ZEIT ONLINE: Sie kommen gerade aus Afghanistan zurück. Was haben Sie dort erlebt?

Winfried Nachtwei: Das war meine 14. Reise nach Afghanistan und ich wollte diesmal etwas über die Aufbaubemühungen erfahren. Die Deutschen sehen in Afghanistan vor allem Gewalt und Terrorismus. Doch ich konnte mich in einigen Regionen ohne militärischen Schutz frei bewegen – sogar in der Dunkelheit. Ich bin mit einem normalen Auto gefahren, an der Straße wurde gewunken – das habe ich seit Jahren nicht mehr erlebt.

ZEIT ONLINE: Das ist aber nicht im gesamten Mandatsgebiet der Bundeswehr so. Wie bewerten Sie die Sicherheitslage im Raum Kundus?

Nachtwei: In Kundus hat sich die Sicherheitslage noch mal verschärft. Diesmal habe ich die Region nicht besuchen können – die Bundeswehr hat dort gerade anderes zu tun, als Politiker herumzuführen. Heute gibt es in der Provinz Kundus sechs große Gebiete die No-Go-Areas sind. Dort ruht die deutsche Entwicklungshilfe. Und ich bin skeptisch, dass die Sicherheitslage besser wird.

ZEIT ONLINE: Dennoch sprechen Sie von Fortschritten...

Nachtwei: Bei jedem Besuch sehe ich Fortschritte – denn ich habe im Hinterkopf immer, wie schlecht es 2002 aussah. Diesmal habe ich mir unter anderem Projekte zur Lehrerausbildung angesehen. An einem Zentrum werden 1800, in einem anderen 3000 Pädagogen ausgebildet. Die Ausbildung macht einen richtig guten Eindruck. Und ich habe mir Lokalradios angeschaut, die wichtig sind für die örtliche Teilhabe und die Kontrolle. Da gehen mutige Leute auf Sendung, die unter spärlichen Bedingungen erfolgreich arbeiten.

ZEIT ONLINE: Die offizielle Bewertung der Sicherheitslage durch die Bundesregierung zeichnet ein positiveres Bild als Sie. Woran liegt das?

Nachtwei: Die Bundesregierung legt ihr Wissen über die tatsächliche Bedrohungslage nicht offen auf den Tisch. Nicht einmal die Obleute im Verteidigungsausschuss erhalten ein klares Lagebild mit einer Sicherheitsbewertung. Ich habe mehrfach im Ausschuss gefragt, warum sich die Sicherheitslage verschlechtert hat und was dagegen getan werden kann. Darauf gab es kein klares Lagebild.

ZEIT ONLINE: Der amerikanische Isaf-General McChrystal sagt, dass nur eine geänderte Strategie verhindern kann, dass die Taliban den Krieg gewinnen. Wie sehen Sie das?

Nachtwei: Mehr Truppen am Boden und weniger Angriffe aus der Luft scheint mir schon ein richtiger Weg zu sein. Seitdem die Isaf ihre Strategie geändert hat, starben deutlich weniger Zivilisten. Allerdings hat die Isaf auch noch nie so hohe Verluste beklagt. Weniger Luftschläge bedeutet auch ein höheres Risiko für die Soldaten, die nun in Gefechte verwickelt werden.

ZEIT ONLINE: Die neue Afghanistan-Taktik kopiert das Vorgehen der Amerikaner im Irak. Ist das der richtige Weg?

Nachtwei: Der Ansatz der amerikanischen Generäle Petraeus und McChrystal den Fokus absolut auf die Zivilbevölkerung zu richten, ist richtig. Im Irak haben sie die Strategie erfolgreich angewendet. Die Grünen haben seit etlichen Jahren kritisiert, dass in Afghanistan nur auf die Gegnerbekämpfung ohne Rücksicht auf Verluste gesetzt wurde. Aber der Irak ist nicht Afghanistan, es gibt riesige Unterschiede in der Gesellschaft und bei der Infrastruktur. Und ob McChrystals Forderung nach mehr Soldaten richtig ist, bezweifle ich sehr. In der Vergangenheit konnte man sehen, dass desto mehr Soldaten eingesetzt wurden, es umso mehr Gewalt gab.

ZEIT ONLINE: Afghanistan hat im deutschen Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Warum hat die Opposition das Thema nicht stärker aufgegriffen?

Nachtwei: Afghanistan ist ein heißes Eisen. Gewinnen können mit dem Thema vor allem die "Schnell-Raus-Forderer". In den anderen Parteien gibt es die verbreitete Ansicht, dass das Thema gefährlich ist. Ich nehme für uns Grüne aber in Anspruch, dass wir darüber in den vergangenen Jahren vergleichsweise viele Debatten geführt und Initiativen gestartet haben.