aber es überrascht mich auch: Von dem relativ hohen Interesse ist im politischen Alltag weniger zu spüren. Dort dominieren Nahinteressen und Innenpolitik. EinsatzrückkehrerInnen in Uniform und noch mehr in Zivil erleben oft Desinteresse an ihrer Arbeit. Communities und Fachöffentlichkeiten der verschiedenen Sparten internationaler Politik kommunizieren überwiegend fragmentiert und unter sich.

Der Nachwuchs für die außenpolitischen Ausschüsse des Bundestages wird spärlicher. Die Basis der Parteien bevorzugt zunehmend Kandidaten mit innenpolitischen Schwerpunkten. In den meisten Bundestagsfraktionen wird seit Jahren ein „Gewichtsverlust“ der Außen- und Sicherheitspolitiker beobachtet.

Möglicherweise war das in der Umfrage zutage tretende hohe Interesse an Außenpolitik aktuell durch die zugespitzte Ukraine-Krise begründet. Hier wäre die ergänzende Frage interessant gewesen, worin sich das (sehr) starke Interesse denn zeigt.

Über die Jahrzehnte habe ich Außenpolitik als eine Art „Schläfer“-Thema erfahren: zu Normalzeiten wird sie an die Zuständigen delegiert und nur marginal zur Kenntnis genommen. Bei stark wahrgenommenen Krisen kann dann das Interesse aber regelrecht hoch schießen, vor allem wenn es mit der existentiellen Frage von Krieg und Frieden verbunden ist.

Intensiv und beständig ist das außenpolitische Interesse bei der wachsenden Minderheit derjenigen, die persönliche internationale Erfahrungen + Verbindungen haben.

2. „Geringe Bereitschaft zu stärkerem Engagement bei internationalen Krisen“

Nur 37% befürworten ein stärkeres deutsches Engagement, 60% votieren weiter für Zurückhaltung. 1994 waren die Antworten (Zeit des Bosnienkrieges) genau umgekehrt. Begründet wurde das Votum für Zurückhaltung damit, dass Deutschland genug eigene Probleme habe (73%). 50% führten die deutsche Geschichte als Grund an – besonders Befragte ab 60 Jahre.

Die Bevölkerungsumfrage 2012:

(a) Hat die Verantwortung Deutschlands auf internationaler Ebene in den letzten Jahren in der Wahrnehmung der Bundesbürger zugenommen oder abgenommen? 65% sehen eine Zunahme (24% deutliche, 41% eher); 24% weder noch; 5% sehen eine Abnahme (4% eher, 1% deutlich); 6% ohne Meinung.

(b)Was meinen Sie: Wie sollte sich Deutschland in der internationalen Politik am ehesten verhalten? Sollte Deutschland (1) eher eine aktive Politik verfolgen und bei der Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten mithelfen oder (2) sich eher auf die Bewältigung eigener Probleme konzentrieren und sich aus Problemen, Krisen und Konflikten anderer möglichst heraushalten?“

- Für „eher aktiv“ votierten 42%  (in 2000 52%), deutlicher Rückgang von 2006 auf 2007; nach Parteipräferenzen: Union 49%, SPD 48%, Grüne 54%, Linke 29%;

- für „eher auf die Bewältigung eigener Probleme konzentrieren“ 48% (in 2000 47%).

- keine Meinung haben 10% (1%). (S. 18)

Anmerkung: Beide Umfragen zeigen, dass um die/mehr als die Hälfte der Deutschen ein stärkeres Engagement bei internationalen Krisen ablehnt und dass diese Haltung zunimmt. Ein Hauptmotiv ist offenbar der Vorrang der Problemlösung „im eigenen Haus“. Auszuschließen ist aber nicht, dass bei der Mai-Umfrage auch die militärlastige Interpretation der „Münchener Reden“ eine Rolle gespielt hat, wo internationale Verantwortung vielfach mit Militäreinsätzen gleichgesetzt wurde. Die Gewichtung der beiden Motive bleibt jedenfalls offen.

Die relativ große Distanz der Bevölkerung gegenüber einer aktiveren Außenpolitik ist von der verantwortlichen Politik erheblich mitverursacht.

-         Die Komplexität, Dynamik und Unübersichtlichkeit internationaler Beziehungen und Politik erschwert eine intensivere Anteilnahme der BürgerInnen. Sie ist eine strukturelle Überforderung.

-         Die Wahrnehmung internationaler Politik wird üblicherweise von Kriegen, Gewaltereignissen, Militäreinsätzen und Bad News dominiert. Die Breite und Vielfalt der Außenpolitik hat es demgegenüber immer wieder schwer, wahrgenommen zu werden. In Deutschland ist die militärlastige (Fehl-)Wahrnehmung von internationalem Engagement auch eine Begleiterscheinung der bewährten Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen. Von den de facto multidimensionalen Krisenengagements wird fast nur die militärische Komponente, kaum die zivile und polizeiliche debattiert. (Mit der Formulierung umfassender, zivil-polizeilich-militärischer Mandate könnte der vorherrschenden eindimensionalen Behandlung von Krisenengagements entgegengewirkt werden.)

-         Dass internationales Engagement der aktiven öffentlichen Kommunikation, der Ansprache und Einbeziehung der BürgerInnen bedarf, scheint – so mein subjektiver Eindruck -  eher bei der Militär- und Entwicklungspolitik, am wenigsten bei der Außenpolitik im engeren Sinne angekommen zu sein. Der traditionelle Ansehensvorteil von Außenministern und Bilder von Diplomatentreffen reichen da zur öffentlichen Kommunikation nicht aus. Die Bundeswehr betreibt mit ihren Jugendoffizieren sicherheitspolitische Bildungsarbeit in der Breite. Von Seiten des Auswärtigen Amtes gibt es nichts Vergleichbares. Seit mehr als 20 Jahren hat sich Deutschland zunehmend an internationaler Krisenbewältigung beteiligt. Eine umfassende, systematische und öffentlich kommunizierte Bilanzierung – was hat es (nicht) gebracht? – wurde bis heute versäumt. In den Bundestagswahlkämpfen ist internationale Politik – zuletzt 2013 – in der Regel für die Parteien und KanzlerkandidatInnen kaum ein Thema.

-         Seit Jahren fällt mir auf, welche geringe Rolle die Vereinten Nationen im allgemeinen sicherheits- und friedenspolitischen Diskurs in Deutschland spielen – trotz ihrer hohen Akzeptanz, trotz ihrer Schlüsselrolle für internationale Sicherheit und Weltfrieden und die vielen drängenden globalen Großprobleme. Dass die inzwischen 40-jährige deutsche VN-Mitgliedschaft auch Verpflichtungen beinhaltet – so die grundsätzliche Unterstützung von VN-Friedenssicherung -, scheint bisher sehr wenig in der allgemeinen Öffentlichkeit angekommen zu sein.

Vorsicht ist aber geboten vor einer Überinterpretation („Neoisolationismus“) dieser ersten Antwort: Bei den folgenden Fragekomplexen zeigt sich, dass die mehrheitliche Distanz gegenüber einem stärkeren deutschen Engagement nicht kategorisch und unterschiedslos gilt, sondern sich erheblich nach Zielen und Aktionsfeldern auf differenziert.

3. „Klare Prioritäten: Frieden in der Welt und Schutz der Menschenrechte“

Als wichtigstes Ziel deutscher Außenpolitik nennen 51% Frieden in der Welt, Sicherheit 21%. Freiheit 15% und Wohlstand 8%.

Als wichtigste Aufgabe deutscher Außenpolitik (sehr wichtig) gelten der weltweite Schutz der Menschenrechte (66%, +27% ggb. 1994!), Verbesserung des Klima- und Umweltschutzes (59%, -10%), Energieversorgung sicherstellen (57%, +4%), (…) Schutz wirtschaftlicher Interessen im Ausland (25%, -14%), ausländische Märkte zur Sicherung der Arbeitsplätze in Deutschland sichern (24%, -32%).

Bevölkerungsumfrage 2012: Sehr wichtige außenpolitische Ziele sind die Sicherheit und Stabilität Deutschlands gewährleisten (78%), Katastrophenhilfe (73%), Versorgung Deutschlands mit Energie und Rohstoffen (67%), Umwelt schützen helfen (66%), Frieden in der Welt sichern helfen (61%), Klimawandel begrenzen (58%, zur Achtung der Menschenrechte weltweit beitragen (49%).

Anmerkung: Auffällig ist: Je konkreter die Fragen werden, desto mehr wächst die Offenheit für eine aktivere Außenpolitik. Die Mehrheit der Bevölkerung präferiert eine werteorientierte Außenpolitik. Wirtschaftliche Interessen haben – für mich überraschenderweise -  eine abnehmende und nachrangige Relevanz. In den Augen der Bevölkerung spielen der Friedensauftrag des Grundgesetzes und kollektive öffentliche Güter eine deutlich größere Rolle als im außen- und sicherheitspolitischen Diskurs der letzten Jahre, wo die Verteidigung eigener, auch partikularer Interessen nach vorne rückte.

4. „Zivile Möglichkeiten außenpolitischen Engagements favorisiert“

Deutschland soll sich viel stärker engagieren bei der humanitären Hilfe (86%), in diplomatischen Verhandlungen (85%), bei zivilgesellschaftlichen Projekten (80%), bei Abrüstung + Rüstungskontrolle (80%), bei der Ausbildung von Polizei und Sicherheitskräften (75%), (…) bei der Aufnahme von Flüchtlingen (47%), mit Militäreinsätzen der Bundeswehr (13%). 82% votieren für ein weniger starkes militärisches Engagement.

Anmerkung: Die Bevölkerung votiert eindeutig für den Vorrang friedlichen und zivilen Engagements. (Tendenz Zivilmacht) Das entspricht auch dem Selbstverständnis bundesdeutscher Außenpolitik (ihr Außenbild scheint aber deutlich militärlastiger zu sein). Diese erfreuliche Grundorientierung zeigt sich z.B. in der vergleichsweise hohen Spendenbereitschaft der Deutschen für humanitäre Hilfe.

Offen bleibt, wie ernst es den Befragten mit den Handlungsfeldern insgesamt ist, ob es mehr ist als bloße Gesinnung. Denn die Grundorientierung schlägt sich – so meine Beobachtung seit den Balkankriegen - auffällig wenig nieder in Interesse und Unterstützung für zivile Krisenprävention und ihre neueren Instrumente. So hoch die Akzeptanz dieses Politikfeldes ist, so notorisch gering ist zugleich das Interesse der breiteren Öffentlichkeit und Medien daran.

Bemerkenswert hoch ist die Zustimmung zur Aufbauhilfe von Streitkräften und Polizei. Die allermeisten Innenministerien haben diesen Akzeptanzvorteil von Polizeiaufbauhilfe aber bisher in keiner Weise aufgenommen.

Die Frage nach mehr oder weniger militärischem Engagement ist angesichts des breiten Spektrums an realen Einsatzarten (von Militärbeobachtern über gewaltverhütendes Peacekeeping bis zu umfassenden Kampfeinsätzen und Aufstandsbekämpfung) viel zu pauschal. Der wichtige Unterschied von VN-geführten und VN-mandatierten Missionen wird nur wenigen bewusst sein. Mir scheint, dass gegenwärtig der kriegerisch gewordene Afghanistaneinsatz der letzten Jahre das Bild von militärischem Engagement bestimmt und erfolgreiche Stabilisierungseinsätze auf dem Balkan wie auch Blauhelmeinsätze der VN weitgehend vergessen macht.

5. „Geringe Unterstützung für militärisches Engagement“

Der Einsatz deutscher Truppen wird vor allem dann befürwortet, wenn Frieden und Sicherheit in Europa direkt bedroht sind (87%), für humanitäre Zwecke (85%), zur Verhinderung von Völkermord (82%), bei Beteiligung an international beschlossenen friedenserhaltenden Maßnahmen (74%), bei einer direkten Bedrohung von Verbündeten (70%), zum Freihalten von Handelswegen und Zugang zu lebenswichtigen Rohstoffen (48%).

Bevölkerungsumfrage 2012:

(a) Einstellung zu Aufgabenfeldern der Bundeswehr im Ausland:

Am höchsten ist die Zustimmung zur Hilfe bei Naturkatastrophen (77% voll, 15% eher). Es folgen Evakuierung von Deutschen und Befreiung aus Geiselhaft (73 und 70%), Verhinderung terroristischer Anschläge auf Deutschland (63%, 21%  eher), Hilfe für angegriffene NATO-Partner (54/26%), Frieden in der Welt sichern (48/31), Sicherheitslage in einer Krisenregion in Europa stabilisieren (43/32), Völkermord verhindern (41/31), Sicherung des internationalen Seeverkehrt (42/30), Stabilisierung einer Krisenregion in Afrika (20/24)

(b) Kenntnis über Auslandseinsätze nach Selbsteinschätzung: Fakten + Zusammenhänge um den Einsatz sind bekannt – die wesentlichen/einige - nichts Konkretes/nichts davon bekannt

- bei ISAF               7/45 – 41/5

- bei KFOR            4/31 – 52/12

- bei EUFOR/Bos  3/27 – 51/17

- ATALANTA/Som 3/24 – 47/24

- UNIFIL/Lib        2/14 – 44/38

(c)Zustimmung zu den Auslandseinsätzen: vollkommen/überwiegend – überwiegend ablehnend/völlig ablehnend

- KFOR               22/30 – 21/17

- EUFOR            21/31 – 21/16

- ATALANTA      23/27 – 19/18

- ISAF                16/22 – 24/31

- UNIFIL           12/22 – 25/23

Im Vergleich zu 2010 ging die Zustimmung z.T. erheblich zurück. Allerneueste Umfrageergebnisse deuten auf eine wieder anwachsende Zustimmung hin.

Anmerkung: Die Einstellungen zu Bundeswehreinsätzen stehen auf unsicherem Fundament: Die Kenntnisse der Einsätze sind sehr unterschiedlich und insgesamt sehr beschränkt.

Die lt. Infratest nur 13% Zustimmung für ein stärkeres Engagement bei Militäreinsätzen bedeutet offenbar keine Ablehnung von militärischem Engagement generell, sondern Zurückhaltung beim Einsatz des Instruments Militär. Es kommt ganz auf den konkreten Zweck, den Einzelfall an. Das ist nach aller Erfahrung vollauf begründet. Gerade Soldaten werden dieser Zurückhaltung aus Einsicht in den Vorrang politischer Konfliktlösung teilen können.[2]

Die verbreitete Behauptung von einem in Deutschland dominierenden Pazifismus (im Sinne des Eintretens für ausschließlich gewaltfreie Konfliktbearbeitung) ist unzutreffend. Sie verkürzt Pazifismus auf eine passive Ohne-mich-Haltung. Pazifistische Organisationen, die für strikt gewaltfreies Einmischen arbeiten,  praktizieren das Gegenteil von Ohne-mich, sind aber seit Jahrzehnten eine kleine Minderheit, die nur spärliche Unterstützung erfährt.

Große Zustimmung erhalten unverändert die Einsatzaufträge, wie sie in den VN-Mandaten der Auslandseinsätze der Bundeswehr formuliert sind. Insofern ist die in der Öffentlichkeit verbreitete Behauptung von einer mehrheitlichen Ablehnung von Auslandseinsätzen falsch. Es kommt auf die konkreten Ziele an und darauf, ob der Einsatz auch einen wirksamen Beitrag zu Frieden und Sicherheit leistet. Bemerkenswert ist, dass die Bevölkerung bei der Verhinderung von Völkermord offenbar viel interventionsbereiter zu sein scheint als die Politik, die dann mit dem Problem einer aussichtsreichen und verantwortbaren Umsetzung konfrontiert wäre.

Das 82%-Votum für weniger militärisches Engagement könnte man als Negativbewertung  der bisherigen Einsätze verstehen – und die Militärs dafür verantwortlich machen. [3] Ausgeklammert würde dabei aber, dass Außenpolitik wesentlich für Auslandseinsätze mit verantwortlich ist: Die Federführung für die Einsätze liegt beim Auswärtigen Amt und beim Auswärtigen Ausschuss; bei den bisherigen Einsätzen war die Unterausstattung der zivilen und polizeilichen Säule immer wieder ein Kernproblem.

6. „Stärkere Zusammenarbeit mit China gewünscht“

Mehr bzw. weniger Zusammenarbeit ist gewünscht mit Frankreich (79% - 12%), mit Polen (71/22), Großbritannien (63/27), China (61/32), USA (56/33), Südafrika (55/32), Russland (53/41), Türkei (40/53).

Anmerkung: Die Antworten geben keine Auskunft über die Rangfolge der Kooperationsländer.

7. „Mehr Bereitschaft zu Engagement bei jungen Wählern“

Die jüngeren Wähler bis 29 Jahre zeigen insgesamt weniger Interesse an Außenpolitik als ältere, zugleich äußern sie die größte Zustimmung zu außenpolitischem Engagement. Eine humanitär begründete Intervention würden sie auch ohne VN-Mandat befürworten.

Anmerkung: Der Gegensatz zwischen geringem Interesse und höherer Engagement-Zustimmung ist eine Herausforderung für politische Bildung.

Schlussbemerkung:

Die außenpolitischen Einstellungen der Mehrheit der Befragten zeigen eine auffällige und erfreuliche Nähe zur Werteordnung der VN-Charta und des Grundgesetzes. Das Votum für den Vorrang ziviler Außenpolitik und internationaler Aufbauunterstützung ist zunächst einmal ein zivilisatorischer Fortschritt und keine Blauäugigkeit. Die Haltung gegenüber dem Einsatz von Militär ist insgesamt zurückhaltend, differenziert und am ehesten offen gegenüber Nothilfe und Friedensbewahrung, am skeptischsten gegenüber umfassenden Kampfeinsätzen. Die Erfahrungen mit internationaler Krisenbewältigung und Interventionen stützen diese Grundorientierung. (Man sehe sich nur die ernüchternde Bilanz der traditionellen Interventionsmächte an!)

Die gelegentliche Interpretation der Umfrage, wonach die auf aktivere Außenpolitik drängende politische Klasse von einer uneinsichtig-rückständigen Bevölkerung gebremst werde, halte ich für deplaziert. Das Problem war seit jahrelang eher eine politische Führung, der es selbst an Strategiefähigkeit, Führungswille und Überzeugungskraft mangelte. Hier wird Verantwortung auf eine irgendwie „zurückgebliebene“ Bevölkerung abgeschoben.

Die Umfrageergebnisse entsprechen meinen Erfahrungen aus der politischen Auseinandersetzung um deutsche Krisenengagements und internationale Verantwortung in den letzten zwanzig Jahren: Offenheit und Zustimmung zu mehr internationalem Engagement Deutschlands lässt sich sehr wohl gewinnen, wenn die Werteorientierung (VN-Charta und Menschenrechte) und der Primat der Kriegsverhütung und Friedensförderung eindeutig sind, wenn die Kommunikation glaubwürdig, dialogisch und anschaulich ist, wenn man bereit ist, aus Erfahrungen und Fehlern zu lernen.

Die Abertausenden Friedenspraktiker in Zivil und Uniform, die es inzwischen in Deutschland gibt, könnten dazu mit ihren Erfahrungen aus Krisenregionen erheblich beitragen.

Zum Review-2014-Prozess:

Mit seiner Antrittsrede am 17. Dezember 2013 stieß Außenminister Steinmeier eine außenpolitische (Selbst-)Überprüfung und Debatte an, wie ich es seit 1994 nicht erlebt habe. Eine so umfassende und offene Initiative ist einmalig. Bei den Reden von Minister Steinmeier beim Review-Auftakt am 20. Mai war nicht nur mein Eindruck: Seine Fragen, sein Dialogangebot sind glaubwürdig. (www.review2014.de/de/themen.html )

Bisher beschränken sich Überprüfungsprozess und Debatteninitiative auf das Ressort Auswärtiges Amt. Zum Auftakt ist das plausibel. Auf die Dauer wäre das eine Sackgasse.

Zurzeit läuft im Bereich des BMZ der Konsultationsprozess Zukunftscharta „EINEWELT – Unsere Verantwortung“. Anfang Mai trafen im Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln des Bundestages viele Abgeordnete, Sachverständige und Fachöffentlichkeit zusammen und erörterten anlässlich 10 Jahren Aktionsplan zivile Krisenprävention der Bundesregierung die Perspektiven der Friedensförderung.[4] In der vorigen Legislaturperiode bemühte sich Verteidigungsminister de Maizière so sehr wie kein Vorgänger, die seit langem geforderte breite sicherheitspolitische Debatte und Verständigung voranzubringen. Mit ihrem auf zwei Jahre angelegten Diskursprojekt „… dem Frieden der Welt dienen“ nahmen die Evangelischen Akademien in Deutschland den Ball einer außen- und friedenspolitischen Debatte auf. Mir ist in lebhafter Erinnerung, wie heiß wir bei den Grünen seit den frühen 90er Jahren um Friedens- und Sicherheitspolitik gestritten und dabei einen neuen Konsens gefunden haben.

Auffällig bei den meisten bisherigen Debattenanläufen war, dass sie weitgehend auf Diskursinseln verblieben, dass es meist an ressortübergreifender Querkommunikation und Debatte mangelte, dass die außen- und sicherheitspolitische Kommunikation in der Öffentlichkeit zum größten Teil von Militärthemen geprägt wurde bzw. in ihrem Schatten stand.

Die Debatte um die gewachsene internationale Verantwortung Deutschlands bietet die große Chance, zu einer ressort- und akteursübergreifenden außenpolitischen Klärung und Verständigung zu kommen – zu besserem Kompass in einer unübersichtlichen und beschleunigten Welt. Ein erster Beitrag dazu wäre, wenn sich auch Interessierte von anderen Feldern internationaler Politik in den AA-Prozess aktiv einmischen und nicht zurückhalten würden.

Empfehlenswert zur Debatte um „Neue Verantwortung“ und die „Münchener Reden“ der HSFK-Standpunkt 1/2014 „Früher, entschiedener und substanzieller? Engagiertes außenpolitisches Handeln und militärische Zurückhaltung sind kein Widerspruch“ von Arvid Bell, Matthias Dembinski, Thorsten Gromes und Berthold Meyer   unter www.hsfk.de/fileadmin/downloads/standpunkt0114.pdf

Beiträge von mir zu außen- und sicherheitspolitischen Einstellungen + Kommunikation

- Internationale Verantwortung – praktisch + persönlich: Zweiter „Tag des Peacekeepers“ am 11. Juni 2014 in Berlin

- Von Namibia in die Welt – 25 Jahre polizeiliche Auslandseinsätze – Lebhafte Feierstunde für TeilnehmerInnen an polizeilichen Auslandsverwendungen, in 2013, April 2014, (www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1277 )

- Bilanzierung und Evaluation von deutschen Auslandseinsätzen, Januar 2014 (erscheint im Laufe des Jahres in einer Buchveröffentlichung zur friedensethischen Überprüfung von humanitär begründeten Interventionen)

- Friedens- und sicherheitspolitischer Workshop des DGB-Bundesvorstandes: Gestörter Dialog und auseinander driftende Welten, 3. Oktober 2013

- Hochglanz-Gelöbnis vor dem Reichstag: Grundwerte-Rede des Bundespräsidenten, Distanz-Attacken gegen angebliche „Kriegspolitik“ – eine Nachbemerkungen, August 2013

(www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1227 )

- Nach dem Peacekeeper-Tag in Berlin Festakt „50 Jahre Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer“ in Bonn – Anerkennung im Schatten, Juli 2013 (www.nachtwei.de/index.php?module&articles&func=display&aid=1224 )

- Gelungene Premiere: Drei Bundesminister ehren erstmalig deutsche Peacekeeper in Uniform und Zivil GEMEINSAM – „Tag des Peacekeepers 2013“, Juni 2013 (www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1220 )

- Ministerrede zur „Kommunikation der Bundeswehr“ am 6. Juli 2012 in Dresden (Minister Thomas de Maizière), www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1147

- Viel beschworen und nicht erreicht: Die breite sicherheits- und friedenspolitische Debatte – Hemmnisse und Ansätze (mit Auszügen aus Briefen an Bundespräsident Köhler 2005, an Minister de Maizière 2012, aus Beiträgen zur „Kriegsdebatte“, zur Friedensberichterstattung) www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1146 

- 10 Jahre ZIF: Bundesregierung ehrt erstmalig Zivilexperten in Friedenseinsätzen, Vorschlag für einer bunten Rückkehrertag, 27. Mai 2012 www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1143 )

- Minister de Maizière warnt vor leichtfertigem Umgang mit dem Begriff „Krieg“ – Rolle rückwärts zu alter Beschönigungsrhetorik? Wider die Kriegstrommeln aus verschiedenen Richtungen, 25. Januar 2012, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1116 

- Für eine Kultur des Hinsehens, in: LOYAL 3/2010

- Lichter unterm Scheffel: Frieden sichtbar machen, März 2008

- 10 Jahre Auslandseinsätze der Polizei NRW: „Diamanten deutscher Außenpolitik“, Juni 2004 (www.nachtwei.de/index.php?module&articles&func=display&catid=124&aid=507



[1] Bis Ende 2012 Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, seitdem Teil des neu gebildeten Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam

[2] Aufschlussreich ist die Untersuchung „United Wie Stand, Divided Wie Fall? Die Haltungen europäischer Bevölkerungen zum ISAF-Einsatz“ von Heiko Biehl, in: Anja Seiffert, Phil C. Langer, Carsten Pietsch (Hrg.): Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan – Sozial- und politikwissenschaftliche Perspektiven, Wiesbaden 2012, S. 169 ff. Die Einstellungen der deutschen Bevölkerung sind unter den acht untersuchten Ländern keineswegs singulär, unterscheiden sich aber am deutlichsten von denen der britischen Bevölkerung. Die Haltung der Befragten wird stark von grundlegenden sicherheitspolitischen Überzeugungen und Mustern geprägt.

[3] Lt. Bevölkerungsumfrage 2012 schlägt sich die in den letzten Jahren zunehmende Ablehnung des ISAF-Einsatzes nicht in den Akzeptanzwerten der Bundeswehr nieder: Die sind mit 48% volles Vertrauen und 35% eher Vertrauen in die Bundeswehr weiterhin sehr hoch. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass der wahrgenommene Einsatz-Misserfolg primär der Politik angelastet wird.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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