Höchst unterschiedlich ist die Rolle von Parlamenten in Europa bei Kriseneinsätzen ihrer Streitkräfte. Nicolai von Ondarza hat in seiner Studie "Legitimatoren ohne Einfluss?" die Entscheidungsprozesse bei EU- und UN-Missionen verglichen und bewertet. Vor dem Hintergrund meiner 15-jährigen Erfahrung mit deutscher Parlamentsbeteiligung hier meine Besprechung der sehr hilfreichen Studie, die in der aktuellen Ausgabe der "VEREINTEN NATIONEN" (hrg. von der DGVN) erschienen ist.
Mehr Einfluss der Parlamente bei Auslandseinsätzen
Was vor zwanzig Jahren kaum denkbar war, gehört heute zum Alltag des Deutschen Bundestages: Entscheidungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Nicolai von Ondarza, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, lenkt mit seiner Studie „Legitimatoren ohne Einfluss?" den Blick über den nationalen Tellerrand auf die komplexen Entscheidungsprozesse zu multinationalen, UN-mandatierten Streitkräfteeinsätzen und untersucht die Rolle europäischer Parlamente. Er geht davon aus, dass eine stärkere Parlamentsbeteiligung eine verantwortungsvollere Sicherheits- und Verteidigungspolitik befördere. Zugleich benennt er das Spannungsverhältnis zwischen effektivem Multilateralismus und Parlamentsbeteiligung.
Kenntnisreich und sicher führt der Autor zunächst durch das Labyrinth intergouvernementaler Entscheidungsverfahren im „komplexen Mehrebenensystem" von GSVP und UN, die weitgehend hinter verschlossenen Türen ohne direkte Parlamentsbeteiligungen stattfinden. In einem zweiten Schritt vergleicht er die Parlamentsbeteiligung bei Einsatzentscheidungen für alle EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf Informationszugang, Mitentscheidungs- und Haushaltsrechte, sicherheitspolitische Präferenzen. Er vertieft dies für fünf EU-Staaten und das Europäische Parlament, die exemplarisch für die ganze Spannweite parlamentarischer Beteiligungsrechte stehen. Sein Ergebnis ist, dass die Parlamentsbeteiligung (sehr) niedrig ist in Frankreich, Polen und dem Europäischen Parlament, mittel bis hoch in Spanien, (sehr) hoch in Irland, durchgängig sehr hoch in Deutschland. An den Entscheidungsprozessen zu EUFOR RD CONGO und der UNIFIL-Erweiterung im Jahr 2006 schildert von Ondarza die reale Beteiligung der sechs Parlamente. Auffällig ist der Zusammenhang zwischen parlamentarischen Rechten und Aktivitäten: Zu EUFOR RD CONGO erfolgte in Polen keine Anfrage, in Frankreich eine (beantwortet nach 238 Tagen), in Deutschland 14 und in Irland 17, beantwortet nach elf bzw. vier Tagen. Wo Parlamente über Einsätze mitentscheiden, sind durchweg auf internationaler Ebene Entscheidungen vorausgegangen und Fakten geschaffen, die ein Parlament nur noch verbunden mit hohen politischen Kosten (internationaler Glaubwürdigkeitsverlust, Misstrauensvotum gegenüber der eigenen Regierung) widerrufen könnte. Die formelle Mitentscheidung ist aber dann kein bloßes „Absegnen", wenn ein Parlament im Vorfeld informell einbezogen ist und Einfluss nimmt. Das ist in Deutschland der Fall, variiert aber je nach Loyalitätsverständnis von Koalitionsabgeordneten. Da diese unter einem besonderen Zustimmungsdruck stehen, ist die zusätzliche Zustimmung großer Teile der Opposition umso wichtiger. Eine Sonderrolle hat das Eeuropäische Parlament. Obwohl ohne Konsultations- oder gar Mitentscheidungsrechte bei GSVP-Einsätzen bewies es auffällige Eigeninitiative, insbesondere durch frühzeitige, wenn auch rechtlich unverbindliche, politische Resolutionen.
Im Unterschied zur plausiblen Landesverteidigung der Vergangenheit stehen Einsätze der multilateralen Krisenbewältigung in jeden Einzelfall unter besonderem Begründungs- und Legitimationszwang. Maßgeblicher Ort der Politiklegitimierung sind in einer Demokratie die Parlamente. Wenn der Autor zu Recht feststellt, dass es bei Kriseneinsätzen nur eine fragmentierte und auf nationale Beiträge fokussierte parlamentarische Beteiligung gebe, dann deutet dies auf einen eklatanten, strukturellen  Legitimationsmangel dieser wesentlichen Instrumente multilateraler Sicherheitspolitik hin. Negative Rückwirkungen auf die öffentliche Akzeptanz solcher Einsätze und die sicherheitspolitische Handlungs- und Durchhaltefähigkeit liegen dann nahe.
Von Ondarza widerlegt die verbreitete Annahme, eine Parlamentsbeteiligung verzögere multilaterale Entscheidungsprozesse. Den EU-Staaten empfiehlt er eine obligatorische parlamentarische Mitentscheidung über das die Genehmigung einer Operation vor Truppenentsendung und nach Abschluss der europäischen Verhandlungen. Für das Europäische Parlament empfiehlt er Kompetenzerweiterungen unterhalb der Schwelle einer - unrealistischen - Änderung des Vertrages von Lissabon. Die nationale Parlamente und das Europäische Parlament sollten schließlich durch eine neue und flexible Form interparlamentarischer Kooperation verknüpft werden.
Laien, aber auch Kennern der Materie gewährt diese Studie vielfältige neue Einblicke. Sie hilft, die parlamentarische und nationale Nabelschau zu überwinden. Sie fördert das Verständnis für effektiven Multilateralismus. Die Studie belegt Deutschlands Spitzenplatz bei der Parlamentsbeteiligung. Das ist erfreulich, aber kein Anlass zu Selbstzufriedenheit. Denn die Mitwirkungsrechte könnten erheblich besser für effektive Krisenbewältigung genutzt werden: durch  mehr strategische Klarheit (kohärente, erfüllbare Ziele, Erfolgskontrolle) statt Mikromanagement; durch mehr Ausgewogenheit der Mittel statt Militärlastigkeit; und vor allem durch viel mehr UN-Orientierung.
In: VEREINTE NATIONEN, Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen, hrg. von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN), 3/2013; Inhaltsverzeichnis: www.dgvn.de/meldung/die-un-und-asien-unterstuetzung-willkommen-einmischung-nicht-1/
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
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