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117 Jahre danach Anerkennung des Völkermordes an den Herero + Nama in Namibia - Auszüge aus meinem NAMIBIA-Buch von 1976 + Bericht von der Teilnahme der Entwicklungsministerin Wieczoreck-Zeul am 100-Jahre-Gedenken

Veröffentlicht von: Nachtwei am 2. Juni 2021 06:53:42 +01:00 (17222 Aufrufe)

Ende der regierungsoffiziellen Verdrängung: Endlich. Aber 117 Jahre danach! Die historischen Tatsachen lagen schon lange auf dem Tisch. Hier zwei Beiträge dazu von mir aus den Jahren 1976 und 2004. 

117 Jahre danach Anerkennung des Völkermordes

an den Herero und Nama in Namibia –

Auszüge aus meinem NAMIBIA-Buch von 1976 + Bericht von

der Teilnahme der Entwicklungsministerin Wieszoreck-Zeul

am 100-Jahre-Gedenken  

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (Juni 2021)

Am 28. Mai 2021 teilte Außenminister Heiko Maas mit, dass Deutschland die Gräueltaten, die Truppen des Deutschen Reiches zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika verübt hatten, offiziell als Völkermord anerkennen und die Nachkommen der Opfer um Verzeihung bitten werde. Als „Geste der der Anerkennung des unermesslichen Leids“ werde Deutschland Wiederaufbauhilfe von 1,1 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren zahlen. Eine entsprechende Erklärung wurde nach sechsjährigen Verhandlungen vom deutschen und namibischen Verhandlungsführer unterschrieben.

In Namibia wird die Anerkennung des Genozids allgemein begrüßt. Die Art und Höhe der Unterstützungszahlungen hingegen wurde von Häuptlingsgruppen der Herero und Nama scharf kritisiert.

Seit vielen Jahren wurde von verschiedenen Bundesregierungen gefordert, den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts klar als solchen zu benennen und daraus Konsequenzen zu ziehen. 117 Jahre nach dem Genozid ist zwischen der deutschen und der namibischen Regierung erstmalig eine Einigung erzielt worden. Warum so unglaublich spät, wo die historischen Tatsachen doch schon so lange auf dem Tisch lagen?

Vor 47 Jahren Jahren schrieb ich an der Uni Münster meine Geschichts-Examensarbeit über NAMIBIA, die frühere Kolonie Deutsch-Südwestafrika, den antikolonialen Widerstand, die südafrikanische Okkupation und den jüngeren Widerstand der SWAPO dagegen. 1976 entstand daraus das Buch „Namibia – von der antikolonialen Revolte zum nationalen Befreiungskampf“. Es war eines der ersten zu dieser Thematik in Westdeutschland. (Während meiner Lehrertätigkeit bis 1994 hatte die Kolonialgeschichte „Deutsch-Südwest“ in meinem Geschichtsunterricht und in Abiturprüfungen immer einen festen Platz.)

Im Folgenden

(A) Auszüge aus meinem Namibia-Buch zu den Freiheitskriegen 1904 bis 1907 und dem Völkermord an den Herero und Nama

(B) Bericht von der nationalen Gedenkfeier am 14. August 2004 zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg/Ohamakari in Okakarara. Als einziger Abgeordneter begleitete ich dort die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Als erste Vertreterin einer Bundesregierung nannte sie den Völkermord beim Namen.

(A) 4.3. Die Freiheitskriege 1904-1907

 4.3.1. Der Hererokrieg

Nachdem die Kolonialmacht zunächst Erfolg in ihren Unterwerfungsaktionen zu haben schien, erhoben sich am 12. Januar 1904 schlagartig die Herero. Für die Kolonialisten, deren Truppen zur gleichen Zeit größtenteils zur Niederschlagung des Bondelzwart-Aufstandes in den Süden abgezogen waren, völlig überraschend überfielen sie überall im Land Farmen und Militärposten des Feindes.

Zu den Ursachen schrieb der zeitweilige Siedlungskommissar Rohrbach: "Die Landfrage bildete den Untergrund, auf dem sich die ganze wachsende Abneigung unter den Herero gegen die deutsche Herrschaft erhob. An diesem Anlass zur Unzufriedenheit kristallisierte sich alles übrige an: die Übergriffe der Händler, die Eintreibung der Viehschulden, die Erbitterung über allerlei Einzelvorgänge, Tötungen von Hereros durch Weiße usw."

Ein Häuptlingssohn:"Die Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Deutschen hat uns zur Verzweiflung getrieben und unsere Führer und das Volk fühlten, dass der Tod seinen Schrecken verlor gegenüber den Bedingungen, unter denen wir lebten."[1]

Der deutsche Generalstab schließlich schätzte die Ursachen des Herero-Aufstandes folgendermaßen ein:"Der große unvermeidbare Kampf mit den Eingeborenen musste früher oder später kommen, wollte anders Deutschland nicht auf eine wirtschaftliche Erschließung des Landes ver­zichten. Wer hier kolonisieren wollte, musste zuerst zum Schwert greifen und Krieg führen f.. .) mit starker, Achtung gebietender Macht bis zur völligen Niederwerfung der Eingeborenen." [2]

Das Hererovolk kämpfte um seine Existenz, um sein Überleben. In den Minen der Kapkolonie arbeitende Herero kehrten nach Namibia zurück und schlossen sich dem Freiheitskampf an. Die Hererofrauen feuerten hinter den Linien die Kämpfer in Sprechchören an: "Wem gehört Hereroland? Uns gehört Hereroland.“[3] "In dem Maße, wie die Erkenntnis von der Notwendigkeit des Kampfes bis aufs Äußerste in den Reihen der Herero zunahm, wuchs auch ihre Entschlossenheit und innere Widerstandskraft."[4]

Bei einer Gesamtstärke von sieben- bis achttausend kampffähigen Männern und 6 000 Gewehren war ihre Strategie, mit massierten Kräften von einigen Tausend Mann die offene Feldschlacht mit dem Feind zu suchen. Dazu waren sie wegen ihrer immer noch verhältnismäßig großen Herden gezwungen, die sie nicht jenseits der Grenze evakuieren konnten, da vor ihr die wasserlose Omaheke lag.

Die Kampfkraft der Herero hob sogar das Generalstabswerk über den Hererokrieg hervor: "Unsere Gegner standen an Gewandtheit und Schießfertigkeit den von den Engländern bekämpften Buren nicht nach. An kriegerischem Wert und Entschlossenheit des Handelns übertrafen sie diese sogar bei weitem." Über Bewegungen und Stärke der Kolonialtruppen waren die Herero "stets gut unterrichtet".[5] Der Befreiungskampf der Herero richtet sich gegen die direkten Vertreter des Kolonialismus, männliche Siedler und Militärs. Frauen, Kinder, ja sogar Missionare, Buren und Engländer wurden geschont. Der sonst nicht kolonialkritische Missionar Irle berichtete, dass alle laut kolonialistischer Greuelpropaganda "abgeschlachteten" Frauen lebten.[6] Anders dagegen die deutsche Kriegsführung unter General von Trotha, der bald den militärisch erfolglosen Leutwein ablöste und reichliche Kolonialkriegserfahrung aus China und Ostafrika mitbrachte. Leutweins Kriegsziel war, die Herero politisch zu töten, sie ohne Stammesführung in Reservaten zusammenzutreiben, da man sie noch als Arbeitskräfte und kleine Viehzüchter benötigte.

Trotha dagegen gab der Pogromstimmung unter den Weißen — "man hörte in dieser Beziehung nichts als 'aufräumen, aufhängen, niederknallen bis zum letzten Mann`“[7] - und dem "Brauch" der Kolonialtruppe, keine Gefangenen zu machen — "allen Männern jedoch, die bewaffnet der Truppe in die Hände fielen, hatte ihre letzte Stunde geschlagen"[8] - volle politische Rückendeckung. Seine Linie war, dass die afrikanischen Stämme in "diesem ersten Anzeichen eines Rassenkampfes" nur der Gewalt weichen würden:[9] "Diese Gewalt mitkrassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld. Nur auf dieser Aussaat kann etwas Neues entstehen, was Bestand hat."[10]

Die Kriegsentscheidung fiel im August 1904 am Waterberg, wo sich 50-60 000 Herero einschließlich Frauen und Kinder gesammelt und verschanzt hatten. Da trotz des Einsatzes von Artillerie an einen Sieg der Kolonialisten in einer Kesselschlacht nicht zu denken war, trieb man das Volk der Herero in die angrenzende Omaheke, "wo Durst und Entbehrung seine Vernichtung vollenden mussten".[11] Das Generalstabswerk: "Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um l dem Feind den letzten Rest seiner Widerstandkraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild war er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich, willenlos, ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Herero-Volkes. "[12]

Im Oktober erließ Trotha folgenden Vernichtungsbefehl: "Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet, gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen (…) Das Volk der Herero muß jetzt das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem groot Rohr (Geschütz) dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auf sie schießen. (…)

Der große General des mächtigen Kaisers, von Trotha." [13]

Nach monatelangen Ausrottungszügen von Kolonialtruppen in die Omaheke stellte das Generalstabswerk zur Lage Anfang 1905 fest: "Die mit eiserner Strenge monatelang durchgeführte Absperrung des Sandfeldes vollendete das Werk der Vernichtung, (…) Das Drama spielte sich auf der dunklen Bühne des Sandfeldes ab. Aber als die Regenzeit kam, als sich die Bühne langsam erhellte und unsere Patrouillen bis zur Grenze des Betschuana-Landes vorstießen, da enthüllte sich ihrem Auge das grauenhafte Bild verdursteter Heereszüge.

Das Röcheln der Sterbenden und das Wutgeschrei des Wahnsinnes …sie verhallten in der erhabenen Stille der Unendlichkeit! Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden.

Die Hereros hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein."[14]

4.3.2. Die Namakriege

Im August 1904 erhoben sich die Nama-Stämme gegen die deutsche Kolonialherrschaft, ausgenommen einige kleinere, durch die Mission neutralisierte Stämme. Mit anfangs nur 1000-2000 Mann kämpften sie zunächst nur im Rahmen der Stammesverbände, später in gemischten Einheiten, zu denen auch Herero stießen.[15] Da sie ihr Vieh ins angrenzende englische Betschuanaland evakuieren konnten, bekämpften die Nama die deutschen Kolonialtruppen in der Form des Guerilla-Krieges. "In zahlreiche kleine Banden aufgelöst, durchstreifte er (der Gegner) das Land. Marschierende und ruhende Truppen, Kolonnen, Stationen, Posten waren nirgendwo und zu keiner Zeit vor den allenthalben auftauchenden Banden sicher. 'Feind überall' war das Kennzeichen der Lage."[16]

Mit größter Beweglichkeit und unter maximaler Ausnutzung des Geländes überfielen die Nama den Feind immer an seinen schwächsten Punkten, wichen jeder Entscheidung aus und versuchten so, die schwerfälligen Kolonialtruppen, die ihre waffentechnische Überlegenheit nicht ausspielen konnten, zu zermürben. Begünstigt wurden sie dabei durch die Tatsache, daß die Kolonialisten im Namaland weder über Eisenbahn noch Telegraphenverbindung wie im Hereroland verfügten, daß deren Nachschublinien lang, wenig aufnahmefähig und verletzbar waren. Auch die Freiheitskämpfer der Nama mußte das Generalstabswerk als "ebenbürtige Truppenmacht" anerkennen: Den achtzigjährigen Hendrik Witbooi nannte es einen typischen Vertreter der südafrikanischen Kriegführung, deren Merkmale eine unbestrittene Meisterschaft im Anlegen von Überfällen, höchste Beweglichkeit und Zähigkeit in der Fortsetzung eines an sich aussichtslosen Widerstandes. (…) Oft geschlagen war er nie völlig niedergeworfen worden."[17]  Nur bezüglich der Brutalität der Kriegführung waren auch die Nama den Kolonialtruppen weit unterlegen: während es bei den Kolonialtruppen immer wieder zur Ermordung von Gefangenen kam[18], bemerkte das Generalstabswerk: "Die Frauen und Kinder wurden (von den Nama) im allgemeinen geschont und an die Grenze des Witbooi-Landes gebracht."[19]

In über 200 Gefechten widerstanden die Namaeinheiten einer Kolonialarmee, die von l 500 Söldnern Anfang 1904 auf 15 000 im Jahr 1905 vergrößert worden war, die zahlenmäßig 5-10 mal so stark war wie die Nama und diesen von Ausrüstung und Waffen her weit überlegen war.[20] Auch als die größeren Nama-Stämme, zum Beispiel die Witbooi, kapituliert hatten und nur noch wenige Hundert Nama im Kampf standen, konnten die Kolonialisten keine Kriegsentscheidung herbeiführen. Erst als unter dem seit Kriegsbeginn vierten deutschen Oberkommandierenden (Deimling) von der Strategie konzentrischer Einschließungsaktionen mit größeren Verbänden übergegangen wurde zu einer politisch und militärisch beweglicheren Anti-Guerilla-Kriegsführung, gelang es der Kolonialmacht nach zwei Kriegsjahren, den letzten Namaeinheiten Friedensverträge aufzuzwingen.

Auch nach Aufhebung des Kriegszustandes am 31.7.1907 überfielen noch Nama unter Simon Kopper und Jakob Morenga weiterhin deutsche Patrouillen. "Das Ende der letzten Guerilla-Aktionen wurde (...) in allen Fällen erst durch Verhandlungen erreicht, die zum Teil deutsche Missionare und Offiziere der britischen Kappolizei vermittelten."[21] (Gegen die waffenlosen und militärisch besiegten Afrikaner führte die Kolonialmacht den Krieg in veränderter Form weiter. Mit Hilfe der Mission, die während des Krieges ständig unter den Afrikanern gepredigt hatte, "jedermann sei Untertan der Obrigkeit", "freiwillige Unterwerfung" und Buße, und damit Teil der psychologischen Kriegsführung der Kolonialmacht war, wurden sogenannte Sammellager, in Wirklichkeit Konzentrationslager, mit überlebenden Herero und Nama gefüllt.[22] Die Gefangenen wurden zu schwerster Zwangsarbeit eingesetzt, von 15 000 eingesperrten Herero starben bis zur Auflösung der Lager 45 %. Von l 795 auf der Haifischinsel in der Lüderitzbucht gefangen gehaltenen Nama starben l 032 innerhalb von sieben Monaten. Nur aus Kostengründen wurden Pläne, ganze Stämme nach Togo, Kamerun oder Samoa zu deportieren, fallengelassen. Von hundert nach Kamerun deportierten Witbooi überlebte ein Drittel.[23] Insgesamt brachte der deutsche Imperialismus 80 % der Herero um - von 80 000 Herero vor dem Krieg lebten 1911 noch 15 130 - und die Hälfte der Nama.[24]

Alles Land der am Kampf beteiligten Stämme wurde eingezogen, die übriggebliebenen letzten

3 000 Herero-Rinder - Vorkriegsstand 50 000 - wurden beschlagnahmt.[25]

In den Freiheitskriegen hatten Herero- und Namastämme versucht, die drohende Vernichtung ihrer Existenzgrundlagen abzuwenden, wieder zum Subjekt ihrer Geschichte zu werden. Sie entwickelten dabei eine Kampfkraft, die nur aus dem Wesen ihres Kampfes als einem Volkskrieg zu erklären ist. Sie kämpften, was auch ihre Gegner zugaben, um ihre Existenz — nicht in propagandistisch vorgegaukelter "nationaler Verteidigung" für eine herrschende Klasse. Dem gerechten Ziel ihres Kampfes entsprechend waren die Freiheitskämpfer aufs engste mit ihrem Volk verbunden. Die Trennung zwischen kollaborierenden Stammesführern und Stammeskollektiven war vor allem durch den Druck der Jüngeren überwunden worden, im gemeinsamen Kampf gemischter Einheiten waren Stammesgegensätze verschwunden.[26] Im Krieg gegen den deutschen Kolonialismus konstituierte sich in Ansätzen die namibianische Nation.

Die Stärke der Afrikaner lag also darin, dass es um ihr Volk und ihr Land ging, dass ihr Kriegsziel gerecht war. Hingegen versuchten die meisten kolonialapologetischen Schriften von dieser Tatsache abzulenken, indem sie das 'kriegerische Wesen wilder Stämme' zur Ursache afrikanischer Widerstandskraft erklärten.

Herero und Nama konnten aber die koloniale Besetzung nur erschweren und aufhalten, aber nicht verhindern oder einschränken. Denn die entscheidende Schwäche ihres heroischen Kampfes war weniger die technische und zahlenmäßige Unterlegenheit. Ihre entscheidende und — auf der Stufe des primären Widerstandes - historisch unvermeidbare Schwäche war, daß ihre einzige politische Perspektive die Restauration traditioneller vorkapitalistischer Verhältnisse war; daß sie über die Überwindung tribaler Grenzen auf der Ebene der kämpfenden Einheiten hinaus eine umfassende Einheitsfront aller dem Kolonialismus gegen­überstehenden Stammesverbände mit einer zentralisierten Führung nicht herausbilden konnten. Zudem blieben sie international isoliert. Die internationale, insbesondere die deutsche Arbeiterbewegung erkannte die Kolonialvölker noch nicht als Verbündete im Kampf gegen denselben Feind, den Imperialismus und Kolonialismus. Bei der Abstimmung im deutschen Reichstag über den Etat für den Hererokrieg enthielt sich die SPD-Fraktion aus "Rücksicht auf die in ihrem Leben bedrohten Ansiedler" der Stimme. Der führende Sozialdemokrat Ledebour argumentierte auf dem SPD-Parteitag 1904 gegen den Antrag, in Zukunft aus prinzipieller Gegnerschaft gegen die Kolonialpolitik alle Kolonialanträge im Reichstag abzulehnen: "Ein Teil der Genossen hat sich so geäußert, als ob die Neger das Recht hätten, die Weißen zu massakrieren. Das können wir nicht billigen. Gegenüber den Ansiedlern müssen wir den Grundsatz vertreten: gleiches Recht für alle."[27]

Der Antrag wurde abgelehnt, die Mehrheit der SPD blieb bei ihrer Position "... dass Kolonialpolitik betrieben wird, ist an und für sich kein Verbrechen. Kolonialpolitik zu treiben kann unter Umständen eine Kulturtat sein; es kommt nur darauf an, wie die Kolonialpolitik betrieben wird."[28]

So richtete sich in der Folgezeit die Kritik der SPD an der Kolonialpolitik auch nur gegen "herausgeworfene Gelder", gegen "koloniale Volksausplünderung" und gegen bekannt gewordene Fälle von Eingeborenenmisshandlungen.[29]

4.3.3. Die unmittelbaren Folgen der Freiheitskriege

Der deutsche Imperialismus hatte das erste strategische Ziel erreicht: die Freisetzung der zentralen Produktionsmittel des Landes, Boden und Vieh, als der einen Voraussetzung kapitalistischer Produktion und - mit dieser "Befreiung" der Afrikaner von ihren Subsistenzmitteln - deren Freisetzung als Arbeitskräfte, die zweite Voraussetzung der Aufnahme kapitalistischer Produktion in größerem Umfang. Dieses Ziel erreichte der deutsche Imperialismus nur unter großen Schwierigkeiten und hohen Verlusten: 2000 eigenen Toten, 600 Millionen Mark Kriegskosten, wobei Einzelkapitale kräftige Extraprofite einstrichen. Die sich bis zum Völkermord steigernde Zerstörung der Stammesverbände widersprach — wenn auch von vornherein einkalkuliert sogar der ökonomischen Logik des Kapitals. Eine unter nicht wenigen bürgerlichen Stimmen: "Was den Gesichtspunkt der Humanität betraf (…), so muss an sich zugegeben werden, daß unter Umständen, um die friedliche Siedlung der Weißen von einem schlechthin kulturunfähigen, räuberischen Eingeborenenstamm zu sichern, dessen tatsächliche Ver­nichtung erforderlich werden kann." Nur: "In einer Kolonie von den wirtschaftlichen Verhältnissen Südwestafrikas durften wir uns den Luxus nicht leisten, erst so und so viel Tausend Eingeborene im Sandfeld zur Strafe verdursten zu lassen, denn das Wirtschaftsleben des Landes brauchte sie, nachdem ihre alte Stammesselbständigkeit und ihre alten Besitzrechte dahin waren, als Arbeiter."[30] (67)

Dennoch: die Grundlagen für den Aufbau einer kapitalistischen Wirtschaft in Namibia waren damit geschaffen. Erneut bestätigte sich die historische Erfahrung, daß die Einbeziehung vorkapitalistischer Regionen in den kapitalistischen Weltmarkt nicht friedlich, "rein ökonomisch" allein über den Warentausch geschah, sondern gewaltsam und zerstörerisch. (…)

 

(B) Nationales Gedenken zum 100. Jahrestages der Schlacht am Waterberg 14. August 2004 mit Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (Bericht)

Auf dem Weg zum Waterberg macht die Delegation der Ministerin am 13. August in Okahandja einen Zwischenstopp. Hier begann am 12. Januar 1904 der Aufstand der Herero gegen die deutsche Kolonialherrschaft. Hier sind die berühmtesten Herero-Häuptlinge der Maharero-Dynastie, darunter Samuel Maharero, Führer des Aufstandes (gest. 1923), und Tjamuaha (gest. 1989) beerdigt. Hier findet alljährlich der „Herero-Tag“ statt. Martialisch das jüngste Mahahero-Grab: ein marmornes Geschoss mit eingravierter Kalaschnikow. An den Maharero-Gräbern legt die Ministerin in Begleitung von Kaihepovazandu Alfons Maharero, Enkel von Samuel, einen Kranz nieder. Alfons zur Ministerin sinngemäß: „Da die Nachfahren der Kolonialisten hier waren, kann Samuel jetzt in Frieden ruhen.“ Für Deutsche ist die Kaiser- und Kolonialzeit mitsamt den damaligen Vorfahren meist ferne Geschichte, überlagert von mehrfachen geschichtlichen Umwälzungen seit dem. Ganz anders das Geschichts- und Generationenverständnis der traditionellen Gesellschaft der Herero: Wo die lebenden Generationen mit einigen Ahnengenerationen „zusammenleben“, da sind deren Schicksale ganz dicht an der Gegenwart.

Fünf Monate nach Beginn des Deutsch-Hererokrieges sammelte sich ab Juni 1904 das Hererovolk samt Vieh südlich des Waterberg. Die Schätzungen reichen von 25.000 bis 80.000 Herero. Ihre Kämpfer sollen über 5-6.000 Gewehre verfügt haben. Im August marschierte die „Schutztruppe“ mit 1.488 Gewehren, 30 Geschützen und 12 Maschinengewehren auf. Am 11. August 1904 fiel bei den Gefechten an der Wasserstelle Ohamakari die Entscheidung: In dem unübersichtlichen, von dichtem Busch bewachsenen Gelände griffen die Abteilungen der „Schutztruppe“ die Hauptwasserstellen der Herero an. „Das war von ausschlaggebender Wirksamkeit bei einem Volke, welches für seine Rindermassen, die ihm allein eine Existenz sichern, das Wasser notwendig braucht und ohne Vieh zugrunde gehen muss“, so der beteiligte Hauptmann Beyer. Vor der überlegenen Waffentechnik, vor allem dem „großen Rohr“ der Kolonialtruppen floh die Masse der Herero in die wasserarme Omaheke. Wasserlöcher wurden weiter abgesperrt. Ein Großteil der Herero verdurstete. Der Kommandierende General von Trotha proklamierte am 2.Oktober die Erschießung aller männlichen Herero, ob bewaffnet oder unbewaffnet, und die Vertreibung von Frauen und Kindern. Nach Aufhebung dieses Vernichtungsbefehls durch den Kaiser starben tausende Herero in Gefangenenlagern, die Konzentrationslager genannt wurden. So starben zwischen Oktober 1906 und März 1907 allein im Lager auf der Haifischinsel vor Lüderitzbucht lt. Stadtchronik von 1.795 Gefangenen 1.032. 1905 folgte die totale Enteignung der Herero.

Die Schätzungen über die Zahl der Herero-Opfer gehen erheblich auseinander. Fakt ist, dass ein Großteil der Herero – zwischen einem Drittel und 80 % - umkamen. Fakt ist, dass zentrale Akteure wie von Trotha ungeschminkt einen terroristischen Rassismus vertraten, dass die deutsche Kriegführung und Kolonialpolitik über den militärischen Sieg hinaus auf die existentielle Vernichtung der Herero zielte. Die 1948 von der UNO verabschiedete Völkermordkonvention bezeichnet diesen Tatbestand als Völkermord.

Die Erinnerung an den Deutsch-Hererokrieg – und noch mehr an den bis 1908 dauernden Deutsch-Namakrieg – ist gespalten und fällt schwer. Für die Herero steht Ohamakari für den Beginn der Zerschlagung und Zerstreuung der eigenen Gesellschaft. In der schriftlichen Überlieferung der Weißen dominierte hingegen lange Zeit eine Verklärung der Kolonialzeit, eine Rechtfertigung der Kolonialkriege als „Notwehr“ und Ignoranz gegenüber den dramatischen Folgen der Kriege für die afrikanische Bevölkerung. Die vielen „Schutztruppen“-Denkmäler in Namibia, aber auch in Westdeutschland – z.B. das Train-Denkmal in Münster -, sind provokative und bisher unberührte Zeugnisse dieser Gesinnung. Sie wird aktiv am Leben gehalten z.B. vom „Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen. In den deutschsprachigen Buchläden Namibias liegt „Völkermord an den Herero in Deutsch-Südwestafrika? Widerlegung einer Lüge“ von Claus Nordbruch, erschienen im rechtsradikalen Grabert-Verlag, besonders häufig aus. Die ebenfalls erhältliche Broschüre „Waterberg – Beitrag zur Geschichte der Missionsstation Otjozondjupa, des Kambazembi-Stammes und des Herero-Landes“ von Dr. N. Mossolow (Windhoek 1992) vermittelt mit seinen Zeitzeugenberichten ein eindeutiges Bild des damaligen Unheils.

In der Pressemitteilung „100 Jahre nach dem Deutsch-Hererokrieg: Erinnern für eine friedliche Zukunft“ nehmen Marianne Tritz, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und mit Namibia lange verbunden, und ich für die grüne Bundestagsfraktion am 13. August eindeutig im o.g. Sinne Stellung.

Die nationale Gedenkveranstaltung findet am Samstag, 14. August, auf dem Gelände des „Okakarara Community Cultural and Tourist Centre“ einige Kilometer vor Okakarara an der Grenze zwischen kommerziellem (Groß-Hamakari) und kommunalem Land statt. Okakarara mit seinen ca. 10.000 Einwohnern liegt am Rand der wasserarmen Omahake im Siedlungsgebiet der Herero und ist Hauptort des gleichnamigen Distrikts, der durch extreme Armut gekennzeichnet ist. Vor hundert Jahren fanden hier die Gefechte von Ohamakari statt.

Tausende Herero aus Namibia, Botswana und Südafrika sind hier in den letzten Tagen zusammengeströmt und campieren in Zelten um das Gelände herum.

Uns empfängt ein unglaublich buntes und turbulentes Treiben: kleine Gruppen uniformierter Jugendlicher und Männer „exerzieren“ schwungvoll mit starrem linken und weit ausholendem rechten Arm, Herero-Frauen in ihren traditionellen bunten Prachtgewändern bilden ein jubilierendes Spalier, die Kopftücher wie Rinderhörner geformt, manche mit modischen Brillen. Ihnen gegenüber Himba-Frauen in der vorkolonialen, sehr textilarmen Herero-Kluft. Dazwischen modisch gekleidete Herero-Frauen und nabelfreie Mädchen. Viele Männer tragen Uniformen in vielen Variationen, darunter auch Teile von NVA-Uniformen. Was auf den ersten Anblick wie eine Mischung von Schützenfest und Karneval erscheint, hat einen ernsthaften Hintergrund: Schon vor dem Hererokrieg „hatten die Herero-Männer die Uniformen ihrer Kolonialherren übernommen, wie ihre Frauen viktorianische Kleider nach dem Vorbild der Missionarsfrauen trugen. Die Überlebenden des Krieges behielten diesen Brauch bei. Sie werden ´Truppenspieler` (oturupa) genannt. Sie gaben sich deutsche Namen und deutsche militärische Ränge. Sie (...) exerzierten wie ihre Feinde mit deutschen Kommandos. Ihre Nachkommen spielen bis heute ´Truppe` und pflegen so die Tradition. (...) Sie sind während des ganzen Jahres aktiv. (...) Bei allen wichtigen gesellschaftlichen Anlässen und Zusammenkünften tritt die oturupa als helfender und stützender Verband auf, der sich sozial engagiert und für die Fortführung der Tradition eintritt.“ (Ausstellungsbegleiter „Namibia – Deutschland ...“, S. 47 f) Unter den Leitfarben Rot, Grün und Weiß sind die Anhänger verschiedener Häuptlingshäuser („Vereinigung der roten .etc.  Fahne“) zu erkennen. Viele Schwarze tragen Pappschilder mit deutschen Namen wie Fischer, Franke um den Hals – in Erinnerung an ihre deutschen (Ur-)Groß-väter. Die meisten Herero-und viele Namafamilien haben einen oder mehrere deutsche Vorfahren!

Es heißt, dass nie so viele Herero und obendrein aus allen Untergruppen zusammen gekommen seien. Angesichts der erheblichen Widersprüche zwischen vielen ihrer Führer und der zwei Gedenkkomitees („National Preparatory Committee for the Commemoration of 1904“ mit den Bischöfen Kameeta und Keding, „Ovaharero Genocide 1904 - 1908“ als nationales Herero-Komitee unter Riruako) ist das schon ein besonderes Ereignis.

Die deutsche Seite unterstützt die Gedenkveranstaltung logistisch. Oben auf der übervoll besetzten Tribüne hoffe ich, dass die deutsche technische Zusammenarbeit die Belastungsprobe aushält. Im Rücken der Tribüne erstreckt sich die weite Ebene über (O)Hamakari bis zum breiten Band des Waterberg.

Ein besonderes Schauspiel ist der jeweils getrennte Einzug der verschiedenen Oberhäuptlinge und Könige: meist hoch zu Ross inmitten ihres Gefolges und einer Staubwolke, umgeben von Jubel.

25 Redner sieht das vierstündige, in langen Verhandlungen ausgehandelte Programm vor, darunter alle traditionellen Herero-Führer und nur eine Handvoll Nicht-Herero, die meisten mit Fünfminutenreden (einschließlich Übersetzung). Von den drei Directors of Ceremony agiert die einzige Frau, Dr. Ndjoze-Ojo von der University of Namibia, besonders souverän und   energisch. Aber auch sie kann die Redelust der Männer nicht zähmen. Als die Veranstaltung nach mehr als fünf Stunden endet, sind etliche wichtige Redner immer noch nicht zu Wort gekommen. Schade ist es insbesondere um die hervorragende Rede von Raimar von Hase für die deutschsprachigen Namibier. (s. Anlage) (Nachtrag: Inzwischen erfahre ich, dass die Kundgebung nach Eröffnung des Okakarara-Community-Centre und der Kranzniederlegung am künftigen Mahnmal doch noch bis in die Dunkelheit weiter ging – nach Abreise vieler Teilnehmer.)

Die Palette der Reden reicht von überzeugender Versöhnungsbereitschaft bis zu Rednern, die sofort Unruhe ernten und nicht übersetzt werden.

Eine multiethnische SchülerInnengruppe der Deutschen Höheren Privatschule in Windhoek trägt in den wichtigsten Landessprachen ihre Schlussfolgerungen aus der Kolonialzeit für eine friedliche Zukunft vor. Als sie den Wunsch äußern, die Reichen sollten den Armen abgeben, ernten sie Lacher.

Den mit Spannung erwarteten Höhepunkt bildeten die Reden der deutschen Ministerin, des namibischen Ministers for Lands, Resettlement and Rehabilitation und wahrscheinlich künftigen Präsidenten Pohamba sowie des Herero-Oberhäuptlings Kuaima Riruako.

Vor der Rede der Ministerin Wieczorek-Zeul positioniert sich eine Gruppe von mit Ketten gefesselten und symbolisch von Wächtern geprügelter Kolonialgefangener vor der Bühne. Mit deutlicher Bewegung nennt die Ministerin beim Namen, was unter deutscher Kolonialherrschaft den Menschen angetan wurde:

„(…) Vor hundert Jahren wurden die Unterdrücker – verblendet von kolonialem Wahn –in deutschem Namen zu Sendboten von Gewalt, Diskriminierung, Rassismus und Vernichtung. Die damaligen Gräueltaten waren das, was heute als Völkermord bezeichnet würde – für den ein General von Trotha heutzutage vor Gericht gebracht und verurteilt würde.

Wir Deutschen bekennen uns zu unserer historisch-politischen, moralisch-ethischen Verantwortung und zu der Schuld, die Deutsche damals auf sich geladen haben. Ich bitte Sie im Sinne des gemeinsamen „Vater Unser“ um Vergebung unserer Schuld. (…)“ Nach diesen und anderen Passagen kommt deutlicher Beifall. Auf einige Zwischenrufe in bekräftigt sie noch mal diese Entschuldigung.

Die nachfolgenden Hauptredner akzeptieren die Entschuldigung der Ministerin und ändern

kurzfristig ihre Reden. Oberhäuptling Riruako ist ein wirksamer Volkstribun mit demagogischen Fähigkeiten. Als er die anderen Oberhäuptlinge neben sich ziehen will, sträubt sich mancher.

(,,,)

Kranzniederlegung am künftigen Denkmal für die im Krieg getöteten Herero, wo vorläufig ein lebensgroßes Bild von Samuel Maharero an einem Termitenhügel aufgestellt ist.

Als Ministerin und Botschafter inmitten der Herero-Oberhäuptlinge rechts und links von Samuel Maharero stehen, ist ihr Verhältnis unverkennbar herzlich. 

Am ganzen Tag erlebe ich keinerlei Anmache oder gar Revancheäußerungen gegen Deutsche. Wo ich mich als German und member of parliament vorstelle, sind die Reaktionen immer freundlich bis herzlich – bei Alfons Maharero und Riruako genauso wie bei einfachen Herero.

Bewertung

Erstmalig nimmt ein Mitglied der deutschen Regierung an Gedenkveranstaltungen für den Deutsch-Hererokrieg teil, ehrt seine Opfer und toten Häuptlinge und spricht mit seinen Vertretern. Hundert (!) Jahre danach ist das mehr als überfällig. (Vorher hatte es ab 1995 auf Initiative von Uschi Eid, MdB, offizielle Gespräche zwischen deutschen Parlamentariern und Herero-Vertretern gegeben. Dabei hatten sich die deutschen Abgeordneten für den Völkermord an den Herero entschuldigt.)

Gespräche vor Ort machen sehr schnell deutlich, dass der Bundestagsbeschluss vom 17. Juni („Zum Gedenken an die Opfer des Kolonialkrieges im damaligen Deutsch-Südwestafrika“, BT-Drs. 15/3329) hierzulande überwiegend ein negatives Echo fand. Sein als oberflächlich empfundener Umgang mit dem Kolonialkrieg hat nicht zur Versöhnung beigetragen, sondern  eher Unfrieden gestiftet. Bei einer Podiumsdiskussion in Windhoek eineinhalb Wochen vor dem Gedenktag bekam der deutsche Botschafter massiv diese Kritik zu hören. Umso höher waren die Erwartungen gegenüber der Ministerin. Diese wurden nicht nur von Seiten der Herero formuliert, sondern auch in der Presse (Allgemeine Zeitung, New Era) und am Vorabend von einigen deutschsprachigen Farmern. Diese drängten auf eine echte politische Geste, die auf die Gefühle der Herero und Nama Rücksicht nehme und nicht drum herum rede.

Die Ministerin ging deutlich über die bisherigen Positionen von Bundesregierung und Bundestag hinaus, die dominiert waren von einer juristischen Defensivhaltung angesichts der schwebenden „Entschädigungs“-Klagen. Die Rede war klar und eindeutig in ihren Aussagen, menschlich überzeugend und zugleich präzise in den Formulierungen zu Völkermord und Schuld, also ohne juristisches Schuldanerkenntnis. Mit dieser Rede nutzte sie die einmalige Chance des 100. Jahrestages, über ehrliche Erinnerung eine Basis für Versöhnung zu schaffen. In politischen Gesprächen drängte die Ministerin Riruako, seine Klage gegen die Bundesrepublik zurückzuziehen. Zugleich schlug sie eine „panel of reconciliation“ vor.

In einem Gespräch mit der deutschsprachigen „Allgemeinen Zeitung“ (AZ) nehme ich lobend zur Rede der Ministerin, selbstkritisch zu unserem Bundestagsbeschluss und zu den weiteren Perspektiven Stellung. (17. August)

Das Echo auf die Rede in Namibia ist durchweg positiv, ein regelrechter Durchbruch. Premierminister Theo-Ben Gurirab rief lt. AZ vom 18. August alle Namibier auf, die Entschuldigung zu akzeptieren. „Es hat von den deutschen Behörden ein ganzes Jahrhundert gebraucht, aber jetzt haben wir endlich die Worte gehört, auf die wir so lange gewartet haben und die für die Anerkennung der Menschenwürde unseres Volkes so wichtig sind“, sagte er in einer Regierungserklärung im Parlament. Ben Ulenga, Vorsitzender der größten Oppositionspartei Kongressdemokraten nannte die Rede das wichtigste Ereignis für Namibia seit Jahren. (taz 21.8.2004) Entgegen ersten Angaben hat Riruako aber nicht auf seine Wiedergutmachungsforderung und die eventuelle Wiederaufnahme der Klage verzichtet.

Vor der Ministerreise hatten der entwicklungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Christian Ruck, und seine Kollegin Christa Reichard die Ministerin aufgefordert, in Namibia „Farbe zu bekennen“ und „die Versöhnung mit den Herero, aber auch den Nama und Damara voranzubringen“.  Nach der Gedenkveranstaltung hieß es dann, die Ministerin habe sich „einen teuren Gefühlsausbruch geleistet“ und den Klagebetreibern vor US-Gerichten „überflüssige Munition geliefert“. Diese Fern-Kritik ist sachlich falsch und verkennt völlig die politische Dimension der Gedenkveranstaltung. Eine bloße Fortsetzung der bisherigen regierungsamtlichen Position hätte enormen Schaden angerichtet und das innenpolitische Klima, nicht zuletzt auch gegenüber den deutschstämmigen Farmern, angeheizt. Der Ministerin „exklusive Bevorzugung einer Bevölkerungsgruppe“ vorzuwerfen, ist abwegig und zynisch, wo es tatsächlich um Politik und Unterstützungen gegenüber Hauptleidtragenden der Kolonialkriege geht. Selbstverständlich ist dabei bewusst, dass eine solche Politik angesichts der sensiblen Beziehungen zwischen den vielen Ethnien des Landes nie exklusiv nur auf eine Volksgruppe gerichtet sein darf, sondern die Nama, Damara und San einbeziehen muss und der Politik der nationalen Versöhnung nicht zuwider laufen darf.

Nächste Schritte: In den kommenden Monaten kommt es darauf an, die besondere historische und moralische Verantwortung Deutschlands gegenüber Namibia – betont von Bundestag und Bundesregierung – auch gegenüber den Hauptleidtragenden der Kolonialkriege mit Leben zu füllen. Andernfalls würde die gute Rede der Ministerin zu einer Alibiveranstaltung entwertet – mit kritischen Konsequenzen auch für die innenpolitische Entwicklung in Namibia.

 



[1] zit. bei Drechsler S. 166

[2] Generalstabswerk Bd. I, S. 4,

[3] Drechsler S. 175

[4] Generalstabswerk Bd. I, S. 89

[5] ebenda. S. 19, S. 174

[6] Drechsler S. 170

[7] Aussage des Missionar Elger, zit. ebda. S. 169

[8] Generalstabswerk Bd. l, S. 186. Frauen und Kinder wurden niedergemacht, Kranke in ihren Hütten verbrannt. Drechsler S. 186

[9] zit. in Generalstabswerk Bd. I, S. 208

[10] zit. bei Drechsler S. 180

[11] Generalstabswerk Bd. I, S. 198

[12] ebenda. S. 207

[13] zit. bei Drechsler S. 184; vom Generalstabswerk verschwiegen.

[14] Generalstabswerk Bd. I, S. 214

[15] Schätzungsweise 600-700 Witbooi, 300-400 Bondelzwarts, 300-400 Bethanier. Leutwein S.

[16] Generalstabswerk Bd. II, S. 299 f

[17] ebenda S. 7

[18] Drechsler S. 224

[19] Generalstabswerk Bd. II, S. 13

[20] Karstedt S. 213

[21] BleyS. 191

[22] Drießler S. 199, 203

[23] Drechsler S. 214, 250 f

[24] ebenda S. 252

[25] ebenda S. 256. Wellington S. 217 f

[26] Drechsler S. 210

[27] Protokoll des Parteitages 1904, S. 203

[28] Bebel auf dem SPD-Parteitag 1907, Protokoll S. 132. Die Revisionisten um Bernstein unterstützten offen die Kolonialpolitik. Vgl. Bernstein S. 179 ff. Dokumente zum Verhältnis der SPD zum deutschen Imperialismus vor 1914 bei Heibig S. 70 ff.

[29] Protokoll des Parteitags 1905, 5. 78; 1911,5. 125.

[30] Rohrbach  S. 352, 361


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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