Am Tag der abschließenden Bundestagsdebatte zum neuen KFOR-Mandat erschien in der Frankfurter Allgemeinen unter "Fremde Federn" mein Kommentar zum politischen und medialen Schweigen zu 20 Jahrenm KFOR. Zum 12. Juni, dem 20. Jahrestag des Einmarsches der UN-mandatierten KFOR-Truppe in den Kosovo, richtete ich an den Kontingentführer des jetzigen 53. KFOR-Kontingents der Bundeswehr ein Dankschreiben, stellvertretend für die insgesamt 135.000 KFOR-Veteranen.
Mein Kommentar „Gelungene Friedenssicherung – nichts wert?“ in der FAZ und mein Dankesbrief an den Kontingentführer des
53. Deutschen KFOR-Kontingents anlässlich 20 Jahren KFOR
(A) „Fremde Federn - Winfried Nachtwei
Gelungene Friedenssicherung – nichts wert?
(FAZ 28. Juni 2019, Tag der 2./3. Lesung zum neuen KFOR-Mandat; auch auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Am 12. Juni 1999, vor genau 20 Jahren, begann der multinationale KFOR-Einsatz im Kosovo mit anfänglich über 5000, heute noch 70 deutschen Soldatinnen und Soldaten. Seit Jahren gilt KFOR als „vergessener Einsatz“. Völlig zu Unrecht!
Der vorhergehende NATO-Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien zur Abwendung einer tatsächlich drohenden humanitären Katastrophe war nicht durch ein UN-Mandat legitimiert. Er war in seinen Wirkungen zwiespältig und ist bis heute sehr umstritten.
Anders der KFOR-Einsatz: Der militärische Auftrag des UN-Sicherheitsrates – Absicherung des Friedensabkommens, sicheres Umfeld für die Flüchtlingsrückkehr – wurde erfüllt. Gestoppt wurde die in den 1990er Jahre auf dem Balkan grassierende Kriegsseuche. Damals bestand die realistische Furcht vor weiteren kriegerischen Flächenbränden. Dass keine nachhaltige Stabilität entstand, dass viel Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Korruption und Organisierte Kriminalität herrschen, ist unbestreitbar, lag aber außerhalb der Wirkungsmöglichkeiten von KFOR.
Die Bundeswehr war an dieser Großleistung kollektiver Gewalt- und Kriegsverhinderung mit rund 135.000 Soldaten in bisher 53 Kontingenten verlässlich, führend und vorbildlich beteiligt. Das erlebte ich anschaulich seit Oktober 1999 bei 12 Besuchen vor Ort und Begegnungen mit deutschen Soldaten, Polizisten, Zivilexperten und kosovarischen Bürgern.
27 Bundeswehrsoldaten verloren während des Einsatzes im Kosovo ihr Leben, niemand durch feindliche Einwirkung. Trotz des erheblichen Konflikt- und Gewaltpotenzials vor Ort kam es nur in wenigen Fällen zu Schusswaffeneinsatz und Feuerwechseln. Der deutsche KFOR-Einsatz unterschied sich um 180 Grad vom Balkankrieg der Wehrmacht.
Ein Ausreißer in dieser Positivbilanz waren die Märzunruhen 2004, als KFOR zeitweilig gegenüber gewalttätigen albanischen Demonstranten die Kontrolle verlor und erneute ethnische Vertreibungen geschehen konnten. Umso mehr wurde danach aber aus Fehlern gelernt.
Am 4. Oktober 2018 wurde „Camp Prizren“, der deutsche Hauptstützpunkt, an den kosovarischen Staat übergeben. Diese historische Zäsur fand in der deutschen Öffentlichkeit – bis auf einen Artikel von Michael Martens in der FAZ - keine Beachtung. Das erinnerte mich daran, wie die deutsche Beteiligung am bis dahin längsten, größten – und erfolgreichen - Einsatz, dem in Bosnien, 2012 zu Ende gegangen war: völlig sang- und klanglos, als wäre Verhinderung von Massen- und Kriegsgewalt nicht der Rede wert.
Als ehemaliges Mitglied des Verteidigungsausschusses schrieb ich deshalb an den Generalinspekteur der Bundeswehr, General Eberhard Zorn:
„(…) Die abertausenden deutschen KFOR-Soldaten haben – zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen – im Kosovo Rückfälle in den Krieg verhindert, Stabilität gefördert. Sie taten das mit hohem Einsatz und viel Klugheit. Sie haben damit Menschenleben gerettet und menschliches Leid verhindert. Sie haben sich um die Menschen im Kosovo und Westbalkan, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Die KFOR-Veteranen können stolz auf ihren Einsatz sein.
Sie verdienen Aufmerksamkeit, hohe Anerkennung und herzlichen Dank von Seiten der politischen Auftraggeber, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Ihre Leistungen sind beispielhaft und ein Eckstein der bundeswehreigenen Tradition. (…)“
Der 20. Jahrestag des KFOR- Einsatzes um den 12. Juni bot die Gelegenheit, an diese friedens- und sicherheitspolitische Gemeinschaftsleistung zu erinnern und die Leistungen der über 130000 Bundeswehrangehörigen dabei angemessen zu würdigen.
Bundesregierung und Bundestag als politische Auftraggeber des deutschen KFOR-Einsatzes nahmen diese Gelegenheit trotz etlicher Anregungen bisher nicht wahr:
Bei der ersten Lesung des neuen KFOR-Mandats im Bundestag am 6. Juni blieben einzelne Dankesworte für 20 Jahre KFOR unauffällig und eher floskelhaft. (Der wichtige Beitrag der deutschen Polizisten bei UNMIK und EULEX, des bei weitem größten internationalen Einsatzes deutscher Polizisten, fand keinerlei Erwähnung.) Zum 12. Juni unterblieb jede öffentlichkeitswirksame Stellungnahme. Die einzige offizielle Veranstaltung zum 20. Jahrestag von KFOR im politischen Berlin war ein Empfang des kosovarischen Botschafters, bei dem fast keine Vertreter von Bundesregierung und Parlament zu sehen waren. Beim „Tag der Bundeswehr“ am 15. Juni war 20 Jahre KFOR nur punktuell in Cham und Hamburg ein Thema.
Laut der jüngsten Bevölkerungsbefragung von Sozialwissenschaftlern der Bundesehr wussten im Jahr 2018 67% der Befragten nichts Konkretes oder gar nichts über KFOR. Einsatzrückkehrer, die sich als Staatsbürger in Uniform verstehen und nicht als Söldner, erleben immer wieder mangelnde Wahrnehmung und Wertschätzung ihres Einsatzes in Politik und Bevölkerung.
Das bisherige Schweigen der deutschen Politik zu 20 Jahren KFOR befördert den Eindruck mangelnder Wertschätzung – und das angesichts praktizierter Friedenssicherung. Die Auftraggeber der Parlamentsarmee Bundeswehr können das korrigieren.
Winfried Nachtwei, MdB (Bündnis 90/Grüne) und Mitglied des Verteidigungsausschusses 1994 bis 2009, Vorstandsmitglied Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen
(B) Dankesbrief an
Kontingentführer des 53. KFOR-Einsatzkontingents der Bundeswehr
Herrn Oberst Gunnar Steinseifer , Pristina, Kosovo
Sehr geehrter Herr Oberst Steinseifer, Münster, 13. Juni 2019
am gestrigen 12. Juni jährte sich zum 20. Mal der Einmarsch der KFOR-Truppe in das Kosovo. Vorne dabei die von Brigadegeneral Fritz von Korff geführte Multinationale Brigade Süd mit Soldaten aus neun Nationen, davon mehr als 3000 Bundeswehrsoldaten und ein niederländisches Artilleriebataillon. Auf der engen Vormarschstrecke stießen die Soldaten auf völlig zerstörte und verlassene Dörfer – später auch auf die Spuren von Greueltaten und Massengräber.
Als damaliges Mitglied des Bundestages und des Verteidigungsausschusses gehörte ich zu den Mitauftraggebern und Begleitern des deutschen Kosovoeinsatzes von Anfang an. Bei zwölf Besuchen im Kosovo und bei KFOR lernte ich den Einsatz der Bundeswehrsoldaten hoch schätzen.
Vor diesem Hintergrund ist es mir ein besonderes Bedürfnis, Ihnen stellvertretend für die rund 130.000 deutschen Soldaten bei KFOR von ganzem Herzen für die herausragende Einsatzleistung zu danken. In den Dank schließe ich ausdrücklich Ihre Angehörigen ein, die immer ihren Teil zu den Einsätzen beitragen.
Der KFOR-Einsatz der Bundeswehr war erfolgreich! Der militärische Kernauftrag – Absicherung der Friedensregelungen, Förderung eines sicheren Umfelds für die Flüchtlingsrückkehr wurde erfüllt.
Die in den 1990er Jahren auf dem Balkan grassierende „Kriegsseuche“ wurde gestoppt. Damals bestand die realistische Furcht vor einem kriegerischen Flächenbrand.
Abertausende deutsche KFOR-Soldatinnen und Soldaten haben – zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen – im Kosovo Rückfälle in den Krieg verhindert, Stabilität gefördert. Sie taten das mit hohem Einsatz, Entschiedenheit und viel Klugheit. Sie haben damit Menschenleben gerettet, die Rückkehr von Hunderttausenden Vertriebenen ermöglicht und menschliches Leid gemindert. Sie haben sich um die Menschen im Kosovo, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Die KFOR-Veteranen können stolz auf ihren Einsatz sein.
Seit Jahren gilt der KFOR-Einsatz vielfach als „vergessener Einsatz“ im Schatten jeweils aktuellerer Einsätze. Sehr wenig bewusst sind in der deutschen Öffentlichkeit die Leistungen von KFOR und der deutschen Soldaten dabei.
Dass im Kosovo weiterhin viel Arbeits- und Perspektivlosigkeit herrscht, dass Korruption und Organisierte Kriminalität verbreitet sind, ist unbestreitbar, lag aber außerhalb der Wirkungsmöglichkeiten von KFOR.
Die Bundeswehr war an dieser Großleistung kollektiver Kriegsverhinderung stark, verlässlich, führend und vorbildlich beteiligt.
27 Bundeswehrsoldaten verloren während des Einsatzes im Kosovo ihr Leben, niemand durch feindliche Einwirkung. Trotz des erheblichen Konflikt- und Gewaltpotenzials vor Ort kam es nur in wenigen Fällen zu Schusswaffeneinsatz und Feuerwechseln.
Ein Aufflammen von Kriegsgewalt in der unmittelbaren Nachbarschaft des Kosovo konnte in den Jahren 2000 und 2001 im Presevotal und in Mazedonien mit Unterstützung von KFOR wirksam verhindert werden.
Die deutschen KFOR-Veteranen verdienen und brauchen Aufmerksamkeit, hohe Anerkennung und herzlichen Dank von Seiten der politischen Auftraggeber, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Ihre Leistungen sind beispielhaft und ein Eckstein der bundeswehreigenen Tradition.
Ich hoffe, dass Dank und Anerkennung für 20 Jahre KFOR-Gemeinschaftsleistung im Bundestag bei der zweiten Lesung des neuen KFOR-Mandats (28. Juni) gebührend zum Ausdruck gebracht wird.
Ihnen und Ihren Soldatinnen und Soldaten wünsche ich einen erfolgreichen Einsatz.
In herzlicher Verbundenheit,
Ihr
Winfried Nachtwei
MdB 1994-2009
Beirat Zivile Krisenprävention der Bundesregierung
Beirat Innere Führung/BMVg, Leiter der AG Einsatzrückkehrer, -folgen und Soziales
Vorstand Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: