Das mit seiner Resozialisierung, sagt Winfried Nachtwei, den alle nur "Winnie" nennen, das war ein klasse Einfall. "Dass jetzt die letzte Chance auf meine Resozialisierung ist – kann keiner was gegen sagen!" Nachtwei verschränkt die Arme und guckt den Stapel auf seinem Schreibtisch an. Den ganz rechten Stapel, um genau zu sein, weil sich auf und um und neben diesem Schreibtisch die Stapel türmen.

Der ganz rechte ist Afghanistan. "Meinen privaten Hindukusch" nennt Nachtwei das Papiergebirge. Das Wort "privat" ist ihm da nur so reingeschlüpft. Aber es stimmt. Und es kann noch zum Problem werden. Winnie Nachtwei, Grünen-Politiker, 63 Jahre, Mitglied des Bundestags seit 1994, Verteidigungsexperte, hört auf.

Das ist nun eigentlich nichts Besonderes. Nach der letzten Statistik gehen jeden Tag in Deutschland 3287 Menschen in Rente, von denen zu schweigen, die plötzlich arbeitslos werden. 3287 mal den Schreibtisch ausräumen, den Spind leer machen, den Schlüssel abgeben; wenn’s gut war, hält noch einer eine kurze Ansprache, alte Kollegen klopfen Schulter, mach’s gut, meld dich mal, man sieht sich.

Es ist aber doch etwas Besonderes. Über Dasein und Wesen des Volksvertreters gibt es im vertretenen Volk jede Menge Vorstellungen, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben. Übertroffen wird das nur noch von den Vorstellungen, die man sich vom ehemaligen Volksvertreter macht. Da prägen die Gerhard Schröders, Joschka Fischers und Friedrich Merz’ das Bild, Ausgeschiedene, die in Gas machen oder in Pipeline oder in Anwalt. Hätten die doch nicht mal nötig! Die haben doch ausgesorgt!

Dass nicht so prominente Ex-Mitglieder des Deutschen Bundestages sich schon mal auf dem Sozialamt wiederfinden, weiß kaum einer.

Nachtwei ist diesbezüglich nicht gefährdet. Trotzdem sitzt er im vorigen Dezember eines Abends im Fraktionsvorstandssaal der CDU/CSU. Nachtwei hat eine olivgrüne Schirmmütze auf dem Kopf mit dem Schriftzug der Afghanistanschutztruppe Isaf. Er ist oft am Hindukusch gewesen, ein Gründlicher, der wissen will, was wirklich los ist. Auch in eigener Sache.

Im vorigen Juni hat er seinem Kreisverband in Münster mitgeteilt, dass er nicht mehr kandidiert. Damals ist ihm auch der Spruch eingefallen, dass das die letzte Chance zu seiner Resozialisierung sei. "Man muss sich doch vorbereiten", sagt er jetzt. Die Deutsche Vereinigung für Parlamentsfragen stellt eine Untersuchung vor. Die Sozialwissenschaftlerin Maria Kreiner hat nachgefragt, wie es so ist mit der Zeit nach dem Mandat.

Das Ergebnis ist das, was man gemeinhin "differenziert" nennt. Andere, mehr statistisch orientierte Untersuchungen an der Uni Jena ergeben ein ähnliches Bild: Die meisten Abgeordneten kommen mit dem Leben als Ex klar, finanziell und auch sonst. Aber nicht alle. Und – es ist verdammt schwer.

Die Sache mit der "Abgehobenheit" zum Beispiel. Den Begriff, versichert Kreiner, hat nicht sie erfunden, den haben ihre Gesprächspartner benutzt. Er meint gar nichts Böses. Es ist bloß einfach so, dass ein Abgeordneter nicht weiß, wie man einen Fahrkartenautomaten benutzt. Den braucht er nicht. MdBs haben freie Fahrt mit Bus und Bahn, freien Flug im Inland, Diplomatenpass. Sie haben ein Büro im Wahlkreis und eins in Berlin, mit Mitarbeitern und allem.