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Kollaps der afghanischen Sicherheitskräfte, Regierung + Warlords, Taliban zurück an der Macht - Historische Niederlage des Westens

Veröffentlicht von: Nachtwei am 17. August 2021 07:03:07 +01:00 (49086 Aufrufe)

 

Kollaps der afghanischen Sicherheitskräfte + Regierung,

Taliban zurück an der Macht – Historische Niederlage des Westens

 (laufend aktualisiert zur Sicherheitslage, Stand 15.-17.08.2021)

Vorbemerkung: Die Informationsquellen zur Lage in Afghanistan werden spärlicher, der Propagandaanteil nimmt zu. Die folgende Zusammenstellung kann deshalb nur grobe Einblicke in die Lageentwicklung geben. Da die internationalen Medien zzt. ausführlich das Chaos am Kabuler Flughafen und die internationalen Evakuierungsbemühungen berichten und hier die Lage besonders dynamisch und unübersichtlich ist, bringe ich dazu keine Berichte. Hier Links zu meinen Zusammenstellungen zur Sicherheitslage seit Jahresbeginn:

- Zur Lage 09.-14.08. fallende Provinzhauptstädte), (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1715

- Zur Lage August http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1713 mit jüngstem SIGAR-Report

- Zur Lage Juli http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1709

- Zur Lage Juni  http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1704

- Zur Lage April http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1691

- Zur Lage Feb / März http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1680

- Zur Lage Jan / Feb http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1677.

Thomas Ruttig / taz 17.08,. „Taliban übernehmen Afghanistan: Die letzten Tage von Kabul  Auf die Machtübernahme der Taliban folgen Chaos und Angst: Plünderungen, Selbstzensur, Angriffe auf Frauen.

BERLIN taz | Die geordnete Machtübergabe an die Taliban ist gescheitert. Der Plan der USA und der Regierung in Kabul, eine Übergangsregierung unter ihrem Einschluss zu bilden, brach zusammen, bevor er zu Ende diskutiert werden konnte. Auch eine zweiwöchige Feuerpause, um die Übergabe geordnet zu managen, kam nicht zustande. Stattdessen übernahmen die Taliban ungehindert die alleinige Macht. Bereits am Abend saß der Chef ihrer Militärkommission, also der Quasiverteidigungsminister, Kari Salahuddin, im Kabuler Präsidentenpalast.

Am Montag erklärten sie den Krieg für beendet, das sie nun das gesamte Land kontrollierten. Das stimmt nicht ganz. Die kleine Provinz Pandschir nördlich von Kabul, als Anti-Taliban-Hochburg bekannt, ist wohl noch nicht besetzt.

Talibansprecher Muhammad Naim teilte gestern mit, die Bewegung würde mit der Regierungsbildung beginnen. Man wolle „kein isoliertes Land“ regieren – ein Gesprächsangebot an die Weltgemeinschaft. Talibanvizechef Mullah Baradar sprach von einer „offenen, inklusiven islamischen Regierung“, ein Zeichen, dass auch Nichttaliban einbezogen werden sollen. Das könnte auch die Erklärung dafür sein, dass die erwartete Ausrufung eines islamischen Emirats noch nicht erfolgte.

Der Machtübernahme der Taliban leistete Vorschub, dass der bisherige Präsident Aschraf Ghani am Sonntagnachmittag das Land verlassen hatte. Unklar blieb, ob das eine Vorbedingung der Taliban für eine Übergangslösung war oder der USA, die ihn schon lang nicht mehr unterstützten, oder eine überstürzte Flucht. Mit seinen zwei engsten Vertrauten – dem nationalen Sicherheitsberater, Hamdullah Moheb, und seinem engsten Mitarbeiter, Fasl Fasli, ließ er sich zunächst nach Tadschikistan fliegen und von dort aus nach unbestätigten Berichten nach Oman. Ghani besitzt die US-Staatsbürgerschaft, Moheb ist afghanisch-britischer und Fasli afghanisch-schwedischer Staatsbürger.

Warlords und Regierungsmitglieder flüchten ins Ausland

Aus den sozialen Medien schlagen Ghani nun Anschuldigungen entgegen, er sei mit großen Geldbeträgen ausgereist. Dazu kommen Wut über sein Scheitern nach Jahren großsprecherischer Pläne und Häme. Noch kürzlich hatte Ghani erklärt, er würde lieber im Amt sterben als fliehen.

Nach Ghanis Flucht entstand ein Dreierrat, der für sich in Anspruch nahm, mit den Taliban weiter über deren Machtübernahme zu verhandeln – offenbar auch in der Hoffnung, dabei selbst weiter eine politische Rolle spielen zu können. Dazu gehören der frühere Präsident Hamid Karsai, der berüchtigte Mudschaheddinführer Gulbuddin Hekmatjar und Ghanis interner Hauptrivale Abdullah, zuletzt Vorsitzender des für Verhandlungen mit den Taliban zuständigen Rats für Nationale Versöhnung. Die Taliban haben bisher kein Zeichen ausgesandt, dass sie diesen Rat ernst nehmen. Währenddessen haben sich führende Warlords und Regierungsmitglieder ins Ausland gerettet.

Keine Kämpfe in Kabul

Nach Ghanis Abreise lösten sich die letzten Regierungsstrukturen auf. Darunter war die Polizei, die bis zum Abend aus dem Stadtbild Kabuls verschwand. Daraufhin kam es zu ersten Plünderungen und Überfällen auf Passanten. Viele Teile Kabuls wurden über das vergangene Jahr zunehmend von kriminellen Netzwerken geplagt, die teilweise von hohen Politikern protegiert wurden. Sie versorgten sich offenbar mit Waffen der sich auflösenden Polizei, oder Polizisten schlossen sich ihnen an. Das nahmen die Taliban zum Anlass, entgegen früheren Zusagen nach Kabul einzurücken. Bereits am Sonntagabend hatten sie alle Polizeikommandanturen in Kabul übernommen, einen ehemaligen Parlamentsabgeordneten als Polizeichef und einen Gouverneur aus den eigenen Reihen eingesetzt. Ab 21 Uhr galt eine nächtliche Ausgangssperre.

Gekämpft wurde in Kabul nicht, wie das Internationale Rote Kreuz gestern bestätigte. Kontakte der taz in Kabul berichteten aus den Stadtteilen Kart-i-Nau im Südosten und Chuschhal Mena im Wesen, dass einige Geschäfte wie Bäckereien geöffnet, aber Banken noch geschlossen seien, die aber wieder Geld von der Zentralbank erhalten sollen. Autos würden zwar kontrolliert, aber nicht durchsucht. Dies gelte auch für weibliches Personal. Es wurde auch berichtet, Taliban suchten nach gepanzerten Fahrzeugen und solchen von Armee und Polizei, offenbar um sie zu beschlagnahmen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich vereinzelt um Kriminelle handelt, die sich als Taliban ausgeben und die Angst der Bevölkerung ausnutzen.

Angst vor den Taliban

Internet- und Stromversorgung liefen normal, damit auch weiter unabhängige afghanische Onlinemedien. Der unabhängige Sender Tolo in Kabul sei nach Waffen durchsucht worden; die Taliban hätten sie eingezogen, aber zugesichert, den Sender zu schützen. Das berichtete Tolo über Twitter. Einige TV- und Radiosender hätten ihr Programm „gemäßigt“ und „islamisiert“, hieß es in sozialen Medien.

Eine Talibandelegation suchte den Gesundheitsminister Wahid Madschruh auf und ersuchte ihn, „wie bisher“ weiterzuarbeiten. In Kundus sollen Behördenmitarbeiterinnen von der Arbeit nach Hause geschickt worden sein, in Kabul Studentinnen. Es könne aber auch vorauseilender Gehorsam der Universitätsverwaltung sein. Ebenfalls auf sozialen Medien hieß es, die Furcht vor den Taliban „vergifte“ bereits den öffentlichen Raum. Frauen und Mädchen würden von Passanten beschimpft, dass die Taliban „wegen euch“ gekommen seien und sie jetzt „disziplinieren“ würden.“ https://thruttig.wordpress.com/2021/08/17/taleban-beherrschen-afghanistan-wieder/

FAZ 16.08., „Taliban nehmen Kabul ein – Kämpfen wäre sinnlos gewesen“ vpm Stefanie Glinski, Niemand leistet Gegenwehr, als die Taliban nach Kabul zurückkehren. Die Menschen fürchten die Islamisten, zunächst aber die Gesetzlosigkeit – denn die Tore der Gefängnisse stehen weit offen. (…)https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/taliban-nehmen-kabul-ein-warum-kaempfen-sinnlos-gewesen-waere-17486559.html

TOLOnews 16.08., Kabul City Quiet, Residents Apprehensive First Day Under Taliban

The city of Kabul noticeably changed during its first day under the rule of the Taliban.

The majority of shops, businesses, government institutions and offices were closed.

Traffic was sparse, but some residents traveled in private cars.

The public presence of women was noticeably reduced, with no large gatherings of women in the city, which would have been common on other days.

Speaking to TOLOnews, a number of residents said that the government institutions must reopen as soon as possible so that the people can carry on with their affairs.

Some Afghans expressed concern over the presence of illegal armed groups in the city. Some residents pledged to avoid leaving their homes.

Deh Afghanan is the main area in the city of Kabul and is usually very crowded, but on Monday it was quiet. (…)https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174253

TOLOnews 16.08., „Rapid Escape of Ghani, Afghan Leaders Harshly Criticized“

The fleeing of former Afghan president Ashraf Ghani and his aides has been harshly criticized by Afghans who say Ghani played with the "blood of the people" and "committed treason" by abandoning his post after making pledges to stay. Other officials and political leaders were also taken to task for rapidly fleeing despite pledges to stay and fight to the end.

Outraged Afghans noted that Ashraf Ghani, his deputies, ex-NSA Hamdullah Mohib and other officials had repeatedly spoken of remaining in the country, but they left even before the end of the foreign forces' mission in Afghanistan. 

RIA news agency, quoting a Russian embassy official who in turn quoted witnesses, said that Ghani fled with four cars "full of money" and had to leave some money "lying on the tarmac," Reuters reported, adding it "could not independently confirm the veracity of his account immediately."

As the fighting intensified, Ghani and his aides pledged they would remain in the country. Ghani during a speech two weeks ago even criticized the Afghan king Amanullah, who reigned in the 1920s, for leaving the country.

“Amanullah Khan is dear to me, you know it, but he escaped and left us alone. I will not escape,” Ghani said.

“They are welcome even if they come through force, but we will not leave,” Mohib said last month.

Some former politicians and leaders also publicly vowed not to leave, making pledges that they would fight to the end.   

“If my bullets are finished, if I am arrested and I have a weapon and our people are around us, no force will be able to take me alive. Martyrdom is my pride,” said Atta Mohammad Noor of Jamiat-e-Islami.

“I will see martyrdom as an honor and I will not leave this country,” said Marshal Abdul Rashid Dostum, head of Junbish-e-Milli.

Afghans speaking to TOLOnews said that these leaders should not have done this to the people. (…)https://tolonews.com/index.php/afghanistan-174252

Thomas Ruttig / taz 15.08., „Taliban übernehmen die Kontrolle - Afghanistans bisherige Regierung streckt die Waffen. Gemeinsam mit den USA handelt sie die Machtübergabe an die Taliban aus. https://taz.de/Praesident-Ghani-hat-Afghanistan-verlassen/!5793771/

In Afghanistans Hauptstadt Kabul hat die US-Regierung offenbar eine kampflose Machtübernahme durch die Taliban arrangiert. Nachdem das afghanische Führungsmitglied Abdullah Abdullah am Sonntagnachmittag bestätigte, dass der bisherige Präsident Aschraf Ghani das Land in Richtung Tadschikistan verlassen hat, ordnete die Taliban-Führung den Einmarsch ihrer Kämpfer in die afghanische Hauptstadt an – um angesichts der Flucht der bisherigen Machthaber Plünderungen zu verhindern und damit anderen Menschen kein Schaden zugefügt werde, wie es in einer Erklärung hieß.

Seit Freitag hatten die Taliban fast alle noch in Regierungshand befindlichen Provinzhauptstädte ohne Gegenwehr eingenommen und am Sonntagmorgen waren sie in einige Außenbezirke Kabuls eingerückt. Zunächst ordnete die Taliban-Führung an, ihre Kämpfer sollten Kabul „nicht mit Gewalt“ betreten.

Afghanistans bisheriger Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal und Verteidigungsminister Bismillah Muhammadi wandten sich mit der Zusicherung an die Bevölkerung, es werde nicht zu Kämpfen kommen. Damit war klar, dass Afghanistans Armee und Polizei keinen Widerstand mehr leisten und Straßenkämpfe vermieden würden. (…)

Viele Warlords offenbar auf der Flucht

Der Fall von Kabul erfolgte dennoch schneller als von vielen erwartet. Erst am Freitag war mit der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif, dem letzten Stationierungsort der Bundeswehr, Afghanistans vorletzte Großstadt an die Taliban gefallen. Gestern folgten die beiden letzten Regionalzentren, Dschalalabad im Osten und Bamian in Zentralafghanistan, sowie die Provinzhauptstadt Maidanschahr am Südwestrand Kabuls und mehrere ländliche Distrikte der Provinz Kabul.

Bamian liegt im Siedlungsgebiet der schiitischen Hasara, die besonders unter dem Talibanregime vor 2001 gelitten hatten. Aber das Gebiet war nicht mehr zu halten, nachdem mehrere ihrer Warlords entweder zu den Taliban übergelaufen waren oder mit ihnen Deals geschlossen hatten. Auch der Militärstützpunkt Bagram, nördlich von Kabul, bis vor Kurzem Hauptquartier der US-Militärs, wurde kampflos übergeben.

Die Warlords, die bisherigen US-Hauptverbündeten im Kampf gegen die Taliban, waren schnell aus dem Feld geschlagen. Ihre Milizen leisteten wie Armee und Polizei kaum Widerstand. Zwei der wichtigsten, Abdul Raschid Dostum und Atta Muhammad Nur, flohen offenbar über die afghanische Nordgrenze nach Zentralasien, nachdem sie sich in den letzten Tagen noch einmal martialisch in ihren Generalsuniformen fotografieren ließen.

Auch Vizepräsident Amrullah Saleh, enger Vertrauter des 2001 von al-Qaida ermordeten Mudschaheddinführers Ahmad Schah Massud sowie der USA, verschwand von der Bildfläche. Zuletzt war er schon einmal in Tadschikistan aufgetaucht, von wo aus Massud in den 1990er Jahren den Wi­derstand organisiert hatte. Saleh könnte versuchen, das nachzumachen. Massuds Hochburg, das Pandschirtal, wurde bisher noch nicht von Talibankämpfern besetzt.

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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