„Soldaten fragen nach dem Sinn“

Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei über die Arbeit der Bundeswehr in Afghanistan

WINFRIED NACHTWEI, 61, sitzt für die Grünen im Verteidigungsausschuss und war seit 2004 fünfmal in Afghanistan.

taz: Herr Nachtwei, Sie waren vor kurzem im Norden Afghanistans. Wie beurteilen Sie die Arbeit der Bundeswehr?

Winfried Nachtwei: Insgesamt gut. Im Mittelpunkt steht wirklich die Absicherung des schwierigen Aufbauprozesses.

Welches Selbstbild hat die Bundeswehr: Soldaten oder Helfer?

Beides. Auf Patrouille müssen Soldaten immer zu Gespräch und Hilfe bereit sein, aber auch zum Schießen.

Welches Bild haben die Afghanen?

Ich habe mehrmals gehört: Die Deutschen benehmen sich anständig, die respektieren uns. Ich habe erlebt, wie Leute den Soldaten zugewunken haben. Das wäre in Kabul längst nicht mehr möglich.

Werden die Deutschen mit anderen Soldaten in einen Topf geworfen?

Im Norden sind nur Soldaten aus anderen europäischen Ländern stationiert, die einen ähnlichen Ansatz haben wie die Deutschen. Es gibt Gerüchte, dass die Amerikaner sich diese Farben an die Uniform geheftet hätten, um sich zu schützen.

Haben die Soldaten mit einem Anschlag gerechnet?

Ja, aber das war schon seit Jahren so. Es war jederzeit mit Anschlägen durch improvisierte Sprengfallen, auch mit Feuerüberfällen und Beschuss durch chinesische Raketen zu rechnen. Der Norden ist nur sicherer als der Süden, aber deshalb noch lange nicht das, was wir unter „sicher“ verstehen.

Die deutschen Soldaten treten bewusst so wenig martialisch wie möglich auf. Geht das jetzt überhaupt noch?

Es gab ja bereits die Anweisung des Verteidigungsministers, die Soldaten dürften das Camp nur noch in gepanzerten Fahrzeugen verlassen. Die Kommandeure haben dann aber gesagt, wenn das so ist, können wir in der Provinz Kundus bestimmte Regionen nicht mehr erreichen, weil man da mit solchen Fahrzeugen nicht hinkommt. Deshalb müssen die Kommandeure das vor Ort entscheiden. Es bleibt natürlich immer ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Auftrag. Und der Auftrag lautet nun mal: Den Kontakt zur Bevölkerung zu suchen und nicht durch die kugelsichere Scheibe nach draußen zu gucken. Keinen Helm tragen, keine Sonnenbrille, damit man sich in die Augen sehen kann. Wenn man das aufgibt, kann man gleich gehen.

Kugelsichere Westen und ein gepanzertes Fahrzeug hatten die Soldaten ja schon. Viel mehr ist nicht möglich, oder?

Noch stärker jeden Weg vorbereiten, jede Routine vermeiden.

Offenbar wussten die Täter trotzdem Bescheid. Am Samstag ging bei einem Fernsehsender ein Anruf ein: Auf dem Markt passiere gleich etwas.

In der Region Kundus wird vor allem von „eingesickerten“ Tätern ausgegangen. Als wir dort waren, hatte es gerade einen Selbstmordanschlag auf die Polizeistation mit neun toten Afghanen gegeben. Die mutmaßlichen Attentäter waren offenbar von außen eingeschleust. Sie müssen immer wieder einen Tätigkeitsnachweis erbringen, zynisch gesagt, damit sie weiter von außen unterstützt werden.

Wie nehmen die Bundeswehrsoldaten im Camp die Debatten in Deutschland wahr?

Sie sind sehr empfindlich, wenn etwa von „Kriegsbeteiligung“ die Rede ist. Sie fordern, die Politik als Auftraggeber solle sich klar werden: Was sind unsere Ziele, die wir erreichen müssen, damit der Einsatz beendet werden kann? Welchen Sinn macht er konkret? Sie fühlen sich von der Politik etwas im Regen stehen gelassen.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN