Anlässlich der Bilanzierung und Weiterentwicklung des Aktionsplans hier meine wichtigsten Kommentare zum Entwurf von 2003 (intern), zum Kabinettsbeschluss und zu den Umsetzungsberichten. Die Kontinuität der Problemanzeigen über die Jahre ist ernüchternd.
Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung
und Friedenskonsolidierung“ (zum Entwurf vom 10.11.2003)
W. Nachtwei, sicherheitspolitischer Sprecher, 26. Januar 2004
Der Entwurf entspricht den komplexen Anforderungen von ziviler Krisenprävention (zKPr) in hohem Maße. Er entfaltet die Querschnittaufgabe Krisenprävention in ihrer ganzen Breite, fördert die Kohärenz zwischen Ressorts, staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und stellt das alles in den multilateralen Kontext. Der Aktionsplan entwickelt die Anforderung an effektive Krisenprävention in ihren Grundlinien und versucht diese zu operationalisieren. Das Problem der Gewaltökonomien und ihrer Eindämmung wird angemessen berücksichtigt.
Wertvoll und beeindruckend ist die ressortübergreifende Bestandsaufnahme.
Hervorzuheben und zu begrüßen sind die empfohlenen Aktionen zur Stärkung der Infrastruktur ZKB
- Ansprechpartner für Krisenprävention in den Ressorts, im AA Beauftragte/r der Bundesregierung für KPr und Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen
- Ressortkreis für Krisenfrüherkennung
- Ländergesprächskreise unter Einschluss nichtstaatlicher Akteure, Erarbeitung von Länderstrategien
- Gemeinsam verwaltete Fonds für KPr (aus Etats AA, BMVg, BMZ) nach britischem Vorbild
- Beirat KPr zusammen mit nichtstaatlichen Akteuren und Wissenschaft
- Ausbau des ZFD, Umsetzung der Evaluierungsempfehlungen
- Abschluss des ZIF-Aufbaus, gesetzliche Absicherung der Entsendung von Fachkräften
- Evaluation der Umsetzung des Aktionsplanes
- Jährlicher Bericht an Bundestag, umfassende Datenbank zum dt. Engagement in zKPr beim Statistischen Bundesamt
Ergänzende Anregungen:
- Zu den das Gesamtkonzept „zKPr ...“ ergänzenden Grundsatzdokumenten gehört auch der Bericht der Bundesregierung zu ihrer Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (S. 9)
- Militär und Nichtverbreitung, Abrüstung, Rüstungskontrolle (S. 7, 16f:, 32f.): Hier bleiben wesentliche gewaltpräventive Aufgaben/Fähigkeiten unerwähnt. Zum Beispiel im Aufgabenfeld „Dialog + Kooperation“ Ausbildungshilfen im Sinne rechtsstaatlicher Militärreformen, Vertrauensbildung und multinationale Integration; Militärbeobachter, Abrüstungszusammenarbeit, Nutzung von Rüstungskontrollinstrumenten für KPr (vgl. der innovative Ordner des ZVBw). Als besondere Einrichtungen von herausragender Bedeutung und internationaler Reputation sollten genannt werden „VN-Ausbildungszentrum der BW“ in Hammelburg, Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr in Geilenkirchen. Die Aktivitäten dieser Einrichtungen machen deutlich, dass auch Militär vollwertige Beiträge zur zKPr leisten kann. Die NRF als Truppe für high-intensity-Interventionen, also umfassende Kampfeinsätze, passt ganz und gar nicht in den Kontext des Aktionsplanes – die Möglichkeit kriegerischer KPr soll ja wohl nicht angedeutet werden.
- Effektive KPr, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung: Auf militärischer Seite bestehen klare Vorstellungen, was die Bundeswehr leisten können soll (Stabilisierungskräfte von insgesamt 70.000 Personen sollen bis zu fünf parallele Operationen mit bis zu 14.000 Soldaten über längere Zeit durchführen können. Laut VPR sollen Friedensmissionen über ausgewogene militärische, zivile und polizeiliche Fähigkeiten verfügen.) Bisher völlig offen ist der entsprechende zivile und polizeiliche Kräftebedarf bei multidimensionalen Friedensmissionen. Im Sinne effektiver Friedenskonsolidierung und KPr sind Headline Goals anzustreben für Polizeikräfte, Zivil-, Verwaltungs- und Rechtsexperten, Minenräum- und DD&R-Kapazitäten. (Im Evaluationsbericht ZFD ist dieses Problem mit der Empfehlung angesprochen, den ZFD so zu verstärken, dass er zu einer „kritischen Masse“ werden könne.)
- Schnelle Verfügbarkeit von zivilen und polizeilichen Einsatzkräften ist dringend für die schnelle Wirksamkeit von Friedensmissionen in der kritischen Startphase. Hier wären Bereitstellungsverträge zwischen Entsendeorganisation und Zivil-/Polizeiexperten zu prüfen, wie sie jetzt zwischen Bundeswehr und Reservisten praktiziert werden.
- CIVPOL: Der Mehrbedarf wird konstatiert. Zu schwach ist die Formulierung „Um die benötigten Rekrutierungen zu erreichen, bedarf es entsprechender Anstrengungen.“ (S.26) Deutlich werden muss, dass Auslandseinsätze eine neue wichtige Aufgabe von Polizeien des Bundes und der Länder ist und dass es hierfür einer Personalreserve bedarf.
- Längerfristige Nachwuchsförderung: Förderung der Bereitschaft und Fähigkeiten zur Beteiligung an internationalen Verwendungen/Friedensmissionen in Studien- und Ausbildungsgängen.
- Nichtstaatliche Akteure leisten gerade auf den unteren und mittleren gesellschaftlichen Ebenen wichtige Beiträge zur zKPr und zu gesellschaftlichen Verständigungs- und Friedensprozessen. Im Vergleich zu humanitären und Hilfsorganisationen ist ihre Arbeit relativ wenig spendenattraktiv, weil weniger spektakulär und sichtbar, dafür aber umso kontinuierlicher und langwieriger. Folge ist eine massive Unterfinanzierung von NGO`s im Bereich ZKB. Mit der erfreulichen Finanzierung von Projekten und Ausbildung in ZKB z.B. über den FEM-Titel vergrößert sich die Kluft zwischen der ausgeweiteten Projektarbeit und den organisatorischen Kapazitäten. Hier sind Formen struktureller Förderung zu eröffnen.
- Friedensforschung (S. 58) ist unverständlicherweise nur am Rande angesprochen. Auch mit Grundlagenforschung und Nachwuchsförderung leistet die DSF wichtige Beiträge zur zKPr. Sie ist ein Fortschritt gegenüber den Vorjahren. Ihr noch recht geringes Stiftungskapital ergab in 2003 nur 738.000 € für Projektförderung. Ein Großteil geeigneter und sinnvoller Projekte kann nicht gefördert werden. Der Vergleich mit Forschungs- und Beratungsaufwendungen im Verteidigungsbereich sind extrem: dort stehen in 2004 für wehrtechnische Forschung und Technologie und grundfinanzierte institutionelle Förderung 327,5 Mio. € zur Verfügung.
- Zivile Krisenprävention im Inland: Schulmediation und Streitschlichtungsprogramme finden inzwischen an ca. 3000 Schulen statt. Für die Konfliktentwicklung in Krisenregionen ist die „Diaspora“ von erheblicher – meist negativer - Bedeutung. Hier ergeben sich wichtige, bisher nur wenig wahrgenommene Ansatzpunkte für zKPr. (S. 42)
- Friedensberichterstattung: (S.44 ff) Die Zustimmung zum Vorrang nichtmilitärischer Konfliktlösung ist breit, die Kenntnisse über zKPr sind hingegen äußerst gering. ZKPr braucht Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit auch im Inland, um die notwendige öffentliche Unterstützung zu gewinnen. Bisher gibt es in der außen- und sicherheits-politischen Bildungsarbeit eine deutliche Militärlastigkeit (Jugendoffiziere, Ausstellungen, großes Medienangebot), mit Abstand gefolgt von der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit. (S. 46) ZKPr leidet hingegen unter strukturellen Sichtbarkeitsproblemen. Ihre Aktivitäten sind schwieriger zu visualisieren, ihre Erfolge in der Regel kaum nachweisbar. Umso wichtiger sind Medienprojekte, die das Spannende und Faszinierende an zKPr/ZKB rüber bringen können. (vgl. “peace counts project”)
- Bestimmte Leuchtturm-Aktionen könnten dem Aktionsplan breitere Aufmerksamkeit verschaffen.
- Mittelfristig bedarf der Aktionsplan der Einbettung in eine außen-, sicherheits- und friedenspolitische Gesamtkonzeption bzw. –strategie.
Aktionsplan Krisenprävention:
Großer Fortschritt an Friedensfähigkeit
von Winfried Nachtwei, MdB, sicherheitspolitischer Sprecher (5-10/2004)
Am 12. Mai 2004 billigte das Bundeskabinett den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“.
Der ressortübergreifende Plan verstärkt die zivile Krisenprävention als Querschnittaufgabe in der gesamten Politik der Bundesregierung und ist ein großer Schritt zu mehr Kohärenz, VN-Fähigkeit und friedenspolitischer Wirksamkeit. Damit erreicht das Engagement der rotgrünen Bundesregierung für Zivile Krisenprävention in der internationalen Politik eine neue Stufe. Im internationalen Vergleich ist dieser Aktionsplan einmalig. Bedauerlich ist, dass er in den Medien über etwas „Pflichtberichterstattung“ hinaus kaum auf Resonanz stieß.
Für die Umsetzung und Weiterentwicklung des Aktionsplanes sind eine verbesserte Ausstattung mit Personal und Finanzmitteln sowie eine ständige Begleitung durch Parlament und interessierte Öffentlichkeit unabdingbar. Bei einem ausgezeichnet besuchten Parlamentarischen Abend der Deutschen Stiftung Friedensforschung am 22. September in Berlin wurde der Aktionsplan als großer Schritt nach vorne und ganz im Sinne der folgenden Kommentierung gewertet. Wenige Tage zuvor war erstmalig der „Ressortkreis Krisenprävention …“ zusammengetreten, in dem alle Ressorts der Bundesregierung vertreten sind.
Der Aktionsplan setzt den Weg fort, der in der Koalitionsvereinbarung 1998 mit der Verpflichtung auf zivile Krisenprävention begann und mit dem Gesamtkonzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ im Jahr 2000 eine erste konzeptionelle Grundlage fand. Der Aktionsplan geht zurück auf die Initiative der Bündnisgrünen. Als „Verteidigungspolitiker“ werde ich seit Jahren über den planmäßigen und systematischen Aufbau neuer militärischer Fähigkeiten informiert. Auf dem Feld der Zivilen Krisenprävention gab es wohl sehr wichtige Innovationen. Von einem breit angelegten und systematischen Aufbau neuer ziviler Fähigkeiten war das aber noch weit entfernt. Solches sollte mit einem Aktionsplan auf den Weg gebracht werden. So „landete“ das Vorhaben Aktionsplan zuerst im Wahlprogramm der Bündnisgrünen – und dann mit unserer Formulierung nach etwas Sträuben, aber ohne sonderlichen Widerstand auf Seiten der Regierung in der Koalitionsvereinbarung von 2002. Zum wiederholten Male machten wir dann die ermutigende Parlamentariererfahrung, dass sich das federführende Auswärtige Amt (AA) mit dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und weiteren Bundesministerien völlig eigenständig an die Umsetzung der Vorgabe unserer Koalitionsvereinbarung machte.
Unter Beteiligung von zehn Ressorts und unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Fachleute, Wissenschaftler und Parlamentarier entstand im Laufe eines Jahres der Aktionsplan.
Wer auf den insgesamt 75 Seiten des Aktionsplans nach dem Schlüsselprojekt und nach exemplarischen Leuchtturmprojekten sucht, wird enttäuscht. Das liegt auch daran, dass zivile Krisenprävention von vorneherein ein komplexes und lang andauerndes Unterfangen ist, wo es auf das möglichst gute Zusammenwirken verschiedener Akteure auf unterschiedlichen Handlungsfeldern ankommt. Einen „Generalschlüssel“ oder einen zentralen Hebel gibt es nicht.
Der Aktionsplan skizziert zunächst die Herausforderungen an zivile Krisenprävention, benennt die strategischen Ansatzpunkte, Handlungsfelder und Akteure auf globaler, regionaler und nationaler Ebene und entwickelt in vier Schritten aus jeweiligen Herausforderungen, Bestandsaufnahmen und Erfahrungen insgesamt 163 Aktionen, die in den nächsten fünf bis zehn Jahren umgesetzt werden sollen.
Der Anhang mit Glossar zu Schlüsselbegriffen der zivilen Konfliktbearbeitung und einer Internet-Adressenliste von Institutionen, Projekten und Initiativen in diesem Bereich ist eine nützliche Ergänzung.
Herausforderungen an zivile Krisenprävention generell
Ausgangspunkt sind die innerstaatlichen „Neuen Kriege“, die durch Privatisierung des Krieges (Warlords, Milizen, Banden, Söldner, Sicherheitsunternehmen) und Gewalt- und Kriegsökonomien (Waffen-, Drogen-, Menschenhandel, Diamanten, Coltan etc.) gekennzeichnet sind. Die ökonomische Dimension von Kriegen erfordert eine Abstimmung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik mit der Innen-, Außenwirtschafts- und Finanzpolitik. Indem zivile Krisenprävention gewaltfördernde Interessen in den Blick nimmt, wird sie deutlich realitätstüchtiger, aber auch komplexer. Das ist ein zentrales Plus des Aktionsplans.
Mit der Konzentration auf die „Neuen Kriege“ und ihre Akteure dürfen aber nicht die „alten“ Gewaltkonflikte und Kriege zwischen Staaten und ihre z.T. kriegsfördernde Politik aus dem Blick geraten. Krass zeigt sich das Problem bei bedeutendsten Partnern und Verbündeten der Bundesrepublik wie USA, Israel und Russland, die im Irak (und anderswo), in den Palästinensergebieten und in Tschetschenien faktisch eine Politik der Gewalt- und Terrorismusförderung betreiben. Solche destruktive Politik ist das genaue Gegenteil von ziviler Krisenprävention. Sie wirft das um ein Vielfaches zurück, was im Rahmen von Krisenprävention und Friedensförderung mühsam aufgebaut wird.
Umso wichtiger sind vor diesem Hintergrund die im Aktionsplan (S. 5 f.) genannten elementaren Anforderungen an zivile Krisenprävention:
- Krisenprävention erfordert ein kohärentes und koordiniertes Handeln aller beteiligten staatlichen und nichtsstaatlichen Akteure. Sie soll als Querschnittsaufgabe in der Gestaltung der einzelnen Politikbereiche verankert werden, also vermehrt auch in der Wirtschafts-, Finanz- und Umweltpolitik. Die Praktizierung dieser „Kohärenz“ fällt angesichts der Fülle von Akteuren sowie verbreiteter Organisations- und Ressortinteressen und –egoismen ausnehmend schwer. Erfordernisse der Krisenprävention geraten auch in der rotgrünen Bundesregierung immer wieder in Konflikt mit strategischen und Wirtschaftsinteressen (vgl. Menschenrechtspolitik gegenüber China u.a., Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate etc.)
- Krisenprävention muss multidimensional angelegt sein und auf verschiedenen Handlungsebenen ansetzen;
- effektive Krisenprävention muss sich sowohl auf Kriegsursachen wie auf Prozesse und Akteure der Gewaltakteskalation beziehen. Alles andere wird ein Kampf gegen Windmühlenflügel;
- alle Maßnahmen müssen darauf überprüft werden, ob sie nicht ungewollt mehr Schaden als Nutzen stiften („do no harm“-Prinzip);
- hauptverantwortlich für Krisenprävention sind die Konfliktparteien selbst. Externe Akteure können Friedensprozesse nur subsidiär unterstützen. Erwartungen von „Friedensexport“ sind illusionär.
Kurz wird die Rolle von Militär bei der Krisenprävention beschrieben (S. 7): Krisenprävention ist vorrangig ziviler Natur und soll möglichst lange vor dem Ausbruch von Gewalt ansetzen, ihm vorbeugen. Eine bewaffnete Intervention kann weder zivile Konfliktbearbeitung noch die Bekämpfung struktureller Konfliktursachen ersetzen. Bosnien, Mazedonien etc. zeigen aber, dass – friedenssichernde - Militäreinsätze notwendig sein können, um gewaltsame Konflikte zu verhindern bzw. zu beenden und die Voraussetzung zur zivilen Konfliktbearbeitung zu schaffen. Dies entspricht den Erfahrungen der Friedenssicherung im Rahmen des VN-Systems, wo Friedensmissionen inzwischen immer aus militärischen, zivilen und polizeilichen Komponenten bestehen. Damit wird zugleich Vorstellungen pazifistischer Friedensorganisationen eine Absage erteilt, die hier und heute zivile Konfliktbearbeitung als Alternative zum Militär sehen.
Strategische Ansatzpunkte und Handlungsfelder
Strategische Ansatzpunkte sind
- die Herstellung verlässlicher staatlicher Strukturen (Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschenrechte, Sicherheit),
- die Schaffung von Friedenspotenzialen in der Zivilgesellschaft, in Medien, Kultur und Bildung,
- die Sicherung von Lebenschancen.
Globale Handlungsfelder sind: Vereinte Nationen; Nichtverbreitung, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Rüstungsexportkontrolle; Verrechtlichung der Konfliktaustragung (Rechtsetzung, Rechtsprechung und Durchsetzung, Sanktionen); Globale Partnerschaften; Internationale Finanzinstitutionen.
Regionale Handlungsfelder sind: EU, OSZE, Europarat, regionale und subregionale Organisationen insbesondere in Afrika, Stabilitätspakt Südosteuropa, NATO.
Die nationale Infrastruktur der Krisenprävention, deren Elemente seit 1998 schrittweise aufgebaut werden, soll zentrale Voraussetzungen für ein effektives Handeln der Bundesregierung auf multilateraler Ebene stärken.
Herausforderungen, Bestandsaufnahmen, Erfahrungen
Beeindruckend vielfältig ist die erste umfassende Bestandsaufnahme gegenwärtiger Instrumente und Maßnahmen der Krisenprävention auf den verschiedenen Politik- und Handlungsfeldern. Hier werden auch Insider überrascht, an wie vielen Baustellen für Krisenprävention gearbeitet wird.
Das entkräftet anschaulich die verkürzte Wahrnehmung, als gebe es im Vergleich zum Militär kaum etwas an ziviler Krisenprävention. Die Bestandsaufnahme beweist überdeutlich, dass es über Friedensdienste hinaus viele andere Instrumente und Maßnahmen der Gewaltvorbeugung gibt. Insofern geht der manchmal erhobene Vorwurf, hier handele es sich um ein paar „Alibi“-Aktivitäten, voll an der Wirklichkeit vorbei. Sie werden getragen und gefordert von der wachsenden „Gemeinde“ der Friedenspraktiker mit VN-, EU-, OSZE-Hintergrund wie auch von vielen Offizieren mit Einsatzerfahrung. (Eine parallele Bestandsaufnahme zu Aktivitäten der Zivilgesellschaft hat die „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung“ herausgegeben: „Frieden braucht Gesellschaft“. Sie wurde finanziell durch die Bundesregierung unterstützt.)
Wichtige Fortschritte und Neuentwicklungen gab es seit 1998 vor allem in den Zuständigkeitsbereichen des AA und BMZ: Ausbildung von Personal für internationale Friedensmissionen von VN, OSZE, EU (Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF), Unterstützung von NGO-Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung (Titel „Friedenserhaltende Maßnahmen“/FEM und zivik), im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit der Fonds für Friedenseinrichtungen und Friedensinitiativen/FFI und der Zivile Friedensdienst, die Deutsche Stiftung Friedensforschung/DSF. Erheblich ausgeweitet wurden die Kapazitäten für die deutsche Beteiligung an internationalen Polizeimissionen.
Aktionen
Die Aktionen werden bezogen auf die verschiedenen Handlungsfelder und strategischen Ansatzpunkte jeweils aus den Herausforderungen, Bestandsaufnahmen und Erfahrungen abgeleitet.
Wesentliche Aktionen sind in den Kernpunkten des Aktionsplans (S.2-4) zusammengefasst.
Dazu gehören u.a.
- Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Gleichberechtigung der Geschlechter, Reform des Sicherheitssektors (Polizei, Justiz, Militär)
- Förderung von Friedenspotenzialen und –allianzen in Krisenregionen, internationale Vernetzung zivilgesellschaftlicher Akteure , Ausbildungsprogramme für JournalistInnen aus Krisenregionen, Intensivierung des Kulturaustausches (u.A. Islamdialog), im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit „mehr Beachtung“ für friedenspädagogische Aktivitäten im Inland
- Förderung von Friedensökonomien, Unterbindung von kriegsfinanzierenden Geldwäscheaktivitäten, enge Verzahnung von humanitärer Soforthilfe und entwicklungspolitischer Zusammenarbeit, Förderung alternativer Entwicklung in Drogenanbaugebieten
- Stärkung der VN-Missionen durch erweiterte (multidimensionale) Mandate mit zivilen Komponenten, angemessene Beteiligung von Frauen an der Umsetzung von Friedensabkommen und gezielte Förderung des Potenzials von Frauen als Friedensaktivisten, Einbeziehung der Krisenprävention in die Tätigkeit aller Fonds, Programme und Sonderorganisationen der VN, Unterstützung multilateraler Prozesse der Armutsbekämpfung, zu gerechten Handelsregime, Klimaschutz, Stärkung der Rüstungsexportkontrollen, Verfeinerung von Sanktionsregime, wirksamerer Instrumente zur Vorbeugung und Bewältigung von Finanzkrisen, Verankerung des „do no harm“-Prinzips bei der Weltbank und Regionalen Entwicklungsbanken
- Förderung der kohärenten Nutzung der EU-Instrumente, ausreichende Mittelausstattung des GASP-Haushaltes, Stärkung der Planungs- und Unterstützungskapazitäten für Krisenmanagement-Operationen, Ausbau der Conflict Prevention Unit in der Kommission, die für Krisenprävention in der EU insgesamt sensibilisieren, trainieren etc. kann, Bereitstellung von deutlich mehr qualifiziertem Personal für Polizeimissionen
- Gezielte Förderung afrikanischer (Sub-)Regionalorganisationen beim Aufbau eigenständiger Institutionen der Krisenprävention und Konfliktbewältigung
- Auf nationaler Ebene Ernennung von Beauftragten für Krisenprävention in den Ressorts, Bildung eines „Ressortkreises zivile Krisenprävention“ als Koordinierungsgremium unter Federführung des AA, Bereitstellung des für Krisenprävention erforderlichen Personals und Verstetigung der Haushaltsmittel, Einrichtung (Prüfung) eines gemeinsamen Fonds für Krisenprävention von AA, BMZ und BMVg, Schaffung eines Beirats, Entwicklung von Länder- bzw. Regionalstrategien, Ausbau (Prüfung) des ZIF als vollwertige Entsendeorganisation, Ausbau des Zivilen Friedensdienstes, Ausbau der bisherigen Weiterbildungsangebote (Stiftungen, Bundesakademie für Sicherheit/BAKS, Internationale Weiterbildung und Entwicklung/InWEnt), mittelfristige Errichtung (Prüfung) einer Friedensakademie, regelmäßige Berichterstattung über die Umsetzung des Aktionsplans.
Nicht nachvollziehbar ist, dass auch Maßnahmen zur generellen Stärkung militärischer Fähigkeiten auf Ebene der EU und NATO in den Aktionskatalog aufgenommen wurden (Nr. 55, 79), nicht nur der eindeutig krisenpräventive Ausbau der Partnerschaftsbeziehungen und sicherheitspolitischer Integration (Nr. 80, 81). Verbesserte militärische Fähigkeiten sind wohl auch in einem gewalt- und krisenpräventiven Kontext einsetzbar. Faktisch sind es aber sehr ambivalente Maßnahmen. Denn etliche Verbündete verbinden mit den neuen militärischen Fähigkeiten neben krisenpräventiven auch traditionell interventionistische Absichten.
Der Großteil der Aktionen besteht aus Absichtserklärungen (die Bundesregierung setzt sich ein für die Förderung von ...). Einzelne Aktionen sind verbindlicher formuliert - z.B. dass die Bundesregierung ihre personelle Beteiligung an Friedensmissionen mit zivilem Friedenspersonal, mit Polizei und Soldaten erhalten und punktuell besonders in Afrika verstärken sowie eine Initiative für die gesetzliche Absicherung der Entsendung von zivilem Friedenspersonal ergreifen will (Nr. 4). Auf multilateralen Handlungsfeldern, auf denen die Bundesregierung selbstverständlich keine alleinige Entscheidungskompetenz besitzt, ist oft auch nicht mehr als Absichtserklärung möglich. Damit die Aktionen aber nicht unverbindlich bleiben, sind bei der Umsetzung der einzelnen Aktionen Zwischenziele und Wegmarken angegeben.
Das gilt ganz besonders für die zivilen und polizeilichen Beiträge zu Friedensmissionen und Stabilisierungseinsätzen. Mit der Transformation der Bundeswehr wird der militärische Kräftebedarf für Stabilisierungseinsätze klar definiert: bis zu 14.000 Soldaten in bis zu fünf parallelen Operationen gleichzeitig über mehrere Jahre. Vergleichbares – zumindest eine Kräfteabschätzung - fehlt für die zivile und polizeiliche Komponente von Stabilisierungseinsätzen, die inzwischen nur noch multidimensional denkbar sind. Dass militärische Kräfte nach Bedarf, zivile und polizeiliche Kräfte überwiegend nach Verfügbarkeit eingesetzt werden können, mindert die Wirksamkeit von Friedensmissionen und verlängert teure militärische Einsätze. Das ist eine strategische Fähigkeitslücke, die parallel zur Transformation der Bundeswehr geschlossen werden muss.
Viele Aktionen des Aktionsplanes lassen sich durch andere politische Schwerpunktsetzung, bessere Nutzung, Vernetzung und Abstimmung bestehender Instrumente und Akteure und ohne neue Kosten umsetzen. Daraus aber die Schlussfolgerung zu ziehen, der Aktionsplan sei mit der bisherigen Personal- und Finanzausstattung zu schaffen, ist eine Illusion. Grob geschätzt sind ca. 50 der insgesamt 163 Aktionen finanzrelevant.
Ein Knackpunkt wird im Aktionsplan unter der Überschrift „Herausforderungen der Krisenprävention als Querschnittsaufgabe“ (S. 59) angedeutet: „Im institutionellen Bereich müssen die personellen und materiellen Kapazitäten krisenpräventives Handeln ermöglichen.“ Im Klartext: In Wirklichkeit sind diese personellen und materiellen Voraussetzungen noch keineswegs ausreichend – weder in den Ministerien, noch bei zivilgesellschaftlichen Akteuren. Deshalb bleiben auch die genannten Konsequenzen (Umwidmung bereits vorhandener Ressourcen; neue Mittel, wo unumgänglich; Verstetigung der Haushaltsmittel für Krisenprävention, Nr. 140) in ihrer großen Bescheidenheit weit unterhalb des Notwendigen. Das deutliche Mehr an Aufgaben und vor allem ein früheres Eingreifen in Krisen ist nicht mit denselben personellen Kapazitäten zu schaffen! Andernfalls bleibt es bei dem üblichen Mechanismus, wo Überforderung und –belastung Abwehr gegen frühes Engagement in weiteren Konfliktfeldern fördert, wo Engagement in neuen Konfliktfeldern oft auf Kosten bisheriger Aufgaben geht.
Darüber hinaus ist zu bedauern, dass die ursprünglich einmal geplante Berufung eines „Beauftragten der Bundesregierung für Krisenprävention“ nicht im Aktionsplan vorgesehen ist.
Maßnahmen und Instrumente der zivilen Krisenprävention sind viel billiger als militärische Mittel und Einsätze. Aber für die billigeren Optionen stehen relativ noch viel geringere Finanzmittel zur Verfügung und bestehen viel weniger Umschichtungsmöglichkeiten als auf Seiten des Militärhaushaltes. Bei Instrumenten und Maßnahmen der zivilen Krisenprävention geht es überwiegend um Beträge von einigen Millionen €. Das ZIF kostet 2 Mio. pro Jahr, für den ZFD wurden seit 1999 58 Mio. €, für 250 Projekte von Nichtregierungsorganisationen in Krisenländern 21 Mio. € , für die Deutsche Stiftung Friedensforschung 25,5 Mio. € bereitgestellt. Mit relativ geringen Mitteln kann hier dringliche und wirksame Friedensförderung betrieben werden, z.B. für bisher 0,5 Mio. € die Förderung eines weltweit einmaligen Dialogprozesses mit Islamisten in Tadschikistan. Relativ geringe Mittelzuwächse können den friedenspolitischen Mehrwert erheblich erhöhen, relativ geringe Kürzungen können das Aus für wichtige Maßnahmen bedeuten.
Dabei geht es meist um finanzielle Dimensionen, über die in der Welt der „Verteidiger“ gar nicht geredet wird. In 2003 kosteten die Auslandseinsätze der Bundeswehr 1,35 Mrd. €, die auf dem Balkan allein 500 Mio. €. Auch wenn der Eurofighter als Vergleichsobjekt seit Jahren strapaziert wird: Welchen militärische und vor allem sicherheitspolitischen Sinn macht der 130. von 180 geplanten Eurofightern bei den Vorrang-Aufgaben der Bundeswehr auf dem Balkan und in Afghanistan? Welchen enormen friedens- und sicherheitspolitischen Sinn würde hingegen die Umwidmung der Haushaltsmittel nur eines Eurofighter für den weiteren Ausbau der Infrastruktur Krisenprävention machen!
Von strategischer Bedeutung für das reale Gewicht und den wachsenden Personalbedarf der zivilen Krisenprävention ist nicht nur ihre allgemeine Akzeptanz. Die ist nach Umfragen sehr hoch. Entscheidend ist, wie verbreitet die Einsicht in Politik, Medienöffentlichkeit und Gesellschaft ist, dass die hoch angesehene Vorbeugung auch entsprechender Fähigkeiten, Kapazitäten und Ressourcen bedarf. Diese Einsicht ist aber bisher noch höchst unterentwickelt. Die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inland ist wertvoll (Nr. 111), reicht aber zur Popularisierung und Nachwuchsförderung der zivilen Krisenprävention im Inland ganz und gar nicht aus. Mit „peace counts“ fördert das AA ein Projekt von Friedensberichterstattung – ein ausgezeichneter erster Schritt. Darüber hinaus ist aber strategische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit der Bundesregierung insgesamt gefragt. Ohne sie wird die Bundesrepublik ihre multilaterale Leistungsfähigkeit nicht weiter ausbauen können. Ohne sie wird im Gegenteil die Tendenz in der Bevölkerung zunehmen, die der gewachsenen Verantwortung Deutschlands in der Welt lieber den Rücken zuwendet.
Der Aktionsplan bietet große Chancen für die Weiterentwicklung der krisen- und gewaltpräventiven Politik der Bundesregierung. In seiner Differenziertheit und Konkretheit ist er international einmalig. Als Beitrag zur Weiterentwicklung der Krisenprävention auf internationaler Ebene sollte er schnell in Englisch übersetzt werden. (Das geschieht inzwischen)
Damit seine vielen vorzüglichen Absichten auch das Licht der Realisierung erreichen, braucht es auch die intensive, beharrliche und vor allem breitere Unterstützung auf Seiten des Parlaments. Das gilt besonders für die finanzrelevanten Aktionen.
Die parlamentarische Unterstützung soll sich als erstes in einem großer Antrag der Koalitionsfraktionen und einer Bundestagsdebatte niederschlagen.
Der Aktionsplan ist ein Grundlagendokument der deutschen Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik und zusammen mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien ein zentraler Ausgangspunkt für das zzt. entstehende „Weissbuch“ der Bundesregierung.
Der Aktionsplan ist zugleich ein zentraler Beitrag zu der breiten sicherheits- und friedenspolitischen Debatte, zu der die Friedensbewegung mit den „Friedenspolitischen Richtlinien“, die Kirchen mit ihren Friedensdenkschriften und die „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung“ mit ihrer Bestandsaufnahme wichtige Beiträge geleistet haben.
Es macht den besonderen Reiz des Aktionsplans aus, dass er zivile Konfliktbearbeitung nicht nur fordert und kommentiert, sondern sie in ihrer ganzen Breite für den politischen Prozess konkretisiert und operationalisiert. Er gibt damit zugleich eine Ahnung von den Mühen und Chancen der internationalen und multilateralen Ebenen.
Gute Nachricht – keine Nachricht? Ein Jahr
Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung“ der Bundesregierung
von Winfried Nachtwei, MdB (Mai 2005)
Auch wenn es in den Medien – bis auf eine ironische Fernreaktion bei www.geopowers.com - keinen Widerhall fand, war es doch ein großes Ereignis: Ungefähr 400 Interessierte kamen am 11. Mai 2005 zur Diskussionsveranstaltung „Deutschlands Rolle in der zivilen Krisenprävention“ im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin zusammen. Anlass war das einjährige Bestehen des ressortübergreifenden Aktionsplans "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung", den das Bundeskabinett am 12. Mai 2004 beschlossen hatte. Erstmalig tagte der Beirat „Zivile Krisenprävention“, der sich aus Vertretern der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft, Entwicklungs- und Umweltpolitik, Kirchen und Wirtschaft zusammensetzt. Als Nichtmitglieder nahmen Uta Zapf (SPD-MdB) und ich für unsere Fraktionen an der Beiratssitzung teil.
Der Zeitpunkt der Veranstaltung konnte kaum passender sein: wenige Tage nach dem 60. Jahrestag des Weltkriegsendes und seiner zentralen Lehre ist, den Anfängen von Gewalt und Krieg gemeinsam zu wehren; am Vorabend der Ratifizierung der EU-Verfassung durch den Bundestag.
Moderiert von Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, diskutieren über „Gemeinsames Handeln oder leere Worte – Krisenprävention und Multilateralismus“ Botschafter Michael Steiner, Christoph Heusgen, Leiter der Policy Unit beim Hohen Repräsentanten Solana) und Jochen Prantl (Oxford). Über „Gemeinsames Handeln oder getrennte Wege – Regierung und Zivilgesellschaft in der zivilen Krisenprävention“ diskutieren Lotte Leicht (Human Rights Watch), Tom Koenigs (Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt), Generalmajor a.D. Christian Millotat (ehemaliger stellv. KFOR-Kommandeur) und Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe unter der Moderation von Uschi Eid, Staatssekretärin im Entwicklungsministerium.
Vorher verfolgen mehrere hundert Besucher voller Erschütterung den auf der Berlinale 2005 uraufgeführten und inzwischen preisgekrönten Dokumentarfilm „Lost Children“ in Anwesenheit der Regisseure Oliver Stoltz und Ali Samadi Ahadi. Lost Children porträtiert vier Kinder zwischen acht und 14 Jahren, ehemaligen Kindersoldaten der Lord’s Resistance Army im Norden Ugandas. Caritas International führt in Pajule ein Projekt zur Integration von Kindersoldaten durch.
Inzwischen ist der Aktionsplan als Broschüre (auch in Englisch) erhältlich, zusätzlich die AA-Zwischen-bilanz „Ein Jahr Aktionsplan“.
Rückblick
Das Vorhaben des Aktionsplans wurde auf bündnisgrüne Initiative 2002 in die Koalitionsvereinbarungen aufgenommen und unter Federführung des Auswärtigen Amtes mit zehn Ressorts sowie unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure erarbeitet. Hier ist ausdrücklich Martin Fleischer zu danken, der sich als Referatsleiter GF 02 im AA um den Aktionsplan besonders verdient gemacht hat und der im Sommer 2004 an die deutsche VN-Vertretung in New York wechselte.
Was ist der Aktionsplan Krisenprävention?
- Der vom Kabinett beschlossene und für alle Ressorts geltende Aktionsplan Krisenprävention ist eines der wenigen ressortübergreifenden Grundlagendokumente der Bundesregierung zur Außen- und Sicherheitspolitik. Als Kabinettsbeschluss steht es in der Dokumentenhierarchie höher als die viel bekannteren Verteidigungspolitischen Richtlinien, die vom Kabinett zur Kenntnis genommen wurden und nur für den Geschäftsbereich des Verteidigungsministers gelten.
- Der Aktionsplan ist ein wesentliches Teildokument für die bislang ausstehende friedens- und sicherheitspolitische Gesamtkonzeption bzw. –strategie der Bundesregierung.
- Der Aktionsplan beinhaltet große Chancen zu mehr Friedensfähigkeit. Mit ihm will die Bundesregierung ihre Fähigkeiten zur zivilen Konfliktbearbeitung gegenüber gewaltträchtigen Konflikten umfassend und systematisch stärken. Seine Bestandsaufnahme präsentiert bisherige Instrumente und Maßnahmen in ihrer Breite und Differenziertheit, wie sie auch Insidern bisher so kaum bewusst war.
- Der Aktionsplan benennt als zentrale Anforderungen an zivile Krisenprävention die Kohärenz im Handeln staatlicher und nichtstaatlicher Akteure und ihren Querschnittcharakter weit über die traditionelle Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik hinaus, ihre multidimensionale Anlage, ihre Orientierung auf Ursachenbekämpfung wie auf Akteursbeeinflussung.
- Der Aktionsplan betont ausdrücklich das Do-No-Harm-Prinzip als krisenpräventives „Kehren vor der eigenen Haustür“. Im Dickicht krisenpräventiver Ansätze bringt der Aktionsplan Orientierung, indem er die strategischen Ansatzpunkte (verlässliche staatliche Strukturen, Förderung von Friedenspotenzialen, Sicherung von Lebenschancen), Handlungsfelder und Akteure auf globaler, regionaler und nationaler Ebene identifiziert.
- Der Plan leitet insgesamt 161 Aktionen aus dem Dreischritt Herausforderungen, Bestandsaufnahme und Erfahrungen ab. Die Bundesregierung leistet damit einen vorbildlichen Beitrag zur Stärkung eines effektiven Multilateralismus im Rahmen von EU, UNO und OSZE und trägt zu einer Stärkung von umfassenden zivilen VN-Fähigkeiten bei. Der Grundwert Gewaltfreiheit wird hier in konkrete Politik der strukturellen und direkten Gewaltverhütung und Gewalteindämmung übersetzt.
Das Echo auf den Aktionsplan war sehr unterschiedlich. In der breiteren Öffentlichkeit, in den Medien, ja sogar in der Breite des Parlaments und Teilen der Bundesregierung wurde der Aktionsplan bisher kaum bis gar nicht wahrgenommen. Ähnliches gilt für breite Teile der Friedensbewegung. Hier mischen sich strukturelle Wahrnehmungshindernisse, eine allgemeine Militärfixiertheit – auch bei Militärkritikern – sowie politische Ignoranz einerseits und eine defizitäre Öffentlichkeitsarbeit (s.u.) andererseits.
Der Bekanntheit des Aktionsplans wuchs eher „von unten“ unter Fachinteressierten. Und da war dann das Urteil zu 95% positiv. Besonders hilfreich ist die umfassende Stellungnahme von Tobias Debiel („Wie weiter mit effektiver Krisenprävention?“).[1] Der Aktionsplan gilt in seiner Differenziertheit und Konkretheit als international einmalig.
Als Defizit des Aktionsplans wurde einhellig vor allem die unveränderte personelle und finanzielle Ausstattung dieses Politikfeldes gewertet. Als Problem wurde die noch fehlenden Schwerpunkt- und Prioritätensetzung bei den 161 Aktionen genannt. Diese Kritiken bzw. Problemanzeigen treffen zu. (vgl. meine Stellungnahme „Aktionsplan Krisenprävention: Großer Fortschritt an Friedensfähigkeit“)
Gegensätzlich sind die Schlussfolgerungen insbesondere aus der Ressourcenkritik: Während die meisten nüchtern und konstruktiv mit dieser Kritik umgehen und primär die Chance des Aktionsplans sehen, ist sie anderen Grund genug, den Aktionsplan als Placebo abzutun und ihn links liegen zu lassen – als erneute „Bestätigung“ einer angeblich unglaubwürdigen rot-grünen Friedenspolitik.
Bisherige Umsetzung des Aktionsplans[2]
Zuerst war innerhalb der Bundesregierung die durch den Aktionsplan vorgegebene Infrastruktur zu schaffen: Benennung der Beauftragten für zivile Krisenprävention in allen Ressorts und Bildung des Ressortkreises Zivile Krisenprävention unter Vorsitz des Auswärtigen Amtes. Beauftragter des AA für zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung ist Botschafter Ortwin Hennig (vormals Gesandter in Moskau, Bundespräsidialamt, OSZE/Wien, EU/Brüssel, Abrüstungsabteilung AA, Kabul etc.). Der Ressortkreis konstituierte sich am 20. September 2004. Er soll „die Umsetzung des Aktionsplans gewährleisten, Koordinierung und Kohärenz fördern, die Aktionen im Bereich Krisenprävention bündeln, Synergien erzeugen und damit Voraussetzungen für eine Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in diesem Politikbereich schaffen“. (Broschüre S. 6)
Da der Ressortkreis kein politisches Steuerungsgremium ist, wird er durch Treffen auf der politischen Ebene aller Ressortstaatssekretäre/-minister begleitet.
Der Ressortkreis hat sich bisher auf vier Schwerpunkte geeinigt Diese vier „Leuchttürme“ sollen die Sichtbarkeit krisenpräventiver Politik verbessern.
- Verbesserung der Schnittstelle zwischen early warning und early action: Einrichtung eines Ländergesprächskreises Nigeria, in dem deutsches staatliches und nichtstaatliches Engagement besser koordiniert und Präventionsstrategien erarbeitet werden sollen. Während die meisten Präventionsaktivitäten in post-conflict-Ländern stattfinden, handelt es sich hier um ein „echtes“ Präventionsprojekt.
- Verbesserung der operativen Handlungsfähigkeit: Reform des Sicherheitssektors in fragilen Staaten. Förderung verlässlicher staatlicher Strukturen ist ein strategischer Ansatzpunkt von Krisenprävention. Deutschland leistet im Bereich Polizei, Justizaufbau, Entwaffnung/Demobilisierung und Reintegration, auch militärischer Ausbildungshilfe, Abrüstungszusammenarbeit hervorragende und international hoch angesehene Einzelbeiträge zur Sicherheitssektorreform. Diese gilt es konzeptionell miteinander zu verbinden und aufeinander abzustimmen.
- Verbesserung personeller Voraussetzungen: Nachdem mit Hilfe des Zentrums Internationale Friedenseinsätze (ZIF) und dem Zivilen Friedensdienst die Ausbildung von zivilen Experten für internationale Friedenseinsätze und von Friedensfachkräften erheblich verbessert wurde, soll nun die Verfügbarkeit von Friedenspersonal (Rechtsgrundlagen, soziale Absicherung) verbessert werden. Hier geht es um ein ziviles „Entsendegesetz“.
- Verbesserung der finanziellen Voraussetzungen: Friedensengagement und Friedenseinsätze brauchen schnell verfügbare Finanzressourcen. Geprüft wird das britische Modell eines Conflict Prevention Pools, einem gemeinsamen „Topf“ von Außen-, Entwicklungs- und Verteidigungsministerium, und die eventuelle Einbeziehung weiterer Ressorts.
In den Beirat Zivile Krisenprävention wurden berufen VertreterInnen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF), der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), des Bonn International Center for Conversion (BICC), des Berghof Forschungszentrums, des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nicht-Regierungsorganisationen (VENRO), des Forums Menschenrechte, von German Watch, von adelphi research, der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE), von Siemens, BASF und Deutscher Bank, der Friedrich-Ebert-Stiftung (in Vertretung aller politischen Stiftungen) sowie bis zu drei Personen mit besonderer Expertise in Krisenprävention (darunter Botschafter a.D. Wilhelm Höynck, Ex-OSZE-Generalsekretär).
Mit dem Verteidigungsministerium (BMVg) vereinbarte ich für die Grüne Fraktion – abgestimmt mit der SPD-Fraktion -, dass das BMVg kurzfristig einen „substanziellen Beitrag“ von bis zu 10 Mio. Euro zu Vorhaben des Aktionsplans bzw. des Ressortkreises leistet. Mit verbesserten Fähigkeiten der zivilen Krisenprävention sollen nicht zuletzt Auslandseinsätze der Bundeswehr „eingespart“ werden.
Bewertung
1. Der Aktionsplan ist ein großer konzeptioneller Schritt zu einer Friedens- und Sicherheitspolitik, die den komplexen Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gerecht wird. Die AA-Bilanz stellt aber zu Recht fest, dass sich „Krisenprävention im engeren Sinne bei der Formulierung von Politik und bei der Implementierung in den verschiedenen Politikbereichen noch nicht hinreichend durchgesetzt hat. Erfordernisse einer so verstandenen Krisenprävention geraten immer wieder in Konflikt mit strategischen und/oder Wirtschaftsinteressen. Die Überzeugung, dass Krisenprävention die kostengünstigste Politik ist, und dass es besser ist, krisenpräventiv vorzubeugen, als später gewaltsame Konflikte befrieden zu müssen, kommt auch in den Budgets noch nicht zum Tragen.“ (S.10) Längerfristige Krisenprävention trete immer wieder hinter kurzfristigem akutem Krisenmanagement zurück.
2. Große Pluspunkte des Aktionsplans sind
- die doppelte Orientierung auf direkte Krisenprävention und strukturelle Ursachen (erweiterter Sicherheitsbegriff)
- die systematische Einbeziehung sozio- und politökonomischer Aspekte (Gewaltökonomien)
- die strategischen Ansatzpunkte (Rechtsstaatlichkeit, gesellschaftliche Friedenspotenziale, Lebensbedingungen)
- die explizite Anerkennung und Förderung zivilgesellschaftlicher Akteure bei der Friedensförderung.
3. Der Aktionsplan verzichtet bei der Breite der Ansätze und Aktionen auf eine deutliche thematische und regionale Prioritätensetzung. Dieses Defizit ist wesentlich der Tatsache geschuldet, dass von Seiten der Bundesregierung insgesamt eine übergreifende Ziel- und Interessendefinition, aus der sich regionale und sektorale Schwerpunkte ableiten ließen, bisher nicht formuliert wurde. (vgl. Debiel S. 294) Besonders deutlich wird das in den Verteidigungspolitischen Richtlinien, nach denen Bundeswehreinsätze zu jeder Zeit am jedem Ort mit jeder Intensität notwendig werden können.
Ein Defizit an Prioritätensetzung begünstigt das „Gießkannenprinzip“, erschwert die Wirksamkeit von Maßnahmen und beeinträchtigt die Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz deutscher Politik in internationaler Verantwortung.
4. Für die Umsetzung des Aktionsplans ist der Ressortkreis nicht der einzige, aber ein sehr wichtiger Hebel. Ohne eine ausreichende personelle Ausstattung der beim AA angesiedelten Ressortkreiskoordination geht es nicht. Die Abordnung von Personal aus den beteiligten Ressorts ist noch unzureichend.
5. Die vier Schwerpunktbereiche des Ressortkreises sind gut gewählt und in der Tat vordringlich.
Dabei besteht ein ausdrückliches Interesse, dass Fortschritte in den Schwerpunktbereichen nicht durch unzureichende Ressourcenausstattung (z.B. Nigeria-Prävention) oder Ressortdifferenzen (Ressourcenpool) behindert werden. Deshalb ist eine politisch-parlamentarische Begleitung und Rückenstärkung unabdingbar. Die BMVg-Verfügungsmittel sind da eine gute Hilfe.
Die Schwerpunktsetzung des Ressortkreises bedeutet selbstverständlich nicht, dass darüber die anderen Aktionen in den Hintergrund treten würden. Weitere Schwerpunkte sind in einzelnen Ressorts angesiedelt, z.B. der Zivile Friedensdienst beim BMZ. Damit ZFD-Aktivitäten in einer Krisenregion zu einer „kritischen Masse“ werden können, müssen sie aber noch deutlich verstärkt werden.
Perspektiven + nächste Schritte
Weitere vordringliche Schwerpunktbereiche
1. Eine zivil-polizeilich-militärische Ausbildungsvernetzung ggfs. -verbund zur Förderung von Kooperationsfähigkeiten und Kohärenz in Friedenseinsätzen. An verschiedenen Orten findet inzwischen Ausbildung für internationale Friedensmissionen statt: In drei polizeilichen Ausbildungsstätten, beim ZIF, beim Zentrum Innere Führung und VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr, in gewisser Weise auch bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) etc. An den Märzunruhen im Kosovo oder in der Arbeit der Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) in Nordostafghanistan zeigt sich, wie weit noch die verschiedenen Organisationskulturen auseinander sind und wie sehr das kooperatives Vorgehen erschwert. Bisher werden schon einzelne Ausbildungsabschnitte von Vertretern anderer Akteure geleistet. Das ist gut, reicht aber nicht mehr aus.
Einhergehen sollte die Ausbildungsvernetzung mit einer integrierten Auswertung von Friedenseinsätzen um ein institutionalisiertes Gedächtnis für Friedenssicherung und –konsolidierung zu fördern.
2. Förderung einer professionellen Friedens- und Präventionsberichterstattung. Notorisch ist die Nichtwahrnehmung von Ansätzen ziviler Krisenprävention. Während Gewalt, Krieg, Streit viel leichter öffentliche Aufmerksamkeit finden, ist Zivile Konfliktbearbeitung angesichts der hektischen Springfluten an Informationen und Reizen wenig attraktiv, durchsetzungsfähig und sichtbar. Die Langwierigkeit ihrer Methoden, die Unsichtbarkeit und Nichtbeweisbarkeit ihrer Erfolge sind ihr strukturelles Handicap auch im Vergleich zum militärischen Krisenmanagement mit seinen sichtbaren Stärke-Botschaften und zur humanitären Nothilfe mit ihrer menschlich-sichtbaren NOTwendigkeit.
Gerade wegen dieser strukturellen Nachteile bedarf es professioneller und umfassender Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit für zivile Krisenprävention. Sie ist im friedenspolitischen Eigeninteresse. Denn verbesserte Friedensfähigkeiten und mehr personelle und finanzielle Ressourcen dafür brauchen dringend über das Engagement einzelner Abgeordneter hinaus auch öffentlichen Druck und Lobby. Ohne eine solche „Präventions-Lobby“ bleibt es bei der Dominanz militärlastiger Öffentlichkeitsarbeit und Lobby einerseits, der Randrolle einer fundamental-pazifistischen bzw. antimilitärischen Öffentlichkeitsarbeit andererseits sowie militärfixierter Wahrnehmungsmuster quer durch die Gesellschaft.
Das vom AA seit drei Jahren mit geförderte peace counts project beweist die Möglichkeit und Attraktivität von Friedensberichterstattung und ist ein großer Schritt nach vorn.
Dieser und andere Ansätze sind systematisch auszuweiten.
Ein allererster Schritt wäre eine „Übersetzung“ des Aktionsplantextes in eine anschaulich illustrierte Publikation für ein etwas breiteres Publikum sowie eine zusammenführende Darstellung der vom Bund seit 1998 geförderten Infrastruktur Zivile Krisenprävention mit ZIF, FEM, zivik, ZFD, FriEnt, DSF, CIVPOL, KRIUM etc.
Weitere nächste Schritte
3. Thematische und regionale Prioritätensetzung in der Krisenprävention geht nicht ohne umfassende Ziel- und Interessendefinition deutscher Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik insgesamt. Auch wenn es die „Handlungsfreiheit“ einzelner Ressorts tangieren würde: Deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik sein soll, braucht ein strategisches Konzept.
4. Die Bestandsaufnahme von Maßnahmen der zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung ist zu ergänzen um eine Auflistung der entsprechenden Haushaltstitel. Das würde die Sichtbarkeit dieser Maßnahmen verbessern (z.B. der erheblichen Beiträge zu multilaterale Politik) und die Diskussion über die haushaltspolitischen Prioritäten einer Außen- und Sicherheitspolitik im umfassenden Sinne erleichtern.
5. Auf der konzeptionellen wie der politisch-praktischen Ebene bedarf das Verhältnis zwischen zivilen, polizeilichen und militärischen Instrumenten und Akteuren der Friedens- und Sicherheitspolitik einer Klärung. Das reicht vom in Entstehung begriffenen Verteidigungs-Weißbuch bis zur konkreten zivil-militärischen Zusammenarbeit – und ihren Grenzen. Der 1. Hammelburger Kongress „Politik und Konfliktprävention“ am Beispiel Afghanistans und des Kosovo wird hierzu ein interessantes Forum bieten. (15.-17. Juli 2005, auf Initiative von MdB Hans-Josef Fell in Zusammenarbeit mit VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr in Hammelburg, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Pax Christi, Eurosolar)
6. Internationale und multilaterale Verkoppelung der deutschen Infrastruktur zivile Krisenprävention, insbesondere auf Ebene der EU, der VN und OSZE. Das Zivile Planziel 2008 der EU (Rat der EU, 15863/04 vom 7.12.2004) wie auch der Vorschlag der Hochrangigen Gruppe zur VN-Reform, angesichts der vielfach fehlgeschlagenen Friedenskonsolidierungsprozesse eine Peacebuilding-Commission einzusetzen, sind Anknüpfungspunkte und Anregungen für den deutschen Aktionsplan. Die EU will integrierte Kontingente für mehrere parallele zivile Krisenbewältigungsmissionen aufbauen, darunter mindestens eine umfassende kurzfristig entsendbare zivile „Substitutionsmission“ in einem prekären Umfeld. Deshalb muss auch die Bundesrepublik in Kürze ihre zivilen Planziele definieren – wie viel ausgebildetes Personal sie für verschiedene Fähigkeitsbereiche (z.B. Rechtsstaatsaufbau, Entwaffnung/Demilitarisierung/ Reintegration etc.) verfügbar halten will. Diese Klärung ist spätestens seit der Planung der Bundeswehr akut, mit den künftigen Stabilisierungskräften bis zu fünf Stabilisierungseinsätze gleichzeitig mit maximal 14.000 Soldaten über längere Zeit gewährleisten zu können.
7. Für die Aktionen des Aktionsplans sind operationalisierte Handlungsziele (benchmarking) zu formulieren.
8. Mit dem geplanten Bundestagsantrag der Koalitionsfraktionen soll der Aktionsplan politisch gestärkt und die Diskussion um seine Umsetzung und Weiterentwicklung vorangebracht werden.
9. Die größte Herausforderung ist die Umsetzung des Do-No-Harm-Prinzips in der Politik der Bundesregierung. Die permanente Auseinandersetzung um die sicherheitspolitisch notwendige Eingrenzung oder außenwirtschaftlich gewünschte Ausweitung deutscher Rüstungsexporte macht deutlich, dass die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung von Kohärenz noch weit entfernt sind und dass der Primat der Krisenprävention seine blinden Flecken hat. Hier und anderswo besteht die Gefahr, dass Regierungspolitik den vom Kabinett beschlossenen Ansatz ziviler Krisenprävention konterkariert.
Die Do-No-Harm-Herausforderung wächst im Hinblick auf manche Partner und Verbündete in deprimierende Dimensionen. Was von Russland und USA durch kontraproduktive Politik zur indirekten Terrorismusförderung „geleistet“ wird, übersteigt alle Präventionsbemühungen um ein Vielfaches und wirft globale kollektive Sicherheit immer mehr zurück.
10. Evaluation und Zweijahresbericht an den Bundestag: Die Koalition will ausdrückliche wirksame Krisenprävention und nicht ein Placebo zur Beruhigung der eigenen friedensbewegten Wurzeln. Deshalb sind Wirksamkeitsüberprüfungen unerlässlich. Die kürzliche Tagung „Evaluation in der zivilen Konfliktbearbeitung“ in Loccum gab hierzu wichtige Anregungen. (vgl. Thania Paffenholz: Evaluation von Interventionen ziviler Friedensförderung, April 2005) Deutlich wurde dabei die Unausgewogenheit bisheriger Wirksamkeitsüberprüfungen: Zivilgesellschaftliche Projekte stehen unter einem hohen Evaluierungsdruck. Dieser nimmt ab, je höher politische und militärische Maßnahmen angesiedelt sind – und je teurer sie sind. So verfügen wir wohl über politische Bewertungen des deutschen militärisch-polizeilich-zivilen Engagements im Kosovo oder in Afghanistan, aber keineswegs über systematische Wirksamkeitsüberprüfungen. (vgl. W.Nachtwei: Evaluation in der zivilen Konfliktbearbeitung: Erwartungen und Möglichkeiten, Referat in Loccum)
Der in 2006 vorzulegende Bericht der Bundesregierung zur zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung wird solche Evaluationen noch nicht bringen können. Er wird aber darüber Aufschluss geben, wie sehr sich alle infrage kommenden Ressorts der Bundesregierung die Ziele und Aktionsempfehlungen zu Eigen gemacht haben. Der Bericht wird auch zeigen, inwieweit deutlich mehr Kooperation und Kohärenz in der Krisenprävention erreicht werden konnte – oder ob Ressortinteressen und –konkurrenzen so wirkten, dass neue Strukturen der ressortübergreifenden Zusammenarbeit notwendig sind. Die seit 2001 eingeführten britischen Conflict Prevention Pools sind ein ausgesprochen interessante Kooperations- und Finanzierungsmechanismen.
Der Bericht „Krisenprävention“ wird insgesamt nicht das Rad neu erfinden, sondern an andere bewährte Berichte der Bundesregierung anknüpfen können – so den Jahresabrüstungsbericht, den Rüstungsexportbericht, den Bericht der Bundesregierung zu ihrer Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (BT-Drs. 15/4481 vom 8.12.2004), den Menschenrechtsbericht sowie die Bilanzberichte zu verschiedenen Krisenregionen (Südwestbalkan, Afghanistan).
Wachstumsschwäche bei Friedensfähigkeiten:
Der 3. Umsetzungsbericht der Bundesregierung
zum „Aktionsplan Zivile Krisenprävention“ braucht Streit
Kurzkommentar von Winfried Nachtwei, MdB a.D., Juni 2010
Unter: http://www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=77&aid=985
[1] Vgl. die Stellungnahmen von Volker Rittberger, Tobias Debiel, Martina Fischer, Thilo Marauhn, Lothar Brock unter der Moderation von Theo Sommer bei dem Parlamentarischen Abend der Deutschen Stiftung Friedensforschung am 23. September 2004 in Berlin (alle Beiträge in „Die Friedens-Warte“ Heft 3-4/2004); das Friedensgutachten 2004; die VENRO-Stellungnahme vom 9. 9.2004; Veranstaltung des Instituts für Auslandsbeziehungen/Projekt Zivile Konfliktbearbeitung (zivik) am 16.11.04; Stimmen auf der Jahresmitgliederversammlung des Forum Ziviler Friedensdienst in Kassel und Jahrestagung der Platt
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: