Better news statt bad news aus Afghanistan IV

Von: Webmaster amSa, 07 März 2009 18:26:43 +02:00

Hier der neueste Bericht aus der Reihe "Better news statt bad news aus Afghanistan":



Better News statt Bad News aus Afghanistan IV

Winfried Nachtwei, MdB, März 2009

Anschläge  und schlechte Nachrichten generell werden am breitesten wahrgenommen. Hohe Aufmerksamkeit finden Militärfragen wie Obergrenzen, Tornados, Quick Reaction Force, Südeinsatz. Wenig bis gar nicht wahrgenommen werden Fragen des zivilen Aufbaus. Diese „natürliche" Botschaftsdominanz des Militärischen und von bad news wird verstärkt durch die ungleichgewichtige Öffentlichkeitsarbeit, wo die Kapazitäten der zivilen Seite weit hinter denen der militärischen Seite hinterherhinken, wo Journalisten fast nur ISAF besuchen und kaum Aufbauvorhaben.

Deshalb verfasse ich seit Sommer 2007 diese Zusammenstellung von „besseren Nachrichten", die in der Regel kaum durchdringen, aber unverzichtbar zu einem realitätsnahen Gesamtbild gehören. Ihr Schwerpunkt ist der deutsche Verantwortungsbereich im Norden. (Better News I-III unter www.nachtwei.de)

Bisher fehlt es allerdings an systematischen Wirksamkeitsbewertungen der Aufbauanstrengungen. Ob die Vorhaben Tropfen auf den heißen Stein oder ein ständig kühlender Wasserstrahl sind, lässt sich meist nicht beurteilen.

(Parallel dazu führe ich für den internen Gebrauch eine laufend aktualisierte Zusammenstellung zur militärisch-polizeilichen Sicherheitslage - „Materialien zur aktuellen Sicherheitslage Afghanistans" -,  wo die bad news dominieren, aber auch die enormen Unterschiede zwischen den verschiedenen Landesteilen deutlich werden.)

Internationale Afghanistan-Konferenz mit Iran?

Bei ihrem Antrittsbesuch bei der NATO Anfang März in Brüssel gab die neue US-Außenministerin Hillary Clinton die Initiative für eine regionale Afghanistan-Konferenz am 31. März bekannt. An der Konferenz sollen auch Pakistan, Iran und andere Anrainerstaaten teilnehmen, insgesamt Außenminister von mindestens 62 Staaten sowie internationale Hilfsorganisationen. Ausgerichtet werden soll die Konferenz von den Vereinten Nationen wahrscheinlich unter Leitung des VN-Sonderbeauftragten für Afghanistan, Kai Eide. Es sollen keine Beschlüsse gefasst werden, sondern Wege einer besseren Kooperation und Einbeziehung der Länder der Region erörtert werden. Das Echo in Brüssel war zunächst geteilt.

Es heißt, die US-Administration wolle ihre neue Afghanistan-Politik noch vor dem NATO-Gipfel bei dieser Konferenz auf Akzeptanz vor allem in der Region testen. (SZ 7.3.09)

Eine solche Konferenz würde einen grundlegenden Wechsel der US-Politik in dreifacher Hinsicht bedeuten: Betonung der besonderen Rolle der VN; Umsetzung des angekündigten regionalen Ansatzes; direkte Gespräche mit Iran.

Ausstellung „Afghanistan - Das Land und seine Menschen" 11.-20. März in Münster

Die vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung initiierte Wanderausstellung präsentiert mehr als 150 Fotografien des Fotografen Helmut R. Schulz, der seit 2007 sieben Mal Afghanistan bereist hat. Sie zeigen ein anderes, auch reales  Afghanistan jenseits der hierzulande üblichen Assoziationen: Menschen und spektakuläre Landschaften aus allen Regionen, die Folgen der jahrzehntelangen Kriege, der Lebenswille der Menschen.

Zusammen mit dem Bundestagskollegen Ruprecht Polenz (CDU) habe ich mich um die Ausstellung beworben.

Gemeinsam werden wir am Mittwoch, 11. März um 13.00 Uhr die Ausstellung im Foyer des Hauptgebäudes der Bezirksregierung Münster am Domplatz eröffnen.

Geöffnet ist die Ausstellung montags und dienstags von 7.30 bis 16.30 Uhr und mittwochs bis freitags von 7.30 bis 16.00 Uhr.

Beauftragter des AA für Afghanistan + Pakistan

Außenminister Steinmeier ernannte am 16. Februar 2009 den bisherigen deutschen Botschafter in Indien Bernd Mützelburg, zum Sonderbeauftragten für AFG + PAK. ENDLICH!

Ein Hauptproblem deutscher AFG-Politik ist ihre Führungs- und Gesichtslosigkeit. Das kann sich mit der Benennung von Botschafter Mützelburg ändern. Als außenpolitischer Berater von Kanzler Schröder trug er von 2001 bis 2005 an führender Stelle Mitverantwortung für die dt. AFG-Politik. Den US-Sonderbeauftragten Holbrooke  kennt er schon länger. Mit seiner Indienerfahrung steht er für den   überfälligen regionalen Ansatz. Angesichts der zahllosen Personalrotationen im dt. AFG-Engagement, der organisierten Verschwendung von Kompetenz und Erfahrung, kommt mit Mützelburg endlich ein Diplomat mit Kontinuitätsfaktor. Für die in Aussicht genommene internationale Kontaktgruppe zu AFG/PAK scheint er beste Wahl zu sein.

Überschattet wurde die Ernennung des Sonderbeauftragten durch die Tatsache, dass sie mit keinem der anderen beteiligten Ressorts abgestimmt war, so dass Mützelburg jetzt „nur" AA-Beauftragter ist.

Angesichts des politischen Gewichts von Mützelburg und der Dringlichkeit einer kohärenten AFG-Politik ist dennoch zu wünschen, dass er zu einem Sonderbeauftragten auch mit Binnenwirkung wird.

Wählerregistrierung

Die Registrierung der Neuwähler ist insgesamt viel ungestörter gelaufen als befürchtet. Zu Beginn wurde die Zahl der neuen Wahlberechtigten auf zwei bis fünf Mio. geschätzt. 2004/5 wurden 12,5 Mio. Wahlberechtigte registriert.

Die Registrierung wurde von den afghanischen Behörden weitgehend eigenständig durchgeführt. Wie auch bei Wahlen hat hier ISAF nur eine Funktion in der „3. Reihe".

In der Phase I (6.10.-5.11.2008) wurden in 14 Provinzen (Zentral und Nordost) in 258 Voter Registration Centers (VRC) 1,2 Mio. WählerInnen registriert, davon 40% Frauen.

In der Phase II (5.11.-5.12.2008) in 10 Provinzen (Norden und Westen) in 327 VRC 1,6 Mio. WählerInnen, davon 35% Frauen. Mullahs und religiöse Führer riefen ausdrücklich zur Teilnahme an der Wählerregistrierung auf.

Die Phase III  in fünf Provinzen (Osten, überwiegend paschtunisch) wurde am 13.1.2009 abgeschlossen.

In der Phase IV im Süden (Uruzgan, Nimruz, Helmand, Kandahar) vom 20.1.-20.2. wurde die Registrierung in einzelnen Distrikten um fünf Tage verlängert werden. In Distrikten, wo aus Sicherheitsgründen keine Registrierung möglich war, soll es in Nachbardistrikten Registrierungsmöglichkeiten gegeben haben.

Nach Information der Bundesregierung vom 4. März ließen sich insgesamt 4,2 Mio. AfghanInnen registrieren, 38% davon Frauen. Wie korrekt der Registrierungsprozess verlief, kann ich zzt. nicht beurteilen.

Die Aufforderung von Präsident Karzai vom 28. Februar an die Wahlkommission, den Wahltermin um vier Monate auf April vorzuziehen, hätte den bisherigen politischen Erfolg allerdings zur Makulatur werden lassen. Bei einem so knappen Vorlauf wäre weder eine ordnungsgemäße noch faire Wahl möglich. (So müssen landesweit um 7.000 Wahllokale organisiert werden, allein 2.000 im Norden. Alternativkandidaten zu Karzai wären chancenlos. Etliche Landesteile sind im April wegen des Schnees noch unzugänglich.)

Am 4. März lehnte die Unabhängige Wahlkommission das Dekret von Präsident Karzai ab, weil organisatorische und Sicherheitsprobleme bis April nicht gelöst werden könnten. Bestätigt wurde der Wahltermin 20. August. Ungelöst ist damit aber weiterhin die Verfassungsfrage des Übergangs nach Ablauf der Amtszeit des gewählten Präsidenten im Mai.

Umfrage von ARD, ABC und BBC (veröffentlicht am 9.2.2009) (www.tagesschau.de/ausland/afghanistan772.html)

Mit ca. 1.500 landesweit Befragten in einem Land wie AFG ist die methodische Basis der Umfrage begrenzt.

Aussagekräftig sind aber zumindest bestimmte Meinungstrends.

Angefangen bei der ARD-Kommentierung kam das Umfrageergebnis fast nur als Negativmeldung über. Das war verkürzt.

Unübersehbar setzen sich die Negativtrends der vorigen Umfrage fort, verschlechtert sich das politische Stimmungsbild und sinkt das Ansehen von Regierung und internationalen Streitkräften weiterhin.

Zugleich sind die Unterschiede zwischen den Regionen/Provinzen erheblich (auf tagesschau.de nur punktuell veröffentlicht). Etliche Wahrnehmungen (der Regierung, der USA, der Zukunftsaussichten) sind aber immer noch erheblich besser, als man hierzulande gemeinhin annimmt.

Wenn man die Fragen zu den allgemeinen Zukunftsaussichten in DEU stellen würde, gäbe es hier und heute vielleicht kaum bessere Antworten.

Alarmierend ist aber, welch große Minderheiten Angriffe auf internationale Truppen für gerechtfertigt halten:

In Kandahar wäre demnach der Kampf um Legitimität verloren, in Kunduz auf der Kippe.

Im Hinblick auf einen Abzug der ausländischen Truppen ist die Bevölkerung gespalten: 51% dafür, 42% dagegen!

Winterkrise im Norden abgewendet?

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz teilte am 2. Februar mit, dass bisher in diesem Jahr die befürchtete Winterkrise verhütet werden konnte. Ausschlaggebend sei gewesen, dass insgesamt die Koordination zwischen den relevanten staatlichen Stellen und VN-Organisationen, insbesondere dem World Food Programme, besser funktioniert habe, Nahrungsmittelhilfe zügig verteilt worden sei und dass der Winter relativ mild gewesen sei. Noch im Oktober hatte das ICRC gewarnt, dass Hunderttausende ihre Siedlungen im Norden im kommenden Winter verlassen müssten. (IRIN/UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs 2.2.2009)

Die deutsche Botschaft in Kabul richtete eine Task Force „Winterhilfe" ein, die bis Mitte Januar in Kontakt mit dt. Hilfsorganisationen Projekte des AA in der Höhe von 2,6 Mio. Euro koordinierte. Ein Großteil ging an schwer erreichbare ländliche Bevölkerung.  Weitere 4,8 Mio. Euro gingen vom AA für die Winterhilfe an UNHCR und ICRC.

Münchner Sicherheitskonferenz 6.-8.2.2009: Im Westen viel Neues!

Am Sonntagvormittag sprechen zu AFG Präsident Karzai, der neue US-Sicherheitsberater und Ex-Nato-Oberbefehlshaber Jones, der neue US-Sonderbeauftragte für AFG + PAK Holbrooke, die Außenminister von Pakistan + Polen, die Verteidigungsminister von Deutschland, Großbritannien und Kanada, der CENTCOM-Kommandeur General Petraeus u.a.

Die Aufstockung der US-Truppen wird angesprochen, steht aber keineswegs im Mittelpunkt. Die US-Vertreter benennen so deutlich wie nie zuvor in einem solchen Kontext zentrale Fehler der Vergangenheit, den harten Ernst der Lage und die Notwendigkeit, die „Spirale der Unsicherheit" zu stoppen und umzukehren. Vizepräsident Biden ruft die Verbündeten dazu auf, ihre Ideen und ihren Rat beizutragen, wo Präsident Obama eine Überprüfung der AFG-Strategie binnen 60 Tagen angeordnet habe. Die US-Regierung glaube nicht an einen Kampf der Kulturen. Es sei kein Zufall gewesen, dass Obama sein erstes Interview El Arabia gegeben habe.

Petraeus erinnert daran, dass AFG „Friedhof der Weltreiche" genannt werde. Er betont das WIE eines Einsatzes, drängt auf afghanische Lösungen für afghanische Probleme, auf die Unterscheidung von Versöhnlichen und Unversöhnlichen, auf Nähe zur Bevölkerung und das Leben der eigenen Werte. Holbrooke konstatiert, man habe eine Situation mit viel Rhetorik, aber wenig Fähigkeiten und Ressourcen geerbt. Er betont die Vordringlichkeit regionaler Lösungen - er spricht von „AFPAK" - und die Notwendigkeit erreichbarer Ziele und adäquater Ressourcen. AFPAK sei viel schwieriger als Irak oder Vietnam!

Als ausgesprochen ermutigend empfinde ich den Realismus und die Klarheit der US-Spitzenvertreter, ihre Bereitschaft zur umfassenden Selbst- und Strategieüberprüfung, ihr Wille zur Repolitisierung einer militarisierten Außenpolitik, ihr Angebot von Dialog und Partnerschaft. Vom berühmt berüchtigten „War on Terror" ist keine Rede. Offen bleibt, welche Konsequenzen die neue US-Administration daraus zieht, dass in der Vergangenheit gerade die US-Politik, das Auftreten und die Operationsweisen des US-Militärs wesentlich zur Konfliktverschärfung beigetragen haben.

Umso trüber erscheint demgegenüber die europäische, gar deutsche Antwort. Merkel, Sarkozy, Steinmeier schweigen zu AFG. Minister Jung betont die deutschen Leistungen in AFG. Kein Wort zu der bedrohlichen Abwärtsspirale, in der sich AFG insgesamt befindet. Auf Nachfrage benennt er als Fehler, dass der Comprehensive Approach zu spät umgesetzt worden sei. (Mit anderen Worten: „Hättet Ihr es eher wie die Deutschen gemacht.") Mit einer Haltung der Selbstgerechtigkeit verdeckt die Bundesregierung ihre Strategiearmut, Führungsschwäche und Gesichtslosigkeit angesichts der Großherausforderung AFG.

Den „Gegengipfel" zu den US-Vertretern leistet sich der junge britische Verteidigungsminister: Der internationale gewalttätige Djihadismus lasse sich nicht durch rationale Politik bekämpfen, er bedrohe unseren way of life. Die Operationen der letzten Jahre seien das Muster der künftigen Konflikte.

„Unsere Streitkräfte müssen Türen eintreten und aufräumen können." Der „Erfolg" dieser Politik ist in der Provinz Helmand zu sehen, wo Großbritannien seit Frühjahr 2006 die Hauptverantwortung trägt: Tausende Tote und Verwundete, eine breite Aufstandsbewegung, zwei Drittel der afghanischen Mohnanbaufläche.

(Die „Gesellschaft für bedrohte Völker" kommt zu einer sehr kritischen Bewertung der sich abzeichnenden neuen US-Strategie. Memorandum „Militarisierung statt Demokratisierung? Neue US-Strategie gefährdet Afghanistan-Konzept der Bundesregierung", Göttingen Februar 2009.)

Strategieüberprüfungen

In Washington erscheinen inzwischen reihenweise Studien zur Überprüfung und ggfs. Neuausrichtung des AFG-Engagements. Zum NATO-Gipfel Anfang April will Präsident Obama die neue US-AFG-Strategie vorlegen. Auf Seiten der Bundesregierung ist eine solche (selbst)kritische Überprüfung des eigenen und internationalen AFG-Engaments nicht in Sicht. Im 8. Jahr des AFG-Einsatzes ist sie mehr als überfällig. Sie ist unverzichtbar, um in AFG die Abwärtsspirale stoppen und umdrehen, um dort wie hierzulande Legitimität zurückgewinnen zu können.

- Im Januar 2009 erschien der zweite „Report on Progress toward Security and Stability in AFG" der US-Regierung an den Congress. Die US-Regierung ist per Gesetz zu dieser Art detaillierter Berichterstattung an den Congress verpflichtet. Berichtszeitraum des 100-seitigen Report ist April bis September 2008. Schon das Inhaltsverzeichnis verdeutlicht Übereinstimmungen und Unterschiede zum „deutschen" Ansatz. Unter dem Anspruch einer „Comprehensive Strategy for AFG" verfolgen die USA mit ihren internationalen und afghanischen Alliierten in AFG eine „counterinsurgency (COIN) campaign" (Aufstandsbekämpfung) mit den Schlüsselelementen „clear, hold and build". Die vier „lines of Operation" sind Sicherheit, Regierungsführung, Aufbau + Entwicklung, Drogenbekämpfung.

(www.afghanconflictmonitor.org)

AFG Opium Winter Assessment des United Nations Office on Drugs + Crime/UNODC vom Januar 2009

Im letzten Jahr gingen Anbaufläche und Opiumproduktion zurück, allerdings mit regional extremen Unterschieden. Insgesamt ging die Anbau fläche um 19% auf 157.000 ha zurück, in der Central Region um -38%, im Osten um -94% (Nangarhar -100%, in 2007 mit 18.740 ha noch zweitgrößte Anbaufläche), im Nordosten um -96% (Badakhshan -95%, in 2006 mit 13.060 ha an 3. Stelle, Takhar             -100%), im Norden um -84% (Sari Pul, Jawjzan -100%, Faryab -90%), im Westen um -23% (Ghor -100%, Badghis -86%), im Süden um -1% (Helmand +1% auf 103.590 ha, Uruzgan +8%, Kandahar      -12%).

Dieser Trend könnte sich in diesem Jahr fortsetzen. Die bisher 18 (von 34) mohnfreien Provinzen im Norden, Zentrum und Osten bleiben es wahrscheinlich 2009. Vier weitere Provinzen (Badakhshan, Baghlan, Faryab und Herat) könnten dazu kommen. Bei fünf weiteren Provinzen wird ein weiterer Rückgang auf ein niedriges Niveau erwartet. 98% des Mohnanbau konzentrieren sich auf sieben instabilen Provinzen im Süden und Südwesten. Auch hier wird ein Rückgang erwartet.

Wesentliche Gründe für den Rückgang seien neben dem Preisrückgang für Opium (-20%), hohen Weizenpreisen und ungünstigen Wetterbedingungen Druck religiöser und weltlicher Autoritäten  („Opium im Widerspruch zum Islam"), effektive Informationskampagnen und z.T. auch alternative Entwicklungsprogramme. Letztere erreichen oft aber nur die Gegenden rund um die Provinz- und Distriktzentren, nicht die entlegenen Gebiete. In der traditionellen Opium-Provinz Badakhshan drohe ein Rückfall, wenn die Versprechungen von alternativer Entwicklung nicht eingelöst werden.

In den nächsten Monaten wird es also entscheidend darauf ankommen, die bisherigen Teilerfolge zu stabilisieren und auszuweiten.

Vermeidung von Zivilopfern: Besseres Zeugnis für ISAF-Nord

Im Januar 2009 veröffentlichte UNAMA den jüngsten „Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict". Das schlimme Ergebnis:

In 2008 kamen  2.118 Zivilpersonen im Kontext der bewaffneten Konflikte um`s Leben, d.h. 40 % mehr als in 2007 (1.523). Am schlimmsten war der August mit 340 Ziviltoten. 1.160 (55%) sollen Anti-Regierungskräfte (AGE) verursacht haben, 828 (39%) Pro-Regierungskräften (PGF). 872 (41%) der Zivilopfer gab es im Süden, 417 (20%) im Südosten, 270 (13%) im Osten, 13% Central und 200 (9%) im Westen. Im  Nordosten gab es 45 (davon 20 durch AGE, 9 durch PGF und 16 durch andere), im Norden 38 (davon 11 durch AGE, 0 durch PGF und 27 durch andere).  Im Executive Summary werden die Anteile an Zivilopfern aller Regionen, nur nicht des Nordens aufgeführt.

Dass im Norden und Nordosten eine viel geringere Zahl an Zivilopfern zu beklagen ist, liegt außer an dem niedrigeren Konfliktniveau auch an der zurückhaltenderen Operationsweise von ISAF und dem bisherigen Verzicht an schweren Waffen. Dementsprechend kommt es auch fast gar nicht zu Einsätzen der Luftnahunterstützung, wobei in anderen Landesteilen die meisten Zivilisten zu Schaden kommen.

Afghanistan Humanitarian Action Plan 2009

Der 2009 Humanitarian Action Plan der VN ist der erste seiner Art in AFG seit 2002. Er versteht sich als konzeptionelle Antwort auf die drängenden humanitären Bedürfnisse und Nöte der afghanischen Bevölkerung.

Aufgrund der Dürre ging die Getreideernte in 2008 um 30% ggb. 2007 zurück und fiel auf den niedrigsten Stand seit 2002. In der Konsequenz bestand für ca. 1,2 Mio. Kinder < 5 Jahren und 550.000 schwangere + stillende Frauen ein hohes Unterernährungsrisiko. Zugleich führten die bewaffneten Konflikte und insbesondere die Zunahme an Angriffen auf Helfer dazu, dass der humanitäre Zugang reduziert wurde. Im Oktober galten ca. 40% des Landes, darunter ein Großteil des Südens, als unzugänglich für Hilfsorganisationen.

Ausgehend von fünf strategischen Zielen, präsentiert der HAP im Rahmen von acht Sector Response Plans eine priorisierte Zusammenstellung von 112 Projektvorschlägen von 39 NGO`s und 8 VN-Organisationen mit einem Volumen von 604 Mio. US-$.

Zum Beispiel Strategisches Ziel 3 „Milderung der Ernährungsunsicherheit und Bekämpfung von Unterernährung", 3.4.D Ernährungssicherheit und Landwirtschaft: Cluster Leads: WFP + FAO; Cluster Members außerdem UNICEF, UNHCR, WHO, IOM, CARE, Oxfam-GB, ActionAid, IRC, 3 AFG Ministerien, ECHO, Worldbank, USAID, Agha Khan Foundation-AFG, GTZ (insgesamt 44 Organisationen und Institutionen); prioritärer Bedarf und response strategy; Ziele und Indikatoren; Zielgruppen, zuständige Organisationen; Monitoring.

Bessere Beziehungen AFG-PAK

Am 6. Januar 2009 besuchte der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari erstmalig Kabul. Die freundliche Atmosphäre stand in starkem Gegensatz zu früheren Begegnungen zwischen Präsident Karzai und seinem pakistanischen Counterpart. Im September 2008 war Karzai der einzige ausländische Staatschef bei der Vereidigung des neuen pakistanischen Präsidenten. Die Außenminister unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung, mit der ein neues Kapitel der bilateralen Beziehungen geöffnet werden soll. Man vereinbarte, eine gemeinsame und umfassende Strategie zur Bekämpfung des Terrorismus zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wollen beide Seiten auch Peace Jirga`s unterstützen.

Entscheidend sei - so Experten in Kabul -, dass der brüderlichen Rhetorik als diplomatischer Ouvertüre nun Umsetzungsschritte folgen, so z.B. eine Serie bilateraler Abkommen als Rahmen der weiteren Kooperation. (Abubakar Siddique am 7.1.2009 in RadioFreeEurope)

Kanadische Benchmarks

Im September 2008 veröffentlichte die kanadische Regierung eine Serie von benchmarks mit Fortschrittsindikatoren für sechs Prioritäten und drei Leuchtturm/Schlüsselprojekte, die CAN zusammen mit der AFG Regierung bis 2011 umsetzen will, um den Menschen in AFG und insbesondere der Provinz Kandahar messbare Fortschritte zu bringen. Die Regierung berichtet dem CAN Parlament vierteljährlich (!) über die Umsetzung der benchmarks.

Die 6 Prioritäten sind im Einklang mit dem AFG Compact und der Nationalen Sicherheitsstrategie

(a)   Sicherheit

(b)   Basisdienstleistungen

(c)   Humanitäre Hilfe

(d)   Grenzsicherung + Dialog

(e)   Demokratische Entwicklung und nationale Institutionen

(f)    Politische Versöhnung

Beispiel Priorität 1: Training + Mentoring der ANSF

CAN Ziele für 2011, Kontext

8 Benchmarks mit jeweils ein bis drei Progress Indicators jeweils mit 2011-Target und Baseline (Juni 2008);

Zum Beispiel Benchmark 6. Zunehmende ANP-Fähigkeit, effektiven Polizeidienst in Schlüsseldistrikten von Kandahar zu leisten. Fortschrittsindikatoren:

(a) Zahl der ausgebildeten Polizisten in Kandahar: Ziel 2011 80% der Polizeikräfte in den Schlüsseldistrikten haben das Focused District Development (FDD) Training absolviert. Baseline (Augist 2008): 25%

(b) Zahl der Polizeikräfte in Schlüsseldistrikten, die in der Lage sind, fast-autonome Operationen zu planen, durchzuführen und durchzuhalten: Ziel 2008 80%. Baseline 0%.

(c) Infrastrukrur und Ausrüstung der ANP in Kandahar komplett: Ziel noch in Arbeit. Baseline 5 ständige Substationen in Schlüsseldistrikten gebaut und ausgestattet.

(Zu den Prioritäten + benchmarks            www.afghanistan.gc.ca/canada-afghanistan/progress-progres/benchmarks-reperes/index.aspx?menu_is=60&menu=L;  zu den Quartalsberichten

(www.afghanistan.gc.ca/canada-afghanistan/documents/q108/index.aspx;

Russische Haltung zu AFG

Vor 20 Jahren musste sich die Sowjetunion geschlagen aus AFG zurückziehen. Bis heute gilt in der russischen Gesellschaft als Minimalkonsens „Bloß nie wieder nach Afghanistan". (FAZ 28.1.2009)

In letzter Zeit mehren sich Indizien und Stimmen, die auf ein starkes Interesse der russischen Führung an einem Erfolg des Westens in AFG hinweisen.

In der Regierungszeitung „Rossijskaja Gaseta" u.a. Medien warnte Dmitrij Rogosin vor einer Niederlage und einem Rückzug der NATO aus AFG. Eine solche - seiner Meinung nach wahrscheinlichste - Option werde für Russland sehr gefährlich. Sie wirke als Ermutigung für verschiedenste Extremisten, ihren Kampf nach Norden, nach Tadschikistan, Usbekistan usw. und schließlich nach Rusland zu tragen. Die zentralasiatischen Staaten selbst seien zur Abwehr viel zu schwach, die russische Grenze nach Zentralasien kaum bewacht. Insofern habe Russland ein „objektives Interesse" am Erfolg des Westens in AFG. Positiv wird das Ansinnen der neuen US-Regierung gesehen, möglichst viele Länder in die politische Konfliktlösung einzubeziehen. Russland denkt dabei an eine AFG-Konferenz unter Frederführung der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit.

In dieselbe Richtung äußerten sich russische Gesprächspartner beim Besuch der Obleute des Unterausschusses Abrüstung des Bundestages Anfang Februar in Moskau.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Bereitschaft der russischen Regierung, für den Bundeswehr-ISAF-Nachschub (einschließlich Waffen, militärisches Gerät, Personal) den Transit auf dem Luft- und Landweg nach AFG zu genehmigen. (Inkrafttreten des Transitabkommens 17.11.2004) Nachdem im März das ausstehende Landtransitabkommen mit Usbekistan unterzeichnet werden konnte, erteilte Russland am 12. November 2008 per Verbalnote der Bundesrepublik die Generalerlaubnis für den Eisenbahntransport durch das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation. Die Generalerlaubnis gilt auf 12 Monate, erforderlich ist nur eine kurzfristige Anzeige der Bahntransporte. Der erste durchgängige probeweise Bahntransport startete mit einem Waggon am 25.2. und soll am 29.3. am Ziel eintreffen. Auf dem Landweg sollen vor allem nicht dringliche und nicht sicherheitsrelevante Güter transportiert werden.

Lokales Peacebuilding

Im Dezember erschien die englische Fassung „Steps for Peace - Working Manual for Peace Building and Conflict Management", das zuerst in Kabul in Dezember 2006 in Dari erschienen war.

Das von der langjährigen Peacebuilding-Expertin und friedenspolitischen Beraterin Cornelia Brinkmann verfasste und von Akbar  Sarwari in Dari übersetzte Handbuch wurde vom Zivilen-Friedensdienst-Programm des Deutschen Entwicklungsdienstes DED in Kabul herausgegeben.

Vor dem Hintergrund mehrerer AFG-Arbeitsaufenthalte der Autorin (u.a. in Badakhshan) richtet sich das Handbuch an die MitarbeiterInnen nationaler + internationaler Organisationen im Feld und soll sie beim Transformationsprozess der bestehenden Kultur der Gewalt zu einer des Friedens unterstützen. Es vermittelt grundlegende Konzepte und Methoden von Peacebuilding und Konfliktmanagement. Das Handbuch beinhaltet Poster für die Arbeit mit Menschen, die des Lesens und Schreibens nicht kundig sind. (www.peace-building.org)

Skateboardschule „SKATEISTAN"

Auf Initiative des Deutsch-Australiers Oliver Perovich entsteht seit 2007 in Kabul mit „SKATEISTAN" die erste Skateboardschule Afghanistans.

Im Herbst 2008 berichtete die Münsteraner Lokalpresse über die Unterstützungskampagne, die das Skater-Urgestein Titus Dittmann für SKATEISTAN initiiert hat, als er von dieser zündenden Idee gehört hatte. Bis Mitte Dezember 2008 waren in den 37 Titus-Shops schon zwei Tonnen Skateboards, Knieschoner etc. zusammengekommen, die mit Unterstützung von DHL umsonst nach Kabul verfrachtet wurden.

Ob in Afghanistan nicht andere Dinge dringender benötigt werden? Titus Dittmann: „Skaten sorgt dafür, dass Jugendliche Selbstbewusstsein bekommen, Leistungsbereitschaft und Kreativität lernen. Das ist ein extrem sinnvoller Sport", der zudem Ethnien, Geschlechter und Religionen vereine und Jugendlichen Freude und Hoffnung in einem Land bringe, in dem Terror, Tod und Zerstörung an der Tagesordnung sind. (Westfälische Nachrichten 16.12.2008)

Vom Auswärtigen Amt wurde SKATEISTAN inzwischen mit 50.000 Euro für den Bau der Skatehalle unterstützt.

Auf der Internationalen Sportartikelmesse ISPO in München erhielt Oliver Percovich und sein Team am 1. Februar 2009 die Sonderauszeichnung des „ISPO Social Awareness Award".

Spendenkonto des Vereins zur Förderung der Jugendkultur, Treuhandkonto Skateistan, Sparkasse Münsterland Ost, BLZ 400 501 50, Kontonummer 478560.

Weitere Informationen unter www.titus.de/skateistan; www.skateistan.org

Berichte und Stellungnahmen zu Afghanistan und Afghanistaneinsatz 2001-2008 (ohne Bundestagsanträge und -reden) von W. Nachtwei, Oktober 2008, unter www.nachtwei.de

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