Bericht von meinem 18. AFG-Besuch. Viel Nebel, erhebliche Risiken, bemerkenswerte Hoffnungsinseln.
„Ihr habt die Uhr …“
Erster Afghanistanbesuch nach ISAF-Ende[1] –
die Aufbauhilfe geht weiter
Winfried Nachtwei, MdB a.D. (Anfang März 2015)
Endlich konnte ich Mitte Februar wieder Afghanistan besuchen. Nur für eine „36-Stunden-Übung“ und nur in Mazar-e Sharif. Aber zweieinhalb Jahre nach meiner letzten Afghanistanreise war ich ganz besonders auf den Vergleich gespannt: Was ist nach Abzug der Masse der internationalen Truppen geblieben? Was hat sich in welche Richtung verändert? Wie steht es um die zivile Aufbauhilfe, die jetzt doch im Vordergrund stehen soll? Was bringt die militärische und polizeiliche Beratungsmission? Eigenartig, dass Kunduz jetzt so weit hinterm Horizont ist. (Reisebericht von 2012 unter http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1183 )
Anlass des Besuchs war die Übergabe des Kommandos über das „Train Advise and Assist Command (TAAC) North“ der NATO-Mission Resolute Support (RSM) von Brigadegeneral Harald Gante an Brigadegeneral Andreas Hannemann. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, hatte Journalisten von Spiegel Online, SZ, taz, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes, Hauptmann Andreas Steinmetz, und mich zu der Kurzvisite eingeladen.
Auf meinem Programm standen
- Gespräche mit hohen deutschen Offizieren, mit dem deutschen Botschafter Markus Potzel und dem deutschen Generalkonsul in Mazar, Dr. Cornelius Zimmermann (zugleich Senior Civilian Representative TAAC-N), mit dem US Senior Development Officer Northern Afghanistan (USAID) und seinem Stellvertreter
- Teilnahme an der feierlichen Kommandoübergabe mit etlichen Wiederbegegnungen und vielen Gesprächen drum herum,
- Besuch eines Rechtsberatungsbüros und Gespräch mit den afghanischen Mitarbeitern an der Blauen Moschee, ruhiger Spaziergang rund um die Moschee,
- Besichtigung der Rohbauten von Berufsschullehrerakademie, Landwirtschaftsschule und Ingenieurschule in Takhta Pul westlich von Mazar, Gespräche mit deutschen Entwicklungsexperten von GIZ, KfW,
- Besuch des deutschen Generalkonsultats im ehemaligen Mazar Hotel in der Innenstadt
- Gespräch mit deutschen Polizeiberatern im „Copland“ in Camp Marmal
- privater Rundgang durchs Camp Marmal.
Es war mein 18. Afghanistanbesuch seit 2002. (Fotos www.facebook.winfried.nachtwei )
Ankunft
Erstmalig erreiche ich Mazar mit dem grauen Bundeswehr-Airbus direkt in sechseinhalb Stunden, ohne Umsteigen und Zwischenübernachtung im usbekischen Termez. An Bord wundere ich mich über einen nebenan sitzenden Oberstabsfeldwebel, der ausdauernd an einer Partitur arbeitet und seine Melodien nicht verhehlt. Er gehört zu Musikern des Heeresmusikkorps Veithöchstheim, die morgen bei der Kommandoübergabe den musikalischen Ton angeben werden. Im Landeanflug Verdunkelung an Bord, sanftes Aufsetzen. Erstmalig beim Verlassen der Maschine nicht blendende Helligkeit und brennende Sonne, sondern Dunkelheit, Regennässe und eine Temperatur wie beim Abflug in Köln/Bonn.
Am dunklen HimmeI überm Camp steht ein am Boden verankerter Beobachtungs-Zeppelin (Permanent Threat Detection System PTDS). Die zwei Kameras (auch Infrarot) gewährleisten aus über 1500 Fuß Höhe ein generelles Screening im Umkreis von ca. 20 km. Es heisst, Aufständische wüssten, dass ihre Bewegungen von oben gesehen werden, und würden dann lieber auf Raketenattacken und IED-Verlegungen verzichten.
Wie bei früheren Besuchen stehe ich früher auf, um in Ruhe durch Camp Marmal zu streifen.
Nebenan von unseren Wohncontainern der Ehrenhain mit der Mauer, an der Dutzende Tafeln an im Norden gefallene ISAF-Soldaten erinnern. Rechts neben dem Gedenkstein die Tafeln für Konstantin Menz (22), Georg Missulia (30) und Georg Kurat (21), die genau vor vier Jahren, am 18. Februar 2011, von einem afghanischen Soldaten im OP North erschossen worden waren.
Schnell ist die Grundorientierung im Zentrum des Camp wieder da. Wo früher die Fahrzeuge dicht an dicht standen, jetzt holprige Freiflächen. Eine Ausnahmeerscheinung ist der verstärkte Zug der von den Georgiern gestellten Quick Reaction Force (QRF), der mit seinen ca. 12 Fahrzeugen (fast alles Dingos) aufgefahren ist und binnen 15 Minuten einsatzbereit ist. Zwei Bundeswehrsoldaten sind als Enabler dabei.
Von der Dachterrasse der Pizzeria am „Central Store“/Marmalstraße gibt’s den besten Überblick. Der bewohnte Teil des Camps ist enorm geschrumpft, ansonsten ausgedünnt. Rundum, vor allem nach Westen weite Freiflächen, wo sich vor zwei Jahren soweit das Auge reichte Wohncontainer, Zelte, Betriebsgebäude und Fahrzeuge drängten. Dem Augenschein nach gibt es nur noch eine militärische Resteinsatzfähigkeit.
Zugleich habe ich den Eindruck, dass relativ mehr Soldaten mit dem Fahrrad unterwegs sind.
Feierliche Kommandoübergabe im großen Hangar am Flugfeld
Einige seitlich aufgefahrene Dingos, Füchse u.a. demonstrieren etwas militärische Power. Davor sind Soldaten von RSM angetreten. Die Schar der vielleicht 300 Gäste ist bunt gemischt: internationale und afghanische Soldaten, afghanische zivile Ehrengäste, Frauen und Männer, Diplomaten, deutsche Polizisten, Zivilexperten, Presseleute und viele Fotografen, Sicherheit.
Reden des scheidenden Brigadegeneral Harald Gante (nach mehr als einem Jahr in Mazar), des stellvertretenden Gouverneurs, von Generalleutnant Fritz, RSM-Kommandeur General John F. Campbell. Er ist zugleich Kommandeur der US-Antiterror „Operation Freedom`s Sentinel“. Nach der Übergabe des Kommandos über TAAC-N und das deutsche Einsatzkontingent an Brigadegeneral Hannemann wird BG Gante vierfach ausgezeichnet.
In seine Zeit fiel der Übergang von ISAF, wo Anfang 2014 das 33. deutsche Einsatzkontingent noch 3.100 SoldatInnen umfasste, zu Resolute Support. Sein Nachfolger steht vor der Abschlussoperation Rückführung und Schließung von Camp Marmal.
Eingerahmt wird die Zeremonie durch eine Abordnung des Heeresmusikcorps aus Veithöchstheim. Bei der perfekt gespielten afghanischen Nationalhymne fällt mir der erste Besuch in Kunduz mit Minister Struck im Januar 2004 ein, wo die Hymne von einer afghanischen Militärkapelle ausgesprochen individuell und kreativ intoniert wurde.
Viele junge Fotografen nehmen immer wieder vor allem die einheimische Prominenz ins Visier. Äußerst gespannt scannen Personenschützer das Gewusel.
Verglichen mit Kommandoübergaben 2003 in Kabul (General van Heyst an Gliemeroth) und 2006 in Mazar (Kneip an Barth) fällt mir heute die besondere Vielfalt der Nationen, der Soldaten, Zivilisten, Polizisten auf.
Erfreute Begegnungen mit niederländischen Diplomaten, denen ich von unserem Besuch in Uruzgan 2008 berichte, mit den beiden deutschen UNAMA-Offizieren Brigadegeneral Brinkmann und Oberstleutnant Tillmann, die wir als Gäste bei der 28. Afghanistan-Tagung in Villigst dabei hatten, sowie weiteren alten, in der Regel viel jüngeren Bekannten.
Aktuelle Lage
Gerade wurden durch die Regierung landesweit ca. 40 ANA-Generale aus Altersgründen oder unter Korruptionsvorwürfen entlassen, so der Kommandierende General des 209. ANA-Corps, General Wesa. Da die Nachfolger noch nicht bestellt sind, fehlen den RSM-Beratern wesentliche Adressaten.
Über die Sicherheitslage außerhalb des Lagers, in der Provinz Balkh und im Norden insgesamt erfährt man jetzt im Wesentlichen nur noch über die Afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) und die Beteiligung am Operational Coordination Center Regional (OCCR) North . Die Übersicht über Sicherheitsvorfälle soll ordentlich sein. Sehr spärlich seien inzwischen Einblicke in das Konfliktgeschehen zwischen den afghanischen Akteuren.
Ein deprimierendes Bild der landesweiten Sicherheitslage vermittelt der zeitgleich zu unserem Mazar-Besuch veröffentlichte Jahresbericht 2014 über Zivilopfer von UNAMA.
Im ISAF-Abzugsjahr 2014 stieg die Zahl Zivilopfer im Kontext des bewaffneten Konflikts um 22% auf 10.548 Tote und Verletzte, durch Bodenkämpfe um 54% - die bei weitem höchster Zivilopferzahl seit 2002! ISAF hinterließ unmittelbar kein sicheres Umfeld. Die Erwartung, mit Abzug der Masse der internationalen Truppen würde auch der Krieg zurückgehen, bestätigte sich nicht, im Gegenteil. Verursacht wurden die Zivilopfer zu 72% von regierungsfeindlichen Kräften, zu 14% von Pro-Regierungskräften.
http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1343
(Lt. New York Times vom 22.10.2014 fielen von März bis August 950 afghanische Soldaten und 2.200 Polizisten. In der Süd-Provinz Helmand – Fläche von Brandenburg – fielen von Juni bis November 2014 allein 1.300 Polizisten und Soldaten. NYT 22.12.2014)
Vom IS hat man bisher in Afghanistan keine Operationen, nur Propagandaversuche festgestellt. Die Taliban würden deutlich gegen IS vorgehen, ggfs. auch mit Gewalt. Am meisten spiele IS in der Argumentation von Regierungskräften eine Rolle – um darüber um weitere ausländische Unterstützung zu werben.
US-Streitkräfte sind hier keine stationiert. Unter anderem Mandat („Operation Freedom`s Sentinel“) seien sie von Kabul aus im ganzen Land unterwegs, dann ggfs. auch kräftig. „In extremis support“ kann von US-Seite nicht verlässlich und nur mit Zeitverzug (Jagdbomber, keine Kampfhubschrauber) gewährleistet werden. Der bei der RSM-Debatte in Berlin geäußerte Verdacht, Aufgabe der Bundeswehrsoldaten sei primär, für US-Kräfte einen Stützpunkt bereit zu halten, bestätigt sich nicht.
Train Advise Assist
Ende Februar 2015 waren 42 Nationen an RSM mit insgesamt 13.195 Frauen und Männern beteiligt (Stand 26.2.) Die USA mit 6.839, Georgien mit 885, Deutschland 850, Rumänien 650, Türkei 503, Italien 500, Großbritannien 470, Australien 400, Spanien 294, Tschechische Republik 222, Dänemark 160, Polen 150, Armenien 121, Mongolei 120, Bulgarien 110, Ungarn 97, Aserbeidschan 94, Niederlande 83, Finnland 80 (…). Auffällig ist, dass der langjährige zweite Truppensteller UK nun an siebter Stelle steht. Frankreich zog bis Ende 2012 alle seine Kampftruppen ab, mit ISAF verließen im Dezember 2014 die letzten französischen Soldaten das Land. Ebenfalls ganz zurück zogen sich die Vereinigten Arabischen Emirate, die im September 2014 noch 35 Soldaten für ISAF stellten. Aufgestockt haben die Niederlande ihre Militärangehörigen durch Entsendung von Militärpolizei/Gendamerie (Koninklijke Marechaussee). (http://www.rs.nato.int/
http://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_113694.htm , https://www.facebook.com/ISAF )
RSM trainiert, berät, unterstützt in acht wesentlichen Funktionen (EF 1-8):
- Mehrjährige Budgetierung
- Transparenz, Verantwortlichkeit, Aufsicht
- zivile Führung der afghanischen Sicherheitsinstitutionen
- Force Generation
- Strategische und politische Planung, Ressourcenausstattung und Umsetzung
- Intelligence
- Strategische Kommunikation (Kampf der Narrative)
Das TAAC-North ist nur für die Blue Box um Feldlager und Flughafen verantwortlich. Der Ring zur medizinischen Evakuierung per Hubschrauber reicht ca. 70 km.
Zum TAAC-N gehören über 1.600 Soldaten aus 20 Nationen, davon 650 deutsche. Das Hauptquartier (HQ) umfasst 85 Personen (früher 400). (Das TAAC-West wird von Italien geführt, Central Türkei, Ost und Süd USA. )
Die ANSF umfassen in der Nordregion, die halb so groß wie die Bundesrepublik ist, 42.000 Personen, davon die Armee (ANA) 14.000; die uniformierte Polizei (AUP) 16.200, die Grenzpolizei (ABP) 3.800, die Bereitschaftspolizei (ANCOP) 2.900, die lokale Hilfspolizei (ALP) 5.100. Die Koordinationszentralen OCCR gibt es in allen neun Provinzen.
Orte der Ausbildung, Beratung, Unterstützung der Spitzenebenen der ANSF in und um Mazar herum:
- Camp Shaheen westlich von Mazar, HQ des 209. ANA-Corps mit Stab, Pionierschule, Regional Battle School, Militärpolizeischule
- Regional Media Information Center/RMIC zur Unterstützung der ANSF
- Camp Pamir mit den HQs von AUP, ANCOP und OCCR-North
- HQ der Afghan Border Police/ABP, der Highway-Police, Counter Narcotics
Insgesamt ein Raum von 21x11 km. Die Liegenschaften können zu Besprechungen verlassen werden, nicht zu Operationen.
Prioritäten für die Region:
Die ANSF sollen gegen Schwerpunkte der Aufständischen agieren können; Verbesserung der Durchhaltefähigkeit (Logistik, Training, Personalmanagement, medizinisches Konzept).
„Decisived Endstate“: Die ANSF sollen zur Wahrnehmung der Sicherheitsverantwortung willens und fähig sein – und das „good enough“.
Kräfte des TAAC-N:
- Force Protection durch georgische QRF (über 100), Camp Security (120 Mongolen, 60 Armenier u.a.), TAA-Force Protection zum Schutz der Adviser/incl. Guardian Angels (niederländisch geführt, ein ungarischer Zug)
- Führungsunterstützung (Fernmelde), EOD, Elektronische Aufklärung, Seuchenprophylaxe ..
(Das deutsche Kontingent verfügt über keine eigene militärische Sicherungskomponente. Die stellen die Georgier. Das heiß im Klartext: Für einen deutschen MdB-Besuch außerhalb des Camps stünden keine Bundeswehrkräfte zur Verfügung. Und NATO-Kräfte anderer Nationen dürften für einen nationalen deutschen Auftrag kaum eingesetzt werden. Die Bundeswehrsoldaten in Camp Marmal wären nur in der Lage, im schlimmsten Fall einen Angriff aus Stellungen abzuwehren, nicht jedoch zu offensiven Operationen, z.B. zur Befreiung von Eingeschlossenen.)
- Adviser Teams: insgesamt sechs mit ca. 100 Personen (50 deutsch), multinational zusammengesetzt. Für Corps-Stab, OCCR (Schweden), Regional Media Information Center/RMIC (Deutsche), ANA (54, Deutsche und sieben andere Nationen), ANCOP (Ungarn)/AUP (Türken).
Zur Verfügung stehen drei deutsche CH-53 Hubschrauber, zwei dänische Merlin (einer defekt), keine Attack-Helicopter (geplant waren vier).
Medizinische Kapazitäten Role 2 (für Gefechtsverletzungen noch alles da).
Beispiele für TAA:
Planung von Training und Ausbildung (Schulen, auch z.B. Umgang mit Karten und GPS),
operative Planung, logistische Prozesse
Schwachpunkte bei der ANA seien u.a. Informationsfluss, operative langfristige Planung, Führung kombinierter Kräfte, Harmonisierung von Operationen und Trainingsbedarf;
bei den Polizeikräften, die quantitativ ausreichend seien und Zusammenarbeit mit der Bevölkerung existiere, Korruption, Analphabetismus, schwache Hold-Fähigkeit, Command-and-Control-Strukturen.
Beispiel für multinationalen Ansatz:
ANA-Einheit mit finnischen Ausbildern meldet EOD-Bedarf (Kampfmittelbeseitigung);
Forderung an die schwedisch geführte Operationszentrale (OPZ), Operationsplanung durch türkisches Element, Genehmigung durch deutschen Kommandeur TAAC-N,
Einsatz der georgische Immediate Reaction Force (IRF) mit belgischen EOD-Kräften, überwacht von deutscher Drohne, dänischer MedEvac-Hubschrauber steht bereit. (Das habe auch funktioniert)
Missionsdauer:
Die ursprüngliche, vom US-Präsidenten vorgegebene politische Absicht war, die RSM-Kräfte Ende 2015 aus den „Speichen“ Nord, West, Süd und Ost abzuziehen, auf Kabul zu konzentrieren und RSM nach zwei Jahren zu beenden. Das ist so aber nicht endgültig entschieden. Die afghanische Regierung befürwortet eine Verlängerung von RSM. RSM-Generale votieren dafür, zumindest die „Kampfsaison“ (April bis Oktober) abzuwarten. BG Gante schlägt lt. SZ vom 21.2. vor, im Sommer Bilanz zu ziehen.
Ein entscheidendes Datum ist der Besuch des afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani Ende März in Washington. Von dem Treffen mit US-Präsident Obama werden strategische Aussagen erwartet.
Anmerkung: Philipp Münch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beurteilte den RSM-Ansatz im Januar 2015 in einem AAN-Paper und bei ZEIT ONLINE als aussichtslos. Die RSM-Annahme, die ANSF würden bereits wie moderne Organisationen funktionieren, wo es nur noch um Nachsteuern per Training und Beratung ginge, sei verfehlt. Ignoriert werde dabei die politische Ökonomie, die die ANSF präge – die verbreitete Praxis der Veruntreuung von Ressourcen (Versorgungsgüter, Gehälter) durch Verantwortliche und das allumfassende Patronagesystem. Das Ringen um politischen Einfluss und persönliche Bereicherung sei oft tonangebend. Seine Schlussfolgerung: Abschreckung der „Kommandeure größerer bewaffneter Gruppen vor breitflächiger Gewalt im Maßstab der 1990er Jahre, wie es die ISAF 13 Jahre lang überwiegend vermochte“, und „Durchgreifen der Staatsspitze“. Wie das, bleibt offen.
(http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-01/afghanistan-nato-mission-resolute-support , https://www.afghanistan-analysts.org/wp-content/uploads/2015/01/20150112-PMuench-Resolute_Support_Light.pdf )
Für mich ist die Schlüsselfrage weiter ungeklärt, die ich in Stellungnahmen zur RSM-Debatte in Berlin gestellt hatte: Reichen Aufgabenstellung, Kräfte- und Zeitansatz von RSM wirklich aus, dass die ANSF ab 2017 ihre Aufgaben selbständig erfüllen können – dann „nur noch“ am Tropf der internationalen finanziellen Unterstützung? Alle bisherigen Erfahrungen mit extern gestütztem Institutionenaufbau warnen vor überzogen kurzfristigen Erwartungen. In Afrika, Afghanistan und anderen Stellen des Globus heißt es immer wieder gegenüber den Westlern, „Modernisieren“: „Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit!“
Polizeiberatung
Östlich an Camp Marmal anschließend liegt das Regional Police Training Center (RPTC). Im August 2008 nahm ich an der Grundsteinlegung teil. Zwei Monate später standen schon die ersten Rohbauten. Die Bundesregierung finanzierte mit 30 Mio. Euro den Bau des RPTC. Mit seinen 1.200 Ausbildungsplätzen ist es die zweitgrößte Einrichtung ihrer Art in Afghanistan. Das RPTC steht exemplarisch die große Kraftanstrengung bei der deutschen Polizeihilfe, die allerdings erst im siebten (!) Einsatzjahr einsetzte. Insgesamt kamen in Mazar über 1.000 deutsche Polizisten zum Einsatz.
Im Rahmen des bilateralen German Police Project Teams/GPPT arbeiten jetzt insgesamt 45 deutsche Polizisten in Afghanistan, davon 12 in Mazar, die anderen in Kabul. Erste Begegnungen gibt es im Umfeld der Kommandoübergabe. Ein Beamter erinnert sich an ein Zusammentreffen im Kosovo 2005, ein anderer an Kontakte über die Bundespolizeiakademie.
Im Norden sind die zwölf Deutschen die einzigen Ausländer, die sich um eine zivile Polizei kümmern. Sie haben vier Beratungsaufgaben wahrzunehmen:
- Flughafen Mazar
- Polizeichef Balkh
- Chef des Regional Police Training Centers
- Verbindung TAAC-N HQ.
Eingeschränkt ist die Handlungsfähigkeit durch Sicherheitsauflagen.
Um Kraftfahrzeuge, Waffen, Beschaffung von Flügen etc. müssen sich die Beamten zusätzlich kümmern. Ihnen steht kein Unterstützungspersonal zur Verfügung. Wegen Urlaub (alle acht Wochen zwei Wochen) liegt die Ist-Stärke bei zehn und drunter.
Anmerkung: Mir ist ein Rätsel, wie die Polizisten auch bei größtem Engagement ihren Auftrag wirksam ausführen können. Auch wenn sich die Rahmenbedingungen mit dem Aufwuchs der ANSF in den letzten sechs Jahren erheblich geändert haben – mich erinnert der heutige Kräfteansatz an die ersten Jahre der deutschen Polizeihilfe. Damals hatte Deutschland die Lead-Rolle bei der Koordination des Polizeiaufbaus. Die sehr gute Arbeit der Polizeiberater vor Ort wurde konterkariert durch den völlig unzureichenden Kräfte- und Ressourcenansatz. Das war damals ein strategischer Fehler der Bundesregierung, hingenommen vom Bundestag, der erstmalig im November 2007, also sechs Jahre nach Start, über die deutsche Polizeihilfe in Afghanistan debattierte!
Wenn im Dezember 2014 bei den zwei Bundestagsdebatten zu Resolute Support die künftige Polizeihilfe nicht thematisiert wurde, wiederholt sich offenbar der alte Fehler.
USAID
Das US-Generalkonsulat in der Stadt ist seit Ende Mai 2014 geschlossen. Die USAID Development Officers sind jetzt im Camp Marmal „kaserniert“. Betont werden die vorteilhafte Lage und günstigen Voraussetzungen der Nordregion. Eine ähnliche Chancenregion sei Herat. Hier kennt sich der stellvertretende Development Officer aus.
US Agency International Development (USAID) ist keine Durchführungsorganisation wie die GIZ, sondern wirkt über Organisationen wie Development Alternatives Inc., Aga Khan Development Network, UNDP, National Democratic Institute, Chemonics, Bildungsministerium, WHO, Asian Foundation, WFP, IOM u.a. sowie weitere Contractors.
Schwerpunkte der zzt. 34 Vorhaben sind
- die Landwirtschaft (z.B. im Rahmen des Regional Agriculture Development Program North Stärkung der Wertschöpfungskette bei Weizen, hochwertigen Feldfrüchten in sechs Nord-Provinzen bis 2019; Capacity Building im Landwirtschaftsministerium und der Direktorate auf Provinzebene bis 2017)
- Demokratie und Governance (z.B. „Strong Hubs for Afghan Hope and Resilience“ zur Stärkung der kommunalen Kapazitäten bis 2017; Förderung von Zivilgesellschaft und Medien bis 2018; Stabilisierung von Schlüsseldistrikten in Kunduz, Baghlan)
- Wirtschaftswachstum (z.B. Investitionsförderung, Außenhandelsförderung mit den zentralasiatischen Republiken, Fakultätsgebäude in Universitäten von drei Nordprovinzen)
- Gesundheit und Bildung (z.B. Förderung des Management Systems, des akademischen Programms der Unis in Kunduz und Balkh; Druck und Verteilung von – bisher über 36 Mio. - Lehrbüchern für die Primarstufe, Förderung von community-based education; TB Care)
- Förderung der Geschlechtergleichstellung im National Priority Program: USAID hat 216 Mio. $ zugesagt – das größte Frauenförderungsprojekt in der Geschichte der US-Regierung; Komponenten zu Frauen-Leadership, Frauen in der Regierung und Wirtschaft, Gruppen und Koalitionen für Frauenrechte. Man brauche die Hälfte der Gesellschaft für die Entwicklung. Aber das brauche auch Zeit. Wichtig sei die Einbeziehung der Mullahs.
Angedeutet wird die Möglichkeit, US- und deutsche Entwicklungsprogramme zusammenzubringen.
Der US-Diplomat, der mehrere Jahre in Berlin arbeitete, ist dankbar für meine Absicht, zuhause auch über die Aufbauhilfe zu berichten. Kongressabgeordnete – so ein anderer Gesprächspartner – würden solches kaum wahrnehmen, sähen primär auf das Militärische.
Von Deutschland geförderte Entwicklungs- und Aufbauprojekte
Wie bei meinen letzten Besuchen habe ich im Vorfeld über das Bundesministerium für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) um die Möglichkeit gebeten, im Raum Mazar bestimmte Entwicklungsprojekte zu besuchen. Sehr entgegenkommend und unkompliziert wird mir ein Besuchsprogramm zusammengestellt.
„Low profile“ geht es in einem Pkw mit afghanischem Fahrer ohne die sonst bei offiziellen Besuchern übliche aufwändige „close protection“ nach Mazar.
An dem Tag, an dem UNAMA seinen Zivilopfer-Jahresbericht 2014 veröffentlicht und einen weiteren katastrophalen Anstieg der Zivilopfer im ganzen Land meldet, erlebte ich in der Boomregion um Mazar-e Sharif ein „anderes“ Afghanistan: quirlige Normalität, relative Ruhe und zusammen mit deutschen Entwicklungsexperten eine Bewegungsfreiheit, wie sie internationale Soldaten und Polizisten seit Jahren nicht mehr kennen.
Bei der letzten Mazar-Ausfahrt hatte ich innerhalb weniger Stunden so viele hoch brenzlige Verkehrssituationen erlebt wie zuhause nicht in einem ganzen Jahr. Dank eines inzwischen angelegten Mittelstreifen auf der Einfallstraße nach Mazar kommen uns keine waghalsigen „Geisterfahrer“ mehr entgegen. Nach Einbruch der Dunkelheit fordern aber die vielen völlig unbeleuchteten Fahrzeuge besondere Aufmerksamkeit.
Erste Station ist ein rechtliches Informations- und Beratungsbüro im Park der Blauen Moschee nahe am Haupteingang. An dem schmucken Bürocontainer empfangen uns drei junge afghanische Männer, darunter ein Mitarbeiter des Justizministeriums, der hier
Jede Woche an einem Tag für Beratung in zivilrechtlichen Angelegenheiten zur Verfügung steht. Ansonsten können BürgerInnen die kleine Präsenzbibliothek mit Rechtsliteratur in Anspruch nehmen oder Schriften entleihen. Pro Woche kommen 25-30 Interessierte, darunter auch etliche Studierende.
Das Büro wird vom Justizministerium betrieben und mit Einverständnis des Imam der Blauen Moschee auf dem Grundstück der Moschee. Das verleiht der landesweit bisher einmaligen Einrichtung eine besondere Autorität. Eine Ausweitung solcher Einrichtungen ist vorgesehen.
Kontext des Rechtsstaatsprogramm Rule of Law der GIZ: Die Projekte werden z.T. flächendeckend in sechs Provinzen des Nordens umgesetzt. Ziele sind:
- Strategieberatung auf nationaler Ebene, Erstellung einheitlicher Handbücher und Trainingsmaterialien für Justiz und Polizei
- Breiteres Angebot und erleichterter Zugang zu einheitlich arbeitenden Rechtsinstanzen
- Verbesserte Koordination und Kooperation innerhalb der Justizorgane und mit der Polizei
- Qualitätsverbesserung in der Justiz und Einschränkung von Korruption
- Stärkung der Frauenrechte
- Bessere Teilhabe der Zivilgesellschaft.
Projekte in der Provinz Balkh:
- Verbesserung der Studienbedingungen für Jura-Studierende und der Sharia Fakultät; Vorbereitung auf die Arbeitspraxis
- Training und Mentoring bei zivilen Streitschlichtungsstellen (Huquqs in jedem Distrikt)
- Vertrauensbildung zwischen Polizei und Bevölkerung
- regelmäßige Arbeitstreffen zwischen Staatsanwälten und Polizei.
Indirekt bedeutsam für die Entwicklung von Rechtssicherheit ist das Programm „Alphabetisierung und nachholende Grundbildung“ für afghanische Polizisten, das seit 2008 vom Auswärtigen Amt finanziert und von der GIZ umgesetzt wird. Getragen werden die inzwischen landesweit angebotenen Kurse von 2.000 einheimischen Trainern.
Spaziergang um die Blaue Moschee
Bisher hatte ich die Blaue Moschee nur immer im Vorbeifahren gesehen – wie einen Blauen Planeten auf Erden.
Jetzt halten wir am Haupteingang, passieren ganz selbstverständlich den einen bewaffneten Polizisten, betreten den Park. Hier tummeln sich auf Bänken und Rasen Besucher, Familien.
Nach der Überlieferung befindet sich in der Moschee mit den zwei blauen Kuppeln die Grabstätte, der Schrein von Ali ibn Abi Talib, dem Cousin und Schwiegersohn des Propheten Mohammed, vierter Kalif für die Sunniten, erster Imam für Schiiten und Aleviten. Die Blaue Moschee ist der bedeutendste Wallfahrtsort Afghanistans und eine heilige Stätte des Islam, Mittelpunkt der Nouruz-Feiern, zu denen Hunderttausende in Mazar zusammenkommen. (in diesem Jahr am 21. März)
Der innere Bereich rund um die Moschee ist mit weißen Marmorplatten gepflastert. Sie dürfen nur ohne Schuhe betreten werden – bei sommerlicher Hitze soll das eine Herausforderung sein. Die Wände und Minarette der Moschee sind eine einzige paradiesische Pracht von Ornamenten, gestaltet aus zahllosen glänzenden Kacheln, eine wunderbare Schönheit. Seitlich geht`s in ein Kleinstmuseum. Die meisten Lampen sind kaputt. Eine DIN-A-6-Broschüre „Aftab-e-Khairan“ mit der Geschichte des Hazrat Ali Shrine von 2010, Auflage 400, ist die einzige Information auf Englisch. Nahe an der Bauen Moschee entsteht wegen des großen Andrangs an Gläubigen eine neue Moschee. http://www.utehempelmann.de/hoffen-auf-wunder-die-blaue-moschee-in-afghanistan/
Berufsbildungsprojekt in Takhta Pul (TVET Campus Takhta Pul)
Nach einer halben Stunde erreichen wir westlich von Mazar an der AH 76 Richtung Balkh ein von einer hohen, vielleicht zwei km langen Lehmmauer umgebendes Gelände. Hier befand sich seit dem 15. Jahrhundert eine Karawanserei, später Heerlager, in jüngerer Zeit auch ein Stützpunkt des regionalen, berüchtigten Warlord Dostum.
Jetzt wächst hier ein Regional Education Center, finanziert über die KfW Entwicklungsbank:
- Das Agricultural Regional Institute (ARI, Agrartechnikerschule für Agrartechnik, Gartenbau, Viehzucht etc., Berufsschule) für über 1.000 Schüler soll im März/April eingeweiht werden (Umzug vom bisherigen Standort in Mazar)
- Wir besichtigen die künftige Technical Teacher Training Academy (TTTA, Fachhochschule), neben der in Kabul die einzige im Land. Der deutsche Project Manager Civil Construction von PEM Consult führt durch die fertigen, aber noch nicht eingerichteten Räume: die Klassenräume für je 30 Studierende (insgesamt 24, d.h. über 700 Ausbildungsplätze, bei zwei Schichten Verdoppelung). Werkstatträume sind vorgesehen für Mechanical, Metallbearbeitung, Elektro u.a.. Business Administration zieht als erstes ein. Bau und Einrichtungen sind solide, bedienungs- und wartungsleicht, nachhaltig. Dafür sei man lieber einen Schritt gegenüber neuesten Entwicklungen zurück. Mit einer Kläranlage und Sammlung von Regenwasser soll der Wasserverbrauch niedrig gehalten werden. Die entsprechenden Anlagen sind zugleich Anschauungsbeispiele, haben Modellcharakter. Hier und in der TTTA in Kabul (ebenfalls von PEM Consult betreut) sollen jeweils fünf deutsche EntwicklungshelferInnen arbeiten.
- Erste Anfänge eines Engineering College (Technikerschule) für Hoch- und Tiefbau, Elektriker, Mechaniker, Installateure. Hierzu legte am letzten Wochenende der Parlamentarische Staatssekretär im BMZ, Thomas Silberhorn, den Grundstein.
Das Gesamtvorhaben ist das größte Technical Vocational Education and Training (TVET, Berufsbildung) Projekt im ganzen Land.
Landesweit gibt es 400.000 Schulabgänger pro Jahr. 3-4% fanden bisher einen Platz in der formalen Berufsausbildung mit ihren 250 Berufsschulen. Den zzt. 70.000 Berufsschülern stehen über 600.000 Jugendliche gegenüber, die auf traditionelle Weise in Klein(st)betrieben (Basarbetrieben) im informellen Sektor ausgebildet werden. Eine Million Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren sind Tagelöhner, Arbeitslose, Kleinstgewerbetreibende.
Langfristig benötigt werden etwa 1,7 Mio. Ausbildungsplätze, ca. 1.000 solide ausgestattete Berufsschulen und ca. 70.000 Lehrkräfte. Ende 2014 vereinbarten Gilden, der Zentralverband des afghanischen Handwerks und das Bildungsministerium, dass Lehrlinge aus den Basaren an ein bis zwei Tagen in der Woche Berufsschulen besuchen sollen. Ab März 2015 besuchen die ersten 500 dieser Lehrlinge Berufsschulen in Kabul und Mazar.
Bisher gab es in Afghanistan keine Berufsschullehreraus- und -weiterbildung. Im Rahmen der deutsch-afghanischen EZ wurde eine erste Berufsschullehrerausbildungsstätte in Kabul (erste Absolventen im August 2015) und eine zweite 2014 in Mazar eröffnet. (Programm zur Förderung der beruflichen Bildung http://www.giz.de/de/weltweit/14616.html ) In sechs Nordprovinzen werden von der deutschen EZ 14 Berufsschulen und die TTTA unterstützt, landesweit insgesamt 55 Pilotschulen in 22 Provinzen.
Ich bin von dem Projekt und der Leistung der Verantwortlichen schwer angetan: Hier arbeite man in der Spur einer guten Tradition, der sehr erfolgreichen und in Afghanistan unvergessenen deutschen Entwicklungszusammenarbeit der 60er und 70er Jahre.
Die EZ-Experten berichten, dass sie hier keine Probleme hätten und voll respektiert würden. Es werde geholfen, wo es geht. Das fange bei dem sehr kooperativen, für TVET zuständigen Staatssekretär in Kabul an. Aufträge und Gelder gehen in die Umgebung, importiert werde nur das Nötigste. (Hierbei gebe es bei einem seit fünf Jahren verhandelten Rahmenabkommen zwischen Afghanistan und Deutschland große Probleme.) „Akteure zum Anfassen schaffen andere Nähe, andere Wertschätzung.“ Man praktiziere einen wirklich partnerschaftlichen, geradezu freundschaftlichen Ansatz. Vor diesem Hintergrund arbeite das Risk Management Office (Sicherheitsmanagement der GIZ für die zivile deutsche Unterstützung in Afghanistan) gut mit der Bevölkerung zusammen. Der lokalen Bevölkerung wird die Arbeit deer Durchführungsorganisationen GIZ und KfW erläutert. Dadurch steigen Vertrauen und Akzeptanz für die Vorhaben der deutsch-afghanischen Zusammenarbeit.
Bei manchen anderen Gebern seien es „fremde Systeme“, die was umsetzen.
Anmerkung: Die Bewegungsfreiheit der EZ-ExpertInnen scheint für afghanische Verhältnisse noch ganz brauchbar zu sein. Man ist noch bei den Projekten und Menschen. Das Zusammentreffen an der Blauen Moschee ist – bei aller Wachsamkeit – ganz selbstverständlich. Ich genieße den bunten Alltag und spüre keinen Anflug von Bedrohlichkeit.
Das Berufsbildungsprojekt wäre für deutsche Verhältnisse Alltag und nur von lokaler Bedeutung. Für Aufbau und Friedensentwicklung im kriegszerrütteten, tief armen Afghanistan ist ein solches Projekt ein Leuchtturm sondergleichen: Perspektiven, Lebenschancen für junge Leute eines sehr jungen Volkes.
Wenn in den nächsten Wochen die ersten beiden Berufsbildungsstätten in Takhta Pul eingeweiht und bezogen werden, dann sollte das auch in der deutschen Öffentlichkeit Beachtung finden. Dass gute Nachrichten kaum Chancen haben, gegen bad news durchzudringen, ist wohl eine Erfahrungsregel, aber kein Naturgesetz. Da müsste was zu machen sein. Dabei sollte auch eine spektakuläre, in Deutschland aber praktisch unbekannte Tatsache genannt werden: In Afghanistan arbeiten 2.000 Frauen und Männer im Auftrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, davon ca. 300 Deutsche und Internationale und 1.700 Einheimische (im Norden 100 und 1.000)!
Gerade erfahre ich, dass demnächst bei der Lehrerausbildung in Afghanistan Friedenserziehung obligatorisch wird – mit Hilfe der GIZ. In Deutschland gibt`s das bisher nicht.
Deutsches Generalkonsulat
Das deutsche Generalkonsulat wurde am 8. Juni 2013 von Außenminister Westerwelle eingeweiht. Es ist das erste Generalkonsulat eines europäischen Staates in Nordafghanistan. (Am selben Tag wurde der neue International Airport Mazar-e Sharif eröffnet, von Deutschland mit rund 50 Mio. Euro unterstützt.)
Untergebracht ist das Generalkonsulat im ehemaligen Mazar Hotel im Stadtzentrum an der AH 76. Von außen wirkt es mit dicken Mauern und hohen Sichtblenden wie eine Festung. Drinnen erstreckt sich ein großzügiger Bau mit Gartenanlage im Stil der 30er Jahre. Ursprünglich wollten die USA hier ihr Generalkonsulat unterbringen und bauten es um. Als in der Nachbarschaft höhere Neubauten entstanden, gaben sie das Gelände aus Sicherheitsgründen auf.
Im Generalkonsulat arbeiten um zwanzig Entsandte. Bis auf das Thema „ehemalige Ortskräfte“, das in Camp Marmal von AA-Mitarbeitern und Bundeswehr bearbeitet wird, ist für Rechts-, Konsular- und Visaangelegenheiten weiterhin nur die Botschaft in Kabul zuständig. Generalkonsul Dr. Zimmermann ist zugleich Leiter des multinationalen Stabes Senior Civilian Representative TAAC-N (früher ISAF RC North), der Director Development Dr. Martin Schuldes German Development Commissioner beim SCR TAAC-N. Schweden betreibt im dt. Generalkonsulat ein Konsulat mit Ortskräften.
Danksagungen
Wie bei den meisten früheren Afghanistanbesuchen überbringe ich für einzelne Gruppen (EZ, Polizei, Soldaten) als Zeichen des Dankes Weingummi aus dem Münsteraner „Bärentreff“, dieses Mal acht Kilo.
Herzlich danken möchte ich denjenigen, die den Besuch mit seinen verschiedenen Facetten vor allem ermöglicht und unterstützt haben:
Generalleutnant Hans-Werner Fritz als Einladendem,
Oberstleutnant Thomas Witek für die Reiseorganisation,
Dr. Martin Schuldes und Florian Smitmans für die vorzügliche Organisation und Begleitung des EZ-Nachmittags.
- Curriculum für obligatorische “Friedens- und Menschenrechtserziehung”: Das gibt`s nicht in Deutschland, aber bald in Afghanistan –für alle Studierenden an 44 Teacher Training Colleges!, 3.3.2015, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1344
- UNAMA-Jahresbericht „Zivilopfer“ 2014: Im ISAF-Abzugsjahr 2014 Intensivierung des Krieges: Zunahme der Zivilopfer um 22% auf 10.548 Tote und Verletzte, durch Bodenkämpfe um 54%! 27.2.2015, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1343
- Bundestag zu Afghanistanbilanz und Beratungsmission „Resolute Support“ – meine „Persönliche Erklärung zur Abstimmung“, 28.12.2014, „Denkwürdigkeiten“ der Politisch-Militärischen Gesellschaft Nr. 94, http://www.pmg-ev.com/deutsch/denk.htm
- „Wir bleiben dran und da!“ Deutsch-afghanische Freundschaft mit langem Atem: 28. Afghanistan-Tagung in Villigst – ein Leuchtturm! 16.12.2014
- Nach ISAF WIE WEITER – Stellungnahme zur Zukunft des dt. AFG-Engagements (nicht nur zu Resolute Support) beim Grünen Fachgespräch im Bundestag, 6.12.2014
- Kurzbilanz Afghanistan-Engagement, November 2014
- 15 Jahre Ziviler Friedensdienst – Verabschiedung von elf ZFD-Fachkräften nach Afghanistan, Burundi, Kongo, Kosovo, Sierra Leone, Timor Leste. LICHTblicke und Rückblicke, Bericht Oktober 2014 (Fotos auf Facebook)
- Die Politik und Afghanistan: Persönliche Bilanz und Ausblick eines parlamentarischen Mitauftraggebers, September 2014 (für eine Buchveröffentlichung)
- Wen interessiert noch Afghanistan? Vortragsreihe zum Ende des ISAF-Großeinsatzes und den neuen, nahen Kriegen und Krisen (Zweibrücken, Ramstein, Kaiserslautern), Bericht Oktober 2014
- Wer weiß schon, dass in Afghanistan 2000 Frauen und Männer im Auftrag der deutschen Entwicklungszusammenarbeit arbeiten? Unbekannte Better News aus Loccum zu Aufbauhilfe und Evaluierung, 5. Oktober 2014 (Fotos auf Facebook) (www.nachtwei.de/index.php?articles&func=display&aid=1317
- Umzingelung von Kunduz: Warum die Taliban wieder so erfolgreich sind. Neueste AAN-Studie zu Distrikten, 2.9.2014, (www.nachtwei.de ); Alarmierende Nachricht jetzt auch aus Kunduz: Belagerung durch mehr als 2000 Aufständische, 28.8.2014 (www.nachtwei.de )
(…)
- „Bloß nicht weg aus Afghanistan? Bloß nicht! Nur wie?“, Vortrag bei der XXVII. Afghanistan-Tagung der Evang. Akademie Villigst „Der Frieden ist der Ernstfall – Afghanistan nach 2014“ am 15. Dezember 2013 (www.nachtwei.de 30.12.2013)
(…)
- Alle meine Kunduz-Berichte 2004 bis 2013 anlässlich der Übergabe des PRT Kunduz an die afghanische Seite am 6. Oktober 2013, www.nachtwei.de/index.php/articles/1239
- Unglaublich, aber wahr: Massen-Freudenfeste in Kabul und landesweit – Afghanistan erstmals südasiatischer Fußballmeister (www.nachtwei.de , 8.10.2013)
(…)
- Kommentar zum UNAMA-Jahresbericht 2012 zu Zivilopfern in Afghanistan, Februar 2013 (www.nachtwei.de)
- Kommentar zur ISAF-Debatte im Bundestag: Wie es wirklich um Afghanistan steht, interessiert immer weniger! 16. Februar 2013 (www.nachtwei.de )
- Afghanistan: Sicherheitsentwicklung 2012, ANSO-Jahresbericht 2012, 4. Quartal (www.nachtwei.de )
- Reisebericht „17. Afghanistanreise - Rückzug aus der Verantwortung?“ Dezember 2012, 14 S. (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1183 )
- Afghanistan: Sicherheitsentwicklung 3. Quartal 2012 – Deutlicher Rückgang an Operationen – kein Grund zur Beruhigung (www.nachtwei.de )
- Afghanistan – Lehren für den vernetzten Ansatz, Vortrag an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik/BAKS am 26.10.2012 in Berlin (www.nachtwei.de )
[1] In Kürze erscheint zur Bilanzierung des Afghanistaneinsatzes bei der Bundeszentrale für Politische Bildung der Sammelband „Jenseits des Hindukusch? Die Bundeswehr im Auslandseinsatz: Erfahrungen, Bilanzen, Ausblicke“, hrg. von Rainer Glatz und Rolf Tophoven, darin W. Nachtwei: Die Politik und Afghanistan: Persönliche Bilanz und Ausblick eines politischen Auftraggebers.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: