Elf Jahre nach Beschluss des Aktionsplans Krisenprävention fand er am 6. Februar bei der Diskussion des 4. Umsetzungsberichts quer durch die Fraktionen des Bundestages soviel Zustimmung wie nie zuvor. Minimal war aber das Medienecho darauf. Die Begegnung des Bundespräsidenten mit zivilen Friedensexperten in ZIF und Schloss Bellevue vier Tage später brachte hingegen dem Zukunftsthema Krisenprävention einen Durchbruch an Medienaufmerksamkeit.
Bundestagsdebatte zu ziviler Krisenprävention –
Bundespräsident würdigt zivile Friedensexperten -
eine Doppelpremiere zur rechten Zeit
Winfried Nachtwei, MdB a.D. (2/2015)
Zivile Krisenprävention, die Verhütung von internationalen Gewaltkonflikten mit neuen Instrumenten, Methoden und Ansätzen ist seit 1998 ein Politikfeld auch der Bundesregierung.
Am 6. Februar debattierte der Bundestag
über den 4. Umsetzungsbericht der Bundesregierung zum Aktionsplan zivile Krisenprävention von 2004. Erstmalig redete ein Außenminister ausführlich und kundig zu dem Thema, zu dem sich in der Vergangenheit höchstens Staatsekretäre geäußert hatten. Erstmalig fand eine Debatte zu dem Thema zu bester Zeit um 9.00 Uhr morgens statt. Und erstmalig erhielten das Politikfeld und der Aktionsplan so breiten und auch überzeugten Zuspruch quer durch die Fraktionen.[1]
Am 10. Februar besuchte Bundespräsident Joachim Gauck
das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin und lud anschließend zum Bellevue Forum „Experten für den Frieden – Deutschlands zivile Beiträge zur internationalen Konfliktlösung“ mit über 100 Gästen. Erstmalig besuchte ein Bundespräsident das vor 13 Jahren gegründete ZIF, das bisher kein Bundesminister aufgesucht hatte. Erstmalig widmete sich ein deutsches Staatsoberhaupt so prominent der zivilen Friedensförderung und ihren ExpertInnen. (Fotos auch www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Ausgesprochen passend war, dass die beiden Premieren die Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende einrahmten, wo bei der Konferenz vor genau einem Jahr die Forderung von Bundespräsident, Außenminister und Verteidigungsministerin nach mehr internationaler Verantwortung Deutschlands oftmals als Votum für mehr Auslandseinsätze (miss)verstanden worden war. Jetzt erhält zivile Krisenprävention politische Aufmerksamkeit wie nie zuvor seit den frühen 90er Jahren. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, diesem Politikfeld auch deutlich mehr Gewicht zu verleihen.
Gespaltenes Medienecho
Zur Bundestagsdebatte gab es allein am Vortag in der SZ einen Artikel („Mission Frieden“) und mein WDR-5-Interview, am 6.2. auf Phoenix ein Interview mit den MdB Sibylle Pfeiffer und Kathrin Vogler, am 9. Februar noch in „Das Parlament“ den Beitrag „Konflikte fallen nicht vom Himmel“. Ansonsten fand die Debatte in den klassischen Medien keinerlei Erwähnung. Ungebrochen blieb die Tradition, dass zivile Krisenprävention – bei aller grundsätzlichen Sympathie - offenbar keinen Nachrichtenwert hat. Das ist angesichts der Sperrigkeit, Komplexität und „unsichtbarer Wirkungen“ verständlich – aber auch kurzsichtig und ignorant. Kein Medienmensch würde behaupten, Frieden + Kriegsverhütung kämen von alleine. Die notorische Nichtberichterstattung läuft aber darauf hinaus, als wäre dem so. Wenn der Wehrbeauftragte einen Ausrüstungsmangel bei der Bundeswehr meldet, ist die breite Medienresonanz vorprogrammiert. Wenn „wir“ seit Jahren auf den eklatanten Rückstand und die Unterfinanzierung der zivilen Instrumente in Afghanistan und anderen Konfliktregionen hinweisen („Tröpfchen-Friedensförderung“) und die blamable deutsche Minibeteiligung an UN-Friedensmissionen kritisieren, dann war das bisher praktisch nie ein Thema, geschweige ein Skandal. Das WDR-5-Interview von Philipp Engel mit mir in „Politikum“ am 5. Februar 2015
http://www.wdr5.de/sendungen/politikum/konfliktloesung100.html
Das Unikat des SZ-Artikels „Mission Frieden“ auf www.facebook.com/winfried.nachtwei , das Phoenix-Interview https://www.youtube.com/watch?v=gFvuHzF7NkY
Die Begegnung von Bundespräsident und zivilen Friedensexperten fand hingegen ein so breites Echo, wie es das seit Start dieses Politikfeldes noch nie gegeben hat! Zum ersten Mal kommt zivile Krisenprävention raus aus der „Nische“.
Eine umfassende Presseschau hat das ZIF veröffentlicht: http://www.zif-berlin.org/fileadmin/uploads/ueber_zif/dokumente/Presseschau_Bundespraesident_im_ZIF_Feb_2015.pdf
Die umfassendsten und besten Beiträge (alle vom 11.02.2015) sind meiner Meinung nach
- TAGESSPIEGEL „Gauck würdigt zivile deutsche Friedenseinsätze“ von Ulrike Scheffer http://www.tagesspiegel.de/politik/rede-des-bundespraesidenten-gauck-wuerdigt-zivile-deutsche-friedenseinsaetze/11351710.html
- BERLINER ZEITUNG „Zwischen Nichtstun und Militäreinsätzen“ von Thomas Kröter, http://www.berliner-zeitung.de/politik/joachim-gauck-zwischen-nichtstun-und-militaereinsatz,10808018,29803176.html (in der FRANKFURTER RUNDSCHAU unter „Gauck sucht die Balance – Bundespräsident redet über zivile deutsche Außenpolitik“)
- DEUTSCHE WELLE „Gauck lobt zivile Friedenshelfer“ von Kay-Alexander Scholz, http://www.dw.de/gauck-lobt-zivile-friedenshelfer/a-18247994
- SÜDDEUTSCHE ZEITUNG „Krisenhelfer ohne Waffen – Bundespräsident Gauck will mehr deutsches Engagement in der Welt. Nun lenkt er den Blick auf die Arbeit ziviler Konfliktlöser. Er deutet an: Da geht noch mehr “ von Constanze von Bullion, ihr Kommentar „Friedenssucher“ , http://www.franziska-brantner.eu/wp-content/uploads/2015/02/Krisenhelfer-ohne-Waffen.pdf
Bundestagsdebatte am 6. Februar 2015
Schriftliches Protokoll (S.1-20) http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18086.pdf ;Video http://www.bundestag.de/mediathek/?instance=m187&mview=plenarsitzungen&action=plenarsitzungen&categorie=Plenarsitzung mit den Reden von
- Außenminister Dr. Frank-Walter Steinmeier: Er spricht neben Krisenprävention vor allem von „vorsorgender Außenpolitik“. Er veranschaulicht das unübersichtliche Politikfeld an Projekten zur Förderung von verlässlicher Staatlichkeit, zur Stärkung regionaler und multilateraler Strukturen und der Friedensmediation.
- Kathrin Vogler, LINKE (Obfrau im Unterausschuss/UA zivile Krisenprävention): Als einzige Rednerin bekennt sie sich ausschließlich zu ziviler Krisenprävention und erklärt jedem Militäreinsatz eine Absage – also auch UN-Friedenseinsätzen und UN-Friedenssicherung. Als Fortschritt nennt sie vor allem die Entwicklung des Zivilen Friedensdienstes. Insgesamt sei aber der deutsche Beitrag zu ziviler Krisenprävention „beschämend gering“ und überdies ein Sammelsurium von Maßnahmen, von denen etliche mit ziviler Krisenprävention nichts zu tun hätten. Die Regierung benutze zivile Krisenprävention als „Feigenblatt für eine militärinterventionistische Politik“.
- Dr. Franz-Josef Jung, CDU/CSU (Ausw. Ausschuss, Ex-Verteidigungsminister): Nach zustimmenden Sätzen zur zivilen Krisenprävention kommt er schnell auf den vernetzten Ansatz zu sprechen und vor allem auf Militär als „ultima ratio“.
- Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen (Vorsitzende UA zivile Krisenprävention + Obfrau) benennt Schlüsselfragen und Herausforderungen der Krisenprävention – der Unsichtbarkeit und schweren Messbarkeit ihrer Erfolge, die Wirkungschancen von Krisenprävention, die schwierige Vorhersehbarkeit von Krisen. Massiv investiert werden müsse in Wissen, Konzepte, weitere Instrumente und Menschen. In den Blick zu nehmen seien krisenverschärfende Effekte eigener Politik.
- Dr. Ute Finckh-Krämer, SPD (Ausw. Ausschuss, Menschenrechtsausschuss, Obfrau im UA zivile Krisenprävention, UA Abrüstung)schildert anschaulich schildert wichtige Instrumente und Projekte der zivilen Krisenprävention wie das Förderprogramm zivik mit „Peace Counts“, den Zivilen Friedensdienst, die AG Frieden und Entwicklung (FriEnt) und benennt Polizeimissionen und den deutschen OSZE-Vorsitz ab 2016 als wichtige Felder staatlicher Präventionspolitik.
- Thorsten Frei, CDU/CSU (Ausw. Ausschuss, EU-Ausschuss, Obmann UA zivile Krisenprävention): Die Diskussion zum Aktionsplan sei eine überzeugende Antwort auf die Debatte zur internationalen Verantwortung Deutschlands. Die Entscheidung der Bundesregierung 2004 zum Aktionsplan sei eine „wegweisende Entscheidung“ gewesen. (Das Urteil freut mich.) Er habe wesentliche Marksteine formuliert, erstens den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen. Er lobt die Weiterentwicklung von ZIF, BAKS, ZFD … und fordert eine alljährliche außenpolitische Generaldebatte. Deutlich benennt er das Missverhältnis zwischen vorbildlichen deutschen Finanzbeiträgen für UN-Peacekeeping und den geringen Personalbeiträgen Deutschlands.
- Josip Juratovic, SPD (Ausw. Ausschuss, UA zivile Krisenprävention), begrüßt, dass im Umsetzungsbericht die Sichtbarkeit der zivilen Krisenprävention als eigene Aufgabe definiert ist. Näher geht er auf den regionalen Ansatz und die Förderung von Nachhaltigkeit ein. Auch er fordert eine stärkere personelle Unterstützung von UN-Missionen.
- Dagmar G. Wöhrl, CDU/CSU (Vorsitzende des Entwicklungsausschusses AWZ): „Dass ein Aktionsplan, der 2004 beschlossen worden ist, jetzt auch für die vierte Koalitionsregierung gilt, zeugt von der Weitsicht dieses Plans, zeigt aber auch seine Weitsichtigkeit“, gerade auch in Bezug auf Krisenprävention als Querschnittsaufgabe. Sie verweist auf externe Ursachen von Gewalt und Fragilität und fordert, den Do-No- Harm-Ansatz auch außerhalb der Entwicklungspolitik anzuwenden. Nachhaltige Entwicklungspolitik sei auch für Krisenprävention das Wichtigste. Entwicklungszusammenarbeit und Krisenprävention seien Teamarbeit. Wichtig sei das bestmögliche Zusammenwirken aller staatlichen, nichtstaatlichen, internationalen und nationalen Akteure. Wie andere RednerInnen spricht sie die weitgehende Unsichtbarkeit erfolgreicher Gewaltverhütung und den Nachholbedarf bei der Beteiligung an UN-Friedenssicherung an.
- Sibylle Pfeifer, CDU/CSU (Obfrau AWZ), erinnert daran, wie ungemein schwierig die Lösung von Konflikten sei, wenn diese ausgebrochen sind. Deshalb sei Konfliktprävention so wichtig. Beispielhaft nennt sie die Integration von Minderheiten, die Primärverantwortung der Konfliktparteien und die unterstützende, subsidiäre Rolle externer Akteure, schließlich den Vorrang ziviler Instrumente, nur sie seien nachhaltig und langfristig.
- Dr. Egon Jüttner, CDU/CSU (Ausw. Ausschuss, Menschenrechtsausschuss, UA zivile Krisenprävention + UN): Der Umsetzungsbericht zeige eine bemerkenswerte Bandbreite an Maßnahmen der zivilen Krisenprävention. Eine wesentliche Aufgabe sei die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen. Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes engagieren sich für den Schutz von Menschenrechten.
Etliche Formulierungen mehrerer RednerInnen lassen darauf schließen, dass die Argumente aus unserer Beiratsstellungnahme auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Die meisten Abgeordneten veröffentlichten ihre Reden auf ihren Homepages.
Bundestagsbeschlüsse: Zum Thema haben die Fraktionen jeweils Entschließungsanträge eingebracht, die nach den Parlamentsregeln sofort abgestimmt werden müssen und nicht wie der Umsetzungsbericht an die Ausschüsse überwiesen werden. Abgestimmt wurde nach den sturen Koalitionsregeln, dass – unabhängig von inhaltlichen Übereinstimmungen – alle Anträge aus der Opposition abgelehnt werden. Den Reden und den Antragstexten zufolge gibt es erfreulich viel Konsens – abgesehen von der partiellen Fundamentalopposition der Linken.
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw06_angenommen_abgelehnt/359274
Entschließungsantrag der Koalition 18/3926 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/039/1803926.pdf
Entschließungsantrag der Linken 18/2927 http://dip21.bundestag.de/dip21btd/18/039/1803927.pdf
Entschließungsantrag der Grünen 18/3928 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/039/1803928.pdf
ZIF-Besuch des Bundespräsidenten am 10. Februa
Teilnahme an einem Workshop „Übergangsjustiz und Sicherheitssektorreform“, Bericht + Fotos auf www.zif-berlin.org , insbesondere auch der Bericht der Deutschen Welle; anschließend
Bellevue Forum „Experten für den Frieden – Deutschlands ziviler Beitrag zu internationaler Konfliktlösung“
mit über 100 geladenen Gästen überwiegend aus Friedensforschung, Krisenprävention und –management, Entwicklungszusammenarbeit, aus staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, für den Bundestag Vizepräsidentin Claudia Roth, MdB, für die Bundesregierung Staatssekretärin Dr. Emily Haber (BMI, früher AA). Im Hintergrund etliche Fernsehkameras.
Den Auftakt macht der Bundespräsident mit einer Grundsatzrede zu Deutschlands zivilen außenpolitischen Beiträgen. Er knüpft ausdrücklich an seine Münchner Rede von vor einem Jahr an:
Angesichts der jüngsten Krisen habe Deutschland „Verantwortung übernommen, und zwar in unterschiedlicher Form, je nach Problem- und Interessenlage, und entsprechend seinen Möglichkeiten. In der Krise um die Ukraine engagiert sich die Bundesrepublik intensiv für eine politische Lösung – durch Verhandlungen wie durch Wirtschaftssanktionen. Neuland betrat die deutsche Politik, indem sie Waffen an die Peschmerga lieferte, die sich im Irak gegen die selbsternannten Gotteskrieger vom Islamischen Staat wehren. Und während der Ebola-Krise baute Deutschland eine Luftbrücke auf und schaffte ein Spezialflugzeug an, damit freiwillige Helfer nun notfalls ausgeflogen werden können. Übrigens gehört zum deutschen Engagement auch jede Aktivität, die die Zivilgesellschaft in verschiedensten Organisationen und Vereinen weltweit leistet.
Die Bundesrepublik hat im vergangenen Jahr wichtige Schritte unternommen und verstärkt mitgeholfen, das System internationaler Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten, um Menschen in Not beizustehen. Und auch in solch unsicheren Zeiten gilt: Deutschland handelt stets gemeinsam mit seinen Partnern – weltweit und besonders mit anderen Ländern der Europäischen Union. Es handelt im Rahmen von Bündnissen und nach Maßgabe der Europäischen Verträge sowie des Völkerrechts.
Die internationale Ordnung, von der die Bundesrepublik als überdurchschnittlich globalisiertes Land bisher stark profitiert hat, sie ist stärker bedroht, als wir es vor etwa 20 Jahren erwarten konnten. Die andauernden Konflikte in der Ukraine und in Syrien machen deutlich, wie schwer es der Weltgemeinschaft heute fällt, Krisen mit den vorhandenen internationalen Normen und Institutionen wirkungsvoll zu begegnen.
Aus diesen Gründen hat es im vergangenen Jahr eine so intensive Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik in Deutschland gegeben wie wohl seit dem Zerfall Jugoslawiens nicht mehr. Es ging und es geht auch darum, welche Rolle Deutschland – angesichts seiner Werte und Erfahrungen, seiner Interessen und internationalen Bedeutung – in der Welt spielen soll. Der offene Diskurs darüber ist eine der wesentlichen Stärken unserer freiheitlichen Gesellschaft. Deshalb freue ich mich über diese ernsthafte Debatte.
In der weiteren Debatte sollten wir nicht übersehen: Erstens trägt auch Verantwortung, wer abseits steht. Und zweitens gibt es im Spektrum zwischen Nichtstun und dem Einsatz militärischer Mittel als ultima ratio vielfältige Formen von Engagement und Eingreifen. Dazu zählen Analysefähigkeit, Vermittlung und Verhandlung, Anreiz und Druck und nicht zuletzt: gezielte Friedensmissionen.
Um Menschenleben zu retten, Frieden zu bewahren oder wiederherzustellen, verfügt die Außen- und Sicherheitspolitik über eine Vielzahl von Instrumenten. Es gibt allerdings keine immer und überall gültige Anleitung zur Konfliktlösung, die bei Bedarf aus der Schublade zu ziehen wäre. Jede Situation ist für sich zu analysieren und zu bewerten. Für jede Situation gilt es, die passenden Instrumente zu wählen oder sie neu zu entwickeln, auch passende Bündnispartner zu gewinnen. Das muss eine der wichtigen Maximen kluger, angemessener und vorausschauender Politik sein.
Gerade dann ist es angezeigt, nicht nur über das zu sprechen, was wir sollen, sondern auch über das, was wir wollen und das, was wir können. Es liegt in unserer Hand, von unserer eigenen Verantwortung auszugehen und sie im festen Bekenntnis zu den universellen Werten und zum Völkerrecht zu definieren. Was möchten wir erreichen, was möchten wir beitragen? Und was können wir selbst tun, um dieser internationalen Verantwortung nachzukommen – und damit dem Auftrag gerecht zu werden, den uns die Präambel unseres Grundgesetzes mitgibt: "dem Frieden in der Welt zu dienen"?
Beiträge zur internationalen Sicherheit brauchen Kenntnisse und Fähigkeiten. Deutschland besitzt besondere Expertise im zivilen Krisenmanagement und hat zudem seine Anstrengungen in der Krisenprävention kontinuierlich gesteigert. Das wird weltweit anerkannt. Und Deutschland engagiert sich auf vielfältige Weise im internationalen Krisenmanagement, sowohl bilateral als auch multilateral, durch die Vereinten Nationen und im Rahmen von EU und OSZE sowie mit der NATO. Dieses besondere Engagement der Bundesrepublik ist jedoch in der Öffentlichkeit nicht immer sichtbar. Es ist ja auch verständlich: Wenn der Bundestag ein Auslandsmandat für die Bundeswehr beschließt, dann erfährt das meist größere Aufmerksamkeit – und es ist ja auch meist kontroverser – als die vielen laufenden zivilen Einsätze.
Konfliktlösung braucht Geduld, denn es geht im Kern darum, anderen dabei zu helfen, Normen und Institutionen einer Gesellschaft wieder aufzubauen oder fortzuentwickeln, um eine friedliche Regelung von Konflikten zu ermöglichen.
Stabile staatliche Strukturen sind dafür unabdingbar. Schwache Staaten können gefährlichen Entwicklungen in ihrem Innern keinen Einhalt gebieten. (…)
Es ist gut, dass wir zur Konfliktlösung heute über ein breites Spektrum erprobter Instrumente verfügen und Zivilisten, Polizisten und Soldaten dabei vertrauensvoll zusammenarbeiten. Die Abstimmung zwischen den Beteiligten wird durch wachsende Erfahrung immer besser, so dass am Ende eine erfolgreiche Kooperation stehen kann. Ich bin mir sicher: Gerade durch die vielfältigen Erfahrungen der zivilen Experten vor Ort kann diese Vernetzung weitere wichtige Impulse erhalten.
Für die besondere Rolle Deutschlands in der Prävention und Bearbeitung von Konflikten stehen zahlreiche Organisationen und Institutionen mit all ihren spezifischen Fähigkeiten und ihrem großen Engagement. Ob mit privater oder staatlicher Finanzierung, sie machen die zivile Expertise Deutschlands international wirksam. Das Spektrum ist groß – ich nenne nur Konfliktprävention und Entwicklungszusammenarbeit, Bekämpfung von Hunger und Krankheiten, Krisenvorsorge und -nachsorge durch Medizin und Technik. Entscheidend ist für gelungene internationale Einsätze auch die konzeptionelle und wissenschaftliche Arbeit zu Hause. Es gilt, strategiefähig zu sein. Und deshalb gehören zu meinen Gästen heute auch Wissenschaftler von Forschungsinstituten, Expertinnen von Think Tanks, Vertreter von Stiftungen und andere engagierte Mitbürger. Stellvertretend für alle, die im weitesten Sinne in Deutschland und in der Welt zu erfolgreicher Prävention und Lösung von Konflikten beitragen, habe ich heute das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze besucht. Ich habe einen Einblick erhalten, wie intensiv und kompetent dort Experten auf ihre Arbeit vorbereitet werden.
Bei Ihnen allen, die Sie als zivile Experten wichtige Arbeit unter oft schwierigen Bedingungen leisten, möchte ich mich heute persönlich bedanken. Sie sind wichtige Repräsentanten unseres Landes. Sie sind Botschafter des Friedens, und Sie sind Botschafter unserer Demokratie. Dies gilt auch für die Experten und Aktiven der deutschen politischen Stiftungen, die weltweit aktiv sind, um demokratische Werte zu implementieren und zu stärken. Sie alle bringen Welterfahrung mit zurück nach Deutschland. Deshalb möchte ich Sie ermutigen: Geben Sie Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse weiter.
Damit können wir heute und hier beginnen: Was sind die alltäglichen Herausforderungen Ihrer anspruchsvollen Tätigkeit, und womit sehen Sie sich nach Ihrer Rückkehr konfrontiert? Wie lässt sich beispielsweise die Arbeit ziviler Experten in Friedenseinsätzen sichtbarer machen? Welche konzeptionellen Fragen stellen sich beim Ansatz der vernetzten Sicherheit? Kann die ressortübergreifende Zusammenarbeit weiter verbessert werden? (…)“
ZIF-Direktorin Almut Wieland-Karimi leitete die anschließende Diskussion mit kurzen, klaren Botschaften ein: Sie sei überzeugt, dass Krisenprävention besser sei als Intervention. Das Bild der „Friedensinsel Europa“ stimme nicht mehr. „Wir müssen uns mehr engagieren!“ Zentral sei Rechtsstaatlichkeit. Wer seien die zivilen Experten der Entwicklungszusammenarbeit, Nichtregierungsorganisationen und Friedensmissionen, was treibe sie an?
Podiumsgespräch mit den Zivilexperten Norbert Koster (Richter OLG Hamm, 2005-2011 für UN + EU Richter im Kosovo, 2011/12 Leiter Rechtsabteilung EUPOL Afghanistan), Constanze Schimmel (Legal Advisor EUCAP Mali, vorher bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Genf und Algerien), Cornelia Schneider (Judical Affairs Officer UN New York, vorher bei UN-, EU-Missionen in Ostkongo, Kabul) sowie der UA-Vorsitzenden Franziska Brantner, moderiert von der Fernsehjournalistin und –moderatorin Astrid Frohloff (sie ist auch Vorstandssprecherin von „Reporter ohne Grenzen“).
Plastisch geschildert werden Aufgaben und Einsatzbedingungen der Rechtsstaatsexperten in Ostkongo (bei einem Prozess gegen Soldaten der Regierungsarmee wegen Massenvergewaltigung), im Kosovo (in einem kosovarischen Gericht ohne Geschäftsverteilung, internationale Richter bearbeiten die schwersten Delikte – und stammen aus unterschiedlichen Rechtskulturen), in Mali (katastrophale Haftbedingungen auf einer Polizeiwache). Die internationalen Experten müssten vor allem und zuerst zuhören und lernen können, erkennen, wie die Menschen und Gesellschaften vor Ort „ticken“. Da könnten auch drei Jahre Einsatz sehr kurz sein. Zu bedenken sei, dass Länder nach Kriegen im (erfolgreichen) Durchschnitt um 20 Jahre brauchen, um einigermaßen Frieden aufzubauen.
Eine Kommunikation zwischen den verschiedenen Welten der „Internationalen“ gebe es in der Regel nur auf individueller Basis und nicht institutionalisiert, überwiegend Nebeneinander statt Zusammenarbeit.
Franziska Brantner betont, dass Deutschland sehr viel mehr machen könne. Von 12.400 Polizisten in UN-Missionen seien derzeit nur zwei Dutzend Deutsche. Dabei werde international immer wieder Bedarf angemeldet. Entscheidend seien der politische Wille und die öffentliche Anerkennung.
Zur Sprache kommen schließlich die Vertragsbedingungen der sekundierten Zivilexperten, die bisher mit erheblichen Nachteilen einhergehen und in keiner Weise Einsatzbereitschaft fördern: Dass ein Jurist, der nach Afrika gehe, anders als ein Polizist im selben Einsatz, nur 20 Kilogramm Reisegepäck mitnehmen könne, "für ein Jahr in der Wüste". Dass es kein Gehalt gebe, sondern nur eine Aufwandsentschädigung, weil es den Beruf "Friedenshelfer" nicht gebe. Oder dass viele nach ihrem Einsatz beruflich in ein Loch fielen und auf staatliche Hilfe angewiesen seien. (Bei einer Tagung zu Justizpersonal in Rechtsstaatsmissionen Ende September 2014 in der Evangelischen Akademie Loccum wurden diese Einsatzkonditionen von einer ehemaligen Justizministerin als „skandalös“ bezeichnet. Durch Weiterentwicklung des ZIF zu einer Entsendeorganisation sollen reguläre Arbeitsverhältnisse mit seriöser Absicherung ermöglicht werden.)
Gauck sagt, er werde sich in die Debatte einmischen.
Die FriedenspraktikerInnen auf dem Podium sind starke, erfahrene, überzeugende und gewinnende Persönlichkeiten, dicht an den Realitäten von Konfliktländern, geduldig allen Widrigkeiten zum Trotz für rechtsstaatliche Fortschritte arbeitend. International haben sie zu Recht einen besonders guten Ruf. Sie sind Mutmacher in Zeiten, wo Gründe zum Verzweifeln wuchern. Auf diese Frauen und Männer kann die deutsche Öffentlichkeit und Politik stolz sein – ohne darüber in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Denn die Aufmerksamkeit und Unterstützung für die zivilen Friedensexperten von ZIF, Zivilem Friedensdienst, Entwicklungszusammenarbeit und Polizisten in Friedenseinsätzen war bisher viel zu spärlich.
Beim anschließenden Empfang führen der Bundespräsident und Daniela Schadt, seine Lebensgefährtin, noch viele lebhafte Gespräche. Vereinzelt höre ich die Kritik, dass heute die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure zu wenig Beachtung gefunden hätte. Kaum bekannt ist, dass das ZIF den Bundespräsidenten zu einem Besuch eingeladen hatte. Gauck wie Wieland-Karimi verwiesen in ihren Reden auf die Vielfalt der Akteure der zivilen Krisenprävention.
Als letzte Gäste verlassen wir in gelöster Stimmung mit KollegInnen von Zivilem Friedensdienst, Plattform, VENRO und Beirat das gastfreundliche Schloss Bellevue.
Weiter geht`s bei mir zu einem Seminar mit 100 niedersächsischen SchülerInnen in Loccum über Medienberichterstattung in internationalen Krisen und Konflikten. Dort wird der mediale „Bad-News“-Mechanismus zur Sprache kommen, dem üblicherweise eine Berichterstattung über Friedensakteure und –prozesse zum Opfer fällt.
Eine Woche später startet in Berlin mit einer Auftaktkonferenz der Prozess zur Erarbeitung des sicherheitspolitischen Weißbuches der Bundesregierung unter Federführung des Verteidigungsministeriums. Man darf gespannt sein, wieweit sich die Erkenntnisse und Beteuerungen von Bundestagsdebatte und Bellevue-Forum dabei niederschlagen.
[1] Zum 4. Umsetzungsbericht erschienen von zivilgesellschaftlicher Seite drei Stellungnahmen:
- aus dem Beirat Zivile Krisenprävention beim Auswärtigen Amt, http://www.die-gdi.de/fileadmin/user_upload/bilder/spezial_dauerthemen/Beirat_Zivile_Krisenpraevention_Stellungnahme_15.12.2014.pdf
- gemeinsam von der Plattform zivile Konfliktbearbeitung/Forum Menschenrechte/Konsortium Ziviler Friedensdienst/VENRO, http://konfliktbearbeitung.net/node/7133
- der Gemeinsamen Konferenz Kirche + Entwicklung/GKKE, http://www3.gkke.org/fileadmin/files/downloads-allgemein/20150202_GKKE-Stellungnahme.pdf
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: