Meine Stellungnahmen zu rechtsextremen Vorfällen und fragwürdiger Traditionspflege in der Bundeswehr: NDR, Phoenix, ZDF, ARD-Tagesthemen, Tagesspiegel, Welt am Sonntag – und 1997:
ein Handlungsvorschlag an den damaligen Minister Rühe
W. Nachtwei, 9. Mai 2017
„Herausforderung Rechtsextremismus: Wie soll die Bundeswehr damit umgehen?“ Interview mit Andreas Flocken in „Streitkräfte und Strategien“/NDR 20./21. Mai, https://www.ndr.de/info/sendungen/streitkraefte_und_strategien/
„Zwischen Tradition und Moderne – Wie rechts ist die Bundeswehr?“ Phoenix Runde 10. Mai, 22.15 Uhr und 11. Mai, 00.00 Uhr, mit Brigit Schmeitzner, BR-Korrespondentin, Ulrich Scholz, Oberstleutnant a.D., Thomas Wiegold, Blog „Augen geradeaus“ und W.N., moderiert von Alexander Kähler (Anmerkung zu einer Aussage von mir: Die Soldaten eines durch Vorfälle bekannt gewordenen Standortes, die wochenlang nur aus den Medien hierüber erfahren hätten, wurden inzwischen von der neuen Führung über die Vorgänge informiert. Entschuldigung für meine Ungenauigkeit.) http://www.phoenix.de/content/phoenix/die_sendungen/diskussionen/2442522
„Traditionspflege bei der Bundeswehr“, ZDF Morgenmagazin 9. Mai 2017, mit MdB Petra Pau, Prof. Sönke Neitzel und W. Nachtwei, https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/zdf-morgenmagazin-clip-2-226.html
„Verdacht bei der Bundeswehr: Bildete Franco A, eine rechtsextreme Terrorzelle?“, ARD-Tagesthemen,9. Mai 2017, nach der Feststellung von Marion von Haaren, dass ich keinen Grund sähe, die Bundeswehr unter Generalverdacht zu stellen, meine Worte: Nachdem ich die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren näher kennen gelernt hätte, hätte ich insgesamt zu ihr sehr großes Vertrauen. (Anmerkung: Dies ist ein Satz aus mehreren Antworten auf Fragen zur Traditionspflege, positiven Vorbildern, notwendigen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Der Frage nach dem Vertrauen folgte eine Nachfrage nach den aktuellen Fällen. Den Fall Franco A. u.a. bewertete ich als äußerst beunruhigend und irritierend – mit diesem Ausmaß an krimineller Energie und jahrelangem Wegsehen hat das eine „Qualität“ wie kein Fall mit rechtsextremem Hintergrund in der Bundeswehr der letzten 20 Jahre.)
http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-287175~_parentId-ondemand100.html
Bundeswehr und Rechtsextremismus, Ulrike Scheffer im TAGESSPIEGEL 9. Mai 2017,
„Der frühere Grünenpolitiker Winfried Nachtwei, Mitglied im Beirat Innere Führung des Verteidigungsministeriums, kritisiert indes, „dass das Ministerium erst aktiv wird, wenn etwas passiert“. Dem Tagesspiegel sagte er: „Es fehlt ein Frühwarnsystem.“ Konkret fordert Nachtwei regelmäßige sozialwissenschaftliche Untersuchungen in der Bundeswehr. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr frage zwar regelmäßig die Einstellung der Bevölkerung zur Bundeswehr ab, nicht aber Einstellungen der Soldaten. „Wir erleben seit rund zwei Jahren eine Teilradikalisierung der Gesellschaft, da stellt sich doch die Frage, wie sich das auf die Bundeswehr auswirkt.“ http://www.tagesspiegel.de/politik/bundeswehr-und-rechtsextremismus-hitlergruss-in-riga/19773500.html
„Fremd in der eigenen Truppe“, Thorsten Jungholt in der WELT am SONNTAG, 7. Mai 2017:
„Zur Wahrheit gehört auch: Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist so aölt wie die Bundeswehr. 20 Jahre lang hat Winfried Nachtwei ihn mitgekämpft. Der Grünen-Politiker saß schon 1998 im Untersuchungsausschuss des Bundestags, der braunen Umtrieben in der Truppe nachging. Seine Erfahrungen fasst Nachtwei so zusammen: „Wachsamkeit braucht Tiefenschärfe – statt Wegsehen einerseits und Alarmismus andererseits.“ Seit Jahren plädiert er deshalb für empirische Studien, um ein realistisches Bild der inneren Lage der Bundeswehr zu gewinnen.“
Vorschlag zu historisch-kritischen Untersuchungen zu Wehrmachtsverbänden einzelner Regionen –
Schreiben an den
Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe im Nov. 1997
„Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus im Bereich der Traditionspflege
Sehr geehrter Herr Minister, Bonn/Münster, 11.11.1997
angesichts der rechtsradikalen und gewaltverherrlichenden Vorfälle in der Bundeswehr stehen zurzeit Überlegungen im Vordergrund, wie vor allem kurzfristig gegen solche Erscheinungen vorgegangen werden kann.
Unsere in der Debatte zum Bericht des Wehrbeauftragten und im Verteidigungsausschuss vorgetragenen dringenden Empfehlungen – insbesondere zur systematischen Aufklärung des sympathisierenden Umfelds – kann ich nur bekräftigen, will sie aber jetzt nicht wiederholen.
Vielmehr möchte ich Ihnen eine Maßnahme vorschlagen, wie im Bereich der Traditionspflege wirksamer gewaltverherrlichendem und rechtsradikalem Denken entgegengewirkt werden könnte. Hintergrund sind meine Erfahrungen aus regionaler Spurensuche und Erinnerungsarbeit, die ich seit vielen Jahren vor allem zu Westfalen im Zweiten Weltkrieg betreibe. (Deportationsgeschichte, Rigaer Ghetto, Kriegseinsatz von Wehrmachtsverbänden aus dem damaligen Wehrkreis VI, Osteinsatz der Polizeibataillone)
Für das Selbstverständnis und Wir-Gefühl von Soldaten hat die militärische Traditionspflege eine herausragende Bedeutung. Vermutlich ist sie wirksamer als jeder politische Unterricht.
Eine demokratische Traditionspflege fragt immer nach dem Wofür soldatischer Existenz und fordert die Menschenrechtsorientierung von Soldaten, eben den Staatsbürger in Uniform. Demokratische Traditionspflege ist anspruchsvoll und anstrengend, da sie Selbständigkeit voraussetzt und fördert. Eine vermeintlich unpolitische, auf das „Militärhandwerk“, soldatische „Leistungen“ und Kameradschaft beschränkte Traditionspflege macht das bequeme Angebot, sich in eine „große Kameradschaft“ einzuordnen. Eine solche Traditionspflege ist nicht nur demokratiefern und missbrauchsanfällig, sondern zugleich Nährboden für gewaltverharmlosende bis –verherrlichende Einstellungen und Einfallstor für rechtsradikales Gedankengut.
Demokratische Traditionspflege wird von der Bundeswehrspitze gefordert, durch Einzelmaßnahmen wie Neubenennung von Kasernen, Ausstellungen etc. gefördert und durch viele Offiziere glaubwürdig vertreten. Zugleich existiert an etlichen Standorten, in manchen Soldatenverbänden und militärnahem Schrifttum ungebrochen eine regelrechte Subkultur demokratieferner Traditionspflege mit entsprechenden Grau- bis Braunzonen.
Eine Ermutigung für diese Art von Traditionsalltag ist es, wenn Sie an der Benennung vieler Kasernen nach ausdrücklich antidemokratischen und nationalistischen Führern der Wehrmacht und Reichswehr festhalten. Der in diesem Zusammenhang gebrachte Verweis auf die Zuständigkeit der Standorte entspricht der Weisungslage, ist aber angesichts des Anspruchs einer demokratischen Traditionspflege inkonsequent und verschiebt die Verantwortung lediglich auf eine andere Ebene.
Dringend notwendig ist der offensive Umgang mit den Erscheinungen demokratieferner Traditionspflege im Truppenalltag. Die Umbenennung von Kasernen, die bisher die Namen deutlich traditionsunwürdiger Persönlichkeiten tragen, wäre ein wichtiges Signal und ein erster Schritt. (vgl. die Empfehlungen des Beirats für Fragen der Inneren Führung zur Bekämpfung des Rechtsextremismus von 1993)
Zugleich kommt es aber darauf an, Diskussions- und Lernprozesse anzustoßen, die eine Öffnung bestehender Subkulturen ermöglichen.
Dies kann am wirksamsten durch eine kontinuierliche und kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte derjenigen Verbände der Wehrmacht geschehen, deren Tradition heutige Einheiten und Verbände der Wehrmacht pflegen.
Bisher ist die Geschichte dieser früheren Militärverbände nur sehr unvollständig und einseitig aufgearbeitet. Divisions- und Regimentsgeschichten beschränken sich in der Regel darauf, das Kriegsgeschehen im engeren Sinne als Abfolge von Schlachten nachzuzeichnen. Dabei verfallen sie zum Teil in militärische Abenteuergeschichten. Solche Erinnerungs- und Rechtfertigungsliteratur blendet Verwicklungen in den Vernichtungskrieg (gegenüber der Zivilbevölkerung, gegenüber Kriegsgefangenen) genauso aus wie Fälle von abweichendem Verhalten, Zivilcourage und Widerstand. Historisch-kritische Untersuchungen gibt es praktisch nicht. Chancen zu einer offenen Erinnerung werden nicht genutzt.
Um die Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Militärgeschichte aus dem Schlagabtausch der Bekenntnisse und Pauschalvorwürfe herauszuholen und produktiv werden zu lassen, könnten historisch-kritische Untersuchungen zu Regimentern und Divisionen einzelner Regionen sehr hilfreich sein – zum Beispiel der 16. Panzerdivision (Münster), zum Beispiel zur 6. Infanteriedivision (Bielefeld, Minden, Osnabrück)), zum Beispiel zu den 14 Divisionen des damalige Wehrkreises VI (Rheinland und Westfalen). Nicht – verspätete - „Schulermittlungen“, sondern die Erkundung, was war und warum es so war, müsste die Intention solcher Untersuchungen sein. Die Auseinandersetzung mit allen Seiten von Wehrmachtsverbänden soll zur Festigung demokratisch-rechtsstaatlichen Bewusstseins von Soldaten heute beitragen.
Mit der Durchführung solcher Untersuchungen könnten Divisionskommandeure oder Standortälteste Arbeitsgruppen aus interessierten aktiven und ehemaligen Soldaten, Historikern, lokalen Geschichtswerkstätten etc. betrauen, die vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt unterstützt werden und für die Kontakte zu ehemaligen Kriegsgegnern und heutigen Partnern (z.B. in den Niederlanden, Polen, Russland) hilfreich sin könnten. Diese Untersuchungen sollten öffentlich gemacht und von Veranstaltungen und Publikationen begleitet werden, um möglichst viele (ehemalige) Soldaten und interessierte BürgerInnen in diesen Prozess einzubeziehen.
In diesen Jahren besteht letztmalig die Chance, Zeitzeugen der Kriegsjahre zu befragen. Auf vielen Veranstaltungen machte ich die Erfahrung, dass bei vielen „Ehemaligen“ in den letzten Lebensjahren das Bedürfnis wächst, endlich noch einmal – vielleicht zum letzten Mal? – ungeschminkt zu berichten, was war.
Historisch-kritische Untersuchungen zu den dunkelsten Kapiteln einer überschaubaren und nahestehenden Institution und Region sind immer besonders sensibel, weil plötzlich Täterspuren im eigenen Umfeld auftauchen, unter Kollegen, Verwandten, Nachbarn. Vor allem deshalb taten sich Justiz und Polizei über Jahrzehnte so schwer, die Beteiligung „ihrer“ Institutionen am NS-System und seinen Verbrechen aufzuarbeiten.
Inzwischen verbreitet sich aber bei Polizei und Justiz die Einstellung, dass die ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Institutionengeschichte, mit dem Problem arbeitsteiliger Täterschaften und der mörderischen Rolle „ganz normaler Männer“, Beamter, Polizisten …keine „Nestbeschmutzung“, sondern im Gegenteil äußerst hilfreich ist zur Stärkung der eigenen demokratisch-rechtsstaatlichen Identität und Sensibilität. So hat der Polizeipräsident von Köln, Jürgen Roters, eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Geschichte der Kölner Polizei zwischen 1933 und 1945 erforschen soll. Am ehemaligen Sitz des Stabes des Chefs der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI, der Villa ten Hompel in Münster, entsteht eine Studien- und Erinnerungsstätte, die u.a. zu den 17 in Rheinland und Westfalen aufgestellten Polizeibataillonen forschen wird. Die Polizeiführungsakademie und das Polizeifortbildungsinstitut wollen die Arbeit der Studienstätte in ihre Ausbildungstätigkeit integrieren.
Solche Schritte sind ein Gewinn für die politische Kultur in Deutschland. Es wäre ausgezeichnet, wenn die Bundeswehr ähnliche Initiativen ergreifen könnte.
Ich würde mich freuen, wenn Sie meine Anregung aufnehmen könnten. Zu vertiefenden Gesprächen mit zuständigen Offizieren stehe ich selbstverständlich gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Nachtwei , MdB
Anmerkung: In seinem Antwortschreiben nahm Minister Rühe den Vorschlag nicht auf.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: