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Genauer Hinsehen: Sicherheitslage Afghanistan (Lageberichte + Einzelmeldungen) bis 2019
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Der Luftschlag von Kunduz 4. September 2009 - vor 10 Jahren: Beiträge zur Vorgeschichte und genauerem Hinsehen

Veröffentlicht von: Nachtwei am 3. September 2019 12:29:26 +01:00 (55068 Aufrufe)

Ab 2008 erlebte ich, wie in der bisherigen Hoffnungsprovonz Kunduz die Sicherheitslage immer brenzliger wurde, wie Warnungen von dort im politischen Berlin verdrängt, Chancen nicht genutzt wurden. Bis dann die Bomben platzten. Zu Vorgeschichte und Kontext des Luftschlages hier einige meiner Berichte und Stellungnahmen und die Rede zu einer Kunduz-Ausstellung.

Der Luftschlag von Kunduz am 4. September 2009:

Beiträge zur Vorgeschichte und genauerem Hinsehen

von Winfried Nachtwei (03.09.2019)

Der Luftschlag von Kunduz am 4. September 2009 war eine menschliche und politische Katastrophe. Die Zahlen der dabei getöteten oder verletzten Menschen variiert in den verschiedenen Untersuchungsberichten sehr stark: UNAMA nannte 109 Getötete und 33 Verletzte, die Afghanische Unabhängige Menschenrechtskommission AIHRC 102 Getötete namentlich; der NATO-Bericht sprach von 17 bis 142 Toten. Marcel Mettelsiefen und Christoph Reuter kamen nach monatelangen Recherchen im Raum Kunduz und auf der Basis jeweils mehrerer unabhängiger Quellen auf 90 namentlich identifizierte Getötete, alle männlich, vom Kind bis zum Greis. Wie viele davon Zivilisten waren, ließ sich unmöglich klären (: Mettelsiefen/ C. Reuter, Kunduz, 4. September 2009 – Eine Spurensuche, Berlin April 2010)

Als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Bundestages (1994 bis 2009) gehörte ich jahrelang zu den parlamentarischen Auftraggebern und Kontrolleuren des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Seit Januar 2004 war ich immer wieder vor Ort in Kunduz, zuletzt im Juni 2009 (danach auch am 15.-19.09. 2009, August 2010 usw.). In dieser Funktion hatte ich erhebliche Einblicke in die Vorgeschichte und den  Kontext des Luftschlages.

Da ich im Herbst 2009 aus dem Bundestag ausschied, habe ich nur die ersten Unterrichtungen zum Luftschlag erlebt, aber nicht mehr den Untersuchungsausschuss. (Abschlussbericht BT-Drucksache 17/7400 vom 25.10.2011, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/074/1707400.pdf  )

Weil bis heute Pauschalurteile aus der Ferne und dem Nachhinein verbreitet sind, hier einige Berichte, persönlichen Aufzeichnungen und Stellungnahmen zum Kontext der Konfliktentwicklung vor allem in der Provinz Kunduz:

(1) Persönliche Aufzeichnungen 04.09. Folgetage (Kladde XVIII)

(2) Besuch in Kunduz Juni 2009, Gespräch beim PRT-Kommandeur mit afghanischen Polizei- und NDS-Chefs

(3) Dokumentation  der Sicherheitsvorfälle in Afghanistan Nord März – September 2009,  „Sicherheitsvorfälle in der Region Afghanistan-Nord 2006 – April 2010“.

(4) Notizen zum Umgang mit Kunduz im Bundestag (persönliche Aufzeichnungen)

(5) ein zusammenfassender Kommentar zur Lageentwicklung in Kunduz von Anfang 2010

(6) Rede bei der Eröffnung der Ausstellung „Kunduz, 4. September 2009 – Eine Spurensuche“ von Marcel Mettelsiefen und Christoph Reuter am 23.04. 2010 im Kunstraum Potsdam

(Kunduzberichte III 2008-2009, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1241 )

(1) Erste Meldung am 04.09.2009(Persönliche Aufzeichnungen, Kladde XXVIII)

Am Bahnhof Tübingen erreicht mich morgens der Anruf meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Anja: „Luftangriff bei Kunduz mit 50-90 Toten. Sehr unklare Info-Lage"; 15 Stunden nach dem Ereignis aus dem BMVg nur ein 16-Zeiler! Telefonate mit Birnbaum/Tagesspiegel, Berliner Zeitung, J. Meyer, Hessischem Rundfunk …

05.09. Nach Berlin wg. BPA-Besuchergruppe: Trotz Samstag voller Stress wegen Kunduz. Pressemitteilung mit Jürgen (Trittin); Info-Papier; Interviews RTL, Bayer. Rundfunk, NDR

08.09. Unterrichtung der Obleute Auswärtiger und Verteidigungsausschuss im BMVg

a.o. Verteidigungsausschuss (auf Antrag Grüne) (ausführlich); Fraktionssitzung;

Plenarsitzung Bundestag: Regierungserklärung der Bundeskanzlerin

11.09. Obleute-Unterrichtung im BMVg (…)

(2) Kunduz-Besuch im Juni 2009 - Gespräch beim PRT-Kommandeur Oberst Klein mit dem Kommandeur der 2. ANA-Brigade, dem Polizeichef von Kunduz und dem NDS-Chef, General Majid (Auszug aus meinem Reisebericht „(Klein-)Krieg bei Kunduz – Weizenrekordernte nebenan“/13. AFG-Reise; Gesamtbericht unter  http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=11&aid=886 )

Lt. General Rasaq, ANP-Chef in der Provinz, sei Kunduz für die Islamisten ein strategischer Angriffspunkt, zumal der  ISAF-Nachschub vermehrt über den Norden, also durch Kunduz laufe.

Ein großes Problem sei der Polizei-Stellenplan (Tashkil). Im vorigen Jahr wurden durch Beschluss der Zentralregierung 537 Stellen gestrichen! Für ein Gebiet mit 450.000 Einwohnern gebe es ganze 96 Polizisten, davon 33 Offiziere. (Ein EUPOL-Beamter: Es gebe Distrikte von 30x30 km praktisch ohne Polizei.) Posten mussten von 8 auf 4 Mann reduziert werden. Polizisten müssen tagsüber kontrollieren und nachts kämpfen. Kürzlich wurden an einem Checkpoint 4 Polizisten erschossen. Viele entlassene Polizisten seien übergelaufen und kämpften nun gegen die eigenen Kräfte.

Der Polizeigeneral bezeichnet die Arbeitslosigkeit und damit tausende frustrierter junger Männer als Hauptgefahr. Ein wichtiger Machtfaktor seien die Mullahs. Der Gegner versuche diese durch Unterstützungen zu beeinflussen. Er schließt mit den Worten: „Bitte unterstützen Sie unser PRT!“

(Aus meinen Reisenotizen:) NDS-Chef („Schlitzohr“): Wenn die deutschen Freunde 10% der Wünsche erfüllen würden, gäbe es blühende Landschaften. „Wir brauchen Sicherheit und Aufbau.“

Seit einem Jahr habe sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert. Das habe verschiedene Gründe, darunter Fehler der Zentralregierung und der Internationalen Gemeinschaft.

Die Bürger von Kunduz wüssten die dt. Aufbauprojekte zu schätzen. Aber man sei nicht in der Lage, Tausende Jugendliche zu beschäftigen.

„Wir sehen unsere Feinde, sprechen mit dem PRT. Das kann aber die Feinde nicht austilgen. Wir kämpfen jede Woche mit Oberst Klein. Warum macht er da nichts.“ Das PRT solle besser ausgerüstet werden. Der PRT-Kommandeur dürfe nicht bombardieren – wegen Kollateralschäden. Notwendig seien mindestens zwei Hubschrauber, die „unsere Leute transportieren und ab und zu schießen“. (lachend)

(Nachträgliche persönliche Anmerkungen: Oberst Klein erleben wir als besonnenen, eher zurückhaltend auftretenden Offizier ohne jede Spur von Hau-drauf-Neigungen. Auf die „Drängelei“ des NDS-Chefs reagiert er äußerlich gelassen. In seiner Kommandeurszeit häufen sich die Gefechte wie nie zuvor. In mehreren Distrikten der Provinz Kunduz herrscht Guerilla- und Terrorkrieg. QRF-Soldaten berichten uns von einem Beispiel, dem

Gefecht am 4. Juni (Auszug aus o.g. Reisebericht): Vom 3.5. bis 14.6. lief die Operation „Sahda Ehlm“ in einem 30-km-Radius um Kunduz. Nordwestlich Kunduz liegen einige Ortschaften mit mutmaßlichen Aufständischen. Mit Checkpoints sollten ihre Bewegungen gestört werden. Gegen 16.30 Uhr wird ein Spähtrupp bei Aq Shakh beschossen. Der anrückende Verstärkungszug wird aus vorbereiteten Stellungen über mehr als einen km ca. eine halbe Stunde lang beschossen. Obwohl mehrere Aufständische getroffen wurden, greifen die Gegner weiter an. In einer Feuerpause beginnen ISAF- und ANA-Soldaten den Rückmarsch. An einer Kreuzung befinden sich viele Zivilpersonen, die angeblich von Aufständischen aus den Häusern getrieben worden seien (als Deckung für den Abtransport von Verwundeten). Danach kommt es zu einem dritten Hinterhalt. Die Soldaten werden von beiden Seiten mit Panzerfäusten in hoher Zahl beschossen, z.T. mehrere auf ein Fahrzeug. Bis zu vier A-10 der US-Airforce leisten mit Tiefflug und Flairs (Täuschkörper) Luftnahunterstützung. Wegen mangelnder Unterscheidbarkeit am Boden kommt es nicht zum Waffeneinsatz. Insgesamt ziehen sich Feuerwechsel und Gefechte mit Unterbrechungen über fünf Stunden hin. Auf der Seite der mehr als 80 Aufständischen werden mindestens 10 Tote gezählt, keine Verluste auf Seiten ISAF (ca. 120 Soldaten) und ANA. Einige Soldaten sind aber psychisch nicht mehr einsatzfähig.

Es heißt: Wäre die Verstärkung nicht rechtzeitig gekommen, hätten die ISAF-Soldaten mit ihrer besseren Ausbildung und Bewaffnung nicht den Kampf aufgenommen – und auch einige Male schlicht Glück gehabt -, hätte es auf Seiten der Bundeswehr höchstwahrscheinlich Tote und Verwundete in hoher Zahl gegeben. Zugleich behielt man in dem relativ dicht besiedelten Gebiet die Umsicht, zivile Opfer strikt zu vermeiden.

Die Gruppen- und Zugführer, d.h. junge Männer in den Zwanzigern vom Hauptfeldwebel bis zum     Oberleutnant, tragen die Hauptverantwortung vor Ort.

In den Tagen danach machten die Soldaten ein Debriefing durch, erst im Rahmen ihrer Gruppe/Teil-einheit, dann mit dem Militärpsychologen.

Unter den Soldaten ist der Drang nach schweren Waffen, vor allem Hubschrauberunterstützung unüberhörbar. Zu spüren ist der soldatische Grundmechanismus von Kriegen „entweder wir oder die“ und der kameradschaftliche Zusammenhalt als elementarer Antrieb.

Eigene Tote, Verwundete, Traumatisierte haben Bundeswehrsoldaten inzwischen schon etliche Male erlebt. Jetzt haben sie das getan, wofür sie militärisch ausgebildet sind, was sie bisher nie tun mussten – töten. Wie bewältigen sie das? Wie werden Staatsbürger in Uniform damit fertig – mit dem sich einbrennenden Film eines solchen Überlebenskampfes? Wie bewährt sich jetzt Innere Führung, die Bindung der Bundeswehr an die Werte des Grundgesetzes?

Ein Journalist, der schon einige Tage hier ist, beobachtet bei den Soldaten eine besondere Ernsthaftigkeit. Ein AFG-erfahrener dt. Diplomat in Kabul lobt die „entschlossene Besonnenheit“ der Bundeswehrsoldaten.

(3) Sicherheitsvorfälle Afghanistan Nord März – September 2009

(Gesamt 09/2006-04/2010, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=968 )

10.3. Beschuss des Plateaus Kunduz mit drei Raketen, davon eine an der Außenmauer des PRT eingeschlagen.

13.3. Raketeneinschlag im PRT Kunduz beim Hubschrauberlandeplatz, keine Explosion und Personenschäden.  Am 14.3. Raketeneinschlag 500 m außerhalb des PRT Kunduz, keine Personen- und Sachschäden.  Wenige km vom PRT Feyzabad bei einem Unfall eines Wolf MSS ein Soldat getötet.

In der Nordprovinz Jozjan der Führer des Kustapa Distrikts, die Chefs von Polizei, Geheimdienst und Kriminalabteilung und 6 Polizisten bei Überfall getötet. Jozjan gehört bisher  zu den relativ sichersten Provinzen Afghanistans. (Pajhwok News lt. LWR v. 20.3.)

In der Nacht vom 21. auf 22. März  in Imam Sahib nördlich Kunduz vor der tadschikischen Grenze Geheimoperation von US-Kräften (OEF? CIA?) gegen einen vermuteten hochrangigen Terroristen im Gästehaus des Bürgermeisters. Dabei wurden fünf Personen erschossen (es soll sich um einen Koch, Fahrer, privaten Wachmann + Verwandten und männliche behinderte Haushilfe handeln). Vier Personen wurden gefangen genommen und abtransportiert. Das PRT und ISAF war nur kurzfristig über die Landung von Transportmaschinen informiert. Von der Operation erfuhr man aus der Presse. Am Folgetag demonstrierten mehr als 1.000 Menschen friedlich.  (Am 2.4. erscheint im STERN eine Reportage des erfahrenen AFG (Irak) Reporters Christoph Reuter: Er beschreibt eine regelrechte Exekution! Mehrere Anfragen der Grünen an das Ministerium werden mit der Version der US-Presseverlautbarung beantwortet. Lt. Aussagen von verlässlichen Deutschen in Kunduz sei diese rundum erlogen. Vgl. „IWPR Probe Challenges US Account of Kunduz Killings“, 16.4., www.iwpr.net) )

24.3. bei Überfall auf einen von ANP geschützten Geldtransporter südlich Kunduz zwei Polizisten und ein Angreifer getötet.

26.3. innerhalb von 12 Stunden mehrere bewaffnete Zusammenstöße zwischen Militanten und ANSF in Ghormach/Faryab, wobei zwei Polizisten verwundet und fünf entführt wurden.

27.3. bei einem Hinterhalt in Kunduz zwei AFG Polizisten getötet. Zwei US-Soldaten im Camp Shaheen des 209. ANA Korps in Dihdadi/Balkh beim Sport durch einen afg. Wachsoldaten erschossen. Dieser nahm sich anschließend selbst das Leben.

28.3. IED-Angriff auf einen geschützten Versorgungstransport des PRT Kunduz nach Taloqan, kein Personenschaden und kaum Sachschaden.

April

3.4. Einschlag von 5 Raketen auf dem Plateau Kunduz außerhalb des PRT. Keine Personen- und Sachschäden.

Übergang vom 18. auf das 19. Deutsche Einsatzkontingent ISAF. Am 5. April doppelter Wechsel im PRT Kunduz: militärisches Kommando von Oberst Uwe Benecke auf Oberst Georg Klein, ziviler Leiter von Dr. Peter Ptassek auf Hermann Nicolai.

Am selben Tag nach feierlichem Spatenstich für die „Mischa-Meier-Brücke“ (Teilnahme von politisch Verantwortlichen der Provinz, Bevölkerung und PRT-Kommandeur) im Distrikt Chahar Darreh/Kunduz Beschuss der Foward Operation Base des PRT, Schusswechsel über mehrere Stunden, keine eigenen Personenschäden. Bei der Hinfahrt zur Feier war ein Dingo mit IED angegriffen und erheblich beschädigt worden. Am frühen Nachmittag auch Beschuss von Bundeswehrkräften südlich des PRT mit Raketen. Bei allen Vorfällen keine Personenschäden.

Kurz nach Besuch von Bundeskanzlerin  Angela Merkel in Kunduz gingen am 6.4. zwei Raketen außerhalb des PRT nieder. Die Taliban-Behauptung, die Raketen seien gegen die Kanzlerin gerichtet gewesen, sind nur begrenzt glaubwürdig. Die vielen Medien, die die Raketen in die Überschriften ihrer Berichte über den Merkelbesuch setzten, ließen sich  mal wieder  grob fahrlässig instrumentalisieren.

7.4. Rakete Richtung Plateau Kunduz nahe Flughafen, keine Schäden.

9.4. Beschuss einer dt. Patrouille durch mehrere Täter auf Motorrädern mit Panzerabwehrwaffen in Chahar Darreh/Kunduz, keine Personen- und Sachschäden.

12.4. 5 Raketen außerhalb des PRT Kunduz niedergegangen, keine Schäden. Beschuss einer ANP/ANA-Patrouille in Kunduz/Kunduz, je ein AFG Polizist und Soldat getötet.

13.4. IED-Anschlag auf eine Bundeswehrkolonne am Rand von Mazar, zwei geschützte Fahrzeuge beschädigt, kein Personenschaden.

14.4. nordwestlich von Kunduz schoss eine dt.-afg. Patrouille auf einen Motorradfahrer, der alle Warnhinweise und Warnschüsse missachtet hatte. Der Fahrer wurde verletzt und im PRT behandelt. Während des Rückmarsches der Patrouille um die Mittagszeit Beschuss mit Handfeuerwaffen durch mehrere Militante, Feuergefecht, keine eigenen Personen- und Sachschäden.

17.4. ein norwegischer Offizier durch IED bei Maimaneh/Faryab getötet.

21.4. Kommandoübergabe beim PRT Feyzabad an Oberst Sven Korweslühr von Oberst Peter Utsch.

Am späten Vormittag ca. 20 km  nordwestlich Kunduz dt. OMLT-Soldaten und ANA-Soldaten von Militanten beschossen, keine Personen- und Sachschäden.

23.4. Beschuss des Plateau Kunduz mit einer Rakete, keine Schäden.

26.4. nächtlicher Angriff auf das Distrikthauptquartier in Birka/Baghlan, wobei Feuer gelegt und ein Polizist getötet wurde.

25.4. IED-Attacke auf dt- Patrouille in Baharak/Badakhshan 40 km östlich des PRT Feyzabad, keine Personenschäden, leichte Sachschäden.

29.4. vormittags 15 km südlich Kunduz (PLUTO) Kfz-Selbstmordattacke auf dt. Patrouille, 5 Soldaten verwundet. Am selben Tag abends (16.25 Uhr dt. Zeit) Beschuss einer PRT-Patrouille mit Handfeuerwaffen und RPG 10 km nordwestlich Kunduz. Nach Durchstoßen des Hinterhalts zweiter Hinterhalt 5 km nordwestlich Kunduz. Beim Feuergefecht der 21-jährige Hauptgefreite Sergej Motz vom Jägerbataillon 292 aus Donaueschingen getötet, 4 Soldaten leicht verletzt. Bei diesem Hinterhalt begegnete Bundeswehr in Nord-AFG erstmalig einem militärisch operierenden Gegner. (Ein deutscher General: „Wie auf der Panzertruppenschule“) Es ist das erste Mal in der Geschichte des AFG Einsatzes und der Auslandseinsätze insgesamt, dass ein Bundeswehrsoldat im Feuergefecht fällt.  Alle anderen in AFG durch gegnerische Einwirkung gefallenen Soldaten waren durch Sprengstoffattacken, also nicht im Kampf getötet worden. Das widerlegt das von der Linken seit Jahren gepflegte Zerrbild, die Bundeswehr habe sich von Anfang an in AFG in einem Kriegseinsatz befunden.

An diesem Tag befindet sich Außenminister Steinmeier in Kabul.

Mai

6.5. in Dehna Ghori/Baghlan der Distriktgouverneur, sein Sohn und zwei Angestellte bei einem Überfall auf ihr Fahrzeug getötet.

In der Nacht vom 6. auf 7.5. in Varduj 60 km südöstlich von Feyzabad Festnahme des Terrordrahtziehers Abdul Razeq durch AFG Kräfte mit Unterstützung des KSK. Er soll verantwortlich sein für mehrere Anschläge, darunter auf eine deutsche Patrouille am 26.6.2008. Überstellung an die Schwerpunktstaatsanwaltschaft des Inlandsgeheimdienstes NDS. Erstmalig lüftet jetzt die Bundesregierung die bisherige Totalgeheimhaltung zu KSK-Operationen.

7. bis 8.5. stundenlanges Feuergefecht 12 km westlich von Kunduz zwischen 29 Soldaten einer dt. Patrouille, 100 ANA-Soldaten, 60 Polizisten und Militanten auf Motorrädern, die vorher die Patrouille mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten beschossen hatten. (Marco Seliger schildert am 10.6. in der FAZ, wie der Motorrad-Trupp zufällig von Hubschraubern entdeckt worden sei.) Die Bundeswehrsoldaten hatten daraufhin die Verfolgung der Angreifer aufgenommen. 7 Militante sollen dabei erschossen und 14 verwundet worden sein. Das BMVg gab bekannt, dass mindestens zwei Gegner von Bundeswehrsoldaten getötet worden seien. (Mit diesem Gefecht scheint auch ISAF/Bundeswehr ihre Taktik geändert zu haben: Bisher wurde bei Beschuss zurückgeschossen, um den Gegner niederzuhalten und sich selbst herauslösen zu können, wurde jetzt die Verfolgung aufgenommen.)

Seit Ende April im gesamten RC North Überschwemmungen durch starke Regenfälle: 14.000 ha landwirtschaftliche Nutzfläche überflutet, 50 Todesopfer, 25 Wassermühlen und 80 km Straße zerstört.

Seit 15.5. Operation des 209. ANA Korps in Ghormach/Badghis mit Unterstützung auch durch 150 deutscher Kräfte (Logistik, OMLT).

15.5. Beschuss einer Teileinheit der dt. QRF ca. 20 km westlich von Kunduz in Shuma Basar mit Handwaffen und Panzerfäusten, keine Personen- und Sachschäden. Im selben Raum Beschuss der QRF am Folgetag, keine Schäden.

25.5. ca. 4 km südlich Feyzabad IED-Explosion zwischen Fahrzeugen einer dt. Patrouille, leichter Sachschaden.

29./30.5. 30 Taliban und 9 ANA Soldaten bei schweren Kämpfen in Bala Murghab/Badghis getötet. 4 Soldaten werden vermisst. Wenige Tage zuvor waren drei ANA Soldaten getötet und zwei italienische Hubschrauber durch gegnerisches Feuer beschädigt worden. („Operation Storm“) Bala Murghabh gilt als Operationsmittelpunkt der Taliban im Nordwesten. Taliban Kommandeure behaupten, sie hätten allein in diesem Distrikt 74 Basen. Balamurghab und der benachbarte Distrikt Ghormach sind unter Taliban-Kontrolle.

30.5. in Imam Shahib/Kunduz der Distrikt-Kommandeur der Taliban, Qari Sidiqulla, durch Polizei getötet. Im selben Distrikt im Sharawan Gebiet 3 Militante bei einem Zusammenstoß getötet.

IED-Anschlag gegen das Fahrzeug des Gouverneurs von Kunduz, Mohammad Omar, auf dem Rückweg aus der Nachbarprovinz Takhar im Cheshma Shir Gebiet. Er und sein Fahrer wurden leicht verletzt.

Aufklärungskräfte der dt. QRF nahe Kunduz mit Handwaffen und RPG beschossen, Feuergefecht keine eigenen Personenschäden.

31.5. Beschuss einer dt. Patrouille in der Nähe von Chahar Darah mit Handwaffen und RPGs.

Juni

1.6. bei einem Angriff auf einen Polizeiposten nahe Kunduz 4 Polizisten getötet.

4.6. Beschuss eines Aufklärungstrupps des PRT Kunduz 15 km westlich von Kunduz mit Handwaffen und Panzerfäusten. Zwei Verstärkungszüge 11 km westlich von Kunduz über fast eine Stunde in mehrere Feuergefechte verwickelt. Auf dem Rückmarsch 8 km westlich Kunduz erneuter Beschuss durch Handwaffen und RPG. Bei den Gefechten über einen Zeitraum von ca. 5 Stunden  waren ca. 120  dt. Soldaten beteiligt und wurden mindestens 10 Gegner getötet, keine eigenen Personenschäden und keine Zivilopfer.  Luftnahunterstützung mit Tiefflug und Flairs; kein Waffeneinsatz wegen mangelnder Unterscheidbarkeit.

 6.6. bei Angriff auf Polizeiposten in der Provinz Fayab 4 Polizisten getötet.

In der Nacht vom 6. zum 7.6. Beschuss des FAO-Compounds am Stadtrand von Kunduz mit einer RPG, zwei Wachleute verletzt.

7.6. 15 km südlich von Kunduz IED-Anschlag  auf Infanteriezug des PRT Kunduz und anschließendes Feuergefecht, ein Angreifer getötet.  Ein Dingo schwer beschädigt.  Verstärkungskräfte ebenfalls beschossen, dabei zwei Soldaten verwundet, einer schwer.  (7. Gefecht seit Ende April!)

Zwischenbilanz der Operation Tofan (Sturm) in Ghormach/Faryab seit 11. Mai: Die Taliban seien zurückgeschlagen worden, lt. ANA-Kommandeur seien insgesamt 40 Aufständische getötet worden. Unter Zivilisten soll es keine Opfer gegeben haben. Jetzt wurden 500 Polizisten im Distrikt stationiert. Das Ringstraßenprojekt soll wiederaufgenommen werden.

12.6. Reportage auf „Al Jazeera International“ über Taliban in der Provinz Kunduz: Ein Taliban Kommandeur behauptet, er verfüge über hunderte Kämpfer; 12 Suizid-Bomber seien einsatzbereit gegen afghanische und ausländische Truppen. Gezeigt wird ein Taliban Checkpoint angeblich einige Kilometer nördlich Kunduz. Lt. Gouverneur Omar hätten die Taliban 100 bis 150 Kämpfer in der Provinz. (www.earttimes.org vom 16.6.)

Mehrstündiges Gefecht mit Luftnahunterstützung: Am 15.6. ca. 15 km  nordwestlich Kunduz Beschuss einer ANA Kompanie mit belg. OMLT mit Handwaffen und RPG; die zur Hilfe gerufene QRF befreit die afghanischen und belgischen Soldaten  aus der Umzingelung,  Bei der  angeforderten US-Luftnahunterstützung kommt es erstmalig zum Waffeneinsatz einer A-10 (Bordkanone und Rakete) im Nordosten.  An dem ca. sechsstündigen Gefecht  sind etwa 200 afghanische, dt. und belgische Soldaten beteiligt. 2 ANA Soldaten und mindestens 5 Angreifer wurden getötet.

Am 17.6. auf der Straße Kunduz-Shir Khan Erschießung von Mohammad Nazem Jamal, Chef des Öl-Departements von Shir Khan Harbour an der tadschikischen Grenze, Entführung des Fahrers.

23.6.  3 Zivilhelfer des „Development and Humanitarian Services for Afghanistan“ in Aqcha/Jowzjan (Nordwest) durch IED getötet.  In Chahar Darreh/Kunduz 6 km südwestlich des PRT Kräfte der Schutzkompanie mit Handfeuerwaffen und RPG angegriffen. Bei Ausweichmanöver stürzt ein „Fuchs“ in einen Wassergraben und überschlägt sich. Drei Soldaten ertrinken eingeklemmt in dem 2 m tiefen Wasser, vier weitere können trotz Beschuss gerettet werden. Mehrere A-10 Thunderbolt leisten Luftnahunterstützung mit show of force. (erstmalige Meldung eines Close-Air-Support-Einsatzes im Norden im Airpower Summary des Combined Air and Space Operations Center, 23.6., www.globalsecurity.org)

29.6. bei Feuergefecht in Baghlani Jadid/Baghlan mit ca. 30 Militanten 2 Polizisten und 6 Angreifer getötet.

Juli

Hauptkontingentwechsel vom 19. auf das 20. deutsche Einsatzkontingent ISAF.

6.7. 23 km südöstlich Kunduz im Distrikt Khanabad 4 US-Soldaten eines Police Mentoring Teams durch IED getötet.

8.7. dt. QRF zwischen Kunduz und Mazar mit Handfeuerwaffen und RPG beschossen, Durchbruch, keine Personenschäden.

9.7. in Keshem/Badakhshan 63 km südwestlich Feyzabad IED-Angriff auf Patrouille, keine Personenschäden.

14.7. 15 km westlich des PRT Kunduz Beschuss einer dt. Patrouille mit Handwaffen und Panzerfäusten, Durchbruch, keine Personenschäden. 75 km nördlich Meymaneh bei schwerem Verkehrsunfall 2 türkische Soldaten getötet, darunter der stellv. Kommandeur RC Capital.

19.7. in Chahar Darreh mehrere Feuergefechte zwischen ANA, Bundeswehr und Militanten, dabei erstmalig Einsatz des Schützenpanzer „Marder“, von Mörsergranaten (3). Durch Luftnahunterstützung (Bordkanone, Raketen) 5 Militante getötet, mehrere verwundet, lt. ISAF keine Zivilopfer. Beschuss des PRT Kunduz mit mehreren Raketen. Keine Personenschäden. Die Gefechte sind offenbar der Auftakt einer Großoperation gegen Aufständische im Distrikt Charah Darah/Kunduz. Unter Führung der ANA sind 800 ANA Soldaten (mit OMLT), 300 Bundeswehrsoldaten (QRF) und 100 ANP Polizisten beteiligt. Absicht ist, im Vorfeld der Wahlen in vier Wochen die in den letzten Monaten verlorene Kontrolle über den Distrikt zurückzugewinnen. Es ist der bisher größte Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan.

19.7. wurde an einer Stellung der Bundeswehr westlich des Ortes Charah Darreh ein Jugendlicher erschossen und 2 Zivilisten schwer verletzt, als ihr Kleintransporter mit hoher Geschwindigkeit auf eine Stellung der Bundeswehr zufuhr und auf Warnschüsse nicht reagierte. Die Verletzten wurden in den deutschen Feldkrankenhäusern in Kunduz und Mazar behandelt. Kontakt mit den Angehörigen wurde aufgenommen.

Bei seiner Bilanzpressekonferenz am 22.7. geht Minister Jung nur am Rand auf die Großoperation ein, die die deutschen Medien als Schlagzeile beherrscht. Außer über die Vorfälle vom Sonntag erhalten auch die Obleute des Verteidigungsausschusses vom Ministerium keinerlei Informationen über die Großoperation.

22.7. ein afghanischer Mitarbeiter der Dt. Welthungerhilfe in Takhar durch funkgesteuertes IED getötet, 4 verwundet.

23.7. in Angor Bagh/Balkh 3 Militante bei einem Angriff auf eine PRT-Patrouille getötet.

25.7.in Khanabad/Kunduz Beschuss der Fahrzeugkolonne von Mohammad K. Fahim (früherer Warlord und Verteidigungsminister, Karzais Vizepräsidentenkandidat), keine Verletzten. IED-Anschlag auf Bundeswehrpatrouille bei Kunduz, keine Personenschäden.

27./28.7. Abschluss der Operation der ANSF im Raum Kunduz: Am 24.7. Beschuss einer afghanisch-deutschen Patrouille in Chahar Darah mit Handfeuerwaffen, Feuergefecht und Luftnahunterstützung; ein ANA Soldat verwundet. Am Morgen des 25.7. IED-Angriff auf dt. Patrouille, kein Personenschaden, ein Dingo beschädigt. Lt. Spiegel 3.8. berichte der Chef des Distrikts Chahar Darah, dass Tage nach Abschluss der Operation „Adler“ „bis zu hundert Taliban-Kämpfer auf Motorrädern und Pick-Ups“ in ihr Kerngebiet südwestlich Kunduz zurückgekehrt seien.

28.7. Vorübung für die bevorstehenden Wahlen unter Leitung Kommandeur 209. ANA Korps mit ANSF, Independent Election Commission (IEC), UNAMA, UNDP und EU.

30.7. in Sayyad/Sar-e Pol mehrfach Beschuss finnischer Soldaten eines Teams der Election Support Forces mit Handwaffen, Luftnahunterstützung angefordert, nicht eingesetzt; keine Personen- und Sachschäden. Beschuss des Plateau Kunduz gegen 9.00 Uhr mit zwei Raketen, keine Personen- oder Sachschäden.

Feierliche Einweihung der Brücke über den Kokcha-Fluss in Badakhshan durch hochrangige afghanische Vertreter, dt. Botschafter und Kommandeur PRT Feyzabad. Die 150 m lange Brücke wurde innerhalb eines halben Jahres mit 3,2 Mio. Euro aus dem Haushalt des BMVg errichtet und heißt „Brücke der deutsch-afghanischen Freundschaft“.

August

In der Nacht zum 1.8. in Imam Shahib nördlich Kunduz Operation von US-Spezialkräften, ein Angehöriger der OMF verhaftet. RC North wurde rechtzeitig vorher informiert. (vgl. Spezialoperation vom 21.3. in Imam Shahib, die mit Zivilopfern und ohne jede Information an ISAF stattfand)

2.8. in Baghlan bei Angriff auf einen ANP Posten 8 Angreifer und 2 Polizisten getötet.

3.8. Entführung einer Frau im Bagh Shirkat Gebiet/Kunduz, die ihre Tochter auf eine Schule geschickt hatte. (Vorher waren Familien gewarnt worden, ihre Töchter nicht in Schulen zu schicken.)

7.8. mittags Beschuss von Soldaten der dt. QRF nordwestlich des Flugplatzes Kunduz mit Handwaffen, Schusswechsel, keine Schäden. Eine halbe Stunde später erneutes Feuergefecht, ein dt. Soldat am Arm verwundet. Zwei F-16 zur Luftnahunterstüttzung vor Ort, aber nicht eingesetzt.

10.8. Selbstmordanschlag im Raum Kunduz gegen einen ISAF-Konvoi, Attentäter getötet, darüber hinaus keine Personenschäden.

12.8. in Dashti Archi/Kunduz der Distriktpolizeichef und 2 Leibwächter bei Überfall getötet. Bei Folgekämpfen zwischen Polizei und Taliban lt. Provinzpolizeichef 2 Polizisten getötet und mehr als zwei Dutzend Taliban getötet oder verwundet.

13.8. in der Provinz Kunduz Überfall auf den Konvoi des Ex-Präsident und jetzigen Parlamentsabgeordneten Burhanuddin Rabbani, der unverletzt bleibt. Bei einem anschließenden Feuergefecht 4 Angreifer getötet. Lt. Polizeichef von Ali Abad/Kunduz bei Angriff von Militanten auf einen Polizeiposten  20 Angreifer getötet oder verwundet. (www.xinhuanet.com)

15.8. in Chahar Darreh/Kunduz dt. Patrouille von ca. 20 Militanten mit Handwaffen beschossen, ein Soldat leicht verletzt.

16.8. im Distrikt Kunduz 7 km nördlich des PRT Beschuss einer gemeinsamen dt., US-, ANA-Patrouille mit Handwaffen, Schusswechsel, Weitermarsch. Bei einem Taliban Hinterhalt ein ANA Soldat getötet, vier verwundet. 20 km südlich Kunduz zwei zivile Tanklastzüge in Brandgeschossen.

18.8. in Chahar Darreh/Kunduz 6 km südwestlich PRT dt. PRT Soldaten mit Handwaffen und RPG beschossen, keine eigenen Personenschäden. Ein Taliban Kommandeur und 9 Kämpfer während einer gemeinsamen Operation von afghanischen und US-Kräften in der Provinz Kunduz getötet. Am frühen Nachmittag 9 km südwestlich des PRT Feyzabad/Badakhshan Konvoi internationaler Wahlbeobachter mit IED angegriffen, 4 getötet.

19.8. in Imam Shahib/Kunduz 3 Polizisten bei OMF-Angriff auf Kontrollposten getötet, 5 entführt.  In Ghormach/Badghis 7 Polizisten durch RPG-Beschuss getötet.

20.8. in Baghlan/Baghlan mehrere Feuergefechte zwischen ANSF und OMF, Distriktpolizeichef getötet.

22.8. in Baghlani Jadid/Baghlan 5 Polizisten durch Mine getötet, 4 schwer verwundet.

25.8. ein Polizist durch Taliban in Kunduz getötet.

26.8. 7 Taliban Kämpfer bei einer Operation im Hazrat-e-Sultan Gebiet/Kunduz getötet. Der Direktor des Justiz-Departments in Kunduz-Stadt durch Kfz-Bombe getötet.

27.8. OMF-Angriffe auf zwei Police Mentoring Teams in Ali Abad/Kunduz u.a. mit Panzerfäusten. Unterstützung durch QRF und CAS, wodurch 7 Miltante getötet werden.

28.8. 7 Taliban Kämpfer in der Provinz Kunduz durch afghanische Kräfte getötet und 4 Mitglieder der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU, Al Qaida Verbindungen)

29.8. 14  km südlich Kunduz spät nachmittags Beschuss der dt. QRF mit Handfeuer- und Panzerabwehrwaffen, Feuerwechsel, weiterfahrt, keine eigenen Personen- und Sachschäden. In Kunduz/Kunduz am frühen Abend Beschuss einer dt. Patrouille mit Handfeuer- und Panzerabwehrwaffen, Feuerwechsel, Weiterfahrt, keine eigenen Personen- und Sachschäden.

30.8. in Ali Abad/Kunduz Beschuss einer dt. Patrouille zweimal mit Handfeuer- und Panzerabwehrwaffen, keine eigenen Personen- und Sachschäden.

Schwerpunkt im Bereich RC North in Post Election  Operations zusammen mit ANSF im Raum Kunduz.  Weiterer Schwerpunkt Distrikt Ghormach im Nordwesten.

September

1.9. ein Taliban Kommandeur im Qala-i-Zal-Distrikt von Kunduz durch ANP getötet.

2.9. 15 Taliban Kämpfer durch afghanische Kräfte in Qala-i-Zal/Kunduz getötet, angeblich auch der Taliban Schatten-Gouverneur von Kunduz, Mullah Abdul Salam. Lt. Matt Dupee in LWJ v. 2.9. schätzen verschiedene Quellen, dass südwestlich Kunduz (Chahar Darreh) um die 80 Militante mit Al Qaida Verbindungen, darunter Usbeken und Tschetschenen operieren. Fast ein Dutzend usbekische Kämpfer seien in den letzten Tagen getötet oder gefangen genommen worden.

3.9. 60 km nordöstlich Kunduz im Distrikt Dash-e Archi  Beschuss deutscher und afghanischer Kräfte mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten über eine Strecke von 4 km (!), 3 dt. Soldaten der Verstärkungskräfte des PRT Feyzabad z.T. schwer verwundet.  Hinzukommende zwei Züge der QRF mehrfach beschossen. Bei den Feuergefechten 11 Militante getötet. 7 Bundeswehrfahrzeuge beschädigt, dabei ein Dingo ausgebrannt.

3.9. abends Entführung von 2 zivilen Tanklastzügen an einem vorgetäuschten Checkpoint südlich von Kunduz durch Taliban und Ermordung eines der beiden Fahrer an Ort und Stelle. Auf Anforderung eines deutschen ISAF-Kommandeurs Luftangriff auf die beiden Fahrzeuge, die bei Überquerung des Kunduzflusses in Chahar Darreh 6 km südwestlich des PRT Kunduz stecken geblieben waren. Hierbei soll es nach anfänglichen unterschiedlichen Angaben zwischen 56 bis 90 Tote gegeben haben. Lt. anfänglichen Aussagen von Minister Jung seien keine Zivilpersonen zu Schaden gekommen, lt. Gouverneur Omar seien unter den 95 Todesopfern Dutzende Zivilpersonen. Der Bericht der „Untersuchungskommission“ des „Islamic Emirate Of Afghanistan“ vom 9.9. bringt Schätzungen von bis zu 120 Todesopfern, „alles Zivilisten“, und eine Namensliste von Opfern mit Alter, Dorf und Beruf (www.theunjustmedia.com; normalerweise sind die Zahlenangaben dieser Quelle äußerst überzogen). Der NATO-COMISAF-Untersuchungsbericht von Ende Oktober geht von bis zu 142 Todesopfern aus, davon etliche Zivilpersonen. Die Taliban hätten Sprit an die Bewohner verteilt. Es ist der bisher bei weitem größte und opferreichste Luftwaffeneinsatz im Norden Afghanistans. (Der erste Luftangriff mit Waffeneinsatz geschah in der Provinz Kunduz am 15.6.; am 16.8. wurden erstmalig in der Provinz zwei Tanklaster in Brand geschossen.)

5.9. in Ghormach/Badghis bei OMF-Angriff auf ANP Kontrollposten 2 Polizisten getötet.

9.9. Befreiungsaktion britischer Kommandoeinheiten für einen am 5.9. in Kunduz entführten westlichen und afghanischen Reporter. Der afghanische Reporter, 2 Zivilisten, ein Soldat und unbekannte Zahl von Militanten kommen dabei um`s Leben. In Kunduz/Kunduz Beschuss eines dt. Aufklärungstrupps mit Handwaffen, keine Personen- und Sachschäden.

10.9. in Taloqan/Takhar Beschuss von Teilen der PRT-Schutzkompanien aus Feyzabad und Kunduz mit Handwaffen und RPG, Feuerwechsel, ein Fuchs durch RPG leicht beschädigt.

11.9. in Kunduz/Kunduz Entdeckung eines IED, vernichtet. Luftnahunterstützung durch A-10 mit Präzisionsmunition.

12.9. im Dorf Wazir nahe Kunduz-Stadt am frühen Morgen 10 Militante durch Luftangriff bei einer Suchaktion gegen Kommandeure und Drahtzieher von Anschlägen. In Imam Shahib/Kunduz bei einem nächtlichen Angriff auf eine Polizeistation 7 Polizisten getötet, 2 vermisst.

15.9. in Taloqan/Takhar IED gegen dt. Patrouille, keine Personenschäden, Dingo beschädigt.

16.9. morgens 12 km südlich des PRT Kunduz Beschuss von Teilen der Infanteriekompanie des PRT mit Handwaffen und RPG, 40-minütiges Feuergefecht, ein Soldat schwer, 7 leicht verwundet, ein FUCHS beschädigt, Luftnahunterstützung (show of force und flares).

17.9. in Ghormach/Badghis ein ANA Soldat bei OMF Angriff getötet.

15.-19. meine letzte Abgeordnetenreise nach AFG: Kabul, Mazar, Feyzabad. Im Reisebericht „Jenseits der Wagenburgen: Die Chancen voll nutzen!“ ausführlich zur aktuellen Sicherheitslage im Norden.

Vorschlag des Regionalkommandeurs Brigadegeneral Vollmer:

Bisherige Operationen zur Rückgewinnung der Kontrolle über Gebiete mit Aufständischen-Einfluss/Dominanz wirkten wie ein Scheibenwischer. Die Militanten wurden rausgedrängt und kehrten nach Abzug von ISAF und ANSF wieder schnell zurück. Um Gebiete auch halten zu können, seien mehr Polizeikräfte unabdingbar. Zzt. hat die Provinz mit ihren 770.000 Einwohnern knapp 1.200 Polizisten. Das Soll liegt 200 Polizisten höher. Im Vorjahr hatte die Zentralregierung schon 537 Polizisten von Kunduz abgezogen, gegen den Protest des Provinzpolizeichefs. Ergebnis: Es gab Distrikte praktisch ohne Polizei.

Ausgehend von der Bevölkerungsdichte und Bedrohungslage berechnete ISAF einen Mehrbedarf von 2.500 Polizisten. Weil Kabul aber keine Aufstockung im  Norden finanzieren will bzw. kann, schlägt Vollmer vor, Deutschland solle für zwei Jahre die Polizeigehälter direkt zahlen – bei 140 $ pro Polizist und Monat wären das 9 Mio. $. Großbritannien habe das in Helmand mit 3.500 Polizisten gemacht. Die ruhigeren Wintermonate müssten für die Rekrutierung und Ausbildung genutzt werden. Ausreichend Ausbildungskapazitäten habe man dafür. JETZT müsse damit begonnen werden.

In der Bundespressekonferenz von Stefan Löwenstein/FAZ darauf angesprochen, wischten die Pressesprecher des AA, BMVg, BMI und BMZ den Vorschlag mit lakonischen Bemerkungen zur Seite: Deutschland zahle schon in den LOFTA-Fond ein. Außerdem sei eine Polizeiaufstockung Sache der afghanischen Regierung.

21.9. in Chahar Darreh/Kunduz Steilfeuer der ANA gegen eine Gruppe von 25 OMF, Ergebnis unbekannt.

25.9. Beschuss eines Konvois von 12 zivilen Lkw`s für die PRT Kunduz und Feyzabad mit Handfeuerwaffen; 2 Verletzte, 2 Lkw`s beschädigt.

26.9. in Archi/Kunduz gegen 2.00 Uhr morgens 18 Taliban durch ANP getötet, als ca. 250 Militante das Distrikt Hauptquartier mit Handfeuerwaffen angriffen. Ein Polizist wurde dabei getötet. In Imam Shahib/Kunduz 6 OMF getötet bei einem Angriff auf einen ANP Checkpoint getötet.

28.9. Übergabe Kommando PRT Kunduz von Oberst Klein an Oberst Kai Rohrschneider.

29.9. OMF-Angriff auf das Polizei-HQ im Distrikt Chahar Dareh mit Handfeuerwaffen, Abwehr auch mit Mörsern. (Keine Angaben über Personenschäden)

30.9. 2 dt. CH-53 Hubschrauber 3 km nördlich des PRT Kunduz mit Handwaffen beschossen, einer getroffen, keine Personenschäden.  In Darzab/Jozjan bei OMF-Überfall 1 ANA Soldat getötet, 2 verwundet.

Oktober

2.10. in Ali Abad/Kunduz zwei Tanklaster für ISAF mit RPG in Brand geschossen, anschließend Feuergefecht zwischen ANP und OMF, keine Bundeswehrbeteiligung.

(4) Umgang in Berlin mit der Zuspitzung in Kunduz

(Auszüge persönliche Aufzeichnungen Kladde XXVIII)

Verteidigungsausschuss 1. Juli 2009 (110. Sitzung, letzte planmäßige Sitzung in der Legislaturperiode):

„Parl. Staatssekretär: 23. Juni, 11.45 Uhr, Angriff auf Patrouille/Schutzkompanie westlich Kunduz-Fluss mit Handwaffen und RPG; Fuchs rutschte in Wassergraben, 2 m Wassertiefe, sieben Soldaten aus Heckklappe raus, drei eingeklemmt. Die zwei im Fahrerraum starben am Unfallort, der dritte war bei Befreiung tot, alle drei ertrunken. Drei weitere verwundet, psychische akute Belastungsstörungen. Bergung durch sporadischen Beschuss behindert. 12.17 Uhr close air support durch eine A 10, show of force. Zur Raumüberwachung Luna + Predator. Nach nicht bestätigten Meldungen drei Militante getötet.

35 Bundeswehrsoldaten bisher in Afghanistan gefallen.

22. Juli Bilanz-Pressekonferenz von Minister Jung: „Von 400 Distrikten 10% instabil, 360 stabil“!! (…) Selbstzufriedenheit sondergleichen. (…) Bei AFG streckenweise Realitätsverlust! Völlig fehlendes Problembewusstsein.

Verteidigungsausschuss 26. August 2009 (zusätzliche Sitzung nach 8 Wochen!)  :

Nw: Die Woche 10.8.-16.8. die schlimmste bisher!! Einfache Frage (auch im Hinblick auf den Wahlkampf): Warum Verschlechterung seit zwei Jahren? Was notwendig dagegen? (Meine Fragen nicht beantwortet)

Mein Schlusskommentar: „Wenn das heute mein letzter Verteidigungsausschuss war, dann war der Abschied nicht schwer! Es war eine notgedrungene Sitzung, dürftig angesichts der Zuspitzungen der letzten Monate. Vor allem die große Koalition hat offenbar kein sonderliches Info-Interesse (…) Die Antworten vom Parlamentarischen Staatssekretär auf meine Schlüsselfragen könnten nicht dürftiger ausfallen!“ (Meine letzte parlamentarische Initiative: Kleine Anfrage „Zur aktuellen Lage in Afghanistan“ vom 14.09.2009, Antwort der Bundesregierung 2.10.2009, http://nachtwei.de/downloads/drs/antwort_16-14057.pdf )

(5) Mein Kommentar zur Lageentwicklung in der Provinz Kunduz von Anfang 2010

Die Provinz Kunduz ist  inzwischen für die regierungsfeindlichen Kräfte der strategische Angriffspunkt  im Norden: Hier war eine Hochburg der Talibanherrschaft, von hier stammt Heckmatjar, hier bilden die paschtunischen Siedlungsgebiete (35% der 770.000 Provinzbevölkerung) einen Resonanzboden. Mit der Zunahme des US-/ISAF-Nachschubs aus Norden Richtung Kabul bekam Kunduz strategische Bedeutung. Die Reduzierung der Polizeistellen in der Provinz um 537 (ein Drittel!) und der Abzug eines ANA-Bataillons  in 2008 durch die Zentralregierung schwächte die sowieso schon schwachen Sicherheitskräfte.  Es gab danach Distrikte praktisch ohne Polizeipräsenz! Zum großen Teil eingesickerte Militante führen einen Terrorkrieg gegen afghanische Sicherheitskräfte und ISAF.  Die Lage in der Provinz Kunduz war nie stabil, aber noch September 2006 bis März 2007 relativ ruhig. Die Wende kam mit zwei Selbstmordanschlägen am 16. April 2007 (10 getötete Polizisten) und 19. Mai (3 dt. Soldaten 7 afg. Zivilisten getötet). Die Bundeswehr wurde immer mehr auf den Selbstschutz zurückgeworfen, die Distanz zwischen ISAF/Bundeswehr und Bevölkerung wuchs, die Attacken häuften sich. Nachdem es zunächst vor allem Raketenbeschüsse, IED-Anschläge und hit-and-run-Attacken waren, erreichte der Konflikt vom 29. April 2009 an eine neue Intensität: Seitdem führten die Aufständischen mit größeren Einheiten komplexe Hinterhalte und Angriffe durch, die militärische Führung und Ausbildung verraten und auf die Vernichtung ganzer Einheiten zielten. Wo ein bloßes Zurückschießen, Durchbrechen und Zurückziehen ins PRT nicht mehr möglich war, nahmen jetzt die deutschen Soldaten den Kampf auf. Das bedeutete einen faktischen Taktikwechsel.

(vgl. die präzise Darstellung von Marco Seliger: Kunduz – was läuft falsch? In LOYAL 1/2010; Erfahrungsbericht von Hans-Christoph-Grohmann/Thorsten Kasper/Jan Hecht:: Der Einsatz der QRF 3 in AFG vom 14.4. bis 18.10.2009, in: Der Panzergrenadier 26/Dez. 2009)

Erstmalig standen dabei deutsche ISAF-Soldaten während des AFG-Einsatzes über Stunden in Gefechten und töteten dabei allein am 4. Juni mehr als zehn Gegner. (7 Gefechte zwischen 29.4. und 12.6.)

Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik fiel am 29.4. ein Bundeswehrsoldat im Kampf.

Erstmalig kam es am 15.6. 2009 im Einsatzgebiet der Bundeswehr zu einem scharfen Luft-Bodeneinsatz mit Bordkanone und Raketen.  (Bis dahin blieb es maximal bei show of force.)

Erstmalig wurden am 19.7. in Chahar Darreh von Schützenpanzern „Marder“ (3) Mörsersprenggranaten verschossen.  (Noch im Juni 2009 mussten die Mörsergranaten vom Regionalkomandeur Nord freigegeben werden.)

Vor Ort in Kunduz herrschte im Juni 2009 die Einschätzung, dass die Bundeswehr nur dank der guten Ausbildung und angemessenen Operationsweise  ihrer jungen Soldaten einer Katastrophe mit vielen eigenen Toten entkommen ist.  Zugleich behielt man lange in dem relativ dicht besiedelten Umfeld die Umsicht, zivile Opfer strikt zu vermeiden.

Der Luftangriff vom 4. September gegen zwei entführte Tanklaster südlich Kunduz mit lt. COM-ISAF-Bericht bis zu 142 Toten, darunter vielen Zivilisten, war eine menschliche und politische Katastrophe – auch wenn er in nichtpaschtunischen Teilen der Provinzbevölkerung sogar Zustimmung fand. Rund um Kunduz ist inzwischen ständig mit illegalen Checkpoints zu rechnen, ist Aufbauarbeit zzt. nicht mehr möglich. Im Oktober hieß es,  5 der 7 Distrikte der Provinz seien unter dem Einfluss der Taliban, in Chahar Darreh gibt es eine Parallelverwaltung, -justiz etc. der Taliban. In der südlich anschließenden Provinz Baghlan sollen zwei Distrikte unter Taliban Kontrolle stehen. (Dies sind zusammen mit Ghormach im Nordwesten die acht von insgesamt 123 Distrikten im Norden, die als Kriegsgebiet gelten.)

Der Vorschlag des RC North Brigadegeneral Vollmer im September, 2.500 zusätzliche Polizisten auszubilden und für zwei Jahre von Seiten der Bundesrepublik zu besolden (bei 140 US-$/Kopf ca. 9 Mio. US-$ insgesamt), ähnliches hatte Kanada in Kandahar getan), wurde von der Bundesregierung abgelehnt.  Die frühere Hoffnungsprovinz Kunduz ist weggerutscht!

Mehrere Ursachen kommen hier zusammen: Die Taliban als wichtigste Aufständischengruppe setzten zunehmend ihren Angriffschwerpunkt im Norden auf die Region Kunduz, begünstigt durch den Rückstrom paschtunischer Flüchtlinge aus Pakistan und damit einher gehende Konflikte um Land etc.; schlechte Regierungsführung seitens des Gouverneurs und jahrelange Vernachlässigung des Polizei- und Armeeaufbaus; Ignoranz der Politik in Berlin gegenüber der Lageverschärfung in Kunduz, wo Bundeswehr wohl als Puffer zwischen alten Warlords wirkte, gegenüber  der anwachsenden Aufstandsbewegung aber immer mehr in die Defensive geriet und den Auftrag „sicheres Umfeld“, gar Schutz der Zivilbevölkerung immer weniger umsetzen konnte. Das ZEIT-Dossier „Das Kundus-Syndrom“ von Anita Blasberg und Stefan Willeke schildert diese verzweifelte Situation umfassend und eindringlich. (ZEIT 4.3.2010)

Verstärkt führen seit 2009 US-OEF-Spezialkräfte und ANSF in der Provinz eigenständige Operationen durch, über die Bundeswehr/ISAF anfangs nicht einmal informiert wurden. (vgl. die Geheimoperation von Imam Shahib im März 2009, als lt. glaubwürdigen Quellen 5 Mitarbeiter des Bürgermeisters regelrecht exekutiert worden sein sollen.) Offen ist bisher, ob solche Operationen zur Konflikteskalation in der Provinz beigetragen haben.

Der bisherige Höhepunkt war in der ersten Novemberwoche 2009 eine fünftägige Großoperation im Distrikt Chahar Darreh mit massivem Luftwaffeneinsatz , bei der über 130 Taliban getötet worden sein sollen. Inzwischen haben auch ehemalige Mujahedin-Kommandeure die Initiative übernommen haben.

Im Unterschied zu diesen kriegerischen Paralleloperationen blieb bei ISAF/Bundeswehr im Norden lange die Grundlinie, sich nicht in eine Gewalteskalation hineinziehen zu lassen, den Guerillakrieg wohl mit militärischer Gewalt, aber nicht generell mit Krieg zu beantworten.

Auch wenn das Regional Command North unter deutscher Führung bleibt, ist mit dem massiven US-Aufwuchs (allein 40 Hubschrauber) eine Verschiebung von Gewichten und Einfluss bei ISAF absehbar. Auch wenn sich inzwischen die US-Streitkräfte dem Primat des Schutzes der Zivilbevölkerung verpflichtet haben, bleiben Dissense: Im Rahmen der Counterinsurgency-Strategie (COIN) von US-/ISAF werden in den Shape- und Clear-Phasen offensive Kampfeinsätze und Targeting-Operationen gegen Aufständische und vor allem ihre Führungspersonen praktiziert. Beim Partnering mit den ANSF sind die ISAF-Ausbildungs-Teams „draußen“, mehr im Kampf und unter höherem Risiko. Wieweit kann, soll und darf Bundeswehr hier mitgehen?

Intime Afghanistan-Kenner wie Conrad Schetter bezweifeln grundsätzlich die Erfolgsaussichten einer COIN-Strategie, die bestimmte Gebiete in den Schritten shape, clear, hold, build stabilisieren will: Wo Gesellschaft in Netzwerken strukturiert sei, laufe eine territorial fixierte Strategie ins Leere.

Die öffentliche Diskussion in Deutschland wird durch mehrere Schräglagen beeinträchtigt: Statt einer Wahrnehmung der Gesamtlageentwicklung im Norden, in Afghanistan mit Pakistan herrscht ein Tunnelblick auf Bundeswehr in Kunduz; schon lange vor dem 4. September 2009 verweigerte die Bundesregierung jede Antwort auf wiederholten Fragen nach den Gründen des Abdriftens von Kunduz  und den notwendigen Schlussfolgerungen. Seit dem 4. September dominieren Fragen nach dem politischen Umgang (wer wusste wann was) mit dem Luftangriff, hierum kreist der Untersuchungsausschuss, nach dem 2. April 2010 dominierte wieder reflexhaft die Ausrüstungsfrage. Unübersehbar ist die zunehmende rhetorische Aufrüstung, die weit über den richtigen Anspruch von Klartext hinausschießt. Demgegenüber bleibt die Zentralfrage nach Lage und Wendenotwendigkeiten in Kunduz, wie ein offener Guerillakrieg eingedämmt werden kann, weitgehend ausgeklammert.

Seit längerem geraten bei der „Kriegs-Debatte“ Lage und Auftrag, taktische Ebene (offener Guerillakrieg  in einem Teil der  Distrikte) und strategische Ebene (Stabilisierungsunterstützung)  ständig durcheinander.  Krass beschönigend war das Jung-Mantra vom Stabilisierungseinsatz. Umgekehrt vereinfacht  derjenige die sehr verschiedenen afghanischen Realitäten, der pauschal „den Krieg erklärt“. Das wischt die Grunderkenntnis, dass mit Krieg die Konflikte in Afghanistan nicht zu lösen sind, beiseite, begünstigt eine Radikalisierung der Operationsführung und nimmt dem Afghanistaneinsatz  die letzte Legitimität und Perspektive. Wer kann es da noch verantworten und wagen, als Polizist, Entwicklungshelfer, Diplomat in ein solches Kriegsgebiet zu gehen?  Die Ironie ist: Während sich die USA vom unterschiedslosen und militärfixierten  „war on terror“ wegbewegen, marschieren Kriegsrhetoriker hierzulande in diese Sackgasse hinein.  (Vgl. meine Stellungnahme „Krieg in Afghanistan – Bundeswehr im Krieg!?“ 10/2008, aktualisiert 11/2009)

(6) Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Kunduz, 4. September 2009 – Eine Spurensuche“ von Marcel Mettelsiefen und Christoph Reuter am 23. April 2010 im Kunstraum Potsdam

Sehr geehrte Damen und Herren,

als langjähriges Mitglied des Verteidigungsausschusses habe ich den Afghanistaneinsatz mitverantwortet  und relativ häufig das Land besucht. Mir ist es auch deshalb ein Bedürfnis, hier zu sprechen, weil seit vielen Jahren die Auseinandersetzung mit einer verbreiteten Gleichgültigkeit gegenüber Opfern zu meinen politischen Triebkräften gehört.

Morgen findet die achte Trauerfeier für Bundeswehrsoldaten statt, die im Norden Afghanistans um`s Leben gekommen, gefallen sind. Bei allen bisherigen Trauerfeiern war ich dabei. Um den Toten auf den Erinnerungsfotos, ihren gleichaltrigen Kameraden, ihren Angehörigen ins Gesicht zu sehen, um zu spüren, welche menschlichen Konsequenzen unsere Politik hat.

Mir drängten sich bei diesen Trauerfeiern vor allem zwei Schlussfolgerungen auf:

-          Wir müssen HINSEHEN, uns unbedingt ehrlich machen!

-          Die politische Grundpflicht zum verantwortbaren Auftrag. Es reicht nicht, ihn nur sicherheitspolitisch zu begründen und zu rechtfertigen. Nein, er muss auch aussichtsreich, verantwortbar  sein!

Wie sah es damit in den letzten Jahren aus?

Ich erinnere mich an unseren Besuch in Kunduz im Mai 2007, in der Koranschule, die als was offener galt, freundliches Gespräch mit den Talib, den Koranschülern. Unsere BKA-Begleiter hatten die Lage nicht mehr ganz unter Kontrolle, aber es schien auch gar nicht so nötig.

Zwei Wochen später Selbstmordanschlag auf dem Markt von Kunduz, drei Bundeswehrsoldaten, sieben afghanische Zivilisten zerfetzt, tot. Die Bundeswehr zog sich daraufhin – verständlicherweise - auf den Selbstschutz zurück. Es war aber zugleich auch über etliche Wochen ein Rückzug vom Auftrag, für sicheres Umfeld zu sorgen.

Im Laufe des Jahres 2008 verschärfte sich die Lage weiter, ab April 2009 extrem: Seitdem immer wieder Gefechte, Gefechte, offener Guerillakrieg rund um Kunduz.

Für das in Kürze erscheinende, alljährliche Friedensgutachten hatte ich Gelegenheit, genauer zu untersuchen, wie es zu dieser Verschärfung kam, wie vor allem damit umgegangen wurde. Bei Briefings vor Ort in Kunduz erfuhren wir davon. Die Verschärfung wurde trotz aller Beschönigungsfilter dazwischen nach Potsdam und Berlin gemeldet. Aber auf politischer Ebene in Berlin wurde die Zuspitzung nicht wahrgenommen. Man wollte sie nicht wahrnehmen.

Nach unserem Obleutebesuch im Juni 2009 fragte ich die Bundesregierung mehrfach, warum die Provinz Kunduz so abgedriftet sei. Eine einfache Frage, nie eine Antwort!  Erfahren habe ich eine Struktur von Selbsttäuschung und Täuschung.

Nach dem Luftangriff vom 4. September erreichte diese Haltung ihren Höhepunkt.

Der eingesetzte Untersuchungsausschuss war notwendig, untersuchte aber nur verkürzt. Im Mittelpunkt stand und steht der nachtägliche politische Umgang mit dem Luftangriff, stehen innenpolitische Interessen  – und nicht, wie es über die Wochen und Monate zu der verheerenden Lage kam, wie die Offiziere und Soldaten der Bundeswehr dort in eine aussichtslose Situation geraten konnte. Im ZEIT-Dossier „Das Kundus-Syndrom“ ist das erschütternd dargestellt.

Jetzt wurde die langjährige deutsche Nabelschau auf die Spitze getrieben, wo neben den eigenen Soldaten die eigenen Entwicklungshelfer und Polizisten kaum Beachtung finden und getötete afghanische Polizisten in Kunduz gar keine. Der Blick ist nur auf die eigenen Stiefel gerichtet – und nicht auf das „Umfeld“, das zu sichern doch der Kern des Auftrags ist. Der Blick ging vor allem nicht auf unsere, der Politiker Hauptverantwortung.

ENDLICH jetzt Eure Recherchen,  die Ausstellung, das Buch. Christoph Reuter und Marcel Mettelsiefen lenken den Blick auf das Wesentliche, auf die Wesentlichen: auf die Verhältnisse, auf die Menschen in der ehemaligen Hoffungsprovinz Kunduz, auf die Toten und Verwundeten vom 4. September.

Im Guerillakrieg, erst Recht bei einer entfalteten Aufstandsbewegung verschwimmen Fronten, ist kaum unterscheidbar, wer Kämpfer, Unterstützer, Mitläufer, Freund oder Feind ist, die vielen Schattierungen dazwischen. Christoph Reuter und Marcel Mettelsiefen zeigen unabhängig von solchen Zuordnungsversuchen Menschen, die durch den Luftangriff am 4. September starben, die Söhne, Väter, Brüder verloren. Sie geben anonymen Opfern ihr Gesicht.

Wo Gewalt, Misstrauen, Feindschaft eskalieren, wo das Gift des Krieges wirkt, da lenken sie den Blick zurück auf die Menschen.

Für einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland, die zusammen mit ihren Streitkräften auf die Menschenwürde verpflichtet ist, wäre das eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Nicht mehr auf die Menschen zu sehen, würde dem Einsatz jeden Sinn rauben.

Großer Dank Euch für Eure mutige, menschliche Aufklärungsarbeit – der Politik zur aufrüttelnden Mahnung und Warnung!

Ich wünsche und hoffe, dass diese Ausstellung einen Wendepunkt markiert: zu Ehrlichkeit in der deutschen Afghanistanpolitik.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch