"Wie weit sollen deutsche Soldaten gehen?" war der Titel einer Tagung der Evang. Akademien Berlin, Loccum und Villigst in Berlin, bei der Renke Brahms, Friedensbauftragter der EKD, und Minister Thomas de Maizière die einführenden Beiträge hielten. Von den folgenden fünf Impulsbeiträgen hielt ich einen zur "Evaluation deutscher Auslandseinsätze", der hier in ergänzter Form nachzulesen ist. Die Tagung bildete den Auftakt zu "... dem Frieden der Welt zu dienen", einem Diskursprojekt der Evangelischen Akademien in Deutschland. 300 Interessierte aus einem ungewöhnlich breiten friedens- und sicherheitspolitischen Spektrum kamen zusammen - ein sehr hoffnungsvoller Start!
Evaluation deutscher Auslandseinsätze
Impulsbeitrag von Winfried Nachtwei, MdB a.D., bei der
Tagung „Wie weit sollen deutsche Soldaten gehen?"der
Evang. Akademie Berlin zusammen mit den Evang. Akademien Loccum und Villigst,
am 24.09.2012 in der Französischen Friedrichstadtkirche/Berlin
( www.evangelische-akademien.de/friedenderwelt )
- gegenüber dem gesprochenen Wort ergänzte Fassung -
Was haben die deutschen Auslandseinsätze der letzten 15, 20 Jahre gebracht?
Zweifellos hohe Kosten, inzwischen etliche Opfer - aber Wirkungen, Erfolge? Hierzu gibt es viel an Meinungen, weniger an soliden Kenntnissen, vor allem viel Unsicherheit, wenig Konsens.
Was sind deutsche Auslandseinsätze? Bis auf Geiselbefreiungen sind es nie isolierte Militäreinsätze, sondern immer Teil von umfassenden, internationalen Krisenengagements mit diplomatischen, zivilen, polizeilichen, militärischen Akteuren. Teilauftrag des Militärs dabei ist in der Regel Herstellung eines sicheren Umfelds, Friedenssicherung. Die Öffentlichkeit nimmt von solchen Krisenengagements fast nur die militärische Seite wahr - und nimmt sie dann auch für das Gesamtergebnis in Haftung.
Meinen Impulsvortrag halte ich vor dem Hintergrund meiner 15-jährigen Mitgliedschaft im Bundestag und Verteidigungsausschuss, wo ich an allen Mandatsentscheidungen sowie an der Begleitung und Kontrolle aller Einsätze beteiligt war, auch ihrer nichtmilitärischen Dimensionen.
(1) Arten und Bedeutung von Evaluation
Grundsätzlich sind zwei Arten von Evaluation zu unterscheiden.
(a)Â Die Einsatzauswertung hinsichtlich Taktik, Verfahren, Ausstattung, Ausbildung - Erfahrungslernen, lessons learned.
(b) Wirkungsanalysen: Analyse/Bewertung von Wirkungen und Erfolg bezogen auf das jeweilige Mandat.
Hier geht es in erster Linie um Wirkungsanalysen.
Die Bedeutung von Evaluation liegt eigentlich auf der Hand.
Einsätze sollen kein Selbstzweck, sondern Mittel zu einem sicherheits- und friedenspolitische Zweck sein.
Militäreinsätze sind besonders teuer, riskant, ggfs. mit Opfern verbunden. Deshalb müssten Wirkungsanalysen schon in Verantwortung für die eingesetzten Soldaten wie die Steuerzahler selbstverständlich sein.
Bundestagsabgeordnete können nur nach bestem Wissen und Gewissen konstitutiv über Einsatzverlängerungen entscheiden, wenn seriöse Wirkungseinschätzungen vorliegen.
Schließlich: Sinn, Legitimität und Akzeptanz von Einsätzen sind entscheidend abhängig von ihrer Wirksamkeit. (Die sicherheitspolitische Begründung und völkerrechtliche Legitimität ist notwendig, aber keineswegs hinreichend.)
(2) Die Realität der Einsatzevaluation in Deutschland
Das Parlamentsbeteiligungsgesetz von 2004 bestimmt in § 6 eine Unterrichtungspflicht des Bundestages, der regelmäßig über den Verlauf der Einsätze und die Entwicklung in den Einsatzgebieten zu unterrichten sei. In der Begründung des Gesetzesantrags heißt es dazu genauer, dass ein „jährlicher bilanzierender Gesamtbericht" vorzulegen sei und nach Einsatzende ein „Evaluierungsbericht" zu militärischen und politischen Aspekten des Einsatzes. Diese präzisierende Begründung entfällt beim veröffentlichten Gesetzestext - und ist deshalb vielfach gar nicht mehr bekannt.
Die Einsatzauswertung betreibt die Bundeswehr intensiv auf verschiedenen Ebenen: mit Erfahrungs- und Kontingentberichten, mit der Einsatzauswertung bei den Führungskommandos der Teilstreitkräfte und dem Einsatzführungskommando, mit der Datenbank „"Einsatzerfahrung Bundeswehr" und der Reihe „Aus dem Einsatz lernen" des Heeresführungskommmandos (beide intern übers Intranet zugänglich). Die Einsatzauswertung fließt ein in die Weiterentwicklung von Ausbildung, Taktik, in die Entwicklung und Beschaffung von Ausrüstung. Eine bestmögliche Einsatzauswertung ist für das Militär elementar, weil lebensnotwendig. Deutlich schwächer soll allerdings die Einsatzauswertung und das institutionalisierte Gedächtnis in Bezug auf die lokalen Konfliktgeschichte und ihre Akteure im Einsatzland sein.
Wirkungsanalysen und -schätzungen
Auf diesem Feld habe ich über viele Jahre auf Seiten der Regierung eine Art Gummiwand erlebt. Sie scheint erst in jüngerer Zeit Risse zu bekommen. Einige Beispiele:
-         Nach dem Kosovo-Luftkrieg gab es Vorstöße zur Auswertung des Einsatzes u.a. in unserer Fraktion. Eine systematische und unabhängige Bilanzierung aber wurde von der eigenen rot-grünen Regierung verweigert. (2001 standen wir unmittelbar vor einem entsprechenden Fraktionsbeschluss. Der 11. September veränderte dann die Tagesordnung fundamental.)
-         Nach EUFOR DR Congo 2006 gab es einen dürftigen Abschlussbericht, wo gegenüber der Öffentlichkeit vor allem zwei Punkte als Erfolg betont wurden: die gelungene Bewährungsprobe für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die Rückkehr der Soldaten vor Weihnachten. Ob es ein Beitrag zu mehr Sicherheit und Stabilität im Congo über den Tag hinaus war, wie es im Vorfeld des Einsatzes beschworen wurde, spielte nachher kein Rolle mehr.
-         Operation Enduring Freedom Afghanistan: Jahrelang war auch uns Obleuten im Verteidigungsausschuss unbekannt, wie wirksam OEF bei seinem Auftrag der Eindämmung terroristischer Gewalt in Afghanistan war. Bei einem Washingtonbesuch fragte ich im Pentagon den Zuständigen für OEF nach der Wirksamkeit der Operation. Seine Antwort: Das sei eine gute Frage, die stelle man sich auch immer wieder. Das war es, dabei blieb es. Bei OEF erlebte die sonst so viel gelobte Parlamentsbeteiligung ihren Tiefpunkt.
-         Zum Afghanistaneinsatz gibt es bis heute für das Parlament (und die Öffentlichkeit) keine systematische und fortlaufende Sicherheitslage, sondern bloß eine Berichterstattung über Sicherheitsvorfälle, die die Qualität des „sicheren Umfelds" (Mandatsziel) nur unvollständig erfasst. In den ministeriellen Unterrichtungen zu Aufbau und Entwicklung und Politik in Afghanistan dominierten lange die Input-Berichte getroffener Maßnahmen. (Ob die vielen gut erscheinenden Projekte, die ich vor Ort besuchen konnte, ein Tropfen auf den heißen Stein oder ein kühlender Wasserstrahl waren, ließ sich lange Zeit nicht beurteilen.) Der Vorschlag der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Afghanistan (AGA) zur Einsetzung einer unabhängigen Sachverständigenkommission für Afghanistan im Jahr 2008 blieb ohne Resonanz. Am 23.11.2010 führte der Auswärtige Ausschuss des Dt. Bundestages erstmalig eine Öffentliche Anhörung „Kriterien zur Bewertung des Afghanistaneinsatzes" durch. (www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a03/anhoerungen/prot_17_23.pdf
-         Insgesamt: Nach 15, 20 Jahren deutschen Beteiligungen an internationalen Kriseneinsätzen gibt es dazu inzwischen wohl eine Reihe Veröffentlichungen, aber keine zusammenfassende, systematische und unabhängige Bilanzierung und Evaluierung. Dies ist ein strategisches Versäumnis, das erheblich zur Wirksamkeits- und Akzeptanzkrise von Auslandseinsätzen, zu einer sicherheitspolitischen Desorientierung beigetragen hat. Mitverantwortlich dafür waren Koalitionsfraktionen, denen die Folgsamkeit gegenüber der eigenen Regierung wichtiger war als eine verantwortliche Wahrnehmung der Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen.
Evaluationen in anderen Ressorts
Das BMZ gehört zu den ersten Ministerien, in dessen Zuständigkeitsbereich systematische und unabhängige Evaluierungen von Projekten, Programmen, Instrumenten und Strategien durchgeführt werden. Überprüft werden Relevanz, Effektivität, Effizienz, Wirkungen und Nachhaltigkeit. Sie dienen der Rechenschaftslegung, dem individuellen und institutionellen Lernen.
Die Kurzfassungen der Berichte (seit 2001) sind erhältlich über www.bmz.de/de/was_wir_machen/wege/erfolg/index.html. Grundsätzlich zum Thema Caspari, A. u. Barbu, R. (2008): Wirkungsevaluierungen: Zum Stand der Diskussion und und dessen Relevanz für Evaluierungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Evaluation Working Papers, Bonn BMZ. Im Frühjahr 2012 wurde vom BMZ das „Institut für deutsche Entwicklungsevaluierung" gegründet. (www.evaluierungsinstitut.de ) Seine Abteilung II ist zuständig für Governance, fragile Staaten, Menschenrechte, Bildung.
Im Zuständigkeitsbereich des AA und BMI spielen Einsatzauswertungen und Wirkungsevaluierung eine viel geringere Rolle. Mein Eindruck ist, dass es hier noch erheblichen Nachholbedarf gibt.
Von einer systematischen ressortübergreifenden, ja -gemeinsamen Einsatzauswertung ist mir nichts bekannt.
Einzelne Teilfortschritte:
-         Als Ort der besten, weil ungeschminkt-offenen und ressortübergreifenden, Einsatzauswertung habe ich immer wieder die Runden beim Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) erlebt.
-         Im Auftrag des BMZ wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 700 der FU Berlin in den afghanischen Nordostprovinzen Takhar und Kunduz seit 2007 die Wirkungen der ausländischen Entwicklungshilfe und Militärs in den Augen der örtlichen Bevölkerung untersucht. (Teilprojekt C9 - Impact of Interventions in Afghanistan)
-         Der „Fortschrittsbericht Afghanistan", den die Bundesregierung seit Dezember 2010 halbjährlich veröffentlicht, ist ein wichtiger, aber noch lückenhafter Schritt zu einer systematischen Wirkungsanalyse.
-         Das Einsatzcontrolling im Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Seit Anfang 2010 wird der Status der Mandatserfüllung auf Basis eines Kennzahlensystems erfasst und bewertet, zunächst als Pilotprojekt beschränkt auf die Marineoperation ATALANTA vor Somalia.
-         Das Auswärtige Amt kündigte eine Erfahrungsauswertung des Afghanistanengagements an.
(3) Hemmnisse und Hindernisse
(a) Methodische Hürden
- Die Komplexität internationaler und multidimensionaler Einsätze mit ihren vielen Akteuren, unterschiedlichen Zielen, Reichweiten etc. machen es sehr schwer, die Wirkungen einzelner Akteure zu identifizieren und zu bewerten. Erfolg für wen?
- Wo Mandate unklar und abstrakt sind (im zivilen Bereich oft fehlen), wo Ziele nicht operationalisiert sind, Daten zur Ausgangslage (baseline) fehlen, ist eine wissenschaftlich fundierte Wirkungsbewertung praktisch unmöglich.
- Gerade in Nachkriegs- und Konfliktgebieten fehlt es an zuverlässigen Daten, Sensoren, seriösen Ermittlungsmethoden und Zugängen.
- Nicht empirisch erfassbar sind „unsichtbare Wirkungen" wie Nicht-Ereignisse von verhüteter Gewalt. Sie sind bestenfalls begründet zu vermuten.
- Schließlich ist die Evaluierbarkeit/"Meßbarkeit" verschiedener Maßnahmen höchst unterschiedlich: Sie ist am leichtesten, wo es um materielle Infrastruktur oder große militärische Gewalt geht. Sie ist viel schwieriger bei der Abschätzung von Konfliktpotenzialen, bei Maßnahmen des Keyleader-Engagements, der Streitschlichtung, der Förderung von Rule of Law und Good Governance, bei einem Großteil diplomatischer Aktivitäten.
(b) Interessen und Grundorientierungen
- Wirkungsanalysen können politische Störfaktoren sein: Wo die Beteiligung an einem Einsatz z.B. aus bündnispolitischen Erwägungen feststeht und eine große Parlamentszustimmung gewünscht ist, da können ehrliche Wirkungsanalysen Zustimmung gefährden (ggfs. aber auch stützen). Politische Führungsebenen in Deutschland neigen nicht dazu, sich Fehler bescheinigen zu lassen. (Ich selbst habe meine „Materialien zur Sicherheitslage Afghanistans" mit ihren schlimmen Nachrichten zunächst auch nicht öffentlich gemacht, um den Einsatzgegnern keine zusätzliche Munition zu liefern.) Auf der anderen Seite scheint auch bei denjenigen, die prinzipiell Auslandseinsätze ablehnen, kein sonderliches Interesse an Wirkungsanalysen zu bestehen. In der politischen Praxis dominierten politische Einschätzungen zur Einsatzwirkung „über den Daumen", geprägt oft von Legitimationsinteressen und selektiver Wahrnehmung.
- Gerade beim Afghanistaneinsatz traten in verschiedenen Organisationen und Institutionen Mentalitäten und Strukturen der Beschönigung zutage. Notorisch bekam ich bei Gesprächen in ISAF-Hauptquartieren über Jahre die Redewendung zu hören: „Es gibt Probleme. Aber wir sind auf einem guten Weg" - auch zu Zeiten, als der Weg unübersehbar abwärts ging.
- In der parlamentarischen und öffentlichen Diskussion zu Auslandseinsätzen dominierte von Anfang an der Rechtfertigungsdiskurs. Hierzu schlugen im Bundestag die rhetorischen Wellen immer wieder besonders hoch. Demgegenüber kam der Wirksamkeitsdiskurs in der Regel viel zu kurz.
- Auffällig ist schließlich die vorherrschende Interesselosigkeit gegenüber den reichhaltigen Erfahrungen von UNO-Friedensmissionen in großen Teilen der sicherheits- und friedenspolitischen Öffentlichkeit.
(4) Positive Beispiele
Aber es geht auch anders, besser.
Kanada: Ausgehend von den Empfehlungen des unabhängigen „Manley-Report" vom März 2008 definierte Kanada für sein Engagement in der südafghanischen Provinz Kandahar sechs politische Prioritäten. In 14 Quartalsberichten ab Juni 2008 bis März 2012 berichtete die Regierung dem Parlament strukturiert nach Benchmarks, Progress Indicators, Baselines, 44 Targets über die Quarterly Results. (www.afghanistan.gc.ca )
Niederlande: „The Dutch Engagement in Uruzgan - 2006 to 2010 - A TLO socio-political assessment", Kabul August 2010. Das 2003 von Swisspeace gegründete und u.a. von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem AA unterstützte „The (Tribal) Liaison Office" in Kabul ist d a s unabhängige afghanische Kompetenzzentrum zur Stärkung lokaler Governance, Sicherheit und Stabilität. Ausgehend von einer Baselinie-Studie von 2006 untersuchte das TLO das Erreichte auf den Feldern sozioökonomische Entwicklung und Aufbau, Governance und Rule of Law, (Un)Sicherheit und Insurgency, internationale militärische Akteure und niederländischer Abzug. Im April 2012 erschien die Folgestudie über 18 Monate australisches Engagement in Uruzgan. (www.tloafghanistan.com/index.php/provincial-district-area-assessments )
Zur Evaluation von militärischen Kriseneinsätzen:
- Paul Diehl/Daniel Druckmann: Evaluation Peace Operations, London 2010
- Jürgen Schnell: Zur Kostenplanung und Messung der Effizienz von militärischen Einsätzen im Ausland zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes in Afghanistan, München 2008 (Prof. Dr. Jürgen Schnell ist Generalleutnant a.D. und lehrt an der Universität der Bundeswehr München, Fach Streitkräftemanagement (www.unibw.de.miloek/forschung/publikationen )
(5) Politische Schlussfolgerungen
-         Auftraggeber der Auslandseinsätze sind Bundesregierung und Bundestag. Sie sind in der Pflicht, klare und erfüllbare Mandate zu formulieren. (vgl. Brahimi-Report von 2000!) Überfällig sind umfassende Mandate, die auch zivile und polizeiliche Aufgaben benennen und dafür entsprechende Fähigkeiten bereitstellen. Notwendig sind kohärente und operationalisierte Ziele im Kontext einer ressortgemeinsamen Strategie für das jeweilige Krisenengagement.
-         In Verantwortung für die in riskante Einsätze entsandten Soldaten, Polizisten und Zivilexperten sollte die nächste Bundesregierung in der Koalitionsvereinbarung zur regelmäßigen, systematischen und unabhängigen Wirkungsanalyse von Einsätzen sowie einer bilanzierenden Evaluation aller Einsätze verpflichtet werden. Dafür braucht es viel mehr regionalwissenschaftlicher Kompetenz, als sie heute zur Verfügung steht.
-         Im Parlament und in der interessierten Öffentlichkeit braucht es mehr Wirksamkeitorientierung statt der bisher vorherrschenden deutschen Nabelschauen. Wirksamkeitsevaluierungen können die viel beschworene friedens- und sicherheitspolitische Debatte und Verständigung entscheidend voranbringen, wenn sie dementsprechend durchgeführt und präsentiert werden.
-         Auslandseinsätze sind im erheblichen Maße und unvermeidbar Handeln ins Ungewisse, im Nebel. Da muss es selbstverständlich sein, wenigstens die Nebelscheinwerfer anzustellen. Alles andere ist unverantwortlich. Soldaten stehen in der Pflicht zum treuen Dienen. Der Dienstherr und politische Auftraggeber steht ihnen gegenüber in der Grundpflicht zur Ehrlichkeit. Für diese sind Wirkungsanalysen unverzichtbar.
Persönliche Anmerkung
Auf eine Bilanzierung von Auslandseinsätzen habe ich seit 1999 gedrängt, zu Afghanistan verstärkt seit der erkennbaren Eskalation im Sommer 2006. Da seitens der Bundesregierung Reaktionen lange ausblieben, publiziere ich seit Sommer 2007 „Materialien zur Sicherheitslage Afghanistans" und „Better News statt Bad News aus Afghanistan". Zusammen mit meinen vielen Reiseberichten und Bilanzpapieren bieten sie Mosaiksteine für eine differenziertere Wirksamkeitsbewertung - vgl. auch „Die Auslandseinsätze im Rückblick - Was wir für die Zukunft lernen sollen", Publikationsliste zu Krisenregionen, Auslandseinsätzen und Ziviler Krisenprävention www.nachtwei.de/index.php/articles/1160 ). Der Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen „Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln - Unterrichtung und Evaluation verbessern" vom 23.10.2007 (Drs. 16/6770) wurde von den Fraktionen der Großen Koalition abgelehnt. Drei Jahre später brachten SPD und Grüne gemeinsam den Antrag „Evaluierung der deutschen Beteiligung an ISAF und des deutschen internationalen Engagements für den Wiederaufbau Afghanistans seit 2001" in den Bundestag ein. (9.6.2010, Drs. 17/1964) Auch dieser Antrag wurde abgelehnt.
Die AG „Gerechter Friede" von Justitia et Pax arbeitet zzt. unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Hoppe mit Unterstützung externer ExpertInnen an dem Projekt „Erfahrungen aus militärischen Interventionen nach 1989 in friedensethischer Perspektive".
Drei Tage nach der Veranstaltung, am 27. September 2012, endete der bisher längste Auslandseinsatz der Bundeswehr: Die letzten zwei Bundeswehrsoldaten schieden aus dem Hauptquartier der EU-Operation „ALTHEA" in Bosnien-Herzegowina aus. Vor 17 Jahren startete der UN-mandatierte NATO-Einsatz IFOR, dann SFOR zur Absicherung des Friedensvertrages von Dayton. Er war damals insbesondere bei den GRÜNEN heiß umstritten. Der Besuch einer Delegation von grüner Fraktions- und Parteispitze in Mostar, Sarajewo, Banja Luka im Herbst 1996 ließ uns zweierlei erkennen:
Es gibt Situationen, wo Militär zum Schutz wehrloser Menschen vor massiver Gewalt notwendig ist; das UN-mandatierte Militär hatte den Auftrag, Gewalt zu verhüten und einzudämmen, nicht Krieg zu führen - ein quasi polizeilicher Auftrag mit militärischen Mitteln. Diesen Auftrag erfüllte SFOR, dann ab 2004 ALTHEA, erfolgreich.
Zugleich bekräftigte der Bosnieneinsatzes die Erfahrung, dass Militär entgegen der verbreiteten Erwartung, es könne einen Konfliktknoten durchhauen, politische Konflikte nicht lösen und Frieden nicht schaffen kann. Hierfür sind andere, diplomatische, zivile, polizeiliche Akteure und Maßnahmen gefragt.
Die Erfahrungen von Bosnien und 1998/1999 Kosovo waren der konkrete Hintergrund dafür, dass Rotgrün das Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF und den Zivilen Friedensdienst auf den Weg brachte.
Die äußerst ernüchternde Erfahrung mit dem „eingefrorenen" Bosnienkonflikt und dem Wahnwitz eines im Entitätenproporz strukturierten „Staats"gebildes zeigen eindringlich, wie schwer innerstaatliche Konflikte zu lösen sind, wenn sie erst einmal einen Krieg durchlaufen haben. Mit anderen Worten: Wie enorm wichtig rechtzeitige Prävention ist. Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen eines bewaffneten Konflikts gefallen ist, dann ist die Bergung ein mühsames Langzeitunternehmen ohne Erfolgsgarantie.
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Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: