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Winfried Nachtwei: Joschkas Abschied aus der ersten Reihe

Veröffentlicht von: Webmaster am 22. September 2005 17:18:41 +02:00 (1560 Aufrufe)

Joschka FischerSehr überraschend und tief bewegend war der letzte große Auftritt von Joschka Fischer in der gemeinsamen Sitzung der alten und neuen Bundestagsfraktion am 20. September.

Joschka begann mit einer kurzen Wahlkampfbilanz (wider die Umfragen: „Mobilisierung = Ergebnis“) und mit Danksagungen an die FraktionsmitarbeiterInnen, überprüfte knapp die verschiedener Ampeln und ließ dann die politische Bombe platzen:

Für ein herausragendes Amt in Partei und Fraktion stehe er nicht mehr zur Verfügung, „das müssen jetzt andere machen“. Inhalte gehen vor Machtfragen. Er habe voll Wahlkampf gegen Merkel und Westerwelle gemacht. Mit denen könne er keine Koalition machen, das wäre der große Wortbruch. Die Option Ampel sei durch die FDP verrammelt worden. Die Grünen seien als moderne, ökologische Links- und Friedenspartei inhaltlich gut aufgestellt. Realistisch sei aber nur die Opposition.

Für ihn sei es ein neuer Lebensabschnitt: Vor 20 Jahren habe er Freiheit gegen Macht getauscht. Jetzt wolle er die Macht gegen die Freiheit tauschen. „Ich begleite Euch gern schweigend aus der letzten Reihe.“

Was danach an Beifallsmarathon kam, hatte die Fraktion noch nicht erlebt.

Abschiedsschmerz

Es verabschiedet sich ein Joschka Fischer, den ich seit elf Jahren vor und hinter den Kulissen erlebt habe – in der Fraktion, in vertraulichen Beratungsrunden mit den grü-nen Außenpolitikern, bei Koalitionsverhandlungen, im Bundestag, bei Kundgebungen und unterwegs im Diplomateneinsatz.

Den Grünen und der deutschen Politik insgesamt geht – bis auf weiteres – ein Politiker verloren, der einzigartige strategische, taktische und rhetorische Fähigkeiten miteinander verbindet, der herausragende Politik machen und für sie begeistern konnte.

Ich erinnere mich an den Januar 1999 nach dem Massaker von Racak, als er die Grundzüge des späteren Stabilitätspakts für den westlichen Balkan skizzierte; an die Krisendiplomatie im April 2001, als in Mazedonien ein Bürgerkrieg drohte. Ich erinnere mich an den Februar 2002, als er die zu erwartenden Konsequenzen eines Irak-Krieges durchdeklinierte und den US-Plan ganz realpolitisch als rundum abenteuerlich ablehnte. Schließlich seine Rede zur Vertrauensabstimmung am 1. Juli, wo er bei Rot-Grün die Abschiedsstimmung zur Wahlkampfstimmung wendete.

Es verabschiedet sich ein Joschka Fischer, der Plätze füllte wie kein anderer Grüner. Ein unglaublicher Wahlkämpfer, der wohl für einige Wahlprozente persönlich verantwortlich war.

Es verabschiedet sich ein Joschka Fischer der sehr verschiedenen Seiten: der faszinierend, äußerst gewinnend und jungenhaft-sprudelnd sein konnte; dessen Kommunikations- und Umgangsformen für seine Umgebung aber auch äußerst strapaziös sein konnten.

Respekt!

Wo Rot-Grün abgewählt wurde und keine politisch vertretbare Machtoption für die Grünen existiert, ist sein Abschied konsequent.

Sicher ist er derjenige Politiker, der die Grünen am stärksten geprägt hat und dem wir sehr viel zu verdanken haben. Ohne ihn wären die Grünen auf Bundesebene kaum regierungsfähig geworden, hätte es die Partei dabei zerrissen. Aber schon lange war er nicht mehr der „Gottvater“ der Grünen, wovon in den Medien immer wieder die Rede war. Im Unterschied zur Legislaturperiode 1994-1998 hat sich die Fraktion längst von ihm emanzipiert. Auch als Außen- und Sicherheitspolitiker agierten wir bei aller Abgestimmtheit eigenständig – nicht zuletzt auf den Außenpolitikfeldern, wo sich der Bundeskanzler auf Kosten des Außenministers breit gemacht hatte, so im Fall China und Russland.

Es war genau der richtige Zeitpunkt. Wann, wenn nicht jetzt kann eine Sturmspitze für die die neue Oppositionsrolle aufgebaut werden?

Zugleich distanziert sich Joschka Fischer, der „Machtmensch“, vom gegenwärtigen Machtpoker. Wider vieler Erwartungen ist für ihn Macht nicht das Letzte und Höchste.

Verlust und Neuaufstellung

Grüne Außen- und Sicherheitspolitik hatte schon länger das „Sonnen“-Problem – im Schatten des Großmeisters Fischer zu stehen.

Jetzt gibt es vor und „über“ uns keine anderen grünen Außenpolitiker mehr. Erst ging der Veteran Helmut Lippelt, dann Ludger Volmer, Antje Vollmer, Christa Nickels, jetzt geht Joschka Fischer. Jetzt stehen nur wir am Steuer, müssen den Kurs einer selbstbewussten Friedenspolitik bestimmen und halten in einer Zeit stürmischer Veränderungen und unberechenbarer Risiken. Jetzt stehen wir ganz anders in der Verantwortung.

Die Grünen sind eine selbstbewusste Partei mit vielen erfahrenen PolitikerInnen und hoffnungsvollen Talenten. Wie bei keiner anderen Partei zzt. in Deutschland gehen bei den Grünen demokratische Lebendigkeit und Programmorientierung mit der herausragenden Stellung eines Politikers einher.

Aber der Abschied Joschkas aus der ersten Reihe macht uns weder vater- noch kopflos. Er setzt die personelle Neuaufstellung auf die Tagesordnung. Wenn wir die in Verlauf und Ergebnis gut gemeistert haben, haben die Grünen sich vollständig emanzipiert.

Auch wenn er kurzfristig nicht ersetzbar ist: Die Grünen werden auf Joschka verzichten müssen und können.

Der deutschen und europäischen Friedenspolitik aber darf sein Ausnahmetalent nicht verloren gehen. Gerade in schwierigeren Zeiten brauchen wir vorne die Besten!


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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