Im Einsatz gegen Soldatenprosa – Seite 1

Geht es auch ohne Pathos? Offenbar nicht an der Sachbuch-Front, wenn Soldaten und Veteranen des Militärs und der Politik sich zum Krieg in Afghanistan äußern. Seit zehn Jahren kämpfen internationale Soldaten am Hindukusch. Der Bundestag hatte am 16. November 2001 die deutsche Beteiligung an der Anti-Terror-Mission Operation Enduring Freedom beschlossen und kurz darauf die an der Internationalen Schutztruppe für Afghanistan. Seitdem sind viele Bücher über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan erschienen. Die meisten vermitteln den stählernen Charme von Landser-Heften. Die Lektüre verlangt dem Leser soldatische Tugenden ab: Durchhaltefähigkeit, Schmerztoleranz und die Bereitschaft, immer weiter zu machen, obwohl der Sinn der Mission (des Buches) nicht erkennbar ist.

Die Qualität dieser Bücher passt zur Qualität der deutschen Debatte über den Afghanistan-Einsatz. Über den Sinn und den Unsinn der Mission wurde und wird hierzulande kaum diskutiert . In Umfragen klagen die Deutschen, sie fühlten sich schlecht informiert über den Einsatz . Wer Wissenslücken füllen will, ohne auf wohlfeile Soldatenprosa zurückzugreifen, der wird nun im Buchhandel fündig. Vor Kurzem sind zwei lesenswerte Sachbücher erschienen, in denen es nicht um schlammverdreckte Stiefel oder um Gewehre namens Soldatenbraut geht. Stattdessen beschäftigen sie sich mit den großen Fragen: Was hat der Einsatz der deutschen Soldaten bisher gebracht? Welche Alternativen gab es zum Militär? Und wie geht die Mission weiter?

Bewährungsproben einer Nation von Christoph Schwegmann versammelt Aufsätze von linken und konservativen Politikern, von Sicherheitsexperten und Soldaten, von Kritikern und Befürwortern der Mission. Die Auswahl wirkt weder beliebig, noch wiederholen sich die Thesen zu häufig, was bei 21 Autoren auf 243 Seiten eine Leistung ist. Einig sind sich die meisten Autoren, dass es der Politik nicht gelingt, den Einsatz zu erläutern. Nach zehn Jahren Krieg reicht der eingängige, aber falsche Spruch "Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt" nicht mehr aus. Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt seit Jahren die Entsendung von Soldaten nach Afghanistan ab. Mit jedem Sarg, der vom Hindukusch nach Deutschland zurückkehrt, wächst die Antipathie gegenüber der Isaf-Mission.

Ralf Fücks , Urgestein der Grünen und Vorsitzender der Heinrich-Böll-Stiftung, stellt fest, dass die Legitimation einer Militärmission durch die Vereinten Nationen nicht ausreicht, um Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen. "Auslandseinsätze der Bundeswehr dürfen keine Fortsetzung nationaler Macht- und Ressourcenpolitik mit militärischen Mitteln sein", schreibt Fücks. Er fordert, Deutschland müsse dringend klären, welche Interessen es in der Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt. Das gelte auch für Afghanistan. Darin stimmt er mit den meisten Autoren des Sammelbandes überein.

Bewährungsproben einer Nation ist ein angenehm sachliches Buch – nur der pathetische Titel will nicht ganz dazu passen. Nüchterner, aber nicht langweiliger, ist der Band Das internationale Engagement in Afghanistan in der Sackgasse? überschrieben. Die Herausgeber Heinz-Gerhard Justenhoven und Ebrahim Afsah lassen Afghanistan-Experten, Politologen und Ethiker zu Wort kommen. Die Aufsatzsammlung des Instituts für Theologie und Frieden aus Hamburg ergänzt Bewährungsproben einer Nation ausgezeichnet.

Was wird, wenn die Soldaten abgezogen sind?

Ein Autor ist in beiden Büchern präsent: Winfried Nachtwei , ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Grünen. Fünfzehnmal reiste er in den vergangenen Jahren nach Afghanistan. In der deutschen Politik gibt es wohl keinen größeren Kenner des Landes. Nachtwei zieht eine Bilanz der vergangenen zehn Jahre – und die fällt nicht positiv aus. Er beschreibt ein "Wegrutschen" des Afghanistan-Einsatzes. Politische Gewalt und Korruption nähmen zu, die Taliban und andere Aufständische seien mit den bisherigen Mitteln nicht aufzuhalten. Nachtwei räumt Fehler der Regierung auch in den Anfangsjahren unter Rot-Grün ein: "Unehrlichkeit, Halbherzigkeit und Strategiemangel" hätten die deutsche Afghanistan-Politik bestimmt. Er fordert, sich die Politik müsse sich endlich ehrlich machen.

Das Fragezeichen im Titel hätten sich die Herausgeber sparen können. Die Autoren sind sich einig, dass die bisherigen Konzepte zur Aufstandsbekämpfung gescheitert sind, dass der Staatsaufbau misslungen und die Bekämpfung des Drogenanbaus steckengeblieben ist. Und auch das wichtigste Ziel der internationalen Gemeinschaft, die Herzen und Köpfe der Menschen zu gewinnen, bleibe eine Utopie.

Was mit Afghanistan geschehen wird, wenn die Soldaten abgezogen sind , das thematisieren beide Bücher nur am Rande. Bis 2014 bleibt aber Zeit für weitere gute Publikationen über die Afghanistan-Mission, die Bundeswehr und die Deutschen. Eine Diskussion über Ziele, Werte, Interessen und Moral in der Außen- und Sicherheitspolitik täte Deutschland gut – frei von Pathos und Heldenverklärung.