Das Afghanistanbild in Deutschland ist stark dominiert, ja überschattet vom Afghanistaneinsatz seit 2002, insbesondere seiner kriegerischen Eskalation ab 2008 auch im Norden. In Vergesssenheit gerät dabei, wie eng, freundschaftlich und konstruktiv die deutsch-afghanischen Beziehungen oftmals in den letzten 100 Jahren waren und wie bewusst dies auf afghanischer Seite bis heute ist.
Freundschaft verpflichtet …
100 Jahre deutsch – afghanische Beziehungen
XXIX. Afghanistan-Tagung in Haus Villigst/Schwerte am 27.-29.11.2015
von Winfried Nachtwei (12/2015)
(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei)
Es gibt wohl keinen Ort, wo Jahr für Jahr so viele Menschen mit Afghanistan-Erfahrung, -Herkunft, -Verbindung und –Herz zusammenkommen, wie bei der seit 1984 stattfindenden AFG-Tagung in der Evangelischen Akademie in Haus Villigst/Schwerte an der Ruhr. Seit einigen Jahren habe ich die Ehre, zusammen mit
Nadia Nashir, Belal El-Mogaddedi, Yama Waziri, Dr. h.c. Ernst-Albrecht von Renesse und Uwe Trittmann (Tagungsleitung) zum Vorbereitungskreis zu gehören.
Nach den Grußworten des afghanischen Botschafters Hamid Sidig (wg. des bevorstehenden Präsidentenbesuches schriftlich) und des neuen Leiters des Afghanistan-Referats im Auswärtigen Amt 343, Stephan Röken, sprach Prinz Nadir Naim, Enkel des afghanischen Königs und Präsidentschaftskandidat 2014.
Sternstunden waren die Vorträge von zwei Pionieren und Veteranen der Afghanistan-Freundschaft: des 85-jährigen Dr. Ernst-Albrecht von Renesse, Mitinitiator der Afghanistan-Tagungen, und des 83-jährigen Paul Bucherer, Gründer des Afghanistan-Instituts und –Archivs in der Schweiz. Die freie Multimedia-Journalistin Lela Ahmadzai brachte in Kurzfilmen zwei starke Frauen aus dem heutigen Kabul nahe, eine Bäckerin mit sieben Kindern und opiumabhängigem Mann und eine Polizistin.
(Vom 24. November bis 24. Januar ist im Willy-Brandt-Haus/Berlin ihre Multimedia-Ausstellung „Die Unbeugsamen - Vier Frauen in Kabul“ zu sehen, http://www.ahmadzai.eu/ )
Von Renesse erinnerte an die frühe deutsche Unterstützung der afghanischen Unabhängigkeit, die Eröffnung der deutschen Gesandtschaft in Kabul 1923, die Gründung der „Amani-Oberrealschule“ in Kabul 1924, den Freundschaftsvertrag von 1926 und den Deutschland-Besuch von König Amanullah 1928. (s.u.) 1935 führte der erste Fernflug einer Ju-52 nach Kabul, 1938 gab es eine regelmäßige Lufthansa-Verbindung zwischen Berlin und Kabul.
Paul Bucherer reiste Ende der 60er Jahre mit seiner Frau Veronika erstmalig nach Afghanistan. Sein Interesse: Ein Land kennenlernen, das nie kolonialisiert worden war, und es mit den Ländern des ehemaligen Britisch-Indien vergleichen. Überall waren sie als Gäste hoch willkommen. Trotz aller materillen Armut auf dem Land fühlten sich die Menschen frei und reich. Später sei ihnen bewusst geworden: „Uns war vergönnt, einen Blick ins Paradies zu werfen.“ Das Ehepaar Bucherer-Dietschi gründete 1975 die Bibliotheca Afghanica, die zur Zeit der ideologischen Bilderstürme in Afghanistan zu einer „Arche Noah“ der afghanischen Geschichte und Kultur wurde. 2007 konnte mit Hilfe der UNESCO (und Transporthilfe der Bundeswehr) das „Afghanistan-Museum im Exil“ wieder nach Kabul überführt werden.
Mehrere tausend historischen Fotografien sind über die Website des Afghanistan-Instituts
(http://www.afghanistan-institut.ch/ ) in der Phototheca Afghanica einsehbar.
Die Schweizer „TagesWoche“ berichtete am 4.12.2015, wie Bucherer 1985 maßgeblich zur Erstellung eines Menschenrechtsberichts der UN zu Afghanistan beigetragen und wie die drohende Veröffentlichung des Berichts die sowjetische Führung dazu gebracht habe, massiv gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Vor dem Bericht habe es etwa 6.000 Ziviltote je Monat gegeben, nach dem sowjetischen Kurswechsel etwa 1.000. (http://www.tageswoche.ch/de/2015_49/basel/705314/ )
(Vom weiteren Tagungsverlauf kann ich nicht berichten, weil ich am 28.11. zu einer Tagung über Internationale Krisenprävention an der Evang. Akademie Thüringen in Neudietendorf musste – um dort zu Afghanistan zu referieren.)
Weitere Beiträge zu 100 Jahren Deutsch-Afghanische Beziehungen:
SWR2-Kulturgespräch mit Prof. Conrad Schetter vom BICC/Bonn am 2.12.2015
„Amani-Oberrealschule als Symbol der deutsch-afghanischen Freundschaft, Deutsche Welle 31.08.2015 http://www.dw.com/de/100-jahre-deutsch-afghanische-beziehungen/a-18683719 , https://www.facebook.com/amani.school?_rdr=p , http://www.amani-oberrealschule.com/
Vor 80 Jahren: Deutsche Hindukusch-Expedition 1935, erste größere rein naturwissenschaftliche Expedition, die je in Afghanistan durchgeführt wurde, Leiter Dr. Arnold Scheibe, Uni Gießen, organisiert vom Landw. und Botanischen Institut der Uni Halle, http://www.phototheca-afghanica.ch/uploads/tx_fmphototheca/Einleitung_Scheibe_01.pdf
Das Auswärtige Amt: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/AfghanistanZentralasien/100Jahre_node.html und zur vom AA initiierten
Afghanischen Kulturwoche 2.-9.12.2015: http://afghanischekulturwoche.de/ Wegen dringlicher Veranstaltungen zu Krisenfrüherkennung und Strategischer Vorausschau konnte ich leider keine Veranstaltung der Kulturwoche besuchen. In der taz berichtete am 12.12. Julia Bickel über Fotoausstellungen zu Afghanistan „Ein Gefühl der Hoffnung“ (http://www.taz.de/!5256881/): In der Galerie I am Space unter dem Titel „I see you“
Fotografien von Rada Akbar zu Straßenkindern, https://www.photocircle.net/de/fotografen/292/rada-akbar , http://www.heise.de/foto/artikel/Ich-verdiene-Freiheit-Interview-mit-der-afghanischen-Fotografin-Rada-Akbar-2170133.html
von Farzana Wahidy zu afghanischen Frauen, http://www.farzanawahidy.com/
Grafiti des StreetArt-Künstlers Kabir Mokamel , https://www.facebook.com/kabir.mokamel ) (http://www.aljazeera.com/blogs/asia/2015/08/afghan-graffiti-artist-strives-beautify-kabul-150826090658859.html und
Fotografien von Massoud Hossaini, der als erster Afghane 2012 den Pulitzerpreis erhielt – für das Bild eines schreienden Mädchen nach einem Selbstmordattentat inmitten verstümmelter, toter Körper. http://www.theguardian.com/commentisfree/2012/apr/24/massoud-hossaini-pulitzer-image-afghanistan .
Eine weitere Ausstellung „Skate Girls of Kabul“ der britischen Fotografin Jessica Fulford-Dobson in der Galerie Pavlov`s dog. Im Tagesspiegel vom 6.12. berichtete Bigna Fink über ein geflüchtetes afghanisches Rapperpaar, das als 143Band auftritt, http://www.tagesspiegel.de/berlin/musiker-als-fluechtlinge-in-berlin-afghanische-rapper-neukoelln-und-der-beat-der-freiheit/12682270.html
„Ullemulle, König der Herzen“ – Wie Amanullah Chan die Weimarer Republik im Sturm eroberte und Kabul verlor, Deutschlandfunk-Feature von Sabine Weber, 26.12.2009
Besuch des afghanischen Königs Amanullah 1928 in Deutschland, Auszüge
aus dem DF-Feature (…)
Sprecherin
Abgesehen von einem Hang zur verloren gegangenen Monarchie und dem Unterhaltungswert eines exotischen Aristokraten hat die Begeisterung der Berliner auch noch tiefer gehende Gründe. Seit dem Ende des Ersten Weltkrieges war hier kein ausländisch-repräsentatives Haupt auf Staatsbesuch mehr gesehen worden. Mit der Visite von Amanullah, König von Afghanistan, scheint das Ende dieses doch recht deprimierenden Zustandes gekommen. Hinzu kommt, dass das Land am Hindukusch schon seit Längerem europäische Herrschaftsphantasien beflügelt. (…)
Sprecherin
Seit dem Ende des zweiten anglo-afghanischen Krieges 1881 ist Afghanistan mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern britisches Protektorat; seine Außenpolitik wird von London bestimmt. Dafür erhält der Emir großzügige Unterstützungszahlungen. 1915 schickt Wilhelm II. eine Geheimexpedition nach Kabul. Der bayerische Offizier Oskar Ritter von Niedermayer und der junge Diplomat Werner-Otto von Hentig sollen erreichen, dass Afghanistan an der Seite Deutschlands in den Krieg gegen Britisch Indien eintritt. Die Expedition ist bei Lichte betrachtet ein Himmelfahrtskommando. Afghanistan, regiert von Emir Habibullah, gilt als
„verschlossenes Land“; jedem Ausländer, der es ohne Genehmigung des Emirs betritt, droht die Todesstrafe.
Die wagemutige Niedermayer-Hentig-Delegation hat Glück – als Freunde des Osmanischen Reiches, dem sich auch Afghanistan verbunden fühlt, hört Abdurahmans Nachfolger Emir Habibullah die Deutschen immerhin an. Zwar lehnt er eine Beteiligung am Krieg ab, doch schließt man einen ersten Freundschafts- und Handelsvertrag. (…)
Im Februar 1919 wird Emir Habibullah auf der Jagd von einem tödlichen Schuss getroffen. Sein jüngster Sohn, der 27-jährige Amanullah übernimmt in einem Handstreich den Herrscherthron. Amanullah wird von denen, die ihn kannten, als fleißig, sehr neugierig und ohne jeden Dünkel beschrieben. Kluges Taktieren, diplomatisches Abwarten ist seine
Sache nicht – vielmehr gilt er als Mann der Tat. Kaum an der Macht erklärt er gegenüber dem englischen Vizekönig die Unabhängigkeit Afghanistans. (…)
O-Ton R. Schlagintweit (ehem. Abteilungsleiter AA, 1958-1961 an der Dt. Botschaft Kabul)
Die Beziehungen zu Russland waren in dieser Zeit – in der ersten Zeit von Amanullah – zu Russland besser als zu Großbritannien, denn von Großbritannien wollte man sich unabhängig machen. Dies geschah dann auch in einem sehr kurzen Krieg, der weniger von den Afghanen gewonnen, als von den Briten verloren wurde; die waren einfach kriegsmüde 1919 und haben gesehen, dass es das beste war, formell nachzugeben, dem Land seine volle Souveränität zu geben, auch in außenpolitischen und militärpolitischen Fragen. (…)
Sprecherin
Emir Amanullah avanciert zum Volkshelden. Doch es zeigt sich, dass der kühne Schlag gegen die Briten erst der Anfang umfassender Veränderungen ist. Mithilfe eines Reformprogramms will er sein Emirat von einer frühzeitlich anmutenden Stammesgesellschaft in einen modernen Staat verwandeln.
O-Ton R. Schlagintweit
Also, das war ein ganzes Bündel von Reformen, das kann man gar nicht alles aufzählen. Er hat versucht, die Armee zu reformieren, das ist ihm nicht sehr gut gelungen, eines der großen Probleme. Er hat auch versucht, die Finanzen zu ordnen, auch das ist ihm zum Teil gelungen. Er hat vor allem die Großgrundbesitzer und die Händler besteuert, was ihm auch keine Freunde gemacht hat. (…)
Sprecherin
Zudem erlässt Amanullah 1923 die erste Verfassung des Landes, die unter anderem das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit sichert. Er schafft die Sklaverei ab und beendet die Unterstützungszahlungen an die Stämme, die nun ihrerseits steuerpflichtig werden. Zu guter Letzt strebt Amanullah die komplette Trennung von Religion und Staat an.
O-Ton R. Schlagintweit
Und natürlich nicht zu vergessen: die Stellung der Frau. Das wird ja meistens in den Mittelpunkt gestellt, weil es mit das Mutigste war, was er getan hat – er hat gesagt, Männer und Frauen sind gleichberechtigt.
Sprecherin
Besonders wichtig ist Amanullah die Bildung. Schon die Schulkinder versucht er von deren Wert zu überzeugen, wie der in Hamburg lebende Kaufmann Sultan Mohammad berichtet.
O-Ton Sultan Mohammad
Zur Zeit von Amanullah war mein Vater Schüler im Habibullah-Gymnasium. Und er
hat viel von Amanullah erzählt. Er war in einer Schulklasse, sagt er. Meinte, dass Amanullah mit zwei, drei Leuten gekommen sei und immer einige Fragen gestellt habe. Und die Leute, die geantwortet haben, die haben Geschenke gekriegt.
Sprecherin
Amanullah selbst wurde noch von Mullahs, islamischen Geistlichen unterrichtet. Nun nimmt er der Geistlichkeit ihr alleiniges Recht auf Ausbildung und legt es in die Hände weltlicher Lehrer. 1924 gründet er die Amani-Oberrealschule mit deutschen Lehrkräften und Deutsch als Unterrichtssprache in den naturwissenschaftlichen Fächern. Bis in unsere Tage hinein wird in fast jeder Regierung Afghanistans zumindest einer der Minister Absolvent der Amani-Schu
le gewesen sein oder aber in Deutschland studiert haben. (…)
1921 startet Amanullah einen Testballon. Er entsendet eine Delegation nach Europa mit dem Ziel, die Souveränität Afghanistans anerkennen zu lassen sowie Fachleute für den technischen und wirtschaftlichen Aufbau anzuwerben. Die erste Station in Mitteleuropa ist Deutschland.
O-Ton R. Schlagintweit
Die Deutschen hatten den großen Vorteil, dass sie in Asien keine Machtpolitik verfolgten. Er konnte also sicher sein, dass ein deutscher Baufachmann ein Baufachmann und nicht gleichzeitig ein Agent des Geheimdienstes war und spioniert hat; das hat man sowohl bei den Briten wie auch bei den Russen vorausgesetzt (…)
Und die Deutschen hatten ja ein hohes Ansehen als gute Fachleute, tüchtig, erfolgreich, handwerklich sehr gut, und diese gute Meinung hat sich ja durch die Jahrzehnte durch gehalten. Bis zum heutigen Tag sind die Deutschen gerade als Fachleute sehr respektiert.
(…)
Schon 1922 schickt Siemens die ersten Ingenieure in die afghanische Hauptstadt, es folgen Architekten, Techniker und Handwerker. Hauptaufgabe der Deutschen ist es, gemeinsam mit anderen Europäern vor den Toren Kabuls einen modernen Regierungssitz zu bauen, inklusive Palästen, Rathaus, einem Postamt, Kasernen und einer Eisenbahnverbindung
nach Kabul.
Einer der ersten, die damals im Auftrag von Siemens in das ferne Land am Hindukusch reisen, ist Wilhelm Rieck. Dessen Geschichte hat sein Urenkel Werner Müller erforscht.
O-Ton Werner Müller
Er ist damals, 1922, von Berlin aus mit dem Zug nach Warschau gefahren, wie es hieß, mit elf anderen Deutschen, worunter auch drei Frauen waren, und von
Warschau ging es dann weiter nach Moskau, von Moskau bis Taschkent, um dann mit Pferden über das Gebirge bis nach Kabul zu reiten.
Sprecherin
Dort kümmert sich Ingenieur Wilhelm Rieck um die Planung der elektrischen Anlage
für das erste afghanische Krankenhaus. Außerdem ist er wahrscheinlich am Aufbau
der deutschen Schule beteiligt. Später arbeitet er auch am Bau der Paläste in Darulaman mit.
O-Ton W. Müller
Amanullah fragte meinen Urgroßvater damals, ob er ihm nicht die Dächer mit einer grünen Patina versehen könnte. Diese Patina hat er in Sanssouci oder in Hamburg
am Ballindamm gesehen und das gefiel ihm ganz gut. Und daraufhin hat mein Urgroßvater ihm wohl gesagt: „Majestät, das ist ein natürlicher Effekt, wir können warten, wir können es auch künstlich herstellen, allerdings wird das wieder ein bisschen kosten.“ Daraufhin hat Amanullah sich entschlossen, dass erst mal abgewartet werden muss, weil, so viel Geld hatte er natürlich bei seinen ganzen Reformen auch nicht mehr. (…)
O-Ton W. Müller
Interessant sind natürlich vor allem die Bilder der neuen Errungenschaften von damals, wie zum Beispiel, die erste Fahrt mit der Eisenbahn von Darulaman nach Kabul. Es sind städtische Fabriken darauf zu sehen; man sieht auch ein bisschen die Bauarbeiten vom damaligen Baugelände des Palastes. - Das ist auch ein sehr interessantes Bild, von der ersten Eisenbahnfahrt von Darulaman nach Kabul, und auf der Rückseite schrieb er dann: „Ohne offizielle Regierungsvertreter“. Das ist natürlich erst mal interessant, vor allem bei so einer
wichtigen technischen Errungenschaft wie bei einer Eisenbahn, dass kein Vertreter der Regierung dabei war. Hintergrund ist aber, wie mir jemand sagte: damals war man natürlich der Meinung: in der Lok brennt Feuer – und nur der Teufel hat Feuer im Bauch. Also darf
man sich mit so etwas nicht anfreunden und nimmt davon besser Abstand.
Sprecherin
Schon bald sind mehr als 200 deutsche Ingenieure und andere Fachleute am Bau von Straßen, Staudämmen, Bewässerungsanlagen und Elektrizitätswerken, Brücken und Schulen beteiligt. Und bereits Mitte der 20er Jahre ist Deutschland nach Großbritannien und Sowjetrussland der drittwichtigste Handelspartner Afghanistans. (…)
Angekündigt von unzähligen Zeitungsartikeln treffen das Königspaar und sein Gefolge am 22. Februar 1928 in Berlin ein. Der Lehrter Bahnhof ist mit Fahnen und
Tannengrün geschmückt. Protokolle, Telegramme sowie die in- und ausländische Presse halten den großen Moment fest. (…)
Zitator 1
Das Automobil des Königs fährt langsam. Die afghanische Nationalhymne wird gespielt. Der König von Afghanistan wird sicherlich fühlen, dass durch den würdigen Empfang jedermann den Wunsch hegt, dass sein Aufenthalt möglichst angenehm und in seiner Erinnerung bleiben möge.
Zitatorin
Die Bevölkerung, die vom Bahnhofe bis zur Ankunft im Palais zu beiden Seiten des Weges sich teilnehmend versammelt hatte, äußerte ihre Freude. Sie winkten mit den Taschentüchern und stießen mit lauten Stimmen Hochrufe aus.
Beim Brandenburger Tor stand eine Gruppe Kommunisten, die den König mit dem unfreundlichen Rufe: „Nieder!“ begrüßte. Auf die Frage des Königs an den ihm beigegebenen Botschafter Rosen, was der von geballten Fäusten begleitete Ruf bedeute, erwiderte dieser geistesgegenwärtig: „Gott schenke Euer Majestät ein langes Leben.“ Freudig wendete sich der König im Auto um und winkte dafür den überraschten Kommunisten freundlich zu. (…)
O-Ton R.-D. Müller
Sicherlich spielte von der politischen Psychologie der Weimarer Republik auch eine Rolle, dass ja ein wichtiger Punkt des Versailler Vertrages die Wegnahme der Kolonien mit der Begründung war, die Deutschen hätten eben vor dem Ersten Weltkrieg gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, Kolonien ordentlich zu verwalten.
Diesen Klischees zu widersprechen, da kam natürlich der Besuch von Amanullah wunderbar entgegen, da konnte man demonstrieren, dass es überseeische Gebiete
gibt, in denen die Deutschen nicht gerade geliebt werden, aber in denen die Deutschen geschätzt werden, die deutsche Tüchtigkeit, die deutsche Bildung, das Wissen, die deutschen Architekten, Ingenieure, die Moderne sozusagen, die die Deutschen nach Afghanistan bringen. (…)
Zwei Wochen dauert König Amanullahs erster Besuch in Deutschland. Sieben Tage davon verbringt er in Berlin. Er legt Kränze nieder, besichtigt Turnvorführungen, schreitet durch Spaliere von Fahnenträgern, frühstückt und diniert mit den Spitzen der deutschen Gesellschaft, trägt sich in das Goldene Buch der Stadt ein, erhält die Ehrendoktorwürde der Technischen Universität, nimmt an einer Truppenübung in Döberitz teil und an einer Flugzeugparade in Tempelhof. – Zu diesem Anlass kann ihm das Deutsche Reich endlich sein Gastgeschenk überreichen: eine dreimotorige Junkers Typ G 24, deren Preis ein Dreieinhalbfaches des Fiat-Panzerwagens beträgt – 285.000 Reichsmark!
Amanullah besichtigt die Sternwarte in Treptow, besucht die Transformatorenfabrik in
Oberschöneweide, das Großkraftwerk Klingenberg und die Siemenswerke. – Hier erhalten die Königin ein silbergoldenes elektrisches Protoskaffeegeschirr und der König zwei vollautomatische Fernsprechanlagen.
Er besucht Wohlfahrtsanstalten, inspiziert die Berliner Feuerwehr, spendet den Armen der Stadt, wie in jedem Land, das er auf seiner Reise besucht, 1.000 englische Pfund und wohnt in der Oper einer Galavorstellung von Ludwig Bayers Ballett „Die Puppenfee“ bei. – Der verantwortliche Polizeioffizier berichtet:
Zitator 1
Bei diesem Anlass war die Zahl der Schaulustigen vor der Oper so groß, dass die Polizei es nicht schaffte, den Bürgersteig zu räumen und die Menschenmenge auf den südlichen Fahrdamm zurückzudrücken. (…)
Sprecherin
Anfang März 1928 verlässt der königliche Tross Berlin. Man besichtigt die Junkerswerke in Dessau – wo Amanullah zwei weitere Flugzeuge kauft; die Zeiss-Ikon-Werke in Dresden – wo er fotografische Apparate im Wert von 11.000 Reichsmark bestellt; und die Leipziger Messe. Wieder in Berlin gibt er zum Abschied eine Pressekonferenz. (…)
Zitator 2
Ich verspreche mir von dem, was ich gesehen und gehört habe, wertvolle Auswirkungen für mein Land und für unsere beiderseitigen Beziehungen, die ja seit langer Zeit bestehen, die zu vermehren und auszubauen aber mein aufrichtiger Wunsch ist. (…)
Sprecherin
Nach Reisen durch Frankreich und Großbritannien kehrt Amanullah im April 1928 nochmals für einen dreiwöchigen inoffiziellen Besuch nach Berlin zurück. Er will einige geschäftliche Verbindungen vertiefen und bittet außerdem um eine zinslose Anleihe von zehn Millionen Reichsmark zur Bezahlung der in Deutschland gemachten Bestellungen. Die Regierung gewährt ihm zwar die Einräumung eines Kredits, jedoch nur in Höhe von sechs Millionen Reichsmark – nach heutiger Kaufkraft knapp 20 Millionen Euro. (…)
Musik
„Der verliebte Bimbambullah“ („Jazz“version)
Sprecherin
Während der Berliner Volksmund noch liebevolle Namen wie „Amanullerich“ oder „Ullemulle“ für die afghanische Hoheit kreiert, rechnen links stehende Blätter wie der „Vorwärts“ bereits haarklein aus, dass der königliche Besuch den deutschen Steuerzahler 600.000 Reichsmark gekostet habe – inklusive Stromrechnung. Kabarettbühnen bringen Amanullah-Nummern, Franz Arnold und Ernst Bach schreiben den Schwank „Hulla di Bulla“, die Liedkomponisten lassen sich zu nicht immer geschmackssicheren Exotismus-Schlagern inspirieren und Dichter wie Erich Mühsam, Erich Weinert und Kurt Tucholsky verfassen spöttische Poeme.
Zitatorin
Tucholsky: Ersatz
Einen richtigen König? Wir haben keinen und daher borgen wir uns einen.
Sei gegrüßt, du schöne Gelegenheit!
Alles ist wie in alter Zeit:
Straßenabsperrung und Schutzmannsgäule,
Neugier der Kleinbürger, Hurra-Geheule,
Monokel-Kerle die Kreuz und die Quer
und: Militär! Militär! Militär!
Im Spalier aber steht bei Amanullah Chan
Er: der deutsche Untertan.
Der braune König wird Ehrendoktor
Und nur ein vaterlandsloser, verstockter
Roter sieht in der ganzen Musik –
– den schönen Traum einer Republik.
Sprecherin
Alles in allem kann die junge Republik mit dem Verlauf und dem Ergebnis des Besuchs zufrieden sein. Sie hat sich als Gastgeberin wacker geschlagen und außenpolitisch ein gutes Bild abgegeben. Die Weichen zur weiteren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit König Amanullahs Reich sind vorsichtig gestellt.
Aber die Rechnung ist ohne die alten Wirte, Großbritannien und die Sowjetunion gemacht. Deren riesige Einflussgebiete werden nach wie vor nur durch das Land am Hindukusch getrennt; allzu gerne möchte sich jeder der beiden den immer selbstständiger werdenden Staat einverleiben oder ihn zumindest auf die eigene Seite ziehen. Der deutsche Gesandte in Moskau unterrichtet Berlin von den Vorgängen. In London wollte man Amanullah davon über
zeugen, dass Sowjetrussland demnächst in seinem Land einzumarschieren gedenke. Moskau habe auf diese Unterstellungen rasch mit großzügigen Waffenlieferungen an Afghanistan geantwortet. Offenbar der richtige Schritt, wie der Gesandte feststellt. (…)
Sprecherin
Über die Neuerungen unterrichtet der deutsche Gesandte in Kabul das Auswärtige Amt per Telegramm.
Zitator 1
In öffentlichen von Offizieren und Beamten stark besuchten Vorträgen hat König über seine Reise gesprochen und sein Reformprogramm entwickelt. Nach diesem Programm soll vollständige Reorganisation Außen-, Kriegs- und Unterrichtsministeriums erfolgen, Militär- und Unterrichtsschulen jeder Art gegründet werden. Nach zwei Monaten ist Tragen bisherigen sackartigen Frauenüberwurfs verboten und nur noch Tragen früheren türkischen Überkleids gestattet sowie vollständiges Ablegen Schleiers anheim gestellt. Im dritten Vortrag hat Königin auf Aufforderung Königs Schleier endgültig abgelegt
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: