Zum Antrag der Bundesregierung "Anpassung des Einsatzgebietes für die Beteiligung bewaffÂneter deutscher Streitkräfte an der EU-geÂführten Operation Atalanta zur BekämpÂfung der Piraterie vor der Küste Somalias" hielt Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag folgenden Redebeitrag:
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der UN-Sicherheitsrat hat unverändert recht: Die PirateÂrie vor Somalia ist eine Bedrohung internationaler SiÂcherheit. Diese Bedrohung betrifft übrigens zum großen Teil Seeleute aus der sogenannten Dritten Welt, zuminÂdest was die Schiffsbesatzungen angeht. Die Staaten sind deshalb aufgerufen, die Piraterie mit einem Bündel von kurzfristig, mittelfristig und langfristig wirkenden MaßÂnahmen zu bekämpfen und einzudämmen. Es wäre ein sicherheitspolitischer Albtraum, würde die heutige orgaÂnisierte Kriminalität der Piraterie sich mit transnationaÂlem Terrorismus verbinden.
Ausgehend vom Beschluss des Europäischen Rates legt die Bundesregierung mit ihrem heutigen Antrag eine Klarstellung und Präzisierung zum Einsatzgebiet vor. Es ist gesagt worden, dass das reale Einsatzgebiet von 3,5 Millionen auf 5 Millionen Quadratkilometer erweiÂtert wird. Das ist eine unvorstellbar große Fläche. AngeÂsichts der realen Verlagerung der Piratenaktionen ist diese Ausweitung zunächst einmal plausibel. Aber ist diese Maßnahme auch geeignet, zu einer wirksameren Piratenbekämpfung beizutragen?
Kurze Zwischenbilanz: Alle Transporte - die Zahlen sind schon genannt worden - des World Food Programme mit über 150 000 Tonnen Hilfsgütern sind sicher nach Somalia gekommen. 24 Group-Transits sind sicher durch den Golf von Aden geleitet worden. Die BefürchÂtung, die nicht wenige hatten, nämlich dass es auch zu Militäroperationen an Land kommt und dadurch eine unÂberechenbare Eskalation in Gang gesetzt wird, hat sich nicht bewahrheitet. So weit ist ein Teilerfolg zu verÂzeichnen.
Aber zu der Bilanz gehören auch andere Zahlen, die ebenfalls schon genannt worden sind. Im vorigen Jahr hat es insgesamt 111 Piratenüberfälle und 42 Kaperungen gegeben. In diesem Jahr waren es bis Anfang Mai insgesamt 114 Überfälle und 29 Kaperungen. Man muss sehen, dass in diesem Raum Abertausende von Schiffen unterwegs sind. Von einer wirksamen Eindämmung der Piraterie ist die Staatengemeinschaft noch sehr weit entÂfernt.
Vor Ort sind im Rahmen von drei Operationen mehr als 40 Kriegsschiffe im Einsatz, darüber hinaus etliche unter nationalem Kommando. Hier kann man nicht von einem effektiven Multilateralismus sprechen, sondern nur von einem ausdrücklich ungeordneten MultilateralisÂmus. Die wichtigste Aufgabe ist, dass wenigstens die vorhandenen Kräfte viel besser organisiert werden und - der Vorschlag ist nicht neu - alles unter ein UN-KomÂmando gebracht wird. Dadurch würde die Effektivität siÂcher steigen.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)
Zum Schluss möchte ich Maßnahmen ansprechen, die ausschlaggebend sind - dazu gehört die Militäroperation nicht -, aber fast gar nicht berücksichtigt werden. ErsÂtens. Was geschieht international gegen die HintermänÂner, Planer und Finanziers?
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)
Zweitens. Der Dreh- und Angelpunkt ist die kaputte Staatlichkeit an Land, vor allem in Somalia. Hier sind in den letzten Monaten erste Schritte gemacht worden: Eine Kontaktgruppe hat sich gebildet. Die äthiopischen Truppen sind abgezogen, was sehr wichtig war, um die Chancen für eine politische Konfliktlösung zu erhöhen. Außerdem hat im April dieses Jahres eine GeberkonfeÂrenz in Brüssel stattgefunden.
Die sehr schwache Ãœbergangsregierung in MogaÂdischu und die sogenannten Behörden in Puntland und Somaliland im Norden haben jeweils als Drängendstes von der Staatengemeinschaft gefordert: Bitte helft uns beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen und von ein weÂnig Staatlichkeit! - Dafür soll ein Großteil der Gelder der Geberkonferenz, die 213 Millionen Euro zugesagt hat, verwandt werden.
Hier stehen wir wieder vor einem Problem: Das Geld steht zur Verfügung. Alle sagen, der Aufbau von solchen Strukturen und von zumindest ein wenig funktionierenÂder Staatlichkeit sei elementar. Aber dafür braucht man auch die entsprechenden Personalkapazitäten.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Nachtwei, achten Sie bitte auf die Zeit.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Ich komme zum Schluss. - Es darf nicht wieder so abÂlaufen wie zum Beispiel im Kongo bei den Missionen EUSEC und EUPOL, wo es von deutscher Seite hieß: Wir haben nicht genügend Soldaten und Polizisten, die Französisch sprechen. - Jetzt kann man diese Leute aus Sicherheitsgründen noch nicht dort hinschicken. Aber wenn die politische Konfliktlösung etwas weiter voranÂgeschritten ist, dann muss man auch Ausbilder, Berater usw. - keine Soldaten - hinschicken können. Dafür müsÂsen jetzt die Kapazitäten aufgebaut werden, damit man in einem halben Jahr oder in einigen Monaten wirklich entsprechend helfen kann.
Danke schön.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: