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Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

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Meine Stellungnahme zu den Leitlinien Friedensförderung der Bundesregierung: Deutlicher Fortschritt, aber mit Handicaps

Veröffentlicht von: Nachtwei am 29. Juni 2017 07:33:17 +01:00 (35088 Aufrufe)

Die Leitlinien "Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern" sollen die deutsche Politik auf diesem Feld angesichts der gegenwärtigen Krisenstürme stärken. Was bringen sie voran, wo hakt es? Hier meine Stellungnahme, jetzt in der erweiterten Fassung vom 1./11. Juli.

Deutlicher Fortschritt, aber mit Handicaps

Kommentar zu „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen,

Frieden fördern“ –

Leitlinien der Bundesregierung

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (1./11. Juli 2017)

Am 14. Juni 2017 beschloss das Bundeskabinett die Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern“ der Bundesregierung.  Wo sich seit einigen Jahren Krisen, Gewaltkonflikte und Kriege häufen und Europa immer direkter betreffen,  ist eine Stärkung des Politikfeldes Krisenprävention und Friedensförderung dringlicher denn je. Die Leitlinien lösen den Aktionsplan „Zivil Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004 und die „Leitlinien fragile Staaten“ von 2012 ab und sollen an das Weißbuch  zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr vom Juli 2016 und den 15. Entwicklungspolitischen Bericht der Bundesregierung vom April 2017 anschließen.

(http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/128/1812813.pdf ) Am 30. Juni debattierte der Bundestag am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause über die Leitlinien. ( Protokoll auf http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18244.pdf , S. 25164-25172) Das Weißbuch wurde vom Bundestag bisher nicht debattiert.

Der Debattenprozess „PeaceLab2016 Krisenprävention weiter denken“ begleitete die Erarbeitung der Leitlinien. Auf 29 Veranstaltungen mit über 1800 Beteiligten und mit über 130 Beiträgen auf dem PeaceLab-Blog diskutierten Wissenschaftler, zivilgesellschaftliche Akteure und Politik in einer Vielfalt, Intensität und Offenheit, wie es das bisher in Deutschland bei diesem Politikfeld noch nicht gegeben hat. Die Vertreter der Ressorts habe ich dabei als bemerkenswert beratungsoffen erlebt. Der Beratungsprozess verpuffte nicht, er hatte erkennbar inhaltliche Wirkung und soll in anderer Form fortgesetzt werden. Das zeigt sich schon in der Zusammenfassung des Debattenprozesses in einer  Broschüre des GPPi. ( http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensfoerderung/article/aus-dem-peacelab-in-die-praxis-die-leitlinien-als-kompass/ )

Zweck der Leitlinien: Sie sollen angesichts erheblich veränderter  außen- und friedenspolitischer Lage, enorm gewachsener Herausforderungen, aber auch Erfahrungen der deutschen und internationalen Politik der Krisenverhinderung, Konfliktbewältigung und Friedensförderung

-          eine klarere konzeptionelle Orientierung geben und

-          ihre Ansätze, Instrumente und Strukturen weiterentwickeln und stärken.

Der Fokus der Leitlinien wie seiner Vorgängerdokumente liegt auf innerstaatlichen (Gewalt-)Konflikten und fragiler Staatlichkeit als einer zentralen globalen, friedens- und sicherheitspolitischen Herausforderung. Zwischenstaatliche und Hegemonialkonflikte, Rüstungsspiralen und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, transnationaler Terrorismus, Cyber-Bedrohungen etc. werden nur gestreift.

(1) Zusammenfassung

Die Leitlinien verschaffen eine deutlich klarere Orientierung – mit einer realitätsnahen Lagebeschreibung, mit einem deutlichen friedenspolitischen Leitbild und höherem Stellenwert der Vereinten Nationen, mit der offenen Benennung von Zielkonflikten und Dilemmata.

Die Ansätze, Instrumente und Strukturen des Politikfeldes werden differenziert und angemessen entfaltet. Sie bleiben aber ohne jede Fundierung im Hinblick auf notwendige Kapazitäten und Ressourcen.  Das Dauermanko des Aktionsplans und seiner vier Umsetzungsberichte setzt sich in den Leitlinien fort: Kein Plan, ist erkennbar wie der erhebliche Aufgabenzuwachs kräftemäßig geschultert werden kann.

 

Meine Empfehlung: Der nächste Bundestag fordert von der Bundesregierung die Entwicklung einer mittelfristig angelegten „Konzeption Fähigkeiten Krisen verhindern/Frieden fördern (zivil)“.

(2) Lagebeschreibung „Weltordnung im Umbruch: Verantwortung übernehmen in schwierigen Zeiten“ (Kapitel 1)

Mit fragiler Staatlichkeit, Nationalismus/religiösem Fanatismus und gewaltbereitem Extremismus, Internationalisierten Konflikten, Bevölkerungsdynamik/Klimawandel und Naturkatastrophen, Flucht und Migration und dem tiefgreifenden Wandel der internationalen Ordnung werden zentrale Herausforderungen eines internationalen Krisenengagements  realitätsnah skizziert. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, nicht in Wunschdenken hängen zu bleiben.

Sehr richtig und begrüßenswert ist, wie deutlich die Agenda 2030, der New Deal for Engagement in Fragile States,  die VN-Resolutionen 1325 und 2250 sowie das Pariser Klimaabkommen als Referenzrahmen des deutschen Engagements zur Friedensförderung betont werden.

Ein blinder Fleck sind die „Eigenanteile“ (Verbündete der westlichen „Wertegemeinschaft“, der EU, Deutschlands) an Krisen-und Konfliktursachen - als wären Krisentreiber nur „die anderen“. Das ist ein notorischer Mangel regierungsoffizieller Grundlagendokumente in der Bundesrepublik generell. Regimechange-Interventionen wie im Irak, in Libyen und der entgrenzte „Krieg gegen den Terror“ sind besonders verheerende Beispiele für eine Politik der Brandbeschleunigung in Konfliktregionen durch westliche Mächte. Wer nicht selbstverständlich auch vor der eigenen Tür kehrt, mindert die eigene Realitätswahrnehmung und Glaubwürdigkeit erheblich.

(3) „Leitbild der Bundesregierung“ (2. Kapitel und Einleitung)

Eine Kernforderung in der Diskussion um die Weiterentwicklung des Aktionsplans war seit Jahren die nach einem friedenspolitischen Leitbild. Bisherige Grundlagendokumente von Bundesregierungen und Koalitionen begnügten sich mit Aussagen wie „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik“ (basta!) und der Feststellung, dass Deutschland im Rahmen des Völkerrechts handle. Die Leitlinien beginnen mit den Kernsätzen in der Präambel von Grundgesetz und VN-Charta (Friedensauftrag und wider die Geißel des Krieges). Die Förderung des Friedens in der Welt gehöre zu den zentralen Staatszielen, aus ethischer Verpflichtung und aus eigenem Interesse. Frieden sei das höchste Gut internationaler Beziehungen das in der VN-Charta verankerte allgemeine Gewaltverbot sei unverzichtbares Fundament jeder internationalen Ordnung. Deutsche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik folge der Vision eines positiven, nachhaltigen Friedens, wie sie in der Agenda 2030 ihren Ausdruck gefunden habe.

Der Einsatz für die universellen und unteilbaren Menschenrechte (der bürgerlichen und politischen, der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen) sei eine Querschnittaufgabe deutscher Politik.

(Zu legitimen Ordnungen, sozialem Zusammenhalt und Nachhaltigkeit; zu vereintem Europa)

Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gehöre die „Vermeidung von Krieg und Gewalt in den internationalen Beziehungen, das Verhindern von Völkermord und schweren Menschenrechtsverletzungen und das Eintreten für bedrohte Minderheiten sowie für die Opfer von Unterdrückung und Verfolgung (...) zur deutschen Staatsraison.“

Im Kasten zur Internationalen Schutzverantwortung heißt es, die Bundesregierung unterstütze zivile Ansätze im Rahmen des R2P-Konzepts. Ziviles Peacekeeping wird dabei als „erprobte Methodik, um Menschen vor Gewalt und schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen“, genannt.

Diese Aussagen zum Friedensauftrag stehen in engem Zusammenhang mit Sicherheitsverständnis der Leitlinien, wo neben dem Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Wahrung der Souveränität und territorialen Integrität Deutschlands und seiner Verbündeten die Dimension der menschlichen Sicherheit betont wird.

Mir ist aus den letzten Jahrzehnten kein Grundlagendokument der Bundesregierung bekannt, in dem der Friedensauftrag so durchdekliniert worden wäre. Wenn man bedenkt, wie der Diskurs in der außen- und sicherheitspolitischen Community oft läuft, dann ist das schon ein (positiv) starkes Stück. Dass die Vermeidung von Krieg und Gewalt in den internationalen Beziehungen und das Verhindern von Völkermord zur deutschen Staatsraison erklärt wird,  bedeutet eine enorme Aufwertung, sozusagen eine Höchsteinstufung unter den für den deutschen Staat maßgeblichen Werten, Interessen und Verpflichtungen.

Bemerkenswert ist, dass die Schutzverantwortung im Weißbuch 2016 im Unterschied zum Weißbuch 2006 nicht einmal benannt wird.

Deutschlands Interessen an nachhaltigen und stabilen Friedensordnungen schließen an den strategischen Interessen, wie sie zuletzt im Weißbuch formuliert wurden, an.

„Wie wir handeln“: Deutsches Engagement soll kontextspezifisch, inklusiv erfolgen und langfristig orientiert sein. Unterstützt werden sollen selbstbestimmte Entwicklungspfade zur Förderung legitimer Staatlichkeit. Gesellschaftliche Transformation sei eine Generationenaufgabe, die die Möglichkeit des Scheiterns beinhalte.

Die Leitlinien benennen konkret Zielkonflikte und Dilemmata, betonen die Unberechenbarkeiten und erhöhten Risiken des Handelns in Krisen und Konfliktländern, wo es keine Erfolgsgarantien gibt, Rückschläge unvermeidbar und Einwirkungsmöglichkeiten externer Akteure sowieso begrenzt sind. Solche Hinweise zeugen von politisch-praktischen Erfahrungen im Autorenteam, sie wirken überhöhten Erwartungen entgegen und fördern Realitätstüchtigkeit und Wirkungschancen.  Das dafür notwendige Aushalten und Durchhalten, eine Fehlerkultur und eine gewisse Risiko-Inkaufnahme müssen gerade auch von „der“ Politik gefördert, dürfen nicht von ihr unmöglich gemacht werden.  Das ist eine erhebliche Herausforderung für den gängigen Politikbetrieb.

„Primat der Politik und Vorrang der Prävention“

In den Umsetzungsberichten zum Aktionsplan war seit Jahren die zunehmende Fokussierung auf Konfliktnachsorge auffällig und die Vernachlässigung der Primärprävention.  Dass die Leitlinien den Vorrang der (Gewalt)Prävention betonen, ist überfällig und richtig. Erst das Ziel, dann die Mittel. Da Prävention (längst) nicht immer gelingt (und gelingen kann), bleibt Krisenreaktion aber weiterhin unverzichtbar. Wenn es heißt, „wo immer möglich geben wir zivilen Maßnahmen der Konfliktlösung den Vorrang“, ist das keine Leerformel – außer man geht von einem ausschließlichen Vorrang von Zivil aus. Wer für das rechtsstaatliche Gewaltmonopol nach innen und außen verantwortlich ist, kann einen ausschließlichen Vorrang von zivil nicht vertreten.

Auf der anderen Seite wäre hier mehr Ehrlichkeit angebracht gewesen.  Denn in der Vergangenheit wurde der grundsätzliche Vorrang politischer und ziviler Krisenprävention immer wieder durch ihre strukturelle und andauernde „Unterernährung“ unterlaufen.

Der Einsatz völkerrechtlich zulässiger Gewalt bleibe für deutsche Politik „ultima ratio“, also äußerstes Mittel, und müsse eingebunden sein in eine umfassende politische Strategie. Das entspricht dem Tenor der kirchlichen Friedensdenkschriften und ist erheblich was anderes als die nicht seltene Denke, Militär zur entgrenzten „Interessenverteidigung“ einzusetzen.

Zwischen den Ressorts der Bundesregierung gibt es, so mein Eindruck, allerdings kein gemeinsames Verständnis von Strategie. Die richtige Forderung nach Einbettung von Maßnahmen in eine Strategie würde die geschäftsführende Politik vor besondere Herausforderungen stellen.  Denn bisher war die Strategieschwäche bis Strategielosigkeit ein Merkmal deutscher Kriseneinsätze.

(4) Ziele, Ansätze und Instrumente der Friedensförderung (3. Kapitel)

(in Stichworten)

- Die strategischen Handlungsfelder der Leitlinien (Legitime Politik, Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit, Wirtschaft und natürliche Lebensgrundlagen, Staatseinnahmen und öffentliche Dienstleistungen) führen in anderer Gruppierung die drei strategischen Ansatzpunkte des Aktionsplans (Förderung legitimer Staatlichkeit, von Friedenspotenzialen und Lebenschancen) fort.

- Hilfreich ist die eindeutige Klarstellung der elementaren Prinzipien der humanitären Hilfe. Sie schließen ihre Vereinnahmung durch einen falsch verstandenen vernetzten Ansatz aus.

- Der Fähigkeitsschwerpunkt Friedensmediation und Verhandlungsunterstützung ist ein wichtiger Fortschritt und sehr zu begrüßen. Auf diesem Feld ist in den letzten Jahren einiges ins Laufen gekommen.

- Besonders vielfältig sind die Ansätze zur Förderung legitimer Staatlichkeit und lokaler Friedenspotenziale.

- Sicherheit mit Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, Rüstungsexportkontrolle (die eklatanten Widersprüche zwischen dem restriktiven Anspruch und der Realität von oft unsäglichen Rüstungsexporten in Krisengebiete bleiben ausgeblendet), Ertüchtigung sowie Ausbildungs-und Ausstattungshilfe im Bereich Polizei, Militär, Zivil- und Katastrophenschutz, Auslandseinsätze der Bundeswehr (sieben der elf aufgeführten Aufgabenfelder dienen der Gewaltverhütung und –eindämmung), Internationale Polizeimissionen  (im Mai legte die Bundesregierung ihren ersten Bericht zur deutschen Beteiligung an Internationalen Polizeimissionen vor; solche Berichte sollen künftig jährlich erscheinen und im Bundestag debattiert werden – endlich! Aber mehr als 20 Jahre nach Start unglaublich spät!)

- Rechtsstaatlichkeit mit Internationalem Strafgerichtshof, Vergangenheitsarbeit und Versöhnung  (unverständlicherweise finden hier Kirchen/Religionsgemeinschaften kein Erwähnung, obwohl sie teilweise über erhebliche Erfahrungen im Umgang mit gewaltbelasteter Vergangenheit verfügen)

- Wirtschaft, soziale Kohäsion und natürliche Lebensgrundlagen.

(5) Früher – entschiedener – Substanzieller: Strukturen und Partnerschaften zur Friedensförderung (4. Kapitel)

(a) Der ressortgemeinsame Ansatz: Im Unterschied zu vor zehn Jahren ist er jetzt vom Anspruch her bei den verschiedenen Ressorts angekommen. Es bleibt eine höchst unterschiedliche Wahrnehmung seiner Umsetzung. Die Leitlinien schweigen dazu.

Die Formulierungen zur Stärkung der Krisenfrüherkennung bleiben zu vage. Verzichtet wird auf einen Ort der integrierten Krisenfrüherkennung nahe an der politischen Leitungsebene. Ressortgemeinsam ist nur eine anlassbezogene oder mindestens alle sechs Monate tagende Ressortrunde Krisenfrüherkennung – Horizon Scanning für gemeinsame Lageeinschätzungen zu potenziellen Krisen geplant.

Bei der Ressortkoordination in der Steuerung und Planung, Herzstück einer kohärenteren Friedensförderung, kam es nicht zum notwendigen Durchbruch. Im Gegenteil: Wegen des Dissenses zwischen den Ressorts verzögerte sich die Kabinettsbefassung der Leitlinien und wuchsen Befürchtungen,  dass es vor Sommerpause und Ende der Legislaturperiode gar nicht mehr zu einem Kabinettsbeschluss kommen könne.

Per Protokollnotiz zum Kabinettsbeschluss wurde eine befristete Übergangsregelung für die Federführung in der Koordination der Steuerungsgruppe auf Abteilungsleiterebene vereinbart. Hieraus soll in einem halben Jahr eine endgültige Regelung erwachsen.

(b) Partner in der Umsetzung: Die Rahmenbedingungen für den Personaleinsatz im Ausland (für zivile Krisenprävention und Friedensförderung insgesamt) haben sich z.T. erheblich verschärft. Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten schrumpfen. Spektakulär, aber weitgehend unbekannt ist, dass allein für die GIZ ca. 17.000 Menschen im Ausland, überwiegend Einheimische arbeiten. Ob die Personalkapazitäten für die verschiedenen Aufgabenfelder ausreichen oder einen Aufwuchs benötigen, wird nicht thematisiert. Das gilt für Polizisten, Rechtsstaatspersonal und Fachkräfte des zivilen Friedensdienstes gleichermaßen. Das gilt ganz besonders für die Schlüsselfähigkeit Analysekapazitäten für ein besseres Konfliktverständnis.

(c) Internationale Partnerschaften

Hier sind EU und Vereinte Nationen zentral. Zusammen mit den Aussagen zu den VN-Normen im Leitbild läuft das auf eine im Vergleich zum Weißbuch erheblich höheren Stellenwert der VN hinaus. Dass die Unterstützung und Stärkung der VN für deutsche Politik „strategische Priorität“ bekommen muss, wird besonders hervorgehoben.

(d) Zivilgesellschaft, Wissenschaft und weitere nicht-staatliche Partner in Deutschland

Das erweiterte Mandat des Beirats (Beratung der Ressorts, Entwicklung eigener konzeptioneller Beiträge, Förderung des Austausches mit der Fachöffentlichkeit) entspricht weitestgehend unseren Forderungen. Der Knackpunkt bleiben die bisher unzureichenden Unterstützungsstrukturen.

(AG FriEnt, Wissenschaft, Religionsgemeinschaften, politische Stiftungen, Wirtschaftsunternehmen)

(e) Monitoring und Evaluierung: Überfällig war die „Wiederbelebung“ des Do No Harm Grundsatzes, der im Aktionsplan besonders herausgestellt worden war, dann aber nur in der Entwicklungszusammenarbeit Beachtung fand. Jetzt hat er für alle Ressorts zu gelten.

Rückenwind bekommt die Evaluierung auf Ebene der Ressorts. Die große Herausforderung der ressortgemeinsamen strategischen Evaluation wird nur vage thematisiert. Dabei geht es hier um ein politisches Versagen erster Güte: Zu den deutschen Beteiligungen an internationalen Krisenengagements und –Einsätzen gibt es wohl ein Fülle von Einzelstudien, aber keine systematische, unabhängige Wirksamkeitsanalyse und Evaluierung. Dass das diplomatisch-militärisch-zivile Afghanistanengagement Deutschlands bis heute nicht evaluiert wurde (Norwegen u.a. machten es vor), ist ein schwerer Fall von verweigerter Verantwortung!

Die Ankündigungen ressortübergreifender Aus- und Fortbildung, insbesondere zur gemeinsamen Postenvorbereitung, und der Aufbau einer ressortgemeinsamen Lernplattform sind sehr zu begrüßen. Das gilt umso mehr, als die gemeinsame Einsatzvorbereitung, zumal durch Übungen, und kontinuierliches, institutionalisiertes Lernen noch sehr zurück liegen. Konterkariert wird dieser richtige Vorsatz durch das Rotationsprinzip in den Ressorts. Ein Beispiel: Etliche der AA-MitarbeiterInnen, mit denen der Beirat in den letzten zwei Jahren zusammengearbeitet hat, verlassen in Kürze die neue Abteilung S schon wieder.

(f) Umsetzung und Folgeprozesse der Leitlinien

Dass die Bundesregierung den bei PeaceLab2016 begonnenen Dialogprozess mit den verschiedenen Akteuren in geeigneter Form fortsetzen will, kann man nur unterstützen.

Sie will ihre Kommunikationsaktivitäten ausweiten und dafür eine ressortgemeinsame Arbeitsgruppe einrichten, „die dem Ressortkreis berichtet und durch den Beirat beraten wird.“

Eine so schwache Formulierung wird der strategischen Bedeutung der Aufgabe öffentliche Kommunikation der zivilen Krisenverhinderung und Friedensförderung nicht gerecht. Die strukturelle „Unsichtbarkeit“ und schwere mediale „Verkäuflichkeit“ des Politikfeldes erfordert besondere professionelle Anstrengungen. Die wurden seit dem Aktionsplan immer wieder angemahnt, aber kaum erbracht. Positive Ausnahmebeispiele waren und sind Peace Counts und die gerade eröffnete Wanderausstellung „FRIEDEN MACHEN“. (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1480 )

(g) Selbstverpflichtungen: Am Ende der Leitlinien sind rund 50 Selbstverpflichtungen der Bundesregierung aufgelistet. Das fördert Übersichtlichkeit und Überprüfbarkeit. 21 von ihnen beinhalten eine Stärkung, Fortentwicklung und einen Ausbau von Maßnahmen.  Dieser Aufgabenzuwachs ist offenkundig nur mit einer deutlichen Stärkung von Personalkapazitäten und Investitionen zu bewältigen. Diese Grundvoraussetzung wird mit keinem Wort erwähnt. Angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der auf der anderen Seite die Aufstockung des Einzelplans 14 betrieben und der sicherheitspolitische Unsinn der pauschalen 2%-Zielmarke angestrebt wird, ist das ein krasses Defizit.

Damit dieser schwere, schon vom Aktionsplan 2004 bekannte Mangel nicht die praktisch Weiterentwicklung von Krisenverhütung und Friedensförderung behindert und die vielen guten Vorsätze der Leitlinien konterkariert, ist zügige Abhilfe dringend nötig.

Meine Empfehlung (erstmalig beim Unterausschuss zivile Krisenprävention am 26. Juni vorgetragen): Der nächste Bundestag, ausgehend vom hoffentlich fortgeführten Unterausschuss Zivile Krisenprävention, fordert die Bundesregierung auf, eine

  • Konzeption „Fähigkeiten Krisenverhütung/Friedensförderung (zivil)“

vorzulegen. Diese soll ein nationales Anspruchsniveau (level of ambition), die notwendigen Fähigkeiten und personellen Kapazitäten, zivile Planziele zur systematischen Stärkung von Fähigkeiten der Krisenverhütung/Friedensförderung für einen mittelfristigen Zeitraum beinhalten.

(Dass der Haushaltsausschuss im Rahmen der Haushaltsberatungen mehrfach die Ansätze für Krisenverhinderung/humanitäre Hilfe und Friedensförderung deutlich aufstockte, war zu begrüßen, reicht aber keineswegs: Zwingend notwendig ist eine systematische und mittelfristig angelegte Stärkung der Strukturen, Instrumente und Kapazitäten der Friedensförderung. Ein Lichtblick ist die Protokoll-Erklärung der SPD-Minister zum Kabinettsbeschluss über den Entwurf des Bundeshaushalts 2018: „Parallel zum maßvollen Anstieg der Verteidigungsausgaben (müssen) die internationalen Anstrengungen für Krisenprävention, Humanitäre Hilfe und für Entwicklungszusammenarbeit mindestens im gleichen Maße gesteigert werden.“ AA-Staatsminister Michael Roth forderte bei der 15-Jahrfeier des ZIF am 27. Juni einen „Diplomatic Surge“.)

Herzlich zu danken ist

- dem Team vom Global Public Policy Institute (GPPi), das im Auftrag des Auswärtigen Amtes den PeaceLab-Debattenprozess hervorragend unterstützte – vernetzte, locker koordinierte, inhaltlich begleitete;

- den vielen engagierten Trägern, Veranstaltern und Beitragenden des PeaceLab-Prozesses;

- den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ressorts, die angetan waren von der konstruktiven Dynamik von PeaceLab, ehrlich beratungsoffen waren und die komplizierte Aufgabe hatten, die unterschiedlichen Perspektiven der verschiedenen Ressorts zusammenzubringen und nicht in einem flachen Minimalkonsens stecken zu bleiben;

- nicht zuletzt dem Unterausschuss Zivile Krisenprävention, der unter dem Vorsitz von Franziska Brantner in der ganzen Legislaturperiode ein zentrales Forum und treibende und Kraft für zivile Friedensförderung war. Der Ausschuss tagte nicht nur so viel öffentlich wie kaum ein anderer Parlamentsausschuss. Er war auch handfest produktiv. (Letzte Beispiele: die Ausstellung „FRIEDEN MACHEN“ und der jährliche Bericht der Bundesregierung zur Beteiligung an internationalen Polizeimissionen mit Parlamentsdebatte)

Andere Stellungnahmen zu den Leitlinien

- Stellungnahmen und Kommentare aus der Politik und der Zivilgesellschaft, Links  auf dem PeaceLab-Blog (darunter umfassend und differenziert von Plattform ZKB/ForumMenschenrechte/Zivilem Friedensdienst/VENRO, vom Bund für Soziale Verteidigung und von Melanie Coni-Zimmer/HSFK, www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensfoerderung/article/reaktionen-auf-die-leitlinien/ )

- Öffentliche Sitzung des Unterausschusses Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln am 26. Juni, Stellungnahmen der Ressortvertreter Abteilungsleiter Rüdiger König/AA, Parlamentarischem Staatssekretär BMZ Thomas Silberhorn, BMVg-Unterabteilungsleiter Brigadegeneral Stefan Schulz sowie als externe Sachverständige Christiane Lammers/Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Beiratsvorsitzende Jörn Grävingholt + W. Nachtwei, Kurzbericht und Video unter: https://www.bundestag.de/ausschuesse18/a03/ua_zks#url=L2Rva3VtZW50ZS90ZXh0YXJjaGl2LzIwMTcva3cyNi1wYS1rcmlzZW5wcmFldmVudGlvbi81MTEzNzg=&mod=mod440660

- Bundestagsdebatte am 30. Juni 2017 zu den Leitlinien (BT-Drucksache 18/12813).

Der dabei eingebrachte  Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE sieht in den Leitlinien eine „gezielte Vermengung ziviler und militärischer Maßnahmen“, was „eine neue Stufe der Militarisierung deutscher Außenpolitik“ bedeute. Die 16 Auslandseinsätze der Bundeswehr würden „zur Gewalteskalation und zur Verfestigung von Konflikten beitragen“. Solche Bewertungen lassen sich meiner Meinung nach nur aufstellen, wenn man ja nicht genauer hinsieht – beim konkreten Leitlinienprozess, bei der Multidimensionalität und Integration heutiger komplexer VN-Friedensmissionen, bei der Realität der sehr unterschiedlichen Auslandseinsätze heute (ein Teil davon sind unbewaffnete Militärbeobachter!) und den humanitären und gewalteindämmenden Wirkungen vor allem von VN-Missionen. Die hier zum Ausdruck kommende pauschale und prinzipielle Ablehnung und Verweigerung aller realen VN-Missionen bedeutet eine Absage an die grundsätzliche Pflicht aller VN-Mitglieder, den „Vereinten Nationen jeglichen Beistand bei jeder Maßnahme, welche die Organisation im Einklang mit dieser Charta ergreift“, zu leisten – Art. 2, 5 der VN-Charta. (http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/129/1812969.pdf )

- Außenminister Sigmar Gabriel, „Aus dem PeaceLab in die Praxis: Die Leitlinien als Kompass“, 5. Juli 2017 http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensfoerderung/article/aus-dem-peacelab-in-die-praxis-die-leitlinien-als-kompass/

Meine letzten Beiträge zum PeaceLab-Prozess:

- „Einsatzbereit für die Zukunft – zivil, innovativ, flexibel“, Bericht von der 15-Jahrfeier des Zentrums Internationale Friedenseinsätze/ZIF, 1. Juli 2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=77&aid=1483

- Brief der Vorsitzenden des Beirats Zivile Krisenprävention (Jörn Grävingholt, W. Nachtwei) an die Bundeskanzlerin und Ressortminister am 11. Juni, den Entwurf der Leitlinien endlich im Kabinett zu beschließen und nicht der Sommerpause und dem Ende der Legislaturperiode zum Opfer fallen zu lassen (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1477 )

- Internationale Polizeimissionen als Element deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, in: Handbuch Polizeimanagement, hrg. von Jürgen Stierle, Helmut Siller, Dieter Wehe, März 2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=77&aid=1459   

- Krisenbewältigung und Friedensförderung in stürmischen Zeiten: Veränderte Rahmenbedingungen, 17 Krisentrends und 17 Positivtrends, 24. Februar 2017, www.nachtwi.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1455

- Interview zu den Leitlinien im Reutlinger Generalanzeiger, 20. Dezember 2016, (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1444 )

- Krieg verhüten, stabilen Frieden fördern, Beitrag in der Arbeitshilfe der Dt. Bischofskonferenz zum „Welttag des Friedens“, 20. Dezember 2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1443 )

- Perspektiven zivil-militärischen Krisenengagements, Beitrag beim PeaceLab-Workshop von BAKS + BMVg am 12. Oktober 2016, 6.11.2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1435 )

- Lob und Kritik am Aktionsplan Zivile Krisenprävention und seiner Umsetzung, 31. Oktober 2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1433 )

- Krisenhäufung ohne Ende: Schneller besser werden! Beitrag zum PeaceLab-Blog 2. August 2016 (http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedenseinsaetze/article/krisenhaeufung-ohne-ende-schneller-besser-werden/

- Stellungnahmen und Beiträge zum Aktionsplan und seinen Umsetzungsberichten 1997-2016, 28. Juli 2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1420 )

- Mehr Verantwortung – wofür und wie? Kommentar zum Weißbuch 2016 (erweiterte Fassung), 4.8.2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1423 )

- Auftaktveranstaltung „PeaceLab2016 – Krisenprävention weiter denken“ am 5. Juli im Weltsaal des Auswärtigen Amtes, Bericht 19.7.2016 (http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1413 )

Vortragsangebot

Zu bebilderten Vorträgen über „Zivile Krisenprävention und Friedensförderung“, ihre Entwicklung, Erfahrungen und Perspektiven, stehe ich gern zur Verfügung.

Seit Ende der 80er Jahre habe ich erst die Entstehung des Zivilen Friedensdienstes, dann des ZIF, der Deutschen Stiftung Friedensforschung, die Erarbeitung und Umsetzung des Aktionsplans Zivile Krisenprävention, das Wachstum internationaler Polizeimissionen und Rechtsstaatsförderung, die Praxis der verschiedenen Ansätze und Instrumente, den PeaceLab-Prozess begleitet und unterstützt – und vor allem die vielen starken Frauen und Männer dabei erlebt, Friedenspraktiker und regelrechte Mutmacher. Als Ko-Vorsitzender des Beirats Zivile Krisenprävention, als Mitglied des Beirats Innere Führung und des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen habe ich mit dem Thema laufend zu tun.

Bei bisherigen Vortragsveranstaltungen waren BesucherInnen regelmäßig positiv überrascht, was sich auf dem Feld der Zivilen Krisenprävention inzwischen alles getan hat und tut. Zugleich mache ich deutlich, was getan werden muss, um angesichts der heutigen Krisenstürme in Sachen Krisenprävention und Friedensförderung schneller besser zu werden. Der Vortrag ist eine Art Werkstattbericht. Kontakt: winfried@nachtwei.de , 0170-3148779.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch