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Weitere Erinnerungsorte in Riga: Lipke-Memorial, KZ Kaiserwald, KGB-Haus, Okkupationsmuseum u.a. (Anhang zum Reisebericht Riga-Komitee und Artikel dazu)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 15. August 2017 14:45:07 +01:00 (26596 Aufrufe)

Vielfach gebrochene Geschichte: 1940/41 sowjetische Okkupation mit Massendeportation, 1941-44 deutsche Okkupation mit Völkermord an der jüdischen Bevölkerung und den Gefangenen des "Reichsjudenghettos", 1944-90/91 sowjetische Okkupation mit erneuten Massendeportationen ... Orte einer entstehenden europäischen Erinnerungskultur. Außerdem Artikel zur Gedenkreise.

Anhang zum Bericht von der

2. Gedenkreise des Dt. Riga-Komitees nach Riga 2017

(1)Berichte und Artikel zur 2. Gedenkreise des Riga-Komitees

- Erinnern an Verschleppung und Vernichtung in Europa, Eindrücke von einer Gedenkreise nach Riga, von Diane Tempel-Bornett, Juli 2017, auf der Seite des Riga-Komitees, Kassel:

http://www.volksbund.de/partner/deutsches-riga-komitee/meldungen/meldungen000/artikel/kann-man-gerecht-gedenken-erinnern-an-verschleppung-und-vernichtung-in-europa.html

- Deutsche Botschaft Riga, 2. Gemeinsame Gedenk- und Erinnerungsreise des „Deutschen Riga-Komitees“, http://www.riga.diplo.de/Vertretung/riga/de/Veranstaltungen/2017/2017RigaKomitee.html
- Bürgermeister auf Reisen mit dem Riga-Komitee – Mahnung für alle Zeiten, Westfälische Nachrichten, Telgte, 08.07.2017, http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Warendorf/Telgte/2896975-Buergermeister-auf-Reisen-mit-dem-Riga-Komitee-Mahnung-fuer-alle-Zeit

- Stadt Bocholt, Brücken gegen das Vergessen zwischen Bocholt und den in der Nazizeit deportierten Bocholter Familien schlagen, https://www.bocholt.de/rathaus/nachrichten/artikel/kultur-bocholt-steine-fuer-bikernieki/?type=98&cHash=fa62d4b56851f26abb3fdb6153f9ec22&print=1&no_cache=1
- Romy Richter, „Eine Geschichte des Grauens“, Leipziger Volkszeitung  26.07.2017, https://www.pressreader.com/germany/leipziger-volkszeitung/20170726/281724089617831 , https://linksunten.indymedia.org/en/node/219666
- Den Weg der Erinnerung weitergehen, Schweinfurter Nachrichten-SW-N.TV – Internetfernsehen (Würzburg), 21.07.2017, Fotos von Christian Weiß, https://www.sw-n-tv.de/2017/07/21/den-weg-der-erinnerung-weitergehen/

- Nicola Siegloch, Archivarin bringt Steine nach Riga, Schwäbische Zeitung 02.08.2017, Leutkirch, http://www.schwaebische.de/region_artikel,-Archivarin-bringt-Steine-nach-Riga-_arid,10713283_toid,407.html 
- Annette Schneider-Solis, Jüdische Tragödie und lettische Schuld – Auf den Spuren des Holocaust mit dem Riga-Komitee, Neues Deutschland, Berlin/Magdeburg 17.07.2017, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1057513.juedische-tragoedie-und-lettische-schuld.html

- Annette Schneider-Solis, Wo starb Herbert Goldschmidt?, Volksstimme (Magdeburg/Sachsen-Anhalt), 06.08.2017, http://www.volksstimme.de/sachsen-anhalt/drittes-reich-wo-starb-herbert-goldschmidt 

- Stadt Magdeburg, Steine für Bikernieki übergeben, https://www.magdeburg.de/Start/index.php?NavID=37.367&object=tx%7C37.16639.1&La=1

- Stadt Hannover, Delegation auf Gedenk- und Erinnerungsreise in Riga, https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Aktuelle-Meldungen-und-Veranstaltungen/Gedenk-und-Erinnerungsreise-nach-Riga
- Lukas Redl/Bundesgymnasium Wien 19/Döblinger Gymnasium, Steine für Bikernieki & Gedenk- und Erinnerungsreise nach Riga, http://www.g19.at/index.php/menu-geschpolwirtsch/627-steine-fuer-bikernieki-gedenk-und-erinnerungsreise-nach-riga

-Stadt Wien, Riga: Gedenken an die Wiener Opfer des Holocaust
https://www.wien.gv.at/presse/2017/07/11/riga-gedenken-an-die-wiener-opfer-des-holocaust

… zum Deutschen Riga-Komitee

- Deutsches Riga-Komitees, Broschüre, Flyer (auch englisch, lettisch und tschechisch), Ausstellungskatalog, Aufsätze, Transporte nach Riga, Das Buch der Erinnerung (mit Namenslisten aller Transporte), Städteliste, Ansprechpartner, http://www.volksbund.de/partner/deutsches-riga-komitee.html

- Nadja Grintzewitsch, Tagungsbericht über das 3. Symposium des Riga-Komitees, September 2016 in Osnabrück, H/SOZ/KULT, www.hsozkult.conferencereport/id/tagungsberichte-7033

- Winfried Nachtwei, Erfolgreiches 1. Symposium des Deutschen Riga-Komitees in Magdeburg, November 2012, http://www.gegen-vergessen.de/en/themes/detailseite/article/symposium-des-deutschen-riga-komitees-in-magdeburg-112012.html

- Bericht und Redebeiträge von der 1. Gedenkreise des Riga-Komitees 2010, http://www.volksbund.de/partner/deutsches-riga-komitee/redebeitraege-zur-gedenkveranstaltung-10-jahre-deutsches-riga-komitee.html ,

http://www.gegen-vergessen.de/archiv/detailansicht/article/10-jahre-deutsches-riga-komitee.html

- Einweihung der Gedenkstätte Riga-Bikernieki – 60 Jahre danach - Erinnerung an Ermordete bekommt Ort und Gesicht, Bericht Dezember 2001, http://nachtwei.de/druck/druck%20Bikernieki.htm

- Das Deutsche Riga-Komitee – Die Bedeutung Rigas im kollektiven Gedächtnis der Deutschen, in: Schuhe von Toten – Dresden und die Shoa, hg. von Gorch Pieken und Matthias Rogg, Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Ausstellungskatalog, Dresden Januar 2014, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1267

…zur Zukunft der Erinnerung 

- Navid Kermani, Auschwitz morgen - Die Zukunft der Erinnerung, Vortrag beim Festakt zum 20-jährigen Bestehen des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur am 6. Juli 2017 an der Ludwig-Maximilians-Universität München, am 7. Juli in der FAZ, Video: https://www.youtube.com/watch?v=E7NGFYOFKoM ;

Text: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/auschwitz-morgen-navid-kermani-ueber-die-zukunft-der-erinnerung-15094667.html

- Hanna und Wolf Middelmann, Dem Judenmord entkommen – Bericht über zwei Jahrzehnte unseres intensive Austausches mit den Überlebenden des Holocaust im Baltikum (mit Kurzportraits von Ghetto-Überlebenden, )Villa ten Hompel Aktuell 20, Münster 2014

(2) Weitere Erinnerungsorte in Riga

von W. Nachtwei

Grab von Alexander Bergmann, langjähriger Vorsitzender des Vereins der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands, gestorben am 12. Januar 2016 in Riga[1]

Sein Grab ist auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Smerlis.

Nördlich der Tramstation Sportes akademija (1, 3, 6) und Busstation Smerja iela/Smerlis (1, 12, 21, 40), Busse z.B. ab Brivibas boul., Station Terbates iela im Zentrum;

- Straße zum Friedhof links an der Sportakademie vorbei, Bahnübergang, dahinter rechts schon die Friedhofsmauer; nächste Straße rechts bis zum Eingang des Friedhofs;

- links vorbei am Gebetshaus dahinter auf die linke der beiden Längsachsen (Fahrweg/Allee) bis zum Feld 1 V auf der linken Seite (nach geschätzt zwei Drittel der Allee), zwischen der 15. und 16. Gräberreihe nach links,

- nach ca. 50 Schritten rechts der Grabstein von Josefine Bergmann, 1927-1986, Alexander Bergmann, 1925-2016, kyrillische Schrift auf Marmor, über den Namen eingraviert Zweig mit Blättern.

(Umgebung: schräg links in ca. 30 m Entfernung die Ostmauer des Friedhofs)

Die folgenden Kurzberichte zu weiteren Erinnerungsorten in Riga aus: W.Nachtwei, Gespaltene, traumatische Erinnerungen, Rückkehr von Abschreckung – und Kaltem Krieg? Erinnerungs- und sicherheitspolitische Beobachtungen in Riga, April 2015, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1363

Riga Ghetto and Holocaust Museum

Maskavas iela 14a, Speicherviertel in Nähe der Markthallen, seit 2010, Träger Association „Shamir“, Rabbi Menachem Barkan: Gestaltet überwiegend als „Freilichtmuseum“ mit nachgebautem Stacheldrahtzaun und Pflasterweg als Längsachse, gesäumt von einer 40-50 m langen und ca. 4 m hohen Info-Wand. Auf der Speicherseite das Namenmeer der ermordeten Rigaer Juden, auf der anderen Seite nach Fotos von Synagogen, jüdischen Familien, Verfolgung, die Namen der aus Deutschland, Wien und Theresienstadt nach Riga Deportierten nach Transporten, z.B. „Münster – Osnabrück – Bielefeld – Riga 13.12.1941“. Ein Holzhaus ist einem Ghettohaus nachgebaut. Darin Modelle verschiedener Synagogen, darunter der Choral Synagoge an der Gogolstr., und eine „typische Wohnung“. (http://www.rgm.lv/?lang=en mit virtuellem Gang durch die Straßen des ehemaligen Ghettos per Google Street View)

Zanis Lipke Memorial

auf der Daugava-Insel Kipsala (Lieblingsort von Johann Gottfried Herder), Mazais Balasta dambis 8. Das kleine Museum schließt unmittelbar an das Grundstück der Familie Lipke an. (http://www.lipke.lv/en ) Es erinnert an den früheren Hafenarbeiter Zanis (Janis) Lipke (1900-1987) und seine Frau Johanna, die während der deutschen Besatzung fast 60 lettisch-jüdischen Ghetto-Gefangenen das Leben retteten. Die erste Station der Rettungskette war ein Erdbunker unterhalb einer Holzscheune auf seinem Grundstück. Anfang der 90er Jahre konnte ich den Ort besuchen.

Das fensterlose Gebäude aus dunkelgrauem Holz erscheint wie ein umgedrehtes Boot an Land, wie eine Fähre oder die Arche Noahs nach erfüllter Mission. Die drei Ebenen des Gebäudes werden in der Mitte von einem Schacht durchbrochen, der den Blick von oben in den betonierten Bunker am Boden erlaubt. Auf 3x3 m waren hier acht bis zwölf Menschen oft über längere Zeitversteckt, an den Schachtwänden neun Kojen. Das Versteck wurde nie von den Nazis entdeckt, keiner von den Beteiligten erwischt.

Initiiert u.a. von dem ehemaligen Staatspräsidenten Maris Gailis, konzipiert von seiner Frau, der Architektin Zaiga Gaile wurde das Memorial am 30. Juli 2013 in Anwesenheit des israelischen und lettischen Präsidenten feierlich eröffnet.

Das Lipke-Memorial soll zunehmend auch eine Begegnungsstätte werden:

Zusammen mit anderen Einrichtungen wie der (neuen) Lettischen Nationalbibliothek erarbeitet man Angebote für schulische Projektwochen („Leben eines Kindes im 2. Weltkrieg“ – eines lettischen, eines jüdischen). Es entsteht eine Vorlesungsreihe über „Gefährliche Verbindungen von Geschichte und Phobien“. Geplant ist für Frühsommer 2016 ein Festival „Common Memories“ zusammen mit jungen, multiethnischen Schauspielern für SchülerInnen und junge GeschichtslehrerInnen.

Ort des ehemaligen KZ Kaiserwald (Mezaparks)

(Ca. 8 km vom Stadtzentrum nach Norden, vom Hotel Avalon mit Tram 2 bis Tilta iela 32, dann zu Fuß Tilta iela/Meza prospekts ostwärts über die Bahn wenige hundert Meter, Denkmal links vor eine kleinen dunkelgelben Holzkirche)

Rückblick: Im März 1943 gegründet, am 13. Oktober 1944 von der Roten Armee befreit. Kaiserwald war vor allem Durchgangslager für etliche Nebenlager und Einsatzorte für Zwangsarbeit (AEG, Balastdamm, Heereskraftfahrzeugpark, Lenta, Mühlgraben, Reichsbahn, Strasdenhof, Spilwe).[2] Hierhin kamen am 21.08.1943 7.874 Häftlinge des Rigaer Ghettos, das am 2. November 1943 aufgelöst wurde (Kinder und als arbeitsunfähig Eingestufte kamen nach Auschwitz), dann knapp tausend Häftlinge der Ghettos in Liepaja/Libau und Daugavpils/Dünaburg, 1.700 Frauen und 80 Männer aus dem Wilnaer (Vilnius) Ghetto und kleinere Gruppen aus Lagern in Litauen, Polen, Nordwest-Russland. Im Juni 1944, in der Umgebung wurde schon gekämpft, wurden 4.-5.000 ungarische Jüdinnen aus Auschwitz nach Kaiserwald transportiert.

Ewald Aul aus Osnabrück, der schwerstkrank im Krankenrevier lag, berichtete, täglich seien dort ca. fünf Kranke gestorben. Allein zwischen August 1943 und Frühjahr 1944 kam mehr als die Hälfte der Häftlinge von Kaiserwald ums Leben.

Am 6. August 1944 begann die Evakuierung von Kaiserwald mit der „Bremerhaven“, die 1.100 Männer und 900 Frauen unter katastrophalen Bedingungen an Bord Richtung KZ Stutthof bei Danzig brachten. Bis Anfang Oktober folgten drei weiterte Schiffe.

16. Oktober 1991 mit Ewald Aul und Irmgard Ohl vor Ort, wo beide vor knapp 48 Jahren inhaftiert waren und Zwangsarbeit leisten mussten (Irmgard bei AEG): Am Ort des früheren KZ` sind keinerlei Spuren zu finden, befindet sich jetzt eine Wohnsiedung. Aul „rekonstruiert die ungefähre Lagerbreite von 350 m (Außenzaun – Frauenlager – Männerlager – Außenzaun) und 400-500 m Tiefe, vorne SS.“ Im anschließenden Wald entdecken wir einen sandigen Hang. „A. erkennt es: eine sandkuhle, aus der sie Sand für die Barracken-Fundamente heranschaffen mussten. Auch hier wieder der Prozess sich verdichtender ERinerung: Keine Lkw-Zufahrt; holprige Strecke, über die die Lorengleise führten; der Abhang, wo es gefährlich steil runter ging. Erst ist er sich 90%ig, dann 99,9%ig, dann 500%ig sicher.“ (aus meinem Reisetagebuch Oktober 1991)

Januar 2016: Das heute schneebedeckte Denkmal wurde im Juni 2005 eingeweiht, entworfen von der Künstlerin Solveiga Vasiljeva, errichtet aus Mitteln der Stadt Riga und der Deutschen Botschaft. Inschrift auf dem Sockel (auch in Deutsch):

Zum Andenken der Opfer des nationalsozialistischen Konzentrationslagers „Riga-Kaiserwald“ und dessen Nebenlagern (Überschrift)

In den Jahren 1943-1944 befanden sich in den Haftstätten des Konzentrationslagers „Riga-Kaiserwald“ über 18 000 jüdische Häftlinge aus Lettland, Litauen, Deutschland, Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Der Großteil erlebte nicht die Befreiung

KGB-Haus („Eckhaus“)

Das 1912 errichtete Appartement- und Geschäftsgebäude an der Brivibas iela, Ecke Stabu iela beherbergte 1920-1940 Abteilungen des lettischen Innenministeriums, von August 1940 bis Juli 1941 und Oktober 1944 bis August 1941 das Volkskommissariat für Staatssicherheit (Tscheka), bzw. KGB. Seit 2007 steht das Gebäude leer, seit 2014 ist es teilweise für Ausstellungen und Führungen zugänglich.

Hier wurden die Deportationen vom 14. Juni 1941 (15.500 Menschen, 0,8% der Bevölkerung, nach Sibirien) und 25.3.1949 (über 42.000 Menschen, 2,4 %) organisiert. Hier wurden Verhaftete verhört, unter Druck gesetzt und – vor allem bis 1953 – gefoltert. Im Hof wurden bis 1941 ca. 100 Menschen hingerichtet.

Die Dauerausstellung im Erdgeschoss schildert den unbewaffneten Widerstand gegen die sowjetische Herrschaft bis in die 80er Jahre wie auch den bewaffneten antisowjetischen Widerstand der Jahre 1944 bis 1957 vor allem in den weiten Wäldern Lettlands. In der Hoffnung auf eine Intervention des Westens hatte er seinen Höhepunkt 1945 bis 1947. Laut Okkupationsmuseum sollen 20.000 Menschen am Guerillakampf beteiligt gewesen sein, unterstützt von etwa 80.000 Helfern aus der Zivilbevölkerung. Laut Tscheka sollen 12.250 Personen zum Widerstand gehört haben, seien bis 1956 2.407 Partisanen getötet und 5.489 gefangen worden. 498 seien zum Tode verurteilt und exekutiert worden. Auf sowjetischer Seite seien 111 KGB-Offiziere, 259 Soldaten und 735 lokale Kräfte getötet worden. Partisanen hätten auch 1.070 Zivilisten (angebliche Repräsentanten des Sowjetregimes, KP-Aktivisten, „Spione“) getötet.

Eine Gruppenführung geht durch den Zellentrakt, einen Verhörraum bis zum Erschießungshof.  (virtuelle Tour durch`s „Eckhaus“: http://skatskat.lv/virtuala-ture/stura-maja/lv/stura-maja.html

Bahnhof Tornakalns (Tornakalna Stacija)

erste Station nach dem Hauptbahnhof auf der anderen Seite der Düna: Von hier wurden am 14. Juni 1941 an die 15.424 Frauen, Männer, Kinder („staatsfeindliche Elemente“) in Viehwaggons nach Sibirien verschleppt. An den Gleisen steht einer dieser Waggons. Vor dem Bahnhofsgebäude erinnern ein Denkmal, Gedenksteine mit den Zielorten der Züge (Amurr, Omska, Novosibirska, Tomska, Workuta) und Informationstafeln an die Massendeportation. Dass ich nach 26 Jahren Spurensuche in Riga erstmalig hierher komme, gibt mir zu denken.

Okkupationsmuseum über die drei Okkupationen Lettlands 1940-1991

am Rathausplatz, während der Umbauarbeiten in der ehemaligen US-Botschaft. Raina Bulvaris (eröffnet 1993, http://okupacijasmuzejs.lv/en )

Der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 bestimmte in seinem Geheimen Zusatzprotokoll die Grenzen der deutschen und sowjetischen Interessensphären. Lettland, Estland und Finnland gehörten demnach zur sowjetischen Interessensphäre.  Nach dem deutschen Überfall auf Polen besetzte die Sowjetunion am 17. September das östliche Polen. Am 22. September 1939 fand in Brest-Litowsk eine gemeinsame deutsch-sowjetische Militärparade mit General Guderian und General Kriwoschein statt. (Fotos in The Baltic Times Mai 2015) Die Rote Armee konzentrierte Truppen an der estnischen Grenze und blockierte die estnischen Häfen. Am 27. September musste der estnische Außenminister in Moskau einen Vertrag über „gegenseitigen Beistand“ unterzeichnen, der sowjetische Militärstützpunkte in Estland vorsah. Einen ähnlichen Vertrag unterzeichnete Lettland am 5. Oktober. Er erlaubte die Stationierung von 25.000 Sowjetsoldaten im westlichen Lettland - mehr als die gesamte lettische Armee. Litauen unterzeichnete einen ähnlichen Vertrag am 10. Oktober. Finnland hingegen weigerte sich, woraufhin die Rote Armee Finnland am 30. November angriff. Der erbitterte finnische Widerstand verhinderte einen Sieg der Roten Armee und erhielt die Unabhängigkeit des Landes. Im Waffenstillstand vom 13. März 1940 musste Finnland aber ein Zehntel seines Staatsgebiets an die UdSSR abtreten.

Im November 2014 bezeichnete der russische Präsident Putin den Hitler-Stalin-Pakt als „friedenssichernde Maßnahme“. Kulturminister Medinskij wertete den Pakt kürzlich als „kolossalen Erfolg der Stalinschen Diplomatie“. (FAZ 12.5.2015)

Die erste sowjetische Okkupation begann am 15. Juni 1940 mit einem Angriff von Tscheka-Truppen auf drei lettische Grenzposten an der Ostgrenze, wobei drei Grenzschützer, eine Frau und ein Kind getötet wurden. Zehn Grenzschützer und 27 Zivilisten wurden entführt. Am 16. Juni, einem Sonntag, beschuldigte die Sowjetunion Lettland, den Beistandspakt verletzt zu haben, und forderte ultimativ binnen sechs Stunden die Bildung einer neuen Regierung sowie die Zulassung einer unbegrenzten Zahl sowjetischer Truppen. Die lettische Regierung gab nach. Am nächsten Tag besetzten Sowjettruppen Lettland. Inszenierte Massendemonstrationen, Parlamentswahlen am 14./15. Juli mit einer Einheitsliste und einem 97,6%-„Ergebnis“ waren die Zwischenstationen zum einstimmigen Beschluss des Schein-Parlaments, um Aufnahme in die Sowjetunion zu ersuchen. Ähnlich „freiwillig“ verliefen die Anschlüsse von Litauen und Estland. Die lettischen Streitkräfte wurden in die Rote Armee eingegliedert. Ihr Generale wurden zu Spezialkursen nach Moskau beordert und dort erschossen oder deportiert.

Mit Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und dem Rückzug der Roten Armee fielen Hunderte politische Gefangene in lettischen Gefängnissen dem Tscheka-Terror zum Opfer.

(Die Vertreter des russischen Staates bestreiten bis heute die historische Tatsache der Besetzung Lettlands am 17. Juni 1940.)

Die zweite - deutsche - Okkupation begann mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Riga am 1. Juli. Große Teile der lettischen Bevölkerung begrüßten die Wehrmacht als „Befreier“. Gestützt auf einheimische Kollaborateure wie das Kommando Arajs begann das Einsatzkommando 2 von Sicherheitspolizei und SD sofort mit der Verfolgung von Juden und mutmaßlichen Kommunisten. Schon am 4. Juli wurden alle Synagogen Rigas bis auf die in der engen Altstadt niedergebrannt. Hunderte Menschen verbrannten dabei. Den „Sommerexekutionen“ fielen ca. 6.000 Menschen zum Opfer. Die 30.000 Rigaer Juden wurden im Oktober im Ghetto in der Moskauer Vorstadt zusammengepfercht. Am 30. November und 8. Dezember wurden über 25.000 Rigaer Juden im Wald von Rumbula von Angehörigen des Einsatzkommandos 2 erschossen – um „Platz zu schaffen“ für die angekündigten Deportationszüge aus Deutschland, Wien und Theresienstadt. Dass Riga dann zum „Auschwitz der westfälischen Juden“ wurde, ist bis heute wenig bekannt.

Von den 73.000 lettischen Juden vor dem deutschen Überfall  überlebten insgesamt etwa 1.700, davon 1.200 in deutschen Lagern.

Nach Stalingrad wurden zwei lettische, der Waffen-SS unterstellte Divisionen aufgestellt, zum großen Teil aus Zwangsrekrutierten, zu rund 15% aus Freiwilligen. Viele Angehörige von Erschießungs-kommandos wurden Soldaten der Lettischen Legion. Knapp 20.000 Letten wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt.

Die dritte, sowjetische Okkupationerwuchs aus dem Vormarsch der Roten Armee, in die nun ca. 60.000 lettische Männer eingezogen wurden. (Etwa 200.000 wurden schätzungsweise insgesamt von deutscher und sowjetischer Seite in das jeweilige Militär eingezogen. Etwa die Hälfte fiel dabei.) Viele Letten flohen vor der anrückenden Roten Armee nach Westen. Rund 130.000 blieben für Jahrzehnte im westlichen Exil. Münster mit dem Lettischen Gymnasium und Zentrum galt lange als Hauptstadt der Exilletten im Westen.

Lettland wurde ein regelrechtes Militärlager. Weite Teile des Landes wurden für militärische Zwecke umgewidmet: als Truppenlager, Übungsgelände für Artillerie und Bombenabwürfe, Munitionslager, Atomraketenbasen,, Flugplätze, Marineeinrichtungen. Große Teile der Ostseeküste wurden Sperrgebiet. (Eine Karte im Volksfront-Museum zeigt die enorme Dichte an sowjetischen militärischen Einrichtungen in Lettland.) Die sowjetische Armee war auch an der inneren Repression und den Massendeportationen beteiligt. Offiziere konnten nach Ausscheiden aus dem Dienst in Lettland verbleiben. Bei Abzug der russischen Streitkräfte 1994 blieben rund 20.000 ehemalige sowjetische Armeeangehörige im Land.

Über Einwanderung und Ansiedlung veränderte sich massiv die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung, die durch Krieg, Deportation und Flucht ein Drittel der vormals zwei Millionen Einwohner verloren hatte. 1935 lebten in Lettland 1, 47 Mio. Letten (75%), 207.000 Russen und 271.000 andere; 1989 1,298 Mio. Letten (52%), 910.000 Russen und 373.000 andere.  In den größten Städten wurden die Letten zur Minderheit. Die zweite sowjetische Okkupation war eine Kolonisierung – Sowjetisierung und Russifizierung.

Ort gemeinsamer Erinnerung: Früher lag der Fokus des Museums auf den sowjetischen Okkupationen, wurden Nazi-Besatzung und Holocaust nur am Rande erwähnt. Das hat sich jetzt deutlich geändert: Der erste Raum behandelt bis Tafel 17 die erste Okkupation, der zweite und größte Raum (Tafel 18-32) die deutsche Besatzung, der dritte, kleinere Raum (Tafel 34-48) die dritte, sowjetische Okkupation und das „nationale Erwachen“. Im kleinen Buchladen gibt es vielfältige Veröffentlichungen zum Thema, so den Museumskatalog „1940-1991 Museum of the Occupation of Latvia“, Riga 2012; „The Case for Latvia – Desinformation Campaigns against a small nation“ des finnischen Journalisten Jukka Rislakki, Amsterdam 2014; Stefan Karner u.a. (Hg.) „Österreichische Juden in Lettland, Innsbruck 2010;

„Map of GULAG“ hg. Von Riga Memorial Society 1973; Meyer Meler, JEWISH LATVIA: Sites to remember- Latvia Jewish Communities Destroyeed in the Holocaust, Tel Aviv 2013

Ich erlebe an einem Sonntagnachmittag einen regen Besucherandrang überwiegend jüngerer Leute.

Das Okkupationsmuseum scheint mir der einzige Ort zu sein, wo die verschiedenen, konträren Leidens-, Opfer-, aber auch Tätergeschichten dieses kleinen Landes und Volkes zusammentreffen, wo gemeinsames Erinnern mit Empathie für die Leiden der anderen möglich wird.

Von 1920 bis 1940 erlebten die Letten erstmalig in ihrer Geschichte eine Phase nationaler Unabhängigkeit. Sie wurde zertrümmert von 51 Jahren totalitärer Okkupation, die sich jeweils auf eine gewisse soziale Basis und Kollaborateure im Land stützen konnten und mit massiver Propaganda einhergingen.

Es ist eine Bevölkerung, hin- und hergeworfen durch Weltkrieg und Kalten Krieg, erschüttert durch enorme Bevölkerungsverluste und –umwälzungen, gespalten durch traumatische kollektive Erinnerungen und unterschiedliche Loyalitäten.

Frappierend sind die Ähnlichkeiten zwischen der ersten Okkupation und heutiger „hybrider Kriegführung“ auf der Krim und in der Ostukraine!

Museum der lettischen Volksfront

Anfang der 90er Jahre besuchten wir das Zentrum der Volksfront in der Altstadt: ein emsiges Gewusel. Jetzt bin ich an einem Montag der einzige Besucher in dem über alle Etagen gehenden Museum.

Erste Proteste entzünden sich in der Sowjetunion 1986 nicht an politischen Themen im engeren Sinne, sondern an Umwelt- und Kulturstreitfragen: z.B. um das Projekt eines Wasserkraftwerk in Daugavpils. Wälder sollten gerodet, Bevölkerung umgesiedelt werden, nach dem Nutzen hatte niemand gefragt. Ein Artikel „Nachdenken über das Schicksal der Düna“ in der Zeitschrift „Literatur und Kunst“ brachte den Stein ins Rollen. Erstmals kam es in der Sowjetunion zu öffentlichen Protesten. 1987 wurden die Arbeiten gestoppt. Das wirkte ermutigend. Oder die Konflikte um eine künftige U-Bahn in Riga oder den Betrieb veralteter Papierfabriken und ihrer Abwässer. In Libau entstand die Menschenrechtsgruppe Helsinki-86. Anfang 1987 gründete sich der „Klub zur Verteidigung der Umwelt“ (VAK). Im November 1988  findet in der Skolas iela der erste Kongress der Gesellschaft für jüdische Kultur statt. Die Nr. 48 von „Literatur und Kunst“ handelte über Juden in Lettland. Ende der 80er Jahre gründete sich auch der „Verein der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Häftlinge Lettlands“ (LEGU).

Am historischen Datum des 23. August 1987 organisierte Helsinki-86 eine erste Großdemonstration zum Gedenken an die Deportationen vom 14. Juni 1941 am Freiheitsdenkmal. Am 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes bildeten 1989 – also noch zur sowjetischen Zeit – über zwei Millionen Menschen eine Menschenkette über 670 km von Talinn über Riga nach Vilnius.  Am 71. Jahrestag der lettischen Unabhängigkeitserklärung am 18. November 1988 demonstrierten in Riga rund 500.000 Menschen.  Bei erstmals freien Wahlen zum Obersten Rat der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik erreichten Kandidaten der Volksfront die absolute Mehrheit.

Am 4. Mai 1990, vor genau 25 Jahren,  erklärte der Oberste Rat der LSSR die Wiederherstellung der lettischen Unabhängigkeit. Die UdSSR versuchte den Unabhängigkeitsprozess durch Drohungen, Boykottmaßnahmen, schließlich auch durch die Besetzung wichtiger Gebäude zu stoppen – erfolglos. In Riga bewachten rund 100.000 Menschen die an wichtigen Punkten errichteten Barrikaden. In Sichtweite des jetzigen Okkupationsmuseums erinnern fünf Gedenksteine an die damals Erschossenen.

Mavrik Vulfson, führender Journalist, war zur sowjetischen Zeit der erste,  der von der ersten Okkupation 1940 sprach. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Aufdeckung des Originals des Hitler-Stalin-Paktes Der früher „lettischer Bärentöter“ Genannte, ist heute weitestgehend vergessen.

Der Unabhängigkeitsprozess der baltischen Staaten war ein historischer Sieg des gewaltfreien Widerstandes einer ganzen Gesellschaft – trotz sowjetischer Wirtschaftsblockade, Drohung mit Militärintervention und gewaltsamem Vorgehen der OMON-Spezialeinheiten. Begünstigt wurde dieser Sieg durch die strategische Schwäche der Sowjetunion und den Reformkurs von Michael Gorbatschow. Ab 1993 bis Ende 2001 unterstützten OSZE-Missionen Estland und Lettland bei der Integration ihrer starken russischsprachigen Minderheiten. (Dazu Sabine Machl im OSZE-Jahrbuch 2002, hg. vom IFSH, http://ifsh.de/file-CORE/documents/jahrbuch/02/Machl.pdf ) Der Unabhängigkeitsprozess im Baltikum hätte auch ganz anders verlaufen und in einen Gewaltkonflikt münden können.

Am 30. Juni wurde bekannt, dass die russische Generalstaatsanwaltschaft auf Antrag von zwei Duma-Abgeordneten die Rechtmäßigkeit der Anerkennung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten durch den Staatsrat der UdSSR in 1991 prüft. (http://baltische-rundschau.eu/politik/russland-prueft-legalitaet-der-unabhaengigkeit-der-baltischen-staaten/ )



[2] Franziska Jahn, Das KZ Kaiserwald – Herkunft und Lageralltag der Häftlinge“, Vortrag beim 3. Symposium des Dt. Riga-Komitees am 21.09.2016 in Osnabrück. F. Jahn promoviert zu Kaiserwald.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch