Nachtwei zur Dafur-Debatte im Deutschen Bundestag: Neuauflage des Streits um internationale Schutzverpflichtung und humanitär begründete Intervention

Von: Webmaster amDi, 20 Dezember 2005 18:00:31 +01:00

Bei der Bundestagsdebatte zur Verlängerung der deutschen Unterstützung für die AMIS-Mission der Afrikanischen Union/AU am 16.12.2005 brach der alte Konflikt um die (Un-)Tauglichkeit des Mittels Militär bei der Eindämmung völkermörderischer Gewalt und humanitär begründete Interventionen mit verschobenen Rollen wieder auf. Dass im voll besetzten Bundestag die Wellen so hoch schlugen wie lange nicht mehr, zeigt, dass Fragen von Militär, von Krieg und Frieden weiterhin an den Nerv gehen und eine enorme potenzielle Sprengkraft haben.



Die Debatte wurde auch ein Test für die weitere Entwicklung der Fraktion „Die Linke". Da sich die außergewöhnliche Debatte in den Medien praktisch nicht niederschlug - bis auf einen Agenturbericht in der FR, einen von Jürgen Elsässer in der „Jungen Welt" und einen Beitrag im Spiegel -,  sei sie hier etwas ausführlicher geschildert und bewertet.

Auf meine Empfehlung hin unterbrach die Grüne-Fraktion das „vereinfachte Verfahren" laut Parlamentsbeteiligungsgesetz und forderte eine parlamentarische Behandlung des Kabinettsbeschlusses zu AMIS. Unsere Gründe: Nachdem Darfur längst wieder aus der internationalen Medienwahrnehmung verschwunden ist und sich der Bundestag zuletzt vor einem Jahr intensiver damit beschäftigte, ist eine erneute Plenardebatte überfällig. Nachdem die Grüne-Fraktion im Jahr 2004 die eigene rot-grüne Regierung zu einem verstärkten Engagement in der Darfur-Krise gedrückt hatte, soll mit der jetzigen Debatte die Große Koalition veranlasst werden, dieses Engagement fortzusetzen. Außerdem soll die neue Links-Fraktion sich hierzu positionieren können. Die Bereitstellung von drei Transall-Maschinen samt Besatzung als Transportunterstützung für AMIS ist bei uns unstrittig und wird eher als Minimum gewertet.

Bei den ersten Debattenrednern hält sich die Aufmerksamkeit noch in Grenzen. Das ändert sich mit dem Redner der Links-Fraktion Prof. Norman Paech, der die Ablehnung durch seine Fraktion zu begründen versucht und immer deutlicheren Widerspruch erntet: erst durch Zwischenfragen von Markus Meckel (SPD) und Hans-Christian Ströbele, dann durch unsere erfahrene „Afrikanerin" Uschi Eid. Vehement nimmt sie die Argumente von Paech auseinander. Der Ablehnung eines „robusten" Mandats nach Kapitel VII der UN-Charta hält sie die Ruanda-Erfahrung entgegen. Sie erinnert die „Linke" an prominente „Freunde aus der Zeit der internationalen Solidarität", die heute alle die Unterstützung der Europäer für die AU-Mission fordern. Angesichts der verschiedenen Tätergruppen und der Frauen, Männer und Kinder, die vertrieben, vergewaltigt, ermordet werden, fragt sie: „Auf wessen Seite stehen Sie als Linke?" Elf Mal erhält sie bei ihrer 5-Minuten-Rede begeisterten und am Ende lang anhaltenden Beifall von Grünen, SPD, Union und FDP - so was hat es seit Jahren nicht im Bundestag gegeben. In einer Kurzintervention antwortet die „Linke"-Abgeordnete Heike Hänsel aus Tübingen (entwicklungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und langjährige Aktivistin in Friedens- und globalisierungskritischer Bewegung) mit einem Gegenangriff gegen die angeblich fehlende friedenspolitische Praxis der Grünen. (In Wirklichkeit haben insbesondere die Grünen in den letzten sieben Jahren den Aufbau neuer ziviler Präventions- und Friedensfähigkeiten vorangetrieben.)

Die namentliche Abstimmung zeigt die Differenzierung der „Linken": immerhin 14 enthalten sich (darunter Roland Claus, Gregor Gysi, Gesine Lötzsch, Wolfgang Neskovic, Petra Pau, Bodo Ramelow), 31 stimmen gegen den AMIS-Antrag. Die Redner der „Linken" in Ausschüssen und Plenum gestehen zu, dass die Verfolgten in Darfur Hilfe brauchen, dass AMIS völkerrechtlich legal ist und die Tatsache einer AU-geführten Mission zu begrüßen ist. Um dann doch noch eine Nichtzustimmung „begründen" zu können,

Mit solchen Argumentationsmustern weicht die Links-Fraktion der entscheidenden Frage aus,

Die Außen-, Sicherheits- und EntwicklungspolitikerInnen der „Linken" dürfte bewusst sein, wie sehr ihre Argumentationsmanöver die mörderischen Realitäten in Darfur und die Erfahrungen von VN-Friedensmissionen generell ignorieren und dass sie sich damit sogar einer minimalen tatsächlichen Solidarität mit den Opfern verweigern. Doch Vorrang hat für die Vertreter der angeblich einzigen „Friedenspartei" in Deutschland ihr eigener Parteifrieden: Der PDS-Parteitages von Münster (2000) lehnte nicht nur die Teilnahme von Bundeswehr an internationalen Einsätzen, sondern auch VN-Einsätze nach Kapitel VII kategorisch ab. Damit klinkt sich die „Linke" generell aus zentralen Bereichen der internationalen Friedenssicherung aus.

Als Grüne haben wir keine Veranlassung, uns über die Realitäts- und VN-Verweigerung der „Linken" zu erheben. In den 90er Jahren haben viele von uns, habe ich in ähnlicher Weise um das heiße Problem der akuten Gewalteindämmung herumargumentiert. Aber zehn Jahre später gibt es reichlich mehr an Erfahrungen mit internationaler Gewaltverhütung und Friedensförderung, ihren Chancen, Risiken und Tücken. Diese nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist kein Zeichen von Prinzipientreue, sondern von Lernunfähigkeit, von parteipolitischem Opportunismus bzw. Zynismus auf Kosten eines verantwortlichen VN-Engagements.

Nichtsdestoweniger erfüllt der Auftritt der Links-Fraktion eine nützliche Funktion: Er spiegelt die gesellschaftliche Strittigkeit von Bundeswehr-Auslandseinsätzen wieder etwas zurück ins Parlament. Hier wuchs mit dem inzwischen sehr breiten Konsens gegenüber den konkreten deutschen Auslandseinsätzen zugleich das Desinteresse an sicherheitspolitischen Fragen. So beschäftigt die Transformation als radikalste Reform der Bundeswehr seit ihrer Gründung bisher nur die Fachpolitiker.    

Die Konsens-„Störung" durch die Links-Fraktion kann zur dringend notwendigen Revitalisierung der friedens- und sicherheitspolitischen Debatte beitragen. Sie kann zu einem konstruktiven Impuls werden, wenn sich die Links-Fraktion ohne fundamentalistische Fixierungen auf die Frage einlässt, wie im konkreten Konfliktfall im multilateralen Handlungsrahmen am wirksamsten Gewalt verhütet und eingedämmt und wie Friedensprozesse gefördert werden können.         

Auf der anderen Seite stehen Parlamentsmehrheit, Regierung und Parteien in der Pflicht, endlich die breite außen- und sicherheitspolitische Debatte in Politik und Gesellschaft zu führen, die in den letzten Jahren über ad-hoc-Situationen hinaus nicht geführt wurde und die zuletzt vom Bundespräsidenten zu Recht eingefordert wurde. Die Diskussion in den nächsten Monaten um den ersten Bericht der Bundesregierung zum „Aktionsplan zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung", um das Weißbuch der Bundesregierung zur deutschen Sicherheitspolitik sowie um eine deutsche Sicherheitsstrategie sind dafür d i e Gelegenheiten.

Die Bundestagsrede von Uschi Eid, MdB, zum Darfur-Mandat lässt sich hier nachlesen.