Am 24. Mai begingen MINUSMA-Angehörige vieler Länder den Peacekeeper-Tag in Gao/Mali; am 29. Mai luden DGVN und ZIF zum Expertengespräch zu "UN-Friedenssicherung in Mali" - und viele kamen. Hier einige Informationen, Überlegungen und Links zum Thema.
International Day of UN Peacekeepers 2017
Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in Mali –
Deutschlands Beitrag zu MINUSMA
Winfried Nachtwei (Juni 2017)
Im nordmalischen Gao
begingen am 24. Mai im UN Super Camp Abordnungen der verschiedenen MINUSMA-Truppensteller gemeinsam den International Day of UN Peacekeepers. Ein Foto zeigt internationale, militärische, polizeiliche und zivile MINUSMA-Angehörige, die ein Transparent mit der Losung des diesjährigen Peacekeeper-Tages tragen: „INVESTIR DANS LA PAIX À TRAVERS LE MONDE“. (Weitere Fotos unter www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Das Bild, der International Day of UN Peacekeepers insgesamt stehen bespielhaft für die friedens- und sicherheitspolitische Grunderfahrung: KEINER SCHAFFT ES ALLEIN – kein Land, kein Akteur, kein Ressort. Gemeinsame Ziele sind nur über Austausch, Abstimmung und verschiedene Stufen von Zusammenarbeit erreichbar.
Zum MINUSMA-Sektor East mit der Regionalhauptstadt Gao gehören rund zehn Infanteriekompanien aus Bangla-Desh und Niger, drei Kompanien aus China (u.a. Pioniere), zwei aus Kambodscha (EOD), aus Deutschland eine verstärkte gemischte Aufklärungskompa-nie, eine Objektschutzkompanie, je vier MedEvac- und Kampfhubschrauber. (Zum Umfang der polizeilichen und zivilen Komponente in Gao habe ich keine Informationen.)
In Berlin
luden die Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) und das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) für den 29. Mai zu einem Expertengespräch über „Friedenssicherung durch die Vereinten Nationen in Mali – Deutschlands Beitrag zu MINUSMA“ ein.
Der Einstein-Saal in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war gut gefüllt. Das war besonders erfreulich, weil die Veranstaltung von DGVN und ZIF in diesem Jahr die einzige Veranstaltung zum Peacekeeper-Tag in Deutschland war. Die Feierstunde zum Tag des Peacekeepers, zu der seit 2013 alljährlich die Minister des Äußeren, der Verteidigung und des Inneren einladen, wurde vom Verteidigungsministerium aus „terminlichen Gründen“ auf den Herbst verschoben wurde. Sehr zu hoffen ist, dass die junge Tradition des Peacekeeper-Tages dadurch keinen Knacks erhielt.
Nach der Begrüßung durch ZIF-Direktorin Almut Wieland Karimi moderierte Tobias von Gienanth/ZIF ein Expertengespräch mit Edelgard Bulmahn, Vize-Präsidentin des Deutschen Bundestages, Melanie Hauenstein, ehem. Leiterin des MINUSMA-Regionalbüros in Mopti (auch MONUSCO, Sudan), Kriminaloberrat Felix Schwarz, ehem. Chef des Stabes der MINUSMA Police, und Winfried Nachtwei, Mitglied im DGVN-Vorstand. (Video der Veranstaltung unter https://www.facebook.com/dgvn.e.V/ , 29. Mai) Der DGVN-Vorsitzende Detlef Dzembritzki schloss die Veranstaltung ab.
Schlüsselfragen waren die bisherigen Wirkungen/Erfolge von MINUSMA, der Multidimensionalen, Integrierten Stabilisierungsmission einerseits, die Herausforderungen/Probleme andererseits sowie der deutsche Beitrag. (Die folgenden Ausführungen sind kein Veranstaltungsbericht, sondern ein von dem Expertengespräch angestoßener Beitrag mit etlichen Ergänzungen meinerseits.)
(1) Dringlichkeit und Wirkungen: - Für mich liegt die friedens- und sicherheitspolitische Dringlichkeit der internationalen Stabilisierungshilfe in Mali auf der Hand. Sie wurde mehrfach vom UN-Sicherheitsrat betont und stellt sich gerade auch aus Sicht des Nachbarkontinents Europa. Es ist wieder ein solcher Fall für UN-Friedenssicherung, wie er 2005 vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan beschrieben wurde: In den 15 Jahren zuvor seien so viele Länder durch Verhandlungen zum Ruhen der Waffen gebracht worden (oft durch Vermittlung der UN) wie in 200 Jahren zuvor nicht. Ein großer Erfolg! Der Schatten: Innerhalb von fünf Jahren rutschte die Hälfte der Länder wieder zurück in die offene Gewalt. Die Konsequenz: Mehr und wirksamere internationale Hilfe beim schwierigen Weg vom Waffenstillstand zum Frieden.
- Ein großer Vorteil gegenüber anderen Missionen ist ihr umfassender und integrierter Ansatz und ihre multidimensionale Struktur unter politischer Führung.
- Bei der Wirkungsbewertung sind nach allen Erfahrungen mit Friedensprozessen realistische Erwartungen angesagt: Der Friedensprozess verläuft wohl zäh und langsam (vgl. den Bericht des UN-Generalsekretärs zu Mali vom 30. März 2017). Die Aufstellung der MOC-Bataillone (Operativer Koordinationsmechanismus) aus Regierungssoldaten, ehem. Tuareg-Rebellen und Pro-Regierungsmilizen und ihre Weiterexistenz trotz des schweren Anschlags vom 18. Januar 2017 im MOC-Camp von Gao mit 70 Toten ist ein wichtiger Fortschritt.
- Konsens unter Beobachtern ist, dass der Friedensprozess ohne MINUSMA längst zusammengebrochen wäre.
(2) Herausforderungen: - Die Mandatsziele sind grundsätzlich richtig und unterstützenswert. Eine Krux bei anderen Mandaten war immer wieder ihr Mangel an Operationalisierung und Überprüfbarkeit. Ob es zu MINUSMA eine solche Operationalisierung (bis zu Exitkriterien) gibt, kann ich nicht beurteilen.
- Eine besondere Herausforderung ist, den Konflikt- und Einsatzraum mit den vielen verschiedenen Akteuren, Beziehungen und wechselnden Allianzen zu verstehen.
- Unübersehbar ist das auch von anderen UN-Missionen bekannte Grundproblem, dass zur Verfolgung der ehrgeizigen Mandatsziele nur unzureichende Kräfte zur Verfügung stehen (82% der militärischen Sollstärke, 66% der polizeilichen, 87% der zivilen Sollstärke; von den im Juni 2016 vom Sicherheitsrat beschlossenen Verstärkungskräften ist bisher nichts eingetroffen). Angesichts der enormen Größe und Schwierigkeit des Einsatzraumes (mehr als dreimal so groß wie Deutschland, dürftigste Verkehrsinfrastruktur) ist MINUSMA strukturell überdehnt und z.B. zum aktiven Schutz der Zivilbevölkerung kaum in der Lage. Immerhin: Diese Defizite und konkreten Bedarfe (z.B. werden im Bericht des UN-Generalsekretärs sehr deutlich beim Namen genannt. Hier beobachte ich eine viel größere Offenheit und viel weniger Schönrednerei als auf nationaler Ebene.
- 2016 haben sich die Attacken gegen malische, französische und MINUSMA-Kräfte mit IED`s, direktem und indirektem Feuer ggb. 2015 verdoppelt. In den Regionen Gao, Kidal, Menaka, Mopti, Segou und Timbuktu sind inzwischen 436 von 2.380 Schulen wegen extremistischer Aktivitäten geschlossen. Den relativ schnell wachsenden asymmetrischen Bedrohungen und dschihadistischen Gruppen ist die Masse der MINUSMA-Kräfte nicht zureichend gewachsen. Die Folge: Immer mehr Eigenschutz und weniger Kräfte zur Auftragserfüllung. In der Bevölkerung wachsen Enttäuschungen über MINUSMA, von der man mehr Sicherheit erwartet hatte.
- Laut Humanitarian Response Plan 2017 brauchen 3,7 Mio. Menschen humanitäre Hilfe. Von den geforderten 293 Mio. $ waren bis zum 22. März erst 8 Mio. $ finanziert.
- Schließlich auch hier das Grundproblem von „Partnerwahl“ und Ownership: Die Regierung ist eher reformunwillig und reichlich korrupt. Dass es in ganz Mali nur 40 Kriminalbeamte gibt, ist kein Zufall. Nicht wenige sind Nutznießer der jetzigen Lage von weder Krieg noch Frieden. Aber: Die Internationale Gemeinschaft kann Ownership nicht ersetzen.
- Verkompliziert wird alles dadurch, dass der westliche Sahel ein regelrechtes Konflikt-Ökosystem ist.
(3) Der deutsche Beitrag zu MINUSMA (Personalobergrenzen 1.000 Soldatinnen und Soldaten, 20 Polizeibeamte) ist von erheblicher Bedeutung:
- Die Aufklärungskomponente befähigt MINUSMA, das Friedensabkommen zu überwachen und Veränderungen in der Konfliktlage wie Bedrohungen für die eigenen Kräfte aufzuklären. Nach MONUSCO in der DR Congo verfügt MINUSMA als zweite UN-Mission mit der deutschen Heron-Drohne über eine eminente Aufklärungsfähigkeit. Ohne sie wäre MINUSMA in weiten Landesteilen blind.
- Von strategischer Bedeutung für den Übergang zu nachhaltiger Sicherheit ist die Unterstützung der MINUSMA-Police mit zzt. 13 deutschen Beamten. Mit Felix Schwarz und Meinolf Schlotmann stellte Deutschland wiederholt den Chef des Stabes. Bedauerlich ist, dass die Polizeihilfe verglichen mit dem Bundeswehrkontingent trotz ihrer großen Bedeutung so wenig öffentliche Aufmerksamkeit findet.
- Hinzu kommen die deutschen Beiträge zur komplementären EU Trainingsmission EUTM (Obergrenze 300 Soldatinnen und Soldaten, Ist 150) und EUCAP Sahel (Leiter, fünf Zivilexperten, drei Polizisten) sowie Maßnahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit den Schwerpunkten (a) Dezentralisierung und gute Regierungsführung, (b) Förderung produktiver und nachhaltiger Landwirtschaft, (c) Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung in Klein- und Mittelstädten. (https://www.giz.de/de/weltweit/334.html )
- Das Zusammenarbeiten und –leben in MINUSMA ist um einiges schwieriger als in der eingespielten Community von NATO-Einsätzen: Die Abstimmungen im UN-Kontext sind kompliziert. Die Bundeswehr-Aufklärer liefern gute Informationen, bleiben oft aber ohne jedes Feedback. Wegen sehr unterschiedlicher Sicherheits- und Hygienebestimmungen ist das Bundeswehrkontingent in Camp Castor gegenüber den anderen Kontingenten abgeschottet.
- In der Reportage „Mission impossible?“ in LOYAL 1/2017 werden Bundeswehrsoldaten zitiert, die in Mali Parallelen zur Entwicklung in Afghanistan sehen (Zunahme terroristische Gewalt/IED`s, Überdehnung von Kräften, wachsende Enttäuschungen der Bevölkerung)
- Die Landeskundigen berichten übereinstimmend, dass Deutschland in Mali einen besonders guten Ruf habe (DEU war 1960 das erste Land, das das unabhängige Mali anerkannte) – und damit auch besondere Chancen.
(4) Kontext des deutschen UN-Engagements: Mit dem seit vielen Jahren erstmaligen deutschen Kontingenteinsatz bei einer UN-Landmission leistet die Bundesrepublik einen substanziellen und wertvollen Beitrag zur UN-Friedenssicherung.
Nachdem Deutschland wie fast alle anderen „Nord-Länder“ seit vielen Jahren nur minimale personelle Beiträge zur UN-Friedenssicherung leistete und in der Rangfolge der Personalsteller in den 40ern rangierte, macht es jetzt einen Sprung nach oben in die 20er.
Wo die zentrifugalen und spalterischen Kräfte weltweit zunehmen, sind Institutionen und Kräfte gemeinsamer globaler Sicherheit mit den Vereinten Nationen an erster Stelle notwendiger denn je.
Anmerkungen:
- EUTM Mali bildete bisher rund 10.000 malische Soldaten aus, zwei Drittel der malischen Armee. Das ist ansehnlich, Gesamtzahlen zu Ausbildungsmaßnahmen sagen aber noch nichts aus über die Sicherheitswirkung. Offen bleibt die Art der Ausbildungsmaßnahmen, was aus den Ausgebildeten wurde, wieweit sie überhaupt bei der Armee blieben.
- Die französische Antiterroroperation „Barkhane“ agiert völlig separat von MINUSMA. Wie bei der Operation Enduring Freedom in Afghanistan stellt sich die Schlüsselfrage nach der Wirksamkeit der militärischen Terrorbekämpfung, ob sie Terrorgruppen schwächt oder im Gegenteil Hass und Gewalt anheizt. Bei OEF wurde die Frage seitens der Regierungen nie konkret beantwortet. Landeskenner berichteten damals überwiegend, dass der Antiterrorkrieg in Afghanistan eher konfliktverschärfend wirkte. Welchen Einblick hat die deutsche Seite und haben die Fachabgeordneten des Bundestages in die Operation „Barkhane“?
- Der deutsche Mali-Einsatz hat sich inzwischen zu einem deutschen Schwerpunkteinsatz in Afrika mit dem inzwischen größten Personaleinsatz und erheblichen Risiken entwickelt.
Umso erstaunlicher ist, dass es über die allwöchentlichen, ereignisorientierten „Unterrichtungen des Parlaments“ (UdP) kein regelmäßiges Berichtsformat der Bundesregierung zum deutschen Mali-Einsatz gibt. Die Quartalsberichte des UN-Generalsekretärs sind wohl umfassend, informativ und recht offen. Ich bezweifle aber, ob diese Berichte für eine seriöse und verantwortliche Lagebewertung durch das deutsche Parlament ausreichen.
Weitere Berichte:
ZIF: #InvestingInPeace – International Day of United Nations Peacekeepers
Berichte der Bundesregierung zu MINUSMA und EUTM:
https://afrika.bmvg.de/afrika-de/einsaetze-ueberblick/minusma
https://afrika.bmvg.de/afrika-de/einsaetze-ueberblick/eutm-mali
Abschied des Führers des 12. Dt. Einsatzkontingents EUTM Mali, des „Erklärbär von Mali“http://www.einsatz.bundeswehr.de/portal/a/einsatzbw/start/aktuelle_einsaetze/!ut/p/z1/hY_NDoIwEITfiC0oFo7UKiEBNII_9GIaaBCDLWkq8eDDW2L0ZtzDJDuz-20WGJyAST52LTedkry3fcUWZxKkZeqFnkfLfYSSlY82xZLOYoThAMd_I8zG6EdFCIpGQGUZ-CcjdqEABqwRTq2kMJMaIU1ntdXcKO0MSpt-Su5a28TpGqiQS4mL559T7jPKMCEZCjFNyG4CXvnIH99dXk9PQ3XhsunFVtXR2xhu6yDP_fYFpW7Mqg!!/dz/d5/L2dBISEvZ0FBIS9nQSEh/#Z7_B8LTL2922DTUA0IE50OSCD3GG1
Zur MINUSMA-Police, https://minusma.unmissions.org/en/police
Länderinformationen MALI des Auswärtigen Amtes, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Laender/Mali.html?nnm=383178
Sieg des Islams und der Gläubigen – Im Sahel droht ein neues „Dschihadistan“, von Winfried Veit, IPG-Journal 30.05.2017,
http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/sieg-des-islams-und-der-glaeubigen-2054/
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: