16. Wahlperiode 13. 02. 2008
Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Winfried Nachtwei, Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer VorÂschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2007), Bundestagsdrucksache 16/7955, bringt für Wehrpflichtige, die sich in Studium und Ausbildung befinden, deutÂliche Verschlechterungen mit sich:
Die Unterbrechung der Ausbildung bedeutet für die Wehrpflichtigen, die Betriebe und den Wirtschaftsstandort Deutschland eine außergewöhnliche und vermeidbare Belastung. Betriebe werden künftig Ausbildungsplätze bevorzugt mit Frauen oder jungen Männern besetzen, bei denen mit keiner Einberufung zum Wehr- oder Zivildienst zu rechnen ist. Damit wird die Minderheit derjeniÂgen jungen Männer, die überhaupt noch die Wehrpflicht erfüllt, in ihrer Berufs- und Lebensplanung weiter benachteiligt. Diese Verschlechterungen und BeÂnachteiligungen für Wehrpflichtige sind nicht hinnehmbar.
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
Berlin, den 13. Februar 2008
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Begründung
Die Wehrpflicht ist ein nicht länger zu rechtfertigender und verfassungsrechtÂlich nicht länger haltbarer Eingriff in die Grundrechte und die Lebensplanung junger Männer. Wehrgerechtigkeit ist nicht mehr gegeben und auf absehbare Zeit nicht herstellbar. Deshalb muss der Ausstieg aus der Wehrpflicht rasch zum Abschluss gebracht werden. Solange die Wehrpflicht noch nicht abgeschafft ist, sind zumindest die ungerechten Einberufungsbedingungen für junge Männer zu verbessern. Dazu ist es erforderlich, die Benachteiligung von Wehrdienstverweigerern bei der Einberufungspraxis zu beenden - wie im EntschlieÂßungsantrag der Fraktion BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN gefordert (BundestagsÂdrucksache 16/3504) - sowie junge Männer in Studium und Ausbildung vor Einberufung zu Wehr- oder Zivildienst zu schützen.
Die Einberufung junger Männer aus Studium oder Ausbildung ist auch aus sicherheitspolitischer Sicht längst nicht mehr zu begründen. Die veränderte BeÂdrohungslage, die neuen Aufgaben und die damit einhergehende TransformaÂtion der Bundeswehr haben dazu geführt, dass nur noch maximal 15 Prozent der Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs zum Wehrdienst einberufen werÂden können. Von einer „Allgemeinen Wehrpflicht" kann in Deutschland daher keine Rede mehr sein. Der Wehrdienst ist nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme. Es ist daher nicht einsehbar, warum unter diesen Bedingungen junge Männer sogar aus Bildungsgängen heraus einberufen werden sollten. Vielmehr sind Studenten und Auszubildende vor Einberufungen zu Wehr- und Zivildienst gleichermaßen zu schützen.
Das Zweite Zivildienstgesetzänderungsgesetz (Bundestagsdrucksache 15/3279) der rot-grünen Bundesregierung war ein erster Schritt in Richtung „Vorrang von Bildung vor Dienstpflicht". Seitdem genießen betriebliche Ausbildungen einen Einberufungsschutz von Anfang an. Die damalige Neuregelung gab den Betrieben Planungssicherheit und erhöhte die Bereitschaft, Ausbildungsplätze zu schaffen. Dieser Fortschritt wird durch den Entwurf eines Gesetzes zur ÄnÂderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften (Wehrrechtsänderungsgesetz 2007), Bundestagsdrucksache 16/7955, teilweise wieder zunichte gemacht. Entgegen dem selbst formulierten Anspruch zieht der Gesetzentwurf der BunÂdesregierung Verschlechterungen für Wehrpflichtige in Studium und AusbilÂdung nach sich.
Demnach sollen junge Männer in so genannten dualen Studiengängen künftig eingezogen werden können, wenn der duale Studiengang länger als acht SemesÂter dauert oder das Studium nicht spätestens drei Monate nach Beginn der betrieblichen Ausbildung aufgenommen wird. Ein duales Studium besteht aus einer selbständigen Berufsausbildung und einem parallelen, darauf bezogenen Studium. Beide Ausbildungen finden in enger Kooperation mit oder in EigenÂverantwortung von Betrieben statt, die dafür Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Die von der Bundesregierung gewollte Einberufung von WehrpflichtiÂgen aus dualen Studiengängen ist sowohl für die Auszubildenden als auch für die Betriebe fatal. Die jungen Männer müssen bereits begonnene BildungsproÂzesse unterbrechen. Die ausbildenden Betriebe müssen den Dualen AusbilÂdungsplatz bei wehr- oder zivildienstbedingtem Nichtantritt oder Unterbrechung für die Dauer des Wehr-/Zivildienstes freihalten. Es ist zu erwarten, dass von Arbeitgeberseite künftig keine dualen Ausbildungsplätze mehr für Wehr- oder Zivildienstpflichtige zur Verfügung gestellt werden, wenn der Arbeitgeber damit rechnen muss, seinen in einem dualen Studiengang eingeschriebenen AuszuÂbildenden zu verlieren. Zudem sind aufgrund der Einberufung zum Wehr- oder Zivildienst ungenutzte Ausbildungsplätze angesichts des eklatanten Lehrstellen- und Fachkräftemangels gesellschaftlich und ökonomisch nicht zu rechtfertigen.
Eine weitere geplante Verschlechterung durch das Wehrrechtsänderungsgesetz 2007 der Bundesregierung betrifft Wehrpflichtige in Meister-, Fachwirt- undTechnikerausbildungen. Diese wären künftig nicht mehr von Anfang an vor EinÂberufung geschützt, da die Bundesregierung Einberufungen nur noch während der Ausbildungen komplett ausschließen will, die im Berufsbildungsgesetz als Berufsausbildung definiert und in das Verzeichnis der BerufsausbildungsverhältÂnisse aufgenommen sind. Eine derartige Hürde vor der Ausbildung zum Meister, Fachwirt oder Techniker kann jedoch gerade angesichts des Fachkräftemangels keinesfalls im gesellschaftlichen Interesse liegen.
In einer zunehmend wissensbasierten Ökonomie und Gesellschaft ist Bildung der Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe und materiellen Wohlstand. AufÂgabe des Staates ist es daher, erfolgreiche Bildungsbiographien und ein hohes Qualifikationsniveau für alle zu fördern. Die Einberufung aus formal begonneÂnen Bildungsgängen heraus läuft diesem Ziel diametral zuwider. Sie führt dazu, dass individuelle Qualifikationsprozesse junger Männer einseitig unterbrochen, verzögert und verlängert werden, und behindert damit gesellschaftliche TeilÂhabe. Es ist zudem zu befürchten, dass es längst nicht allen Einberufenen geÂlingt, in einen einmal unterbrochenen Bildungsgang ohne Schwierigkeiten und weitere Verzögerungen wieder einzusteigen. Die Tatsache, dass Jungen im Schulsystem immer stärker zu Bildungsbenachteiligten werden - abzulesen vor allem an der überdurchschnittlichen Zahl der Schulabbrecher und Sitzenbleiber sowie der unterdurchschnittlichen Abiturientenquote -, unterstreicht, dass der Grundrechtseingriff der Wehrpflicht im Allgemeinen und die Behinderung von Qualifikationswegen nach der Schulzeit im Speziellen auch geschlechterpoliÂtisch ungerecht und inakzeptabel sind.
Auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist die Unterbrechung von AusÂbildungszeiten kontraproduktiv. In einem Land, dessen Reichtum in den FähigÂkeiten der Menschen liegt, müssen alle vorhandenen Bildungspotenziale und kreativen Talente voll ausgeschöpft werden. Mittlerweile wird ein Großteil aller neu geschaffenen Arbeitsplätze nur mit Absolventinnen und Absolventen von beruflicher und akademischer Bildung besetzt. Diese Entwicklung hin zu einem steigenden Bedarf an höchstqualifizierten Mitarbeiterinnen und MitarÂbeitern wird sich im kommenden Jahrzehnt weiter verstärken. Zum bereits jetzt bestehenden erheblichen Fachkräftemangel kommt verschärfend hinzu, dass in den nächsten Jahren zahlreiche gut ausgebildete Fachleute aus dem Berufsleben ausscheiden und ersetzt werden müssen. Daher dürfen Bildungspotenziale an keiner Stelle vergeudet werden. Anstelle der Unterbrechung von AusbildungsÂzeiten lernmotivierter junger Männer müssen die unbedingte Förderung von Bildungsbeteiligung und der Ausbau von Studien- und Ausbildungskapazitäten im Zentrum der Politik der Bundesregierung stehen. Dies ist ein Gebot von Bildungs-, Zugangs- und Geschlechtergerechtigkeit, das durch die bestehende Wehrpflicht und die damit einhergehende Wehrungerechtigkeit nicht länger konterkariert werden darf.
Die durch die Einberufung aus Bildungsgängen hervorgerufenen Nachteile werden durch den eklatanten Mangel an Ausbildungs- und StudienplatzkapaziÂtäten zusätzlich verschärft. Für junge Menschen wird es aufgrund fehlender Plätze immer schwieriger, eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen. Hinzu kommen steigende Zugangshürden wie lokale NCs und StudiengebühÂren, die Studienberechtigten die Aufnahme eines Studiums erschweren. Zwar kann der betroffene junge Mann einen einmal erworbenen Anspruch auf einen Ausbildungs- oder Studienplatz nicht durch eine Einberufung verlieren. Doch die für die Aufrechterhaltung des Anspruchs gebundenen Ressourcen verhindern die gesellschaftlich dringend gebotene, effiziente Ausschöpfung aller vorÂhandenen Ausbildungs- und Studienplatzkapazitäten.Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: