Beiträge zu Lage + Perspektiven in Afghanistan + zur Bilanzierung des militärischen + zivilen Einsatzes seit Ende 2019 - und einige frühe Warnungen
"Wir haben die Lage falsch eingeschätzt" bekannte Außenminister Maas. Dass die Taliban innerhalb von Tagen und nicht einigen Wochen oder wenigen Monate die Macht übernehmen würden, war in der Tat überraschend. Aber offenbar hatte die Bundesregierung nicht einmal die Möglichkeit einer worst-case-Entwicklung auf dem Schirm. Die bürokratischen Verzögerungen bei der Rettung von Ortskräften, die Ignoranz gegenüber einem Großteil ebenfalls gefährdeter Ortskräfte, die Ministerworte noch am Freitag von den ein, zwei Charterflügen bis Ende August offenbaren diese Fehleinschätzung. Und die haben Tradition seit vielen, vielen Jahren des deutschen (und internationalen) Afghanistaneinsatzes. Hier Links zu Warnrufen seit Ende 2019 und aus den ersten Jahren, von tausenden Interessierten wahrgenommen, politisch aber verpufft.
Afghanistan im Absturz: Taliban erobern in neun Tagen 22 von 34 Provinzhauptstädten, darunter alle im Norden, Westen + Süden, sowie fünf der sieben Corps-Headquarters der Armee (lfd. aktualisiert zur Sicherheitslage, Stand 9.-14.8.)
Nach dem bedingungslosen Abzugsbeschluss des US-Präsidenten hatten viele den Vormarsch der Taliban befürchtet, in dieser Schnelligkeit aber nicht erwartet. Kriegsgewalt eskaliert, Angst grassiert. Vor 17 Jahren besuchte ich Kunduz erstmalig, vor 14 Jahren erlebten wir Kunduz noch als Hoffnungsprovinz. Hier Links zu frühen Berichten -und zu Wendepunkten 2009 und 2015. So viel Einsatz und Engagement, so viele Kosten und menschlche Opfer - was zwischenzeitlich mit vielen Fort-Schritten Hoffnung machte, droht jetzt ganz zunichte gemacht zu werden. Auch wenn ich mir als Politiker solche Gefühle eigentlich nicht erlauben will: Ich bin politich wie menschlich verzweifelt. Mit Interview auf BAYERN 2.
Die Story im Ersten "DER ABZUG - Die Afghanistan-Mission und was davon übrig bleibt", 02.08.; DEUTSCHLANDFUNK: "Afghanistan vor einer ungewissen Zukunft" mit E. Zeino, H.-P. Bartels + W. Nachtwei, 04.08.2021
Hier zum Vorbericht und zum 45-minütigen Video der ARD-Sendung und zum Podcast des Gesprächs im Deutschlandfunk - beides mit meiner Beteiligung.
Afghanistan Juli 2021: Taliban-Vormarsch zur Machtergreifung. Laufend aktualisierte Meldungen und Berichte (Stand 07.-24.07.2021)
Die Lage nach dem Abzug der NATO-Truppen ist höchst unübersichtlich und unberechenbar. Der schnelle Fall vieler Distrikte im Norden, vor allem in Badakhshan und Takhar, trifft die Basis der Kabuler Machthaber. Die Eroberung wictiger Grenzübergänge nehmen der Regierung wichtige Zolleinnahmequellen. In der Provinz Ghazni werden nur noch zwei der 16 Distrikte der Regierung zugerechnet. Akut bedroht ist der Distrikt Jaghori (Hazara-Enklave), der bisher von der Jaghori-Miliz gegen mehrere Talibanangriffe verteidigt wurde. Hier befindet sich die vom Freundeskreis Afghanistan seit 1981 (!) unterstützte Schullandschaft Jaghori - eine Hoffnungsinsel sondergleichen! www.fk-afghanistan.de
Trump-Taliban-Abzugstermin am 30. April: Aktuelle Nachrichten aus und zu einem Afghanistan auf der Klippe (3)
Am 30. April endete die zwischen Trump-Administration und den Taliban vereinbarte Frist für den Abzug aller internationalen Truppen aus Afghanistan. Hier Nachrichten und wichtige Stellungnahmen (bis zur Rede von US-Präsident Biden) aus Tagen voller Ungewissheit, Risiken und Ängste. Von Krisenprävention und Schutzverantwortung wird inzwischen öfter mal gesprochen. Wie aber jetzt in dem Land des größten + opferreichsten Kriseneinsatzes der (westlichen) Staatengemeinschaft ein drohender Bürgerkrieg und ein Absturz von Menschen- und Frauenrechten verhindert werden kann, ist hierzulande praktisch kein Thema. Hauptsache heil raus, ist richtig, reicht aber absolut nicht aus. Realitätsverleugnung, Schönrednerei, Selbstbetrug - die Dauerkrankeiten beim internationalen + multidimensionen Afghanistaneinsatz sind immer noch nicht überwunden. Die wertvollen Mädchenschulen und anderen Teilerfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Staaten"gemeinschaft" mit den USA an der Spitze in Afghanistan eine strategische Niederlage erleben. Und die ist noch nicht zu Ende.
Kollaps der afghanischen Sicherheitskräfte, Regierung + Warlords, Taliban zurück an der Macht - Historische Niederlage des Westens
Afghanistan August 2021: Talibanan erobern zwei Provinzstädte, weitere in Helmand, Kunduz, Takhar + Badakhshan hart unter Druck. Laufend aktualisierte Meldungen zur Sicherheitslage (25.7.-7.8.21) und jüngster SIGAR-Report an den US-Congress
Heftige Kämpfe toben seit etlichen Tagen in den Provinzstädten Herat im Westen (mit über 500.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Landes) und Lashkar Gah (über 200.000 Einwohner) in der Hauptopiumprovinz Helmand zwischen den angreifenden Taliban und Regierungskräften. Zwei Provinzhauptstädte fielen am 6. und 7.8.. Der Quartalsbericht des US Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction SIGAR verdeutlicht, dass die stärksten Teile der afghanischen Streitkäfte Afghan Air Force, Special Security Forces) auch besonders von der US-Unterstützung, insbesondere bei der Instandhaltung durch Contractors, abhängig waren. Nur mit einer dünnen "over-the-horizon"-Unterstützung werden sie kaum länger als wenige Monate durchhalten können.
Halbjahresbericht I/2021 zu Zivilopfern in Afghanistan: Mehr Frieden durch Abzug? Im krassen Gegenteil: In Mai + Juni Zivilopfer wie nie in 20 Jahren! (mit Links zu Zivilopferberichten seit 2012)
Die schlimmen Befürchtungen bestätigten sich. Wie 2014: Massive menschliche und politische Kollateralschäden von politischen Entscheidungen, die innenpolitisch motiviert keine Rücksicht auf die Lage vor Ort nahmen - allen großen Versprechungen zum Trotz. Daraus resultiert ein dritter Kollateralschaden: Die Glaubwürdigkeit der - vor allem westlichen - Staaten"gemeinschaft".
Taliban Vormarsch zur Machtergreifung! Meldungen + Hintergrund zum Schnellstabzug der NATO-Truppen + zur Unsicherheitslage in Afghanistan, vor allem im Norden (22.6.-6.7.2021)
Nach fast 20 Jahren verließen die NATO-Truppen, darunter deutsche, Afghanistan. Hier Meldungen zur rasant sich verschärfenden Lage: Im Nordosten, jetzt sogar in Badakhshan, Takhar fallen Distrikte so schnell wie nie. Die Region Nord, halb so groß wie die Bundesrepublik, Haupteinsatzgebiet der Bundeswehr, etliche Jahre die relativ stabilste Region, könnte binnen Wochen oder Monaten fallen und in den Kollaps von ganz Afghanistan münden. Vor Monaten titelte ich "Afghanistan auf der Klippe im Nebel" Jetzt stürzt das Land offenkundig ab - und "internationale Verantwortung", Worst-Case-Verhütung scheinen kein Thama zu sein. Sommerpause. Wenn die afghanischen Kinder mit ihren Eltern endgültig in den Brunnen gefallen sind, kann sich die Staaten"gemeinschaft" ja an die Aufarbeitung dieses sicherheits- und friedenspolitischen Super-GAU`s machen.
German Police Project Team (GPPT) in Afghanistan - Abbruch nach 19 Jahren: Wertvolle Leistungen der Entsandten, von internationaler + deutscher Politik aber oft vernachlässigt. Berichtsauszüge seit 2002
Die strategische Bedeutung der Polizeikomponente bei Kriseneinsätzen ist unstrittig. Dass Deutschland etliche Jahre die Lead-Rolle bei der internationalen Polizeiaufbauhilfe in Afghanistan hatte, ist wenig bekannt und wurde von der Politik zu wenig ernst genommen. Umso wichtiger sind die wertvollen Leistungen der entsandten Polizistinnen und Polizisten von Bund und Ländern, die ihre Arbeit nicht zum Abschluss bringen konnten. Dass der Einsatz nach 19 Jahren abgebrochen werden muss, schmerzt heftig. Ich wünsche sichere Heimkehr!