Frieden     Sicherheit    Abrüstung
Logo

www.nachtwei.de

Genauer Hinsehen: Sicherheitslage Afghanistan (Lageberichte + Einzelmeldungen) bis 2019
Navigation Themen
Navigation Publ.-Typ
Publikationstyp
•  Pressemitteilung (319)
•  Veranstaltungen (7)
•  Pressespiegel (20)
•  Bericht + (412)
•  Artikel (227)
•  Aktuelle Stunde (2)
•  Antrag (59)
•  Presse-Link (108)
•  Interview (65)
•  Rede (111)
•  Große Anfrage (4)
•  Kleine Anfrage (31)
•  Fragestunde (1)
•  Tagebuch (48)
•  Offener Brief (32)
•  Persönliche Erklärung (6)
•  Veranstaltungstipp (6)
•  Vortrag (23)
•  Stellungnahme (60)
•  Weblink (17)
•  Aufruf (5)
•  Dokumentiert (35)

Erinnerungsarbeit + Bericht von Winfried Nachtwei
Browse in:  Alle(s) » Meine Themen » Erinnerungsarbeit
Alle(s) » Publikationstyp » Bericht
Any of these categories - All of these categories

Fortsetzung Maikovskis-Prozess: Der Fall Audrini; Maikovskis in den USA; Chronologie (II)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 6. März 2014 23:45:16 +01:00 (28138 Aufrufe)

III Der Fall Audrini

Laut Anklageschrift der Zentralstelle Dortmund vom 1. August 1989 lief die Vernichtung des zwölf Kilometer nördlich von Rezekne liegenden Weilers Audrini und seiner Einwohner folgendermaßen ab:

Am 18. Dezember 1941 wurde der lettische Polizist Ludborsch, der der Gemeindepolizei von Makaschen angehörte und damit dem Angeschuldigten als Leiter des 2. Polizeireviers unterstellt war, in Audrini erschossen, „nachdem er im Hause der Bewohnerin Gluschnewa dort versteckte Rotarmisten beim Waffenreinigen überrascht hatte und diese festnehmen wollte. (...) Bei der in der Weihnachtswoche durchgeführten Fahndung nach den Rotarmisten kam es zu blutigen Zusammenstößen mit den Partisanen, wobei drei weitere lettische Polizisten (...) erschossen worden sind. An dieser Fahndung haben neben deutschen Kräften u.a. auch Angehörige des 2. Polizeireviers unter Führung des Angeschuldigten teilgenommen. Frau Gluschnewa, in deren Haus die Rotarmisten von Ludborsch überrascht worden waren, wurde in Gegenwart des Angeschuldigten festgenommen. Bei der Aktion konnten keine Rotarmisten oder Partisanen getötet oder gefangengenommen werden. (...) Wie sich aus der Ereignismeldung UdSSR Nr. 163, S. 7 ergibt (...), ordnete der Vertreter des KdS Lettland, Dr. Strauch +(d. h. verstorben, Anm. d. V.), im Einvernehmen mit dem BdS-Ostland als Vergeltung für die Ereignisse in Audrini an:

Das Dorf Audrini abzubrennen und sämtliche beteiligten Bewohner zu erschießen.

Welche Rolle der Angeschuldigte und sein Vorgesetzter, der Polizeichef Eichelis (+), bei dieser Anordnung gespielt haben, ist nicht hinreichend sicher aufzuklären. (...) In Befolgung der Anordnung Strauchs wurden sämtliche Einwohner des Dorfes Audrini, und zwar 61 Männer, 88 Frauen und 51 Kinder, von Angehörigen des 1. und 2. Polizeireviers unter Beteiligung des Beschuldigten festgenommen und nach Rositten überführt und dort im Gefängnis und in dem Arresthaus untergebracht. Die Ortschaft Audrini wurde vollständig niedergebrannt. (...)

Am 4. Januar 1942 wurden auf Befehl des Leiters der KdS-Außenstelle Dünaburg, des Zeugen Tabbert, die Erschießung von 30 Einwohnern von Audrini durchgeführt (...). Die angeordnete Vergeltungsmaßnahme, 30 männliche Einwohner von Audrini öffentlich auf dem Marktplatz in Rositten zu erschießen, war in den im Gebiet Lettgallens erscheinenden Tageszeitungen veröffentlicht und durch Aushang von 6.000 Plakaten in sämtlichen Dörfern Lettgallens bekanntgegeben worden (...). Vor der Exekution hatte Eichelis die anwesenden Zuschauer vor Partisanentätigkeit gewarnt.

Anschließend wurden durch das aus Angehörigen des 4. Polizeireviers bestehende Exekutionskommando unter Leitung des Revierleiters Puntilis (+) und seines Stellvertreters Drosdowskis (nicht zu ermitteln) 30 Opfer in 3 Gruppen zu je 10 Personen erschossen. Die Anwesenheit des Angeschuldigten bei der Exekution kann (...) nicht festgestellt werden. (...)

Bereits am Vortage, am Abend des 3. Januar 1942, sind die übrigen 170 Einwohner der Ortschaft Audrini, Männer, Frauen und Kinder, in den Antschupanbergen erschossen worden.

Im Verlaufe dieses Tages war ein aus mehreren Häftlingen des Gefängnisses in Rositten bestehendes Kommando unter dem Befehl eines Aufsehers (...) in die Antschupanberge ausgerückt, um dort ein Massengrab auszuheben. (...) Im Verlaufe des Nachmittags wurden die in dem Gefängnis in Rezekne und in dem Arresthaus untergebrachten Einwohner von Audrini in dem Hof des Gefängnisses unter Bewachung durch Angehörige des 1. und 2. Polizeirevieres auf einen Lkw verladen. Wie von den Zeugen (...) berichtet worden ist, weinten die Frauen und Kinder; sie mussten zum Teil auch von den Polizeibeamten mit Gewalt auf die Lkw's verladen werden. (...) Am Erschießungsort fand sich in den späten Nachmittagsstunden auch das Erschießungskommando ein, welches aus Angehörigen des 4. (Malta-) Polizeireviers unter Führung des stellvertretenden Reviervorstehers Drosdowski bestand. Die Angehörigen dieses Polizeireviers, welches bevorzugt zu der Durchführung von Massenerschießungen herangezogen worden sind, sind auch für diese Erschießung bestimmt worden, nachdem der Angeschuldigte selbst zuvor vergeblich versucht hatte, unter den Angehörigen seines 2. Polizeireviers Freiwillige für das Erschießungskommando zu finden. (...) Die Angehörigen des 2. Reviers wurden daraufhin von dem Angeschuldigten am Tattage zur Bewachung und Absperrung des Erschießungsgeländes eingeteilt (...).

Nachdem die Opfer an den Erschießungsort gebracht worden waren, erschienen dort auch Eichelis und der Angeschuldigte selbst. Eichelis und der Angeschuldigte inspizierten das ausgehobene Massengrab. Sie rügten hierbei das Kommando, weil die Arbeit nach ihrer Ansicht nicht zügig genug durchgeführt worden war. (...) Die Exekution wurde dann am Abend im Scheinwerferlicht des Lastkraftwagens und von Personenwagen durchgeführt, und zwar in der Weise, dass die Opfer in Gruppen zu jeweils etwa 5-6 Personen an das Massengrab herangeführt wurden und dann von den zum Erschießungskommando bestimmten Schützen erschossen worden sind. (...) Die Opfer mussten sich bis auf die Unterwäsche entkleiden. (...) Die übrigen Bewohner standen in unmittelbarer Nähe und mussten mit ansehen, wie ihre Mitbewohner erschossen wurden, bevor sie selbst das gleiche Schicksal erlitten. Einige der Opfer, insbesondere Kinder, weinten. (...) Die Angaben über die Dauer der Erschießung schwanken zwischen 20 und 90 Minuten. Auf jeden Fall hat die Erschießung längere Zeit gedauert. (...)

Das Gefängniskommando begab sich am folgenden Tag erneut zu dem Erschießungsort, um das Massengrab zu schließen. Hierbei wurde (...) unter den Opfern noch eine lebende Frau entdeckt, die von einem der das Kommando beglei­tenden Gefängnisaufseher erschossen wurde.

Über die Durchführung der Erschießung berichtete der Angeschuldigte mit Schreiben vom 9. Februar 1942 an den Vizestaatsanwalt des Kreisgerichts in Dünaburg. Der Angeschuldigte schrieb:

Am 22. Dezember vorigen Jahres wurden auf Anordnung des Kreiskommissars in Dünaburg alle Einwohner des Dorfes Audrini verhaftet und erschossen, wobei bei 30 von ihnen die Todestrafe öffentlich auf dem Marktplatz in der Stadt Rezekne vollstreckt wurde.

gez. B. Maikovskis – Chef des Reviers - gez. K. Rutinsch – Aufseher -

Die Erschießung in den Antschupanbergen wird auch in dem Dokument "Teile des Gesamtberichtes der Einsatzgruppe A´ vom 16. Oktober 1941 bis 31. Januar 1942 (S.125), den Ereignismeldungen UdSSR Nr. 154 (S. 27) und Nr. 163 (S. 7) erwähnt."30

30) Zentralstelle, a.a.O., S. 74-88

IV. Maikowskis in den USA

Bei Kriegsende flüchtete M. nach Westdeutschland und studierte an der baltischen Universität in Pinneberg Rechtswissenschaften.

1951 wanderte M. von Pinneberg in die USA aus. Bei der Einreise gab M. sich als „Buchhalter bei der Lettischen Eisenbahn” von 1941 bis 1944 aus; seine Polizeikarriere verschwieg er. Laut Anklageschrift war M. in den fünfziger und sechziger Jahren führend in verschiedenen lettischen Vereinigungen aktiv, so war er von 1953 bis 1963 Präsident der lettischen katholischen Kirchengemeinde in New York und von 1952 — 1955 Generalsekretär der lettischen katholischen Gemeinde in den USA. Christopher Simpson1 nennt weitere führende Mitgliedschaften M.'s: bei den Daugavas Vanagi (Dünafalken), der 1945 gegründeten Selbsthilfeorganisation ehemaliger Angehöriger der lettischen Waffen-SS; in der katholischen Laienorganisation „Intermarium”, von der führende Mitglieder „in den 40er und Anfang der 50er Jahre völlig davon in Anspruch genommen (waren), Naziflüchtlinge aus dem Osten in den Westen zu schmuggeln.2 Er sei stellvertretender Vorsitzender der Amerikanisch-Lettischen Vereinigung sowie Delegierter bei der „Versammlung unterdrückter europäische Nationen” gewesen. Während des Kalten Krieges unterstützte die CIA intensiv diese und andere osteuropäische Exilorganisationen. Der ehemalige Leiter der CIA-Geheimoperationen in der Sowjetunion, Harry Rositzke, beschrieb die offiziellen Kriterien bei der Auswahl der Kooperationspartner beim Kampf gegen den Kommunismus: „Es war unbedingt notwendig, dass wir jeden Schweinehund verwendeten, Hauptsache, er war Antikommunist (...), (und) da wir unbedingt darauf aus waren, Kollaborateure anzuwerben, sahen wir uns ihre Papiere eben nicht zu genau an."3 In den 70er Jahren wirkte M. führend in der lettischen Sektion der „Ethnic Voters Division” der Republikanischen Partei mit.4

Erste Vorwürfe: Anfang der sechziger Jahre wurden in den USA erste Vorwürfe gegen M. bekannt. Überlebende des Rigaer Ghettos sammelten Belastungsmaterial. Das anlässlich des Rigaer Prozesses vorgebrachte Auslieferungsgesuch der UdSSR vom 9. Juni 1965 lehnten die USA mit der Begründung ab, die USA habe niemals die Einverleibung Lettlands in die UdSSR anerkannt.

Erstmalig befragte die US-Einwanderungsbehörde „Immigration und Naturalization Service” (INS) M. in den Jahren 1965 und 1966, allerdings ergebnislos.

1967 appellierten 938 lettische Juden in einem Offenen Brief an die Vereinten Nationen und die US-Behörden, den in Riga verurteilten und in Mineola/New York lebenden M. zur Rechenschaft zu ziehen. Sie warfen ihm und den zwei in Riga Mitangeklagten Eichelis und Puntulis vor, die Ermordung von 15.000 Zivilisten, darunter 5.128 Juden aus dem Bezirk Rezekne, sowie die Vernichtung des Dorfes Audrini organisiert und geführt zu haben.

Im Februar 1973, als der Fall der in Queens lebenden Hausfrau und früheren KZ-Aufseherin Hermine Braunsteiner-Ryan Aufsehen erregte (sie wurde später an die Bundesrepublik ausgeliefert), nahm die Einwanderungsbehörde in New York erneut Ermittlungen gegen M. auf. Zu dieser Zeit liefen bei der Behörde insgesamt Ermittlungen gegen 38 Personen, die unter Verdacht standen, an NS-Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein und dadurch, dass sie dies bei Einwanderung verschwiegen hatten, gegen die US-Einwanderungsgesetze verstoßen zu haben.

Demonstration von Ghetto-Überlebenden: 1973 demonstrierten Überlebende des Rigaer Ghettos vor dem deutschen Generalkonsulat für seine Auslieferung an die Bundesrepublik und im Mai 1974 vor M.'s Privathaus in Mineola/Long Island. Dabei richtete man scharfe Kritik gegen die Einwanderungsbehörde, von der zuvor schon ein Chefermittler mit der Begründung seinen Abschied genommen hatte, sie verzögere und blockiere die Ermittlungen im Fall M.: So sei sein Vorschlag abgelehnt worden, von der sowjetischen Botschaft Informationen zu M. anzufordern.5

Am 2. Dezember 1975 demonstrierten jüdische Verbände in Sachen M. vor dem deutschen Generalkonsulat, am 6. Mai 1976, dem israelischen Unabhängigkeitstag, vierzig junge Juden vor der Einwanderungsbehörde in New York. Sie beschuldigten den INS, vorsätzlich die Untersuchungen zu ungefähr hundert bekannten Naziverbrechern verschleppt zu haben. Zugleich trug man Plakate wie „M. ermordete 15.000 – weist Naziverbrecher aus!"6

Kurz später wurde der Fall des Edgars Laipenieks aus San Diego, eines ehemaligen Offiziers der lettischen Geheimpolizei, bekannt. Ihm wurden unter anderem Morde im Rigaer Zentralgefängnis 1941 während der deutschen Besatzung zur Last gelegt. Die CIA teilte dem Beschuldigten schriftlich mit, beim INS für die Einstellung der Ermittlungen gegen ihn gewirkt zu haben. Laipenieks hatte nach offizieller Auskunft seit 1960 mit der CIA zusammengearbeitet.

Ausweisungsverfahren: Am 15. November 1976 begannen beim INS im Federal Building in Manhattan die drei ersten Ausweisungsverfahren seit mehr als 20 Jahren gegen mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher — gegen M., Karlis Detlavs und B. Kaminskas. 15 Anklagepunkte führte die Behörde gegen M. an, u.a. die Selektion jüdischer Kinder im Ghetto von Daugavpils im Sommer 1941 und 1943, die Misshandlung von Juden in einer Rigaer Polizeistation im Juli 1941, die Falschaussage bei der Einwanderung.

Bei der ersten Verhandlung war auch Tuvia Friedman anwesend, Leiter des Nazi Documentation Centers in Haifa: Er hatte nach eigenen Aussagen M. 13 Jahre zuvor in Mineola entdeckt.7 Erwartet wurden mehr als 20 Überlebende des Rigaer Ghettos, die zu M. aussagen sollten.

Im August 1977 schloss der Richter die Öffentlichkeit bis auf Pressevertreter vom Verfahren mit der Begründung aus, M. müsse vor „Terroristen” und anderen Gefahren geschützt werden. Auch Simon Wiesenthal wurde zur Verhandlung nicht zugelassen. Ein Bundesrichter hob den Beschluss bald wieder auf.8 Weitere Ausweisungshearings fanden im Oktober und Dezember 1977 statt, bei denen es nicht nur um den Fall Audrini ging. Zeugen beschuldigten ihn aber auch, im Rigaer Ghetto Kinder geschlagen und selektiert zu haben. Das Long Island Magazine brachte einen siebenseitigen Report unter der Überschrift „Auschwitz in Mineola: The Case of Boleslavs Maikovskis” (November 1978). Gleichzeitig kam es vor M.'s Privathaus immer wieder zu Demonstrationen unter Beteiligung der Jewish Defense League. Bei einem Anschlag im Mai 1978 erlitt M. eine Schussverletzung im Bein. Im April 1978 lehnte der Richter das Gesuch ab, eidesstattliche Erklärungen von Zeugen in Lettland einzuholen. Das Verfahren geriet ins Stocken, über vier Jahre fanden keine Verhandlungen mehr statt.

Nach Inkrafttreten des Holtzman-Amendments 1978 war beim US-Justizministerium 1979 das „Office of Special Investigations” (OSI) für das Aufspüren von NS-Kriegsverbrechern gebildet worden. M. wurde zu einem der ersten Fälle, den es durch alle Instanzen verfolgen musste. Dabei schossen Exilkreise massiv gegen das OSI, warfen ihm Kollaboration mit dem KGB vor und scheuten sich nicht, wieder von einer „jüdisch-bolschewistischen Verschwörung” zu reden. M.'s US-Anwalt Berzins spielte in der Anti-OSl-Kampagne eine führende Rolle.9 Im Mai 1981 konnte der OSI-Anwalt Jeffrey Mausner schließlich in Lettland Zeugen vernehmen. Die Videobänder mit den Aussagen z.B. des Anton Zhukovskis gingen in das nun wieder aufgenommene Verfahren ein. Am 30. Juli 1983 lehnte der US Immigration Court von New York City M.'s Ausweisung ab. Diese Verfügung revidierte die Bundeseinwanderungsbehörde im August 1984 und konstatierte, M. sei aus mehreren Gründen auszuweisen. M.'s Einspruch wies das Bundesappellationsgericht am 16. Juni 1986 als letzte Instanz zurück und verfügte endgültig seine Ausweisung.

Die USA suchten nun ein Aufnahmeland für M., er wünschte die Schweiz, die aber ablehnte. Nachdem auch die vom Justizministerium angefragte Bundesrepublik seine Aufnahme ablehnte, bemühte man sich um eine Genehmigung für seine Abschiebung in die Sowjetunion.'° Als diese drohte, stellte ihm 1987 das New Yorker Generalkonsulat der BRD in voller Kenntnis der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt ein Besuchervisum aus. Die amtliche „Fluchthilfe” wurde gegenüber den US-Behörden geheim gehalten. Dies enthüllte M.'s Anwalt Berzins am 31. Januar 1991 als Zeuge vor dem Landgericht Münster. Der damalige deutsche Generalkonsul Sympher: Man habe der US-Regierung aus der Klemme zwischen antikommunistischer Öffentlichkeit und „Wiesenthal-Leuten” geholfen.'11

Ausreise in die Bundesrepublik: Am 6. Oktober 1987 reiste M. in die Bundesrepublik ein und fand in Münster ganz legal eine Bleibe. Am 20. Oktober stellte er einen Asylantrag. Ein Ermittlungsverfahren wurde gegen ihn nicht eingeleitet – entgegen der Behauptung des Auswärtigen Amtes vom 6. März 1991, wonach „gleichzeitig” mit dem Asylverfahren Ermittlungen gegen M. aufgenommen worden seien.12

Auf Drängen der Anti-Defamation League (ADL), der großen jüdischen Menschenrechtsorganisation, bestätigte das US-Justizministerium Anfang Oktober 1988, dass M. sich aus den USA abgesetzt habe. Nachdem die New York Times seinen Aufenthalt in Münster gemeldet hatte, wurde die westdeutsche Justiz aktiv. Am 19. Oktober 1988 erfolgte seine Verhaftung.

Die New York Times: „Die Verhaftung kam, einen Tag nachdem die Sowjetunion Westdeutschland offiziell aufgefordert hatte, M. zu verhaften, und fünf Tage vor der Reise Kanzler Kohls nach Moskau.”13

Die Umstände von M.'s Einreise in die Bundesrepublik sind bis heute nicht aufgeklärt, entsprechende Anfragen seitens der „Survivors of the Riga Ghetto“ und der ADL wurden unzureichend beantwortet.

1) Christopher Simpson: Der amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA, Wien 1988

2) Derselbe, a.a.O., S. 214

3) Derselbe, a.a.O., S. 195

4) Rena und Thomas Giefer: Die Rattenlinie. Fluchtwege der Nazis, Frankfurt/M. 1991, S. 255

5) New York Post, 15.5.1974

6) JTA Daily News Bulletin, 7.5.1976

7) Jewish Week, 21.11.1977

8) New York Times, 9.11.1977

9) ADL Special Report: The Campaign Against The U.S. Justice Department's Prosecution of Suspected Nazi War Criminals, New York 1985

10) The Washington Post 20.10.1988

11) Stern Nr. 47 vom 14.11.1991

12) Schreiben des Auswärtigen Amtes an die Präsidentin der „Society of the Survivors of the Riga Ghetto”, Lore Oppenheimer, New York

13) Zitiert bei Giefer, a.a.O., S. 256

 

V  Chronologie zum Audrini-Verfahren

1940

17.6.         Einmarsch sowjetischer Truppen nach Lettland

1941

13./14.6.   Massendeportation aus dem Baltikum nach Sibirien

22.6.        Deutscher Überfall auf die Sowjetunion

3.7.            Deutsche Truppen nehmen Rezekne ein

27.7.         Boleslavs Maikovskis tritt Dienst als Vorsteher des 2. Reviers der Kreispolizei Rezekne an

Ende Juli Erschießung von l .500 Juden in Daugavpils
26.8.         Alberts Eichelis wird zum Kreisvorsteher von Rezekne ernannt.
9.11.        Vernichtung des Ghettos Daugavpils
18.12.      Die Polizisten Ludborzs und Uljanovs stoßen in Audrini auf Partisanen. Ludborzs wird von

                 diesen erschossen.
21.12.      Bei der Verfolgung der Partisanen Feuergefecht im Majovka-Wald, bei dem auch die Polizisten

                 Gleizds, Purmalis und Mugins getötet werden.

22.12.      Verhaftung der Einwohner des Weilers Audrini

24.12.     Beisetzung der erschossenen Polizisten

1942

2.1.          Einäscherung von Audrini

3./4. l.      Erschießung von 170 Dorfbewohnern in den Ancupani-Hügeln

4. l.          Öffentliche Erschießung von 30 Männern aus Audrini auf dem Marktplatz von Rezekne

2.2.         „Ereignismeldung UdSSR" Nr. 163 des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD (Berlin) meldet

                die Vernichtung von Audrini mitsamt seiner Bevölkerung

2.5.        Erhängung des Juden Falks Borcs

20.7.      Tätigkeitsbericht der Kreispolizei Rezekne: 5.128 Juden, 311 Zigeuner, 248 Kommunisten  

              „liquidiert"

1944

Frühjahr Die deutschen Besatzer lassen die Massengräber in den Ancupani-Bergen öffnen und die

                 Leichen der Erschossenen verbrennen.

27.7.        Rezekne fällt an die vorrückende Rote Armee.

1944

13.-15.10. Rückeroberung Rigas durch die sowjetischen Truppen

1946

3.2.         Hinrichtung des ehemaligen Höheren SS- und Polizeiführers Ostland, F. Jeckeln, und sechs

               weiterer Angeklagter im Rigaer Kriegsverbrecherprozess

1951       Einreise Maikovskis in die USA (von Pinneberg/Holstein kommend)

1965

11 .-30.10. Prozess in Riga gegen Alberts Eichelis, Boleslavs Maikovskis,Haralds Puntulis, Jazeps

               Basankovics, Janis Krasovskis und Peteris Vaicuks. Gegen Eichelis, Maikovskis,

               Puntulis, Basankovics und Krasovskis wird die Todesstrafe verhängt (im Fall der beiden

               letzten auch ausgeführt). Vaicuks wird zu 15 Jahren Freiheitsentzug in einem Arbeitslager

               verurteilt.

1965-1974

                 Befragungen von Maikovskis durch die US-EinWanderungsbehörde

1967

              Appell lettischer Juden an die UN und die US-Behörden, den in Mineola/New York

               lebenden Maikovskis zur Rechen­schaft zu ziehen

1968/69

19.11.    Prozess gegen den Leiter der KdS-Außenstelle Dünaburg, Obersturmführer G. Tabbert vor

               dem Landgericht Dortmund
19.6.      Freispruch mangels Beweise

1976-1986

               Verfahren gegen Maikovskis wegen Verstoßes gegen das US-Einwanderungsgesetz;

               Ausweisungsbeschluss des US-Bundesappellationsgerichts

1982/84

8.10.      Prozess gegen den Chef der Kreispolizei Rezekne, Eichelis, vor dem Landgericht Landau/Pfalz    

             (Beginn der Ermittlungen 1976)

26.6.     wegen Beihilfe zum Mord an 170 Menschen wird Eichelis zu sechs Jahren Freiheitsstrafe

             verurteilt

1987

6.10.     Ausweisungsverfügung der USA gegen Maikovskis Einreise Maikovskis in die Bundesrepublik

             Deutschland mit einem Besuchervisum; Wohnsitz in Münster

1988

19.10.  Verhaftung von Maikovskis in Münster

1990

18.1.    Beginn der Hauptverhandlung vor der II. Großen Strafkammer des Landgerichts Münster

            gegen Maikovskis

1991    Haftbefehl außer Vollzug gesetzt, Entlassung aus dreijähriger Untersuchungshaft

1994

11.3.    Einstellung des Verfahrens nach 205 Sitzungen wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit

            des Angeklagten

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch