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Genauer Hinsehen: Sicherheitslage Afghanistan (Lageberichte + Einzelmeldungen) bis 2019
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Mai 2007: Unser Besuch in der Hoffnungsprovinz Kunduz, 14 Tage später Selbstmordanschlag auf dem Markt - Wendepunkt des dt. Afghanistaneinsatzes

Veröffentlicht von: Nachtwei am 14. Mai 2017 10:07:58 +01:00 (65348 Aufrufe)

Als ich vor 10 Jahren zusammen mit Renate Künast + Jürgen Trittin Kunduz besuchte, gab es Grund zu einiger Hoffnung. 14 Tage später kippte die Lage, als drei Bundeswehrsoldaten + sieben afghanische Zivilisten durch einen Selbstmordattentäter auf dem Markt von Kunduz ermordet wurden. Hierzu Auszüge aus meinen damaligen Notizen. Ein Beitrag gegen das Vergessen + Verdrängen des Afghanisaneinsatzes.

Mai 2007, vor 10 Jahren:

Unser Besuch in der Hoffnungsprovinz Kunduz,

 14 Tage später Selbstmordanschlag auf dem Markt -

Wendepunkt des dt. Afghanistaneinsatzes

Winfried Nachtwei, MdB (Mai/Juni 2007)

(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Vorbemerkungen: Für den deutschen Afghanistaneinsatz markiert der Mai 2007 vor jetzt zehn Jahren einen Wendepunkt. Hier einige Berichte aus Mai/Juni 2007 nach meinen Persönlichen  Kurzmeldungen zur Friedens- und Sicherheitspolitik und damaligen Notizen:

Kurzreisebericht Anfang Mai

Selbstmordanschlag vom 19. Mai

Verteidigungsausschuss und Trauerfeier am 23. Mai

Solidaritätsveranstaltung in Kunduz am 24. Mai

NATO-Parlamentarierversammlung am 26.-27. Mai

Bundestagsdebatte zu OEF-ISAF 13. Juni

Landesdelegiertenkonferenz mit TOP Afghanistan 16./17. Juni

Kurzbesuch in Mazar 22./23. Juni

Forderung nach ISAF-Ausstieg 21. Juni

1.-5. Mai 2007 Kunduz: Hoffnungsprovinz mit Wetterleuchten (Kurzbericht)Afghanistanbesuch mit Renate Künast (Fraktionsvorsitzende), Jürgen Trittin (stv. Fraktionsvorsitzender) und den Fraktionsmitarbeitern Mariam Tutakhel und Andreas Körner. (mein siebter Besuch dort seit 2002)

In Kabul, Mazar-i-Sharif, Kunduz und Termez sprechen wir mit den Spitzen von UNAMA (SRSG Tom Koenigs), EU (Francesc Vendrell), ISAF (US-General Dan McNeill, Generalmajor Bruno Kasdorf), dem stellv. Justizminister, dem dt. Botschafter Hans-Ulrich Seidt, afghanischen ParlamentarierInnen und NGO`s, dt. Polizisten (Kriminaldirektor Detlev Nöllenburg), dem Kommandeur des dt. Einsatzkontingents, Brigadegeneral Josef Blotz, dt. Soldaten in Kabul, Mazar und Termez, den zivilen und militärischen Leitern des PRT Kunduz (Oberst Peer Luthmer, Philipp Ackermann), Vertretern verschiedener Entwicklungs- und Hilfsorganisationen (GTZ, GTZ-IZ, DED, Katachel, Welthungerhilfe, „Deutsches Haus“ in Kunduz) sowie Schülern der dortigen Koran-Schule. (vgl. die Kurzbilanz https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/_archivextern/informationsreise_durch_afghanistan/kurzbilanz_afghanistanreise.pdf )

Internationale Kräfte

Zzt. umfasst ISAF 34.600 SoldatInnen aus 37 Nationen, davon rund 4.000 im Norden. (In Relation zur Fläche, Bevölkerung und Infrastruktur würde der Kräfteansatz von KFOR/Kosovo auf 803.000 Soldaten in  Afghanistan hinauslaufen – oder 227 im Kosovo.)

Das 13. Dt. ISAF-Kontingent umfasst 3.200 SoldatInnen, davon 1.670 in Mazar.

Der Verantwortungsbereich des PRT Kunduz erstreckt sich über die zwei Provinzen Kunduz und Takhar, 200 x 230 km, 8 Stunden Fahrtzeit bis NO und SO. Zum PRT gehören insgesamt 458 Personen, davon 417 Bundeswehr, 31 Soldaten von fünf anderen Nationen, zehn Zivilexperten von AA, BMI u.a. sowie 71 afg. Sicherheitskräfte und 196 afg. Zivilangestellte.

Die USA stellen landesweit rund 3.000 Polizeiausbilder und –berater (Militärs, Dyncorps) überwiegend für 8-Wochenkurse (Schießen, Fahren, Durchsuchen, Festnehmen), 1,8 Mrd. US-$ im Jahr. Die EU stellt im Norden 65 Polizeiberater, ihre Polizeiaufbauhilfe liegt bei 40 Mio. Euro, die der Bundesrepublik bei 24 Mio. In Mazar unterstützen 30 Feldjäger die Polizeiausbildung. Der deutsche Regionalkommandeur Nord betont den Bedarf an deutlich mehr Polizeiberatern.

(Die Zahlen der in Afghanistan insgesamt oder in Regionen eingesetzten Zivil- und Entwicklungsexperten und Diplomaten können nicht genannt werden.)

Zur Sicherheitslage

hören wir unterschiedliche Einschätzungen: Lt. ISAF gibt es einen Rückgang von Sicherheitsvorfällen, bei Diplomaten ist die Einschätzung skeptischer.

In Kunduz war die Stimmung bis zum Selbstmordanschlag vom 16. April (auf dem Ausbildungsplatz einer Polizeiausbildungsstätte wurden mindestens 10 Polizisten getötet, über 40 verwundet) regelrecht euphorisch. Über den ganzen Winter war nichts passiert! Am 25. April folgten fast gleichzeitig Anschläge auf das Polizei-HQ in Kunduz und gegen das Gouverneursgebäude, ein Toter.

Die Provinzen Kunduz und Takhar gelten als „überwiegend ruhig und nicht stabil“. Es gebe Hinweise auf je sechs mögliche Attentäter in den Distrikten Chahar Darreh und Imam Shahib, je vier in Ali Abad und Dasht Archi. „Mögliche Infiltration des AOR PRT Kunduz durch Insurgenten, umfassende multiple terroristische Bedrohung, vorhandene Absicht, Fähigkeit und Kompetenz für Terrorakte, Drogenwirtschaft, Interessenkonflikte regionaler und lokaler Machthaber, ethnische Spannungen, Organisierte Kriminalität. Vornehmliches Ziel möglicher Angriffe und Anschläge sind noch die ANSF!“

Am 1. April begann in Kunduz die Ausbildungsunterstützung für die ANP durch 30 deutsche Feldjäger.

Alarmierend seien die jüngsten alliierten Fehleinsätze in Nangarhar und Süd-Herat, denen Dutzende Zivilisten zum Opfer fielen und die enorme politische Rückschläge sind. Auslöser waren Operationen von Enduring Freedom und direkt aus den USA geführten Special Forces, in die dann ISAF hineingezogen wurde. Auf ziviler Seite wird massiv kritisiert, wie exterritorial und ohne jedes Stationierungsabkommen OEF auch im 6. Jahr noch agiere.

Beim Besuch des Tornado-Geschwaders in Mazar wird betont, dass die Tornados (seit 5. April vor Ort) vor allem zur „Mobilitätsaufklärung“ eingesetzt würden: Patrouillenstrecken, Zustände von Brücken, (il-)legale Checkpoints, Aufklärung bisher unbekannter Gebiete. Im Kontext des Shindang-Zwischenfalls in Süd-Herat sollen die Tornados explizit nicht eingesetzt gewesen sein. Sie hätten lt. Mandat auch nicht eingesetzt werden dürfen, weil es dort um ISAF-Unterstützung für OEF und nicht um OEF-Unterstützung für ISAF ging. Inwieweit die Tornados auch im Kontext ausdrücklicher Kampfunterstützung im Süden zum Einsatz kommen, wollte man nicht deutlich sagen.

Aufbau und Entwicklung

Ein Lichtblick ist das Afghanistan Country Stabilization Picture: Diese von ISAF geführte Datenbank versucht erstmalig systematisch und landesweit alle Aufbauprojekte zu erfassen – Energieversorgung, Verkehrsinfrastruktur, landwirtschaftliche Entwicklung, Gesundheitsversorgung etc.

In der Nordregion, wo ein Drittel der afghanischen Bevölkerung lebt, sei die Gesamtentwicklung noch eindeutig positiv.

Das gelte ganz besonders für die Provinz Kunduz, wo die Fortschritte bei meinem inzwischen fünften Besuch seit 2004 mit Händen zu greifen sind: die Straßen, die Bautätigkeit, der Handel. In der Provinz gebe es kein Dorf ohne ein Projekt. Es gebe keinerlei Feindseligkeit, die Menschen seien wahnsinnig entgegenkommend. Wunschlisten gebe es noch und nöcher. Nach Aussage örtlicher Autoritäten ging es den Menschen hier noch nie so gut wie jetzt. Zugleich sind die Risikofaktoren durch hiesige Kriminalität, Machtkonflikte, eingesickerte Terroristen erheblich.

Schon im Flieger treffen wir Sybille Schnehage, die Vorsitzende des Hilfsprojekts Katachel, die seit 1994 im Raum Kunduz arbeitet. Seit die Bundeswehr vor Ort sei, boome es. Früher konnte sie mit dem Rad herumfahren, jetzt nicht mehr. Nachts müsse man aufpassen, dass auf unbefestigten Straßen nicht Minen verlegt würden.

Ein besonderes Erlebnis ist der Besuch der Larkabi-Koranschule, die mitten in der Stadt liegt. Der Innengarten ist umgeben von Unterrichts- und Unterkunftsräumen und der großen Moschee. Die Schüler kommen aus ganz Nordostafghanistan. Die Schule hat einen guten Ruf, ihre Mullahs gelten als offen. Das AA unterstützt hier den Ausbau der sanitären Anlagen. Das komme phantastisch an, sei ein Türöffner und Sympathiegewinner. Im Ort heiße es: ´Wenn Koranschulen in Ordnung sind, brauchen wir unsere Kinder nicht nach Pakistan schicken.“

Jürgen und ich sprechen im Garten mit einer Gruppe von ca. 20 Schülern. Ich stelle uns als Politiker vor, die die deutschen Soldaten hergeschickt hätten. Ein „Talib“ (Koranschüler) antwortet, dass sei gut, und dankt dafür. Ich frage, ob sie mit den Soldaten einverstanden wären – neben uns steht ein Hauptmann, dessen Vater früher Bürgermeister von Kunduz war und der zum Studium nach Dresden kam. Die Antwort: „Ja, die verhalten sich anständig.“ Später wird mir bewusst, dass in einem Land, wo Ehre und Respekt zentral sind, solche Worte über ausländische Soldaten ein Besturteil sind. (Ein BKA-Personenschützer neben uns gibt derweil über Funk durch: „20 Männer, bin allein, kann nicht kämpfen“)

Die dt. Aufbauhilfe hat mit dem „Deutschen Haus“ eine ganz andere Sichtbarkeit bekommen. 30-40 Deutsche arbeiten im Rahmen der deutschen EZ und arbeiten überwiegend in der Fläche/Dörfern. Im Rahmen des neuen, mit den so genannten  „Nachtwei-Millionen“ finanzierten „Provincial Development Fund“ werden von jeweils vier afghanischen und deutschen Vertretern gemeinsam die nächsten Projekte vereinbart (je 250.000 Euro für drei Provinzen). Nach Einschätzung der dt. Entwicklungsexperten brauche man deutlich mehr Personal. „Wir arbeiten am Rande des Machbaren.“ Die Gesellschaft sei so komplex, dass man das als Entwicklungstechniker schwer erfasse. Man müsse die verschiedenen Netzwerke verstehen. Während die Zusammenarbeit vor Ort gut funktioniere, sei die institutionelle Aufsplitterung der dt. zivilen Hilfe (TZ, EZ, FZ, Entwicklungsorientierte Nothilfe/BMZ, Humanitäre Hilfe/AA und CIMIC/ BMVg) ausgesprochen hinderlich.

Äußerst verunsichernd sind die jüngsten Morde an zwei Mitarbeitern der Welthungerhilfe (erster Mord an einem dt. Helfer seit 2001): Am 8. März wurde der 65-jährige, krisengebietserfahrene Dieter Rübing in der als sicher geltenden Nordprovinz Sar-i Pul erschossen; am 29. April ein Fahrer der WHH. Die WHH arbeitet seit 1994 im Land. In den letzten vier Jahren wurden 500 Brunnen gebaut. Die Gegend sei von der dt. EZ sehr gut bedient worden. „Jetzt können wir uns nicht mehr auf die Leute verlassen.“ Die Morde stellen die Grundvoraussetzung der langjährigen Arbeit – Schutz durch die Einheimischen – in Frage.

Bei der Trauerfeier für Rübing kamen wohl 2-3.000 Menschen zusammen. Bisher habe man noch nicht mit dem Dorf gesprochen. Für die GTZ sei der Distrikt jetzt no-go-area. Auf die Polizei sei kein Verlass, der NDS sei möglicherweise verwickelt.

Die WHH-Mitarbeiter beschlossen, weiter im Land zu bleiben.

In Termez/Usbekistan vorm Rückflug

intensives Abendgespräch mit Stabsoffizieren des Einsatzgeschwaders (hier sind sechs Transall - „Alt-68er“ - und fünf CH-53 stationiert):

Angesichts der Dauerbelastung gerade für Transportflieger, Sanitäter, Feldjäger stellt sich die Frage des WOFÜR ganz besonders. Einsätze könnten nicht allein mit Bündnistreue begründet werden. Was seien die deutschen Interessen dabei? Gerade als Berufssoldat frage man sich, bin ich Söldner, bin ich Soldat? Warum habe man nicht den Mut, einen Einsatz auch mal zu beenden?

Wie stehe es mit interkultureller Kompetenz bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen? Was seien angemessene Ziele, was sei überhaupt in solchen fremden und zersplitterten Gesellschaften erreichbar, realistisch – oder illusorisch?

Warum gebe es kein Struktur-Controlling?

Sehr deutlich wird die enorme Schwierigkeit und Herausforderung des Stabilisierungsprojekts, in das wir relativ naiv und mit unseren Vorstellungen von Gesellschaft und Politik reingegangen sind.

Insgesamt ist es ein Gespräch, wie ich es bei Delegations- und Ministerbesuchen bisher nie erlebt habe: Nichts an Worthülsen, sehr offen, durchdacht, nach vorne bis strategisch denkend, beide Ex-Minister schnell-lernend – insgesamt glänzend!“ (aus meinen Reisenotizen)

Bevölkerungsbefragung in den Provinzen Kunduz und Takhar im Februar/März 2007

Sozialwissenschaftliche Studie „Internationale Akteure in Afghanistan“ eines Teams am Sonderforschungsbereich 700 an der FU Berlin (Christoph Zürcher, Jan Koehler, Thomas Risse, Lars Brozus u.a.), am 6. Februar 2008 in Berlin vorgestellt.

Wie beurteilt die Bevölkerung im afghanischen Nordosten (Provinzen Kunduz, Takhar) das Engagement der internationalen Helfer und Truppen, wie ist deren Wirkung? Hierfür wurden im Februar/März 2007 2034 Haushalte in 77 Gemeinden von „Coordination of Afghan Relief“ (CoAR) zu Veränderungen in den letzten zwei Jahren befragt. (Zusammenfassung der Ergebnisse http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=110&aid=647 )

Zur Sicherheit: Eine überwältigende  Mehrheit war der Meinung, dass sich die Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren verbessert habe: 76% sehr, 23% etwas. Jeweils ca. 80% schrieben das den fremden Truppen und der Regierung zu, 50% den internationalen Entwicklungsakteuren. Lokalen Kommandeuren wurde nur zu 6% ein positiver Einfluss zugesprochen. Von den 20%, die sich bedroht fühlen, 17% durch kriminelle Gruppen, 10% durch Taliban, 5% durch ausländische Truppen. Bei vertiefenden Gesprächen lobten auch Ex-Taliban den „Landfrieden“, und dass Willkür von Gewaltakteuren unterdrückt werde: ´So lange die Deutschen da seien, werde wenigstens nicht noch die andere Hälfte des Dorfes niedergebrannt`.

Westliche und traditionelle Werte: 70% sehen lokale Bräuche und islamischen Werte durch internationale Entwicklungsakteure eher nicht bedroht, 11% eher doch bedroht; 50% sehen sich durch ausländische Truppen eher nicht, 40% eher doch bedroht. Die ausländischen Truppen werden als nützlich angesehen, es bleibt aber ein Grundmisstrauen. Diese Gradwanderung schaffe die Bundeswehr recht gut.

Entwicklungszusammenarbeit: Insgesamt gab es eine überraschend hohe Abdeckung durch Entwicklungsprojekte. 66% berichteten, ihre Gemeinde habe von Projekten im Bereich Straßen und Brücken profitiert, ebenfalls 66% von Trinkwasserprojekten, 47% von Schulprojekten, 24% von Bewässerungsprojekten, 16% von landwirtschaftlicher Entwicklung, 14% Elektrizitätsprojekte, 6% Nahrungsmittelhilfe, 5% Projekte im Bereich Training und Ausbildung. Aber nur 2,5% berichteten von Projekten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in ihren Gemeinden.

19. Mai 2007, 14 Tage nach dem Kunduz-Besuch:

Selbstmordanschlag auf dem Markt –

Drei deutsche Soldaten und sieben afghanische Zivilpersonen getötet

Am Morgen des 19. Mai fuhren vier Beamte der Einsatzwehrverwaltung (im Einsatz als Reservisten), sechs Sicherungssoldaten, ein dt. Polizist und ein afghanischer Sprachmittler in gepanzerten Fahrzeugen nach Kunduz, um dort technisches Gerät, u.a. Kühlschränke, einzukaufen. Nach Abstellen der Fahrzeuge gingen sie über einen Kilometer zu Fuß Richtung Kreisel und weiter in eine Seitenstraße. Um 10.08 Uhr Ortszeit sprengte sich ein Selbstmordattentäter zwei Meter neben den Reservisten in die Luft und tötete den 31-jährigen Hptm d.R. Matthias Standfuß, den 28-jährigen HFw d.R. Michael Diebel, den 48-jährigen OFw d.R. Michael Neumann und sieben afghanische Zivilpersonen. Verwundet werden fünf Soldaten (davon zwei schwer), der Sprachmittler und 13 afghanische Zivilpersonen.

Die Sprengladung von ca. 1,5 kg war mit Schrapnells gespickt und hatte einen Zerstörungskreis von ca. 20 Metern.

Dass die BILD-Zeitung ein Foto eines schwer verwundeten Soldaten veröffentlichte, trifft auf breite Empörung.

(Jahre später bekam ich interne Ermittlungsbilder vom Tatort zu sehen – sie brennen sich ein.)

Für die Bundeswehr markiert der 19. Mai 2007 einen Wendepunkt zum Schlechten.

Das PRT stellt über Wochen die Patrouillentätigkeit weitgehend ein und beschränkte sich auf den Nahbereichsschutz des Feldlagers. Angesichts von etlichen im Raum Kunduz vermuteten potenziellen Attentätern, der Zögerlichkeit der afghanischen Amtsträger und der geringen eigenen Kräfte (im Oktober 2006 470 BW-Soldaten im PRT, davon 90 Infanteristen für einen Raum in der Größe Hessens) war diese Einigelung nachvollziehbar. Zugleich wuchs damit die Distanz zwischen ISAF und Bevölkerung, ging die bis dahin schon spärliche und flüchtige Patrouillenpräsenz in der Fläche verloren. Der mehr bevölkerungsorientierte, „offene“ Ansatz war dort an seine Grenzen gestoßen, wo größere Gruppen von Militanten vor allem in paschtunischen Siedlungsgebieten einsickern, sich festsetzen und Einfluss gewinnen konnten. 

23. Mai, Verteidigungsausschuss und Trauerfeier

Über zwei Stunden geht es um Afghanistan und den jüngsten Anschlag. Angesichts des Vorwurfs von Lafontaine, die Bundeswehr trage in Afghanistan mittelbar zu terroristischen Aktivitäten bei, verweise ich auf die erheblich differenziertere Erklärung der fachpolitischen Sprecher der Linksfraktion, die ausdrücklich nicht auf eine Rechtfertigung des Taliban-Terrors hinauslaufen. Im Hinblick auf die losbrechende Diskussion um einen Abzug aus Afghanistan betone ich die Notwendigkeit, bei aller Vorsicht vor kontraproduktiven Botschaften die Sinnfrage dieses VN-mandatierten Einsatzes konkreter zu beantworten (neben der sicherheitspolitischen Notwendigkeit, den verheerenden Alternativen auch die tatsächlichen Erfolge) und die Perspektiven trotz aller „Nebel des Einsatzes“ ehrlicher zu diskutieren und zu klären (Definition überprüfbarer Zwischenziele).

Am Nachmittag Trauerfeier für die gefallenen Bundeswehrangehörigen: Mit dem Bundeswehr-Airbus fliegen so viele Abgeordnete wie nie zuvor mit nach Köln-Bonn, von meiner Fraktion auch Marieluise Beck.

In einem Hangar auf dem militärischen Teil des Flughafens sind die Särge aufgebahrt, rechts jeweils die Fotos der Toten. Die Angehörigen kommen herein, sich gegenseitig stützend, hinter ihnen Minister Jung, Generalinspekteur Schneiderhan mit seiner Frau, die Militärbischöfe. Nach den Worten der Militärdekane, des Ministers und kurzen Musikstücken ist die Schlusszeremonie besonders aufwühlend. Der langsame Einzug von je sechs Soldaten, die die Särge aufnehmen und bei leisem Trommelwirbel langsam heraustragen. Nach 2002 und 2003 erlebe ich hier zum dritten Mal die Rückkehr von im Einsatz in Afghanistan umgekommenen Soldaten. Als parlamentarischer Mitauftraggeber des Afghanistaneinsatzes ist eine Trauerfeier für mich jedes Mal eine politisch-moralische Gewissensprüfung.

24. Mai, Solidaritätsveranstaltung in Kunduz: Beschluss der Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schülerinnen + Schüler, Jugendorganisationen und Handwerksgenossenschaft der Provinz

So notwendig wie das Wasser zum Leben“

Die folgende Resolution wurde von der Versammlung verabschiedet – und persönlich unterschrieben:

„Wir, die Rechtgelehrten, die Ältestenvertreter, die Lehrerschaft, die Schülerinnen und Schüler, die Jugendorganisationen und Handwerksgenossenschaft der Provinz Kunduz verabschieden aufgrund der letzten Selbstmordattentate in der Stadt Kunduz, die durch Feinde Afghanistan aus dem Ausland organisiert und gegen Unschuldige durchgeführt wurden, folgendes Kommunique:

Wir verurteilen die Selbstmordattentate, wobei unschuldige Menschen, die dabei waren ihren täglichen Lebensunterhalt zu verdienen oder zu besorgen, ums Leben kamen. Wir sehen diese Tat als eine unislamisch und verfluchte Tat an.

Entführung und andere terroristische Taten an sich und ganz besonders als solche, die sich gegen Unschuldige richten, sind nach der Aja 23, Sure Israel des heiligen Qurans, verboten. Bezugnehmend auf diese Sure des Qurans verurteilen wir jede terroristische Aktivität.

Die Erhaltung des Frieden, der Freiheit, der Freundschaft und der Brüderlichkeit ist eine Glaubens- und islamische Aufgabe jeden Muslims und wir unterstützen auch jeden, der die Schaffung einer friedlichen Atmosphäre, der Sicherheit, der friedlichen Koexistenz auf seine Fahne geschrieben hat.

Wir fordern die Sicherheitsorgane wie Polizei, NDS auf, entschlossen gegen erklärte Feinde Afghanistans und all diejenigen, die ethnische Konflikte schüren, die Sicherheitslage destabilisieren, vorzugehen, ihre Pläne im Vorfeld aufzudecken und die Verantwortlichen in die Fänge des Gesetzes zu übergeben.

Wir fordern die Zentralregierung auf, Sicherheitsorgane wie die ANA, ANP, NDS und weitere Sicherheitsorgane mit besserem Material und Personal auszustatten, sie immer wieder zu motivieren, damit sie effektiver gegen Taten und Pläne der Feinde vorgehen können.

Wir verurteilen ganz besonders das Selbstmordattentat vom 19.05.2005, wobei drei Soldaten unserer befreundeten Nationen aus Deutschland ums Leben kamen, die in der Provinz Kunduz für Sicherheit, Stabilität und Wiederaufbau sorgten.

Wir bitten UNAMA, PRT und andere Vertreter der Weltgemeinschaft, unsere Botschaft auf der ganzen Welt zu verbreiten.

Die Anwesenheit des deutschen PRT´s in der Provinz Kunduz ist so notwendig wie das Wasser zum Leben. Die leidgeplagten Einwohner der Provinz Kunduz brachen weiterhin die Unterstützung des PRT´s.

Möge der Allmächtige Sie schützen und Ihnen Erfolg bringen.“

(Deutsche Übersetzung durch den Leiter des Sprachendienstes des PRT Kunduz vom 25.5.2007; die Resolution blieb in Deutschland praktisch unbekannt.)

Politisches Umfeld

26.-27. Mai 2007 Frühjahrstagung der NATO-Parlamentarierversammlung

in Funchal auf Madeira/Portugal. Neben den 151 Delegierten aus 26 Mitgliedsstaaten nehmen 20 assoziierte Delegationen (von Albanien über Schweden und Schweiz bis Russland) sowie Beobachter und Gäste (Afghanistan, Kosovo, Pakistan) teil. Hauptthemen im Politischen und im  Verteidigungs- und Sicherheitsausschuss sind Afghanistan, Bilanz von 5 Jahren Kampf gegen den internationalen Terrorismus, Operative NATO-EU-Kooperation, die Kritik der US National Security Strategy sowie die geplante Raketenabwehr in Polen und Tschechien.

Nach der angelsächsischen „Verbündetenschelte“ auf der Herbsttagung in Quebec bezüglich der Risikoverteilung beim Afghanistaneinsatz haben die deutschen Delegierten sich darauf eingestellt, bei Bedarf offensiv zu agieren. Doch der Stimmungswandel ist unüberhörbar. Die Berichtsentwürfe von  Raynell Andreychuck (CAN Konservative) und Frank Cook (GB Labour) wie vor allem die Diskussionsbeiträge haben jetzt ganz andere Schwerpunkte: Im Vordergrund stehen die Kritik an den zivilen Opfern alliierter Luftangriffe sowie die Forderung nach verstärkten Aufbauanstrengungen. Ich bringe die Widersprüche zwischen den Konzepten der politischen Hochebenen und den realen Strategien am Boden zur Sprache – bei der Drogenbekämpfung, den Operationsweisen von ISAF und OEF, der Kontroverse um lokale Waffenstillstände (z.B. Musa Qala), beim Polizeiaufbau. Hierbei betone ich, dass die deutschen Parlamentarier die Bundesregierung darauf drängen, deutlich mehr für den Polizeiaufbau zu tun.

Auch bei den anderen Themen wird der politische Klimawandel deutlich: In seinem Bericht zu „Fünf Jahren Terrorbekämpfung“ konstatiert Ruprecht Polenz (CDU), der Irak-Krieg habe die Afghanistan-Mission gefährdet und das Anwachsen des internationalen islamistischen Terrors gefördert. „Die Präsenz der von den USA geführten Koalition im Irak erweist sich als Rekrutierungsinstrument für radikale junge Muslime auf der ganzen Welt. (…) Die terroristische Bedrohung für die EU-Mitgliedsstaaten ist dem Jahresbericht von Eupol, der EU-Polizeibehörde, zufolge ´so schwer wiegend wie nie zuvor`.“ Ein pakistanischer Gast betont, der „Krieg gegen den Terror“ sei gescheitert, statt der Verliebtheit in Militärmacht müsse die soft power der Menschenrechte gestärkt werden. Der US-Sicherheitsexperte Lawrence Korb, Ex-Berater von Präsident Reagan, erfährt mit seiner brillanten Kritik an der gegenwärtigen US-Sicherheitspolitik (Unilateralismus, Präventivkriegsoption, „Überreaktion“ nach dem 11. September) keinerlei Widerspruch.

Während US-Abgeordnete inzwischen auffällig bescheiden auftreten, agieren die russischen Gastdelegierten genau entgegengesetzt. Neben einer Ehrenrettung für „Genossen Stalin“ gegenüber baltischen Delegierten empfiehlt man als Ausweg für Afghanistan einen „starken Mann“.

13. Juni Bundestagsdebatte zu OEF-ISAF

über den Grünen Antrag „Für einen sicherheitspolitischen Kurswechsel in Afghanistan – Nebeneinander von ISAF und OEF beenden“ (Drs. 16/5587): wir haben den Antrag eingebracht, damit die OEF-Debatte rechtszeitig noch vor den Mandatsdiskussionen im Herbst geführt wird. Die präzise und klare Rede von Jürgen Trittin erntet fraktionsübergreifend viel verdeckte Zustimmung. FolgerednerInnen sprechen auffällig oft von „da sind wir uns einig“, „sehr diskussionswürdig“. Außer Hans Raidel/CSU setzt sich niemand so richtig für die Fortsetzung von OEF ein. Die Offensiv-Operation OEF ist politisch total in der Defensive. Aber den KollegInnen scheint immer noch nicht klar zu sein, dass die Unverzichtbarkeit und Sinnhaftigkeit von OEF-AFG seit Jahren immer nur prinzipiell behauptet und nie konkret belegt wird. Was ich im Vorjahr kritisierte, gilt unverändert: Über OEF-AFG insgesamt gibt es keine aussagekräftige Unterrichtung. Die inzwischen 9. Fortschreibung des OEF-Berichts von AA und BMVg vom 8. Juni 2007 ist bezüglich OEF-AFG ein schlechter Witz. Aus meinem Vorwurf in der letzten OEF-Debatte im November, dies sei das am schlechtesten begründete Mandat (was mir führende Militärs bestätigten), scheint man bisher nichts gelernt zu haben.

16./17. Juni TOP Afghanistan auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen NRW in Bochum (neben den Hauptthemen Sozialpolitik und Hartz IV, Kinder- und Familienpolitik, Klimapolitik).

Die Kollegin Ute Koczy und ich berichten den Delegierten zunächst aus letzten Reiseerfahrungen über die aktuelle Situation in Afghanistan. Ich zitiere aus dem „Beschluss der Rechtsgelehrten, Ältestenvertreter, Lehrerschaft, Schülerinnen und Schüler, Jugendorganisationen und Handwerksgenossenschaft der Provinz Kunduz“, in dem diese die letzten Selbstmordattentate scharf als unislamisch verfluchen, die Sicherheitsorgane zu entschlossenem Vorgehen auffordern und zum Schluss feststellen, die Anwesenheit des deutschen PRTs in der Provinz Kunduz sei so notwendig wie das Wasser zum Leben.

Der vom Landesvorstand gemeinsam mit Fritjof Schmidt (MdEP), Ute Koczy, Kerstin Müller und mir eingebrachte Antrag „Afghanistan braucht eine politische Lösung“ wird überraschenderweise bei nur einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen angenommen. Offenbar kommen im Antrag eine verantwortliche Haltung gegenüber der Entwicklung in Afghanistan, eine klare Absage an kontraproduktive Militäraktionen und eine argumentative Auseinandersetzung mit Exit-Forderungen überzeugend zusammen. Ein Änderungsantrag zur Missbilligung der Tornado-Zustimmungen in der Bundestagsfraktion wird angenommen, ein anderer Antrag für eine Sonder-BDK mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Das letzte Drittel des Antrags behandelt die dringend notwendige Stärkung der zivilen außenpolitischen Fähigkeiten, ohne die von uns seit Monaten eingeforderte zivile Frühjahrsoffensive nicht in die Tat umgesetzt werden kann. Von diesem Knackpunkt ist bei bisherigen Afghanistandebatten nie die Rede gewesen. Da er bei uns völlig unstrittig ist, wird er auch nicht diskutiert und infolgedessen kaum bemerkt.

22./23. Juni Kurzbesuch in Mazar

Kurzbesuch der Obleute Verteidigungsausschuss beim Dt. ISAF-Kontingent in Mazar-e-Sharif und dem Tornado-Kontingent zusammen mit dem Parlamentarischen  Staatssekretär Thomas Kossendey. In Mazar ist das Thermometer inzwischen über 45° C.

Vor Ort stellt sich die Entwicklung der Sicherheitslage in der Nordregion mit ihren immerhin ca. 10 Mio. Einwohnern differenzierter und weniger dramatisch dar als in Deutschland. Die Anstiege der Sicherheitsvorfälle liegen bisher noch im jahreszeitlichen Trend, eine Verschärfung hat sich in Kunduz ergeben, anderswo nicht. Der Rückhalt in der Bevölkerung sei weiterhin sehr groß. Eine dt. Wissenschaftlerin habe im Rahmen  einer Feldstudie gefragt, was die Einheimischen mit den PRTs verbinden würden: „Entwicklung“. Wie schon beim letzten AFG-Besuch im Mai werden uns Ausschnitte aus der ISAF-Datenbank „Afghan Country Stabilization Picture“ präsentiert. Der strategische Ansatz ist, von vertrauensbildenden taktischen Maßnahmen  zu nachhaltiger Entwicklung zu kommen. Es gebe unglaublich viele Erfolgsstories.

Bei der Tornado-Einsatzstaffel Briefing zu den über ganz AFG verteilten Aufklärungsobjekten (Patrouillen- und Versorgungswege, Brücken + Staudämme, bisher nicht aktuell erfasste Geländeabschnitte, besondere Ereignisse wie Erdrutsche) und zum Verfahrensablauf (von der Anfrage über die priorisierte Aufklärungsliste, die Mandatskontrolle, den Einsatz, die Auswertung und Speicherung in der ISAF Datenbank “IMART“ und den begrenzten Zugang nur für ISAF-Berechtigte). Insgesamt braucht es bis zu 24 Stunden bis zur Nutzung der Aufklärungsfotos, von denen bisher 4.500 gemacht wurden. Es wird der Eindruck erweckt, als hätten die RECCE-Tornados direkt nichts mit den Kampfoperationen in Süd und Ost zu tun. Für mich stellt sich aber auch heraus, dass die seitens der Bundesregierung behauptete ausschließlich restriktive Weitergabe der Aufklärungsfotos an OEF eine nicht kontrollierbare Lücke aufweist – beim Regional Command East, wo ein US-General per „Doppelhut“ ISAF-Kommandeur für die Region und OEF-Kommandeur für ganz Afghanistan ist.

Am Rande gibt es neue Informationen zur Entwicklung in Kunduz nach dem Selbstmordanschlag auf die deutschen Soldaten: Schon am Tag des Anschlags kamen ca. 400 Mullahs zum Gouverneur. Sie wollten zum PRT und Solidarität demonstrieren. Das wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Am Tag des Lehrers gab es eine Versammlung von 700 Lehrern und Mullahs, wo die Anschläge massiv verurteilt wurden  und der „Beschluss der Rechtsgelehrten …“ verabschiedet wurde. Im Unterschied dazu ist die Handlungsbereitschaft der afghanischen Sicherheitsverantwortlichen weiterhin unzureichend. Die ISAF-PRTs könnten die einheimischen Verantwortlichen nur nach besten Kräften dabei unterstützen, die Attentäter und Unterstützer zu fangen. Tun müssten das aber die Afghanen selbst. In der Vergangenheit gelang es mehrfach, eingesickerte Terrorzellen ausfindig zu machen und zu verhaften, so dass jeweils über Monate Ruhe war. Jetzt klappt das nicht.

21. Juni Forderung nach ISAF-Ausstieg

Die beiden Träger der „Grünen Friedensinitiative“, Uli Cremer und Wilhelm Achelpöhler, veröffentlichen das 12-seitige Papier „Die Grünen und der Afghanistan-Krieg“: „Die gegenwärtige Grüne Strategie ist eine zur Fortsetzung des Krieges und keine Alternative dazu. Nur eine Strategie, die die zivilen Elemente aus dem militärischen Würgegriff löst, mithin ohne militärisches Engagement auskommt, ist wirklich zivil und alternativ.“ Die „Besatzungstruppen“ von OEF und ISAF müssen binnen weniger Monate abgezogen werden. „Ein deutscher Ausstieg aus OEF und ISAF wäre (…) gelebte friedenspolitische Verantwortungskultur. Der Schritt könnte als Katalysator wirken und den Afghanistan-Krieg beenden helfen.“  (www.gruene-friedensinitiative.de )

Das Papier bemüht sich um eine umfassenden Kritik und Delegitimierung der internationalen und deutschen Afghanistanpolitik. Wenn seine Kernthese vom ISAF-Einsatz generell als Kriegseinsatz und allen Beteiligten als Besatzern zuträfe, dann gäbe es tatsächlich nur eins: Abzug - und zwar schnell.

Die These wird abgeleitet aus einer verkürzten und pauschalen Wahrnehmung der afghanischen Realitäten und des internationalen Engagements dort: Die 22 Jahre Krieg und Gewaltherrschaften vor dem September 2001 werden genauso ausgeblendet wie die Tatsache, dass Afghanistan unter den Taliban der Ausbildungs- und Rückzugsraum für Abertausende internationale Gewalttäter und Terroristen und insofern eine Herausforderung internationaler Sicherheit war. Praktisch übergangen wird der VN-Rahmen des internationalen Engagements und der über lange Zeit und in den meisten Provinzen ausdrücklich gewaltverhütende Stabilisierungseinsatz von ISAF. ISAF im Norden, Westen und im Zentrum als Kriegseinsatz zu bezeichnen, verdreht die Realitäten. (vgl. Einsatzregeln von ISAF, fehlende Kriegsfähigkeit der PRTs, Fälle von Schwerstkriminalität, aber keine Kriegshandlungen) Im Unterschied zu Teilen des Südens gelten dort die ISAF-Soldaten ausdrücklich nicht als Besatzer. Das war bei jedem Kunduz-Besuch zu sehen und zu spüren. (vgl. Resolution der Rechtsgelehrten etc.) Wer ISAF unterschiedslos als Besatzer bezeichnet, übernimmt damit fahrlässiger Weise die Propaganda der Oppositionellen Militanten Kräfte und trägt – sicher ungewollt - zur Legitimation des „Widerstandes“ bei.

Das Papier beschränkt sich auf die Kritik herrschender Politik. Zu den Möglichkeiten einer weiteren Unterstützung des schwierigen Aufbau- und Friedensprozesses in Afghanistan schweigt es. Schön wär`s, wenn mit ISAF-Abzug der Frieden ausbrechen würde. Leider muss das krasse Gegenteil befürchtet werden. Interessanterweise macht man sich inzwischen sogar in der Links-Fraktion Gedanken darüber, wie ein Exit verantwortlich und nicht ohne Rücksicht auf Verluste laufen könnte. (Jürgen Trittin hat schriftlich auf das Papier geantwortet.)


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch