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Leserbriefe in der Süddeutschen Zeitung zu "Deutschland lässt seine Helfer im Stich" (afghanische Ortskräfte, 07.07.2021) sowie "Krieg im toten Winkel" (17.06.2017)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 8. Juli 2021 19:47:39 +02:00 (34954 Aufrufe)

X Mal haben wir deutsche Politiker bei Begegnungen mit afghanischen Frauen und Männern dort und hier versprochen "wir lassen euch icht im Stich!" Genau das droht jetzt gegenüber verlässlichen Verbündeten am Boden. Den Text "Taliban Vormarsch ..." vom 3. Juli habe ich gerade aktualisiert. Badakhshan, Takhar, Kunduz, Balkh, der Norden drohen zu kippen! 

Leserbriefe in der Süddeutschen Zeitung zu

„Deutschland lässt seine Helfer im Stich“ + „Ich habe Angst“ (07./03.07.21) sowie „Krieg im toten Winkel“ (17.06.2017)

 „Deutschland lässt seine Helfer im Stich“ von Tobia Matern, 5. Juli 2021 https://www.sueddeutsche.de/meinung/afghanistan-bundeswehr-taliban-terror-1.5341933 

„Ich habe Angst“ von Ahmad Jawil Sultani,3. Juli, https://www.sueddeutsche.de/meinung/bundeswehr-afghanistan-masar-i-sharif-uebersetzer-ortskraefte-1.5339512?reduced=true  

„Bei 20 Mandatsentscheidungen bis 2009 habe ich den Einsatz in Afghanistan mitverantwortet. Viele afghanische Menschen, Bundeswehrsoldaten, Polizisten und Zivilexperten habe ich dabei hoch schätzen gelernt. Bei Trauerfeiern für Gefallene und bei Begegnungen mit körperlich und seelisch Verwundeten sind mir die Risiken und Opfer des Einsatzes sehr nahegekommen. Vor diesem Hintergrund empfinde ich den - politisch nach der Biden-Entscheidung unumgänglichen - Einsatzabbruch ohne Rücksicht auf Begleitschäden für Land, Menschen und die regionale Sicherheit als Tiefpunkt der viel beschworenen internationalen "Verantwortung".

Wie bisher die afghanischen Ortskräfte seitens des Regierungsapparates im Stich gelassen werden, ist ein Dementi von Verlässlichkeit und Loyalität gegenüber den Verbündeten am Boden und konterkariert den hohen Anspruch einer auch wertegebundenen deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Winfried Nachtwei, Münster“

https://www.sueddeutsche.de/kolumne/afghanistan-ii-unwuerdiger-umgang-mit-den-helfern-1.5344053

Vor drei Jahren Leserbrief zu „Krieg im toten Winkel“ in Afghanistan in der SZ: Womit politisches Führungsversagen anfing, 25. Juni 2017)

In der Wochenendausgabe der Süddeutschen vom 17./18. Juni 2017 erschien auf drei Seiten „Krieg im toten Winkel“ in Afghanistan von Nico Fried, Christoph Hickmann und Tobias Matern: http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehreinsatz-in-afghanistan-krieg-im-toten-winkel-1.3547391?reduced=true

Seit einigen Jahren hat sich in der sicherheitspolitischen Community und Öffentlichkeit die Sichtweise festgesetzt, dass mangelnder Realitätssinn und Wunschdenken die zentralen Fehler des deutschen – und internationalen - Afghanistan-Engagements vor allem in den ersten Jahren waren. Ja, die Blauäugigkeit war ein strategischer Fehler. Aber längst nicht der einzige.

Die SZ-Autoren belegen, dass die Entscheidung, „nach Afghanistan zu gehen“, bei den damaligen deutschen Spitzenentscheidern einzig und allein durch die Bündnisloyalität gegenüber den USA motiviert war, dass gegenüber Afghanistan selbst kein Interesse bestand. (vgl. „Wie der Afghanistaneinsatz anfing“, Auswertung meiner persönlichen Notizen von 2001, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1074 )

Dass deutsche Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt werde (Peter Struck), war damals schon falsch, weil verkürzt (realiter ging es um Bedrohung internationaler Sicherheit). Es war aber vor allem von der politischen Führung nie ernst gemeint. Diese Grundtendenz eines nur nachgeordneten Interesses an Afghanistan, an seiner Stabilisierung und seinem Aufbau hielt sich auf der politischen Spitzenebene über die inzwischen mehr als 15 Einsatzjahre - bis zur notorisch anhaltenden Weigerung, gründlich und selbstkritisch aus dem Einsatz zu lernen.

Was müssen da die zigtausenden Frauen und Männer denken und fühlen, die von Bundesregierung und Bundestag in hoch strapaziöse und hoch riskante Einsätze entsandt werden – und wo es Kanzler und Ressortminister nicht ernst damit meinten und das Thema Afghanistan schon lange, lange hinter sich gelassen haben?

Mein Leserbrief vom 19. Juni (vollständig abgedruckt am 26. Juni)

„Großen Dank, dass Sie aller Afghanistan-Müdigkeit zum Trotz den Blick auf den "Krieg im toten Winkel“ lenken.

Beim teuersten, kompliziertesten und opferreichsten deutschen Kriseneinsatz war der Knackpunkt ein kollektives politisches Führungsversagen:

Sie bestätigen, was mir seit etlichen Jahren immer deutlicher wurde, was ich aber als Abgeordneter nicht ernst genug nahm: Die Spitzen der Bundesregierung hatten kein sonderliches Interesse an Afghanistan, seinen Menschen und der Aufbauunterstützung dort. Ausschlaggebend war Solidarität mit den USA.

Da war es kein Wunder, dass in Berlin erst zwei Jahre nach Einsatzstart ein erstes dürftiges Afghanistankonzept entstand, dass die diplomatische und polizeiliche Komponente bis 2008/09 sträflich unterausgestattet war, dass auf Warnungen hoher Offiziere vor Lageverschärfungen ab 2006 notorisch mit Abwehr reagiert wurde, dass sich Realitätsverleugnung und Schönrednerei breit machten. Kein Wunder, dass trotz drängender Forderungen seit 2006 eine systematische, selbstkritischer Bilanzierung und Wirkungsanalyse verweigert wurde.

Zigtausende Frauen und Männer in Uniform wie in Zivil wurden von Bundesregierung, Bundestag und Durchführungsorganisationen nach Afghanistan entsandt, in enorme Herausforderungen, hohe Belastungen und z.T. extreme Risiken. Sie haben sich bewährt und Hoffnung gemacht. Tausende Einsatzsoldaten draußen mussten ab 2008/2009 immer häufiger schießen, töten, eigene Verwundete und Gefallene erleiden. Der Einsatz geht ihnen nicht mehr aus dem Kopf, bei nicht wenigen ist er eine jahrelang schmerzende Wunde.

Und dann realisieren müssen, dass es die Spitzen der verantwortlichen Politik gar nicht ernst gemeint haben mit dem Einsatzauftrag und den hehren Zielen des UNO-Mandats. Das ist zum Verzweifeln. So wurde Vertrauen in Politik und Innere Führung von höchst oben zersetzt  und von wechselnden sturen Koalitionsloyalitäten flankiert.

Trotz aller immer noch vorhandenen Teilfortschritte in Afghanistan – immer mehr Einsatzrückkehrer erleben einen nachtäglichen Sinnverlust ihres Einsatzes. Dem muss sich Politik stellen, die Außen-, Verteidigungs-, Innen- und Entwicklungsminister wie der Bundestag. Sich und die Öffentlichkeit zu Afghanistan ehrlich zu machen, selbstkritisch und gründlich zu lernen, wäre jetzt das Mindeste. Alles andere wäre verweigerte Verantwortung.“

 

 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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