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Bericht von Winfried Nachtwei
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Rückblende Kosovokrieg vor 20 Jahren (IV): Persönl. Aufzeichnungen aus den drei Wochen vor Kriegsbeginn, Stellungnahme zu den NATO-Luftangriffen vom 26.03.1999

Veröffentlicht von: Nachtwei am 28. März 2019 14:48:47 +01:00 (39861 Aufrufe)

Einblicke hinter die Kulissen von Bundestag + Grüner Fraktion: Aufzeichnungen eines Abgeordneten in ungeahntem politischen Härtetest und Widersprüchen.

Rückblende Kosovokrieg vor 20 Jahren (IV):

Persönliche Aufzeichnungen aus den drei Wochen vor Kriegsbeginn,

Stellungnahme zu den NATO-Luftangriffen vom 26. März 1999

Winfried Nachtwei, MdB 1994-2009 (27.03.2019)

(Rückblende I: Persönliche Aufzeichnungen Mai bis 16. Okt. 1998/Bundestagsbeschluss zu “Luftoperationen”, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1553 ; Rückblende III: Persönliche Aufzeichnungen Nov. 1998 bis Feb. 1999/”Rambouillet-Truppe”, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1579 ; Rückblende II: Bericht vom ersten Kosovo-/KFOR-Besuch Okt. 1999)

(1)  Persönliche Aufzeichnungen aus Fraktion und Bundestag März 1999

01.03.1999 Bericht der grünen Obfrau A.B. zu Mazedonien

Mazedonien sei als Aufmarschgebiet überfordert. Wenn es zu einem Kampfeinsatz komme, fürchte man um die territoriale Integrität. Man könne keine Flüchtlinge mehr aufnehmen.

Tetovo: Die Kaserne laufe über. Kaum Übungsmöglichkeiten. Wir seien in einer Rolle, die wir nicht wollten. Angesichts der enormen Drohkulissemüsse man sich vor einem Automatismus hüten!!! Die Gefahr bestehe, dass vor Ort was anderes laufe – und nicht mehr kontrollierbar sei.

03.03. Verteidigungsausschuss (Haushaltsberatungen zu Einzelplan 14), TOP Kosovo:

- Minister Scharping: Positive Signale von der UCK, auf serbischer Seite unverändert. Ein erhebliches Risiko bestehe bis 15. März. Unverändert Provokationen, UCK in Scharmützeln. Serbische Verbände (unterhalb der Obergrenze) führen Manöver mit scharfer Munition durch.

Seit 25.02. wurden 20 Behinderungen der OSZE-Mission festgestellt.

Die Materialverlegung führe zu unbestreitbaren Problemen vor Ort. (…) Sehr starke Beanspruchung der Soldaten, in Tetovo zzt. 450 stationiert. Der Kontingentwechsel stehe bevor.

Unmittelbar vor dem 15.03. und danach sei eine äußerst kritische Situation.

Die Bundeswehr betreibe als einzige Streitkraft eine so lange einsatzbezogene Ausbildung. Nur wenige andere auch mit gepanzerten Kräften.

Die Implementierung (der Rambouillet-Absicherungstruppe) und ihre Unterbringung werde erhebliche Probleme machen. In Mazedonien gebe es nur einen Truppenübungplatz für die Extraction Force. (…) Falls kein Abkommen zustande komme: Die bereitgestellte Truppe stehe nur für zwei Fälle und nichts anderes zur Verfügung. Auf Beteiligte an Luftoperationen kommen erhebliche Belastungen und hohes Risiko zu.

- B./CDU-Obmann: Deutsche Entschlossenheit verdeutlichen! In Mazedonien seien die organisatorischen Möglichkeiten völlig erschöpft. (…) Unsicherheit bestehe, wie es politisch weitergehe. Eine mentale Einstimmung war nicht gegeben. Tiefe Verunsicherung vor Ort. Eindringliche Berichte von vor Ort: Wie werden sie von der politischen Führung verarbeitet? Material und Personal zum Teil voneinander getrennt; kaum Übungsmöglichkeiten; unabsehbare Risiken. Es sei möglch, dass alles im Chaos ende. Sowas habe er bisher noch nirgendwo angetroffen.

Den militärisch Verantwortlchen sei er dankbar für die offenen Äußerungen. Sie seien überfordert.

Sei eine verzögerte Nachführung nicht sinnvoller? Wie stehe es um Verminung?

Der letzte Bericht des Ministers sage nichts zu den Schwierigkeiten vor Ort.

- Verteidigungsausschuss-Vors. W. warnt vor Überdramatisierung. Der Nationale Befehlshaber (im Einsatzland) äußerte sich ausdrücklich persönlich.  Dass der zuständige General nicht dabei war, wurde als Desavouierung empfunden. So konnte der von B. geschilderte Eindruck entstehen.

- Z./SPD-Obmann: Bitte Ausbildung und “In-Übung-Halten” unterscheiden! An welchen Vorgesetzten kann sich der Nationale Befehlshaber wenden?

- A./Obfrau Grüne: Zur Lage in Mazedonien (siehe Bericht 01.03.)

- N./FDP-Obmann: Der Bericht von der Reise (nach Mazedonien) war völlig korrekt. Er sei den Soldaten für ihre Offenheit dankbar. (Beifall) Er erwarte, dass wir nicht eine Maulkorbdebatte bekommen. Er befürchte, dass ein Automatismus zu einem Bodeneinsatz führen könne. (Kopfschütteln bei General K.)

- O./SPD: Natürlich seien es Momentaufnahmen gewesen. (…) Vorgesetzte waren offen, aber nicht überdramatisierend und jammernd. Die vorhandenen Unterkünfte waren voll in Ordnung. Es könne schnell in Friedenserzwingung abrutschen. Sind sie dafür ausgebildet?

Engpaß Sanitätsdienst: Wenn es ernst werde, sei das der Motivationsfaktor Nr. 1.

Zu Drohnen: 40% des Gebietes dürfen wir nicht aufklären; nur dort, wo serbische Zustimmung.

- K./CDU: Kein Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses (des Bundestages vom 25.02.) Viele Soldaten wussten nicht so genau um ihre Rolle! Er habe keinen Soldaten jammern gehört. Kritische Anmerkungen solle man deshalb Ernst nehmen. Der Nationale Befehlshaber sagte alles in Anwesenheit der politischen Führung.

Im alten Mazedonien gab es 25.000 Soldaten, inzwischen noch 15.000. Dazu kamen jetzt 30.000 NATO-Soldaten.

- Heeresinspekteur W.: Die militärische Führung hat für Extraction (friedlich/unfriedlich) Kapazitäten breitgestellt.

Der normale Ausildungs- und Übungsbetrieb ist mit dem Aufmarschgebiet nicht vergleichbar. Solche Rahmenbedingungen hatten wir noch nicht. Der Aufmarsch laufe präzise nach Plan. Alle Probleme dabei seien lösbar. (leichte Teile bis 12.03.) Ungeklärt sei noch die Unterbringung der schweren Teile, die am 28.03. in Saloniki.

Trennung von Material und Personal: Eine Distanz von 40 km sei unvermeidbar.

Für Kampfinsatz geschult? Die Truppen kommen aus der höchsten Ausbildungsstufe  dafür (Hohenfels). Nun erfolge eine Umschulung auf den Einsatz. Keine andere Armee mache eine solche einsatzorientierte Ausbildung. (USA: Manövr von Flugzeugträger aus)

Die mentale Vorbereitung sei so, wie man es im Frieden machn könne. Alle Dienstgrade haben Seminare am Zentrum Innere Führung durchlaufen. Hervorragend ausgebildete Truppe!!!

Die politische Geschäftsgrundlage sei klar: keine Friedenserzwingung. Wir müssen die Grenze scharf ziehen! Das sei voll zu bewältigen!

- Minister Scharping: An Information des Auschusses und der Öffentlichkeit weiter interessiert!! Kein Wille zur Schönfärberei! Er erwarte aber auch Sorgfalt bei der Vermittlung von Eindrücken in der Öffentlichkeit.

Grenzsicherung Mazedonien: Norwegische Initiative, ob das nicht über die OSZE geregelt warden könne. Wir wollen nicht in Grenzkonflikt hineingezogen werden.

Bei Luftschlägen bestehe das Risiko von serbischen Gegenattacken gegen Mazedonien und SFOR in der Republika Srpska.

Die Debatte um Kampfeinsatz gehe an der klaren Beschlusslage des Bundestages und dem Willens der Bundesregierung vorbei.

11.03.a.o. Fraktionssitzung wg. Lafontaine-Rücktritt; Staatsangehörigkeitsrecht

16.03. AK IV: Rüstngsexporte Türkeii (Voranfrage zu 200 Fuchs ohne Bewaffnung, später 1.800; AA, BMZ dagegen, BMVg, BMWi und BKaAmt dafür)

16.03. Fraktionssitzung

- Jo Fi zu Kosovo: Die jugoslawische Seite sei kaum kompromißbereit, spreche nicht über militärische Implementierung. KOS-Albaner unterschreiben heute. Kämpfe nehmen zu. Bericht der Berliner Zeitung über “fingiertes Racak-Massaker” könne nicht bestätigt warden. Keine diesbezüglichen Berichte.

17.03. Verteidigungsausschuss, erster TOP Ex-Jugoslawien/Kosovo (anderer TOP Schlussberatung und Abstimmung zum Einzelplan 14):

- N.N./Bundesregierung; (…) immer wieder Auseinandersetzungen. Belgrad sei nicht zu großer Offensive gegen UCK in der Lage.

Verhandlungen werden Ende derWoche suspendiert.

- B./CDU: Er habe den Eindruck, dass Deutschland sehr schnell sei bei der Verstärkung der Extraction Force.

- PDS kritisiert die Weigerung der Regierungsfraktionen, auch einen worst case zu diskutieren.

- Generalinspekteur B.: NATO-Truppe vor Ort 10.850 (Obergrenze inzwischen auf 12.000 angehoben) aus 14 Nationen: GB 4.300, DEU 3.000, FR 2.200, IT 1.000, NL 150, CAN 50. Zzt. Alle Verlegungen gestoppt. (…) Tetovo könnte von albanischen Kriegshandlungen betroffen sein. Deshalb Auflockerungsräume. Für SFOR keine besondere Bedrohung. (…)

- AA-Politischer Direktor Sch. warnt ausdrücklich, jetzt von Scheitern zu sprechen. Es bestehe aber die Gefahr, dass die Konferenz suspendiert werden muss. Heute und Donnerstag intensivste Verhandlungen  Jede erdenkliche Möglichkeit werde ausgelotet. Er erwarte kein Scheitern!!

Hervorragende Arbet der KVM!

Im Kosovo mangelnder Friedenswille auf beiden Seiten: UCK-Provokationen, unverhältnismäßiges Zurückschlagen (mit Artillerie). Große Eskalationsgefahr! Eine humanitäre Katastrophe könnte unmittelbar bevorstehen.

- Ro./CSU: Erstaunlich, wozu Diplomatie/Sprache der Diplomaten fähig sein.

- W.N./Grüne: Bei der Diplomatie komme es darauf an, jede Möglchkeit auszuloten …, ohne sich dabei zum Spielball/Narren zu machen.

Zur Lage im Kosovo nach Rambouillet: Ohne die politische Hauptverantwortung zu verschieben: die KOS-Albaner seien bei den Verhandlungen eher die Kooperativen; vor Ort aber gehe die Masse der Waffenstillstandsbrüche von der UCK aus. Die serbischen militärischen Vorbereitungen zielen auf Sperren gegen die Extractin Force.

Die KVM spiele eine zentrale Rolle bei lokalen Waffenstillständen.

Zur “neuen” Kategorie “humanitäre Katastrophe”: Beliebig? Racak? In letzten zehn Wochen 60.000 auf der Flucht!

- Ra./CSU: Er sei immer wieder über die Grünen verwundert – vom Saulus zum Paulus. (…)

- B./CDU: Vorsicht vor leichtfertigen Äußerungen zu Ausbildungsstand und Ausstattung.

- Parl. Staatssekretär K.: Keine Hinweise auf serbische Vorbereitungen, Extraction Force zu verhindern.

-  GI: Zu Luftschlägen und jugoslawischen Abwehrmöglichkeiten: Diese seien bekannt, bewegliche würden aufgeklärt.

Zur Zielplanung der NATO: Erste Angriffe gingen gegen Luftabwehr mit Marschflugkörpern; dann erst ECR-Tornados. Bei NATO fast 400 Flugsysteme, denen Jugoslawien so gut wie nichts entgegen zu setzen hätte. Keine Potenziale/Hinweise für Angriffe auf die NATO. (…)

Sperren an einzelnen Brücken.

Die Extraction Force gehe von der Option luftbeweglicher Kräfte mit Pionierkräften aus.

- Heeresinsp. W. zu Leopard II A5: Im diesbezüglichen Spiegel-Artikel stimme nichts!

In der Truppe gebe es 150, die zu 100% versorgt seien. Die Richtschützen hätten alle die Ausbildung am A5, Übungen im Bataillonsrahmen. System und Mann seien das beste, was wir haben. Die Leo`s sind geschützt gegen Frontalbeschuss durch die besten Fahrzeuge der anderen Seite.

Luftbeweglichkeit mit Bell-UH- und CH-53-Hubschraubrn.

- AA-Polit.Direktor Sch.: Die BR Jugoslawien habe sich vertraglich zum Schutz der KVM verpflichtet. Die KOS-Albaner würden deutlich wegen Provokationen gewarnt.

(Anmerkung: Nicht schriftlich festgehalten, aber in Erinnerung ist mir ein kurzes Gespräch mit einem hohen Luftwaffengeneral am Rande wahrscheinlich dieses Verteidigungsausschusses. Ich fragte ihn, was sei, wenn die Drohung mit Luftangriffen bei Milosevic jetzt nicht wirke wie im letzten Herbst. Es sei doch historische Erfahrung, dass allein mit Luftstreitkräften der politische Wille eines Gegners kaum zu beeinflussen sei. Die Antwort: Das wisse man dann auch nicht. Als ich in der Ausschusssitzung fragte, was sei, wenn Milosevic nicht angesichts der Drohung bzw. nach ersten Luftschlägen einlenke, hieß es aus den Reihen des Koalitionspartners “keine Spekulationen!” Damit gab ich mich zufrieden. Nachträglich wurde mir klar, dass dies ein großer Fehler war. Seitdem dränge  ich in solchen Beratungssituationen darauf hin, verschiedene Optionen ohne vorschnelle Denkverbote möglichst bis zum Ende zu durchdenken.)

23.03. AKIV, TOP 2 Kosovo:

-  AA-Staatssekretär Isch.: Rapide Verschlechertung der Lage. 15.-16.000 serbische Soldaten im Kosovo, auch Spezialpolizei. Mehr als Verdreifachung (?nicht genau lesbar). Beide Seiten halten sich nicht mehr an den Waffenstillstand. Das Papier gilt nicht mehr.

Die humanitäre Siuation sei wieder vergleichbar mit letztem Herbst. Seit 6. Feb. 80.000 Flüchtlinge/Vertriebene, seit letztem Wochenende 20.000. 240./250.000 Binnenflüchtlinge, seit Ausbruch der Findseligkeiten vor einem Jahr 440.000, ein Fünftel der Bevölkerung:

Die OSZE-Mission sei gegenwärtig noch prinzipiell rückkehrfähig! Wir müssen so tun, als gebe es noch eine Chance. Abzug der Extraction Force wäre ein falsches Signal.

Zzt. Gespräche, dabei auch Petric, Majorski, Hill, Fazit heute Abend oder morgen früh. Serbische Versuche des Zeitgewinns.

Auf Bitte von Minister Fischer jetzt Holbrooke-Mission.

Politische Steuerung des Prozesses der Krisenbewältigung durch den NATO-Rat weiter notwendig. Rückkoppelung bei jeder weiteren Eslkalationsstufe. (wesentlich von Deutscland eingebracht, keine Abgabe ans Militär)

Zu Luftschlägen: Keine Nadelstiche, sondern massives militärisches Handeln. Im Kern US-Aktion. USA stellen die meisten Flugzeuge. Ab Phase II hätte Milosevic keine miltärische Kontrolle mehr über den Kosovo.  Durch Luftschläge ehebliche politische Veränderungen. Unkontrollierbare politische Folgen im Kosovo.

Zzt. werde NW-Kosovo von UCK “gesäubert”. Unklar, ob das zentral orchestriert werde oder “von unten” geschehe. Aktive Vertreibung durch maskierte Kräfte/Hinrichtungen.

Gegenwärtig bestehe die Gefahr, dass der prekäre Zusammenhang der KOS-albanischen Seite verloren gehe. Schon jetzt bestehe ein massiver Radikalisierungsdruck. Gemäßigtere KOS-Albaner “halten es nur noch wenige Tage aus”.

In Belgrad seien weitere Solidarisierungseffekte zu erwarten.

Die meisten Hilfsorganisationen gehen jetzt raus.

23.03. Unterrichtung des Verteidigungsausschusses im Führungszentrum/BMVg (Hardthöhe) in Anwesenheit der gesamten politischen + militärischen Führung:

Seit einer Woche begrenzt militärische Aktion in Reaktion auf UCK-Anschläge; zzt. keine umfassende Offensive gegen UCK möglich (dazu wäre mehr Infanterie nötig). Für Gesamträumung wären Wochen nötig. FROG 7 70 km Reichweite (sowjetische ungelenkte Kurzstreckenrakete), Okan 50 km. Serbisch Armee in Auflockerungsräumn.

Rekrutierunsprobleme bei Wehrpflichtigen und Reservisten, kleinere Demos (Kriegsmüdigkeit), Ausstattungsmängel. Montenegro verweigere Rekruten.

Bundeswehr in Mazedonien: Risiken am ehesten durch weitreichende Systeme oder Anschläge.

KVM-Abzug: Samstag 5-11.20 Uhr, nur Handgepäck dabei, nicht persönliche Ausrüstung. Mission gilt als “unterbrochen”.  Mandat gilt weiter für ein Jahr. Auch Luftoperationen haben Vertrag als Ziel!

In Mazedonien jetzt 4.100 GB, 3.000 DEU, insges. 11.000. Künftig zwei Drohnenflüge/Tag, bisher fünf/Woche. Sie warden der serbischen Seite angezeigt. Zzt. Verlegung in Phase IV (mechanisierte Kräfte). Sperrzonen warden eingehalten. Gegenwärtig keine weitere Personalzuführung, aber 96-Stunden-Bereitschaft.

Jugoslawische Kräfte haben Obergrenzen von Oktober 1998 um bis zu 50% überschritten.

(Heutige Ergänzung: Bei dieser Spitzenrunde in höchst angespannter Lage ging mir das Phänomen “groupthink” durch den Kopf, beobachtet z.B. in der Beraterrunde von US-Präsident Kennedy: Die Runde der intellektuellen Eggheads war nicht vor bedeutetenden Fehlentscheidungen gefeit. Es wirkte ein gruppendynamischer Konformitätsdruck, groupthing. Ich fragte mich, ob wir auch einem solchen Gruppendenken unterlagen.)

24.03. Verteidigungsausschuss TOP 1 Kosovo:

(Beginn der NATO-Luftangriffe, Operation “Allied Force”, gegen die Bundesrepublik Jugoslawien “zur Abwendung einer humanitären Katastrophe” am 24. März ab 19.41 Uhr)

- Minister Scharping: Milosevic wurden die Folgen sehr deutlich gemacht. (…) Diplomatische Kanäle weiter offen. Luftoperationen können jederzeit eingestellt warden, wenn glaubwürdige Zeichen des Wandels erfolgen. Forderung: Unterzeichnung, Einhaltung der Vereinbarung vom Okt. 1998 (Obergrenzen und Einstellung der exzessiven Gewalt); zzt. “abschnittsweise Säuberung”)

Ziel: Spirale der Gewalt unterbrechen, ihm die Mittel nehmen.

Phasenweise Ausweitung und Konsultationen.

Größtmögliche Information ggb. Ausschuss und Öffentlichkeit. Besondere Verantwortung auch ggb. Familien und Soldaten. Was sich auch in öffentlichen Äußerungen niederschlagen sollte.

- Stellungnahmen der Obleute CDU, SPD, FDP (keine Aufzeichnungen), Grüne (zur Gelöbnisdebatte)

- L./PDS: Das Völkerrecht werde nicht ausreichend gewürdigt. Darüber könne nicht weggeredet warden. Verweis auf frühere politische Fehler!! Auch bei der Türkei wäre (nach der Kosovo-Logik) ein Eingreifen notwendig.

- Minister Scharping: “Kriegseinsatz” suggeriere NATO als Angreifer.

Zur UCK: Harter Kern aus 5.-6.000 Kämpfern, dazu bis 20.000 weitere Kämpfer mit leichten Infanteriewaffen. Geringe Fähigkeit bei Panzer- und Luftabwehr.

- AA-Staatssekretär I.: Insgesamt 443.000 Flüchtlinge; seit Beginn Rambouillet 80.000 Flüchtlinge und Vertriebene. EU-Kommission verstärkt Flüchtlingshilfe., 40 Mio. DM der EU.

- K./CDU: Stellen Sie sich vor, hier säßen Mütter von Soldaten oder auch KOS-Geschundene. Habe mir Gelöbnisdebatten des letzten Jahres angesehen – morgen eine Gelöbnisdebatte wäre skuriel und gerade für unmittelbar Beteiligte nicht nachvollziehbar. Deshalb sei es besser, die Debatte um eine Woche zu verschieben. Für Konsens.

- W.N,/Grüne: Grundsätzliche Anmerkungen: (a) Kriege seien Zeiten der Lüge: Größtmöglich Information und Öffentlichkeit sei die unerläßliche Vorausetzung für Konsens. (b) Kriege sien Zeiten eines enormen Konsensdrucks, wo abweichende Meinungen schnell ausgegrenzt werden: Offene Diskussion sei weiter unerlässlich, zuglauch auch Sorgfalt, keine Opposition um der Opposition willen.  (c) Die Spirale der Gewalt unterbrechen: Jetzt eine teuflische Situation, Riiko, dass die Spirale der Gewalt vorangetrieben wird. Nur: Weiter wie bisher würde mit absoluter Sicherheit in extreme humanitäre Katastrophe münden. (jetzt keine Hilfsorganisationen mehr dort) In letzten Monaten wurde alles versucht, wahrhaftig ultima ratio!! Alternativlos.

(d) Mandatsfrage (keine Mandatierung durch den VN-Sichrheitsrat): äußerst problematisch! Aber das dürfe man auch nicht verabsolutieren.

25.03. Bundestag, Geschäftsordnungsdebatte zum PDS-Antrag zu einer Debatte über die NATO-Luftangriffe:

- H.-C. Ströbele: Seit 1945 geht wieder Krieg von deutschem Boden aus. Ich schäme mich für mein Land und meine Fraktion. (Pfui)

- Minister Sch. zu Zielen

- Schäuble: Volle Unterstützung für Scharping, kein Dissens.

- Gysi: Mit keinem Wort erwähnt werde die rechtliche Grundlag des Krieges, der gestern begonnen habe.

25.03. a.o. Fraktionssitzung:

- Ali scharf gegen Ströbi`s Wort von “seit 45 zum ersten Mal wieder Krieg von deutschm Boden aus”.

- Claudia distanziert sich von Ströbi`s Worten, kritisiert zugleich “Pöbeleien” gegenüber “Abweichlern”.

- Ludger: Die Völkerrechtsproblematik sei unbestritten. Aber formale und materielle Ebne seien zu unterscheiden. RUS wie CHI drohten aus nationalistischen Gründen mit Veto.

Zur Genese des Verhandlungsprozesses und gegen ein Sofort-Bombardieren. (…)

Milosevic habe it Rot-Grün grüne Karte gezogen und darauf gesetzt, dass Pazifisten die NATO-Strategie blockieren würden – freie Bahn für eigene Politik. Wenn mich ein Massenmörder instruentalisieren will, dann hört meine Friedfertigkeit auf! (Kurzchakterisierung der serb. Diplomatie)

26.03. Bundestagsdebatte zum Berliner EU-Gipfel und zur Kosovo-Regierungserklärung (keine Aufzeichnungen)

(2) 26. März 1999 Stellungnahme von Winfried Nachtwei, MdB, Mitglied des Verteidigungsauschusses: NATO-Luftangriffe: Antiserbische Aggression

oder einzige Rettungschance für den Kosovo?

Die NATO fliegt seit dem 24. März Luftangriffe auf Ziele der jugoslawischen Armee im Kosovo und anderen Teilen der Bundesrepublik Jugoslawien. Die Bundeswehr ist daran mit insgesamt 14 Tornado-Kampfflugzeugen beteiligt. Erstmalig nach 1945 nehmen deutsche Soldaten wieder an einem ausdrücklichen Kampfeinsatz teil. Erstmalig in der deutschen Geschichte wurden Soldaten von einem demokratisch gewählten Parlament und einer demokratischen Regierung in einen Krieg geschickt.

Grundlage dafür ist der Bundestagsbeschluß vom 16. Oktober 1998, in dem die deutsche Beteiligung an "begrenzten und in Phasen durchzuführenden Luftoperationen der NATO zur Abwendung einer humanitären Katastrophe im Kosovo" auch mit einer Mehrheit der bündnisgrünen Fraktion gebilligt wurde.

Die von der rot-grünen Bundesregierung mitgetragenen Luftangriffe gegen das serbische Militär sind eine Zäsur in der europäischen und deutschen Nachkriegsgeschichte, sie sind eine Zäsur in der Politik der Grünen.

Geht nun wieder Krieg von deutschem Boden aus? Hat die übergroße Mehrheit der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, die die Politik der Bundesregierung mitträgt, den friedenspolitischen Grundkonsens der Partei verraten? Was ist jetzt zum Kosovo friedenspolitisch nötig und möglich?

Wir tragen die Politik der Bundesregierung mit, weil wir nur die Wahl haben zwischen einem großen Übel, den völkerrechtlich äußerst problematischen Luftangriffen gegen einen souveränen Staat, und einem unerträglichen Übel, dem Geschehenlassen eines zweiten Bosnien im Kosovo! Aus diesem Dilemma gibt es kein Entrinnen.

Wenn gebombt und geschossen wird, hat bisherige Politik versagt.

Brandstifter und ursächlicher Kriegstreiber im Kosovo ist das serbische Regime unter Präsident Milosevic. Gegen die Aufhebung des Autonomiestatus vor zehn Jahren und die wachsende serbische Repression durch die jugoslawische Zentralregierung setzte die kosovo-albanische Bevölkerungsmehrheit jahrelang ihren mutigen gewaltfreien Widerstand. Sie fand die Unterstützung internationaler Friedensgruppen und einzelner Parteien und Parlamentarier, darunter der Grünen im Bundestag. Die internationale Staatengemeinschaft einschließlich der alten Bundesregierung ignorierte hingegen den Konflikt und leistete damit einer Verzweiflung Vorschub, aus der der bewaffnete Kampf der UCK und Bestrebungen eines kosovo-albanischen Separatismus erwuchsen. Erst als der Konflikt brannte, wurde die westliche Staatengemeinschaft aktiv. Dabei setzte sie neben der OSZE vor allem auf die NATO. Die Blockade des UN-Sicherheitsrates durch Rußland und China leisteten dem Vorschub.

Als der Bundestag im Oktober während der laufenden Koalitionsverhandlungen über die deutsche Beteiligung an Luftschlägen der NATO beriet, war das Dilemma schon unausweichlich: zwischen akut drohender humanitärer Katastrophe einerseits, der NATO als zur Zeit einziger durchsetzungsfähigen Organisation, dem fehlenden UN-Mandat und den sehr ungewissen Auswirkungen von Luftschlägen andererseits.

Deren blosse Androhung brachte damals Milosevic zum Einlenken. Die humanitäre Katastrophe konnte vorläufig abgewandt werden, eine OSZE-Beobachtermission wurde stationiert. Im Unterschied zu den früheren Jahren bemühte sich die internationale Gemeinschaft seitdem äußerst intensiv um eine politisch tragfähige Übergangslösung und Perspektive für den Kosovo. Der deutsche Außenminister spielte bei dem multilateralen Verhandlungsprozeß, der Aussetzung der von den USA sofort gewünschten Luftschläge und der Einbeziehung Rußlands eine zentrale Rolle. Ein politisches Konzept für den Kosovo wurde erarbeitet. Die Kosovo-Albaner konnten zum Verzicht auf ihre Unabhängigkeitsforderung und zur Vertragsunterzeichnung gebracht werden. Die Bemühungen scheiterten aber schließlich an der völlig kompromißlosen Haltung von Milosevic.

Seit Wochen eskalieren die Kämpfe im Kosovo. die weit überlegenen serbischen Kräfte nehmen UCK-Angriffe zum Anlaß für "gebietsweise Säuberungen". Seit Anfang Februar wurden über 80.000 Menschen zu Flüchtlingen und Vertriebenen. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) schätzt die Zahl der Binnenflüchtlinge im Kosovo auf mehr als 250.000. Die allermeisten Hilfsorganisationen sind inzwischen abgezogen. Die Menschen sind sich selbst überlassen.

Angesichts dieser verfahrenen Situation sind die Luftschläge das letzte und einzige Mittel, die Spirale der Gewalt, die serbische Militärmaschinerie stoppen und die sich rasant zuspitzende humanitäre Katastrophe verhindern zu können. Uns ist zugleich bewußt, daß diese Wirkungen keineswegs sicher sind, daß es erhebliche Eskalationsrisiken gibt. Uns ist bewußt, daß Militäraktionen gegen einen souveränen Staat ohne ein UN-Mandat ein Schlag gegen die Allgemeingültigkeit des Völkerrechts sind.

Nicht mit Gewalt einzugreifen, hieße jedoch, der Gewalteskalation freien Lauf und ein zweites Bosnien geschehen zu lassen! Es würde zugleich die Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft zerstören und Gewaltherrschern Auftrieb geben. Auch das wäre ein Schlag gegen das Völkerrecht.

Luftschläge sind Gewaltakte, mit denen nicht nur Waffen zerstört, sondern auch Menschen getötet und verwundet werden. Es gibt keine "sauberen" Waffen. Allerdings ist es abwegig, ja demagogisch, diese Militäraktionen eines Bündnisses demokratischer Staaten in eine Reihe mit dem Angriff der Nazi-Wehrmacht auf Jugoslawien zu stellen.

Der Krieg ging nicht von Deutschland und den NATO-Staaten, sondern von der Politik Milosevic's aus. Bei den NATO-Militäraktionen geht es nicht um territoriale Eroberungen und auch nicht um Öl. Es geht darum, die Waffen zum Schweigen zu bringen und die Voraussetzungen für eine politische Lösung zu schaffen. Deshalb ihre Beschränkung, deshalb ihr phasenweiser Einsatz und die ständigen politischen Konsultationen, deshalb das Offenhalten der diplomatischen Kanäle. Die Luftangriffe werden sofort eingestellt, wenn Milosevic ein glaubwürdiges Zeichen des Wandels gibt und dem vorliegenden Kosovo-Abkommen zustimmt.

Die Bündnisgrünen sind mit ihrer Regierungsbeteiligung in einer völlig anderen Entscheidungs-situation als in der Opposition: Nun haben wir uns im Hier und Jetzt unter den gegebenen Bedingungen und angesichts realer Alternativen und absehbarer Konsequenzen zu entscheiden. Der Verweis allein auf Versäumnisse der Vergangenheit und das Wünschbare reichen nicht mehr aus.

Wir mußten erfahren, daß sich die serbische Diplomatie seit Regierungsantritt von Rot-Grün intensiv bemühte, durch Appell an den Pazifismus der Grünen den Konsens in der Bundesregierung und zwischen den westlichen Staaten zu spalten und uns für die eigenen machtpolitischen und menschenverachtenden Ziele zu instrumentalisieren.

Wir sind in der Mitverantwortung, so oder so.

 Nach sorgfältiger Prüfung sind wir der Aufassung: Das jetzige Vorgehen der NATO-Staaten und der Bundesregierung ist in politischer und menschlicher Hinsicht alternativlos.

Die jetzige Situation im Kosovo bekräftigt uns in der Auffassung, den Aufbau der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung beschleunigt voranzutreiben und Initiativen zur Weiterentwicklung des Völkerrechts und zur Stärkung von UN und OSZE zu ergreifen. Hierzu wurden in den letzten Monaten erste wichtige Schritte getan.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch