Festrede beim Empfang für Einsatzrückkehrer der Wehrverwaltung NRW und Hessen
Von: Nachtwei amSa, 31 Dezember 2016 09:56:49 +02:00Seit 1999 nehmen Angehörige der Wehrverwaltung an Auslandseinsätzen teil, zzt. über 120 in acht Einsätzen. Ihre Leistungen sind elementar, werden aber zu wenig wahrgenommen. Der Empfang sollte den Einsatz der "Truppe hinter der Truppe" sichtbar machen und ihren MitarbeiterInnen Anerkennung zeigen.
Festrede von Winfried Nachtwei, MdB a.D., beim Empfang der EinsatzmitarbeiterInnen der Bundeswehrdienstleistungszentren
in NRW und Hessen am 27. Oktober 2016 in Münster
Vorbemerkungen: Aufgabenschwerpunkte der Einsatzwehrverwaltung sind
- Errichten und Betrieb von Einsatzinfrastruktur
- Personalwesen – Personalverwaltung Ortskräfte (Bauarbeiter, Reinigungs- und Wachpersonal, Küchenhilfen, Sprachmittler)
- Verpflegungs-, Bekleidungs- und Beschaffungswesen.
Die zzt. acht Einsatzwehrveraltungsstellen (EinsWVSt) sind Teil des deutschen Einsatz-kontingents, als eigenständige zivile Dienststelle dem Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr (BAIUDBw) unmittelbar fachlich unterstellt.
Gegenwärtig sind 127 Dienstposten der Bundeswehrverwaltung für acht EinsWVSt`en eingeplant: 48 bei RESOLUTE SUPPORT/Afghanistan (2013 bei ISAF noch 222 Dienstposten), 42 bei KFOR, 14 bei EUTM Mali, 7 bei MINUSMA, je 5 bei Irak und Counter Daesh, je 3 UNIFIL und ATALANTA. Seit 1999 nehmen Angehörige der Wehrverwaltung als Freiwillige im Soldatenstatus an den Einsätzen teil. Für Schlüsselfunktionen wie Leiter EinsWVSt, Haushalt, Beschaffung sind 219 Dienstposten der Kategorie I eingerichtet (die MitarbeiterInnen sind ohne Aufgabe im Inland direkt für den Einsatz vorgesehen, jederzeit verfügbar, ca. zwei Einsätze/Jahr) und 2020 der Kategorie II (Dienstposten im Inland, auf den Einsatz vorbereitet). Künftig sollen auch Dienstposten für J8-Stäbe in multinationalen Hauptquartieren (z.B. Deutsch-Niederländisches Korps, Eurokorps u.a.) besetzt werden.
Der heutige Empfang für die Einsatzrückkehrer der Wehrverwaltung im Bundeswehr-dienstleistungszentrum (BwDLZ) Münster[1] ist der erste seiner Art seit der Umstrukturierung der Wehrverwaltung. Im Veranstaltungsraum illustriert eine selbst erstellte Ausstellung umfassend und anschaulich das Leistungsspektrum des Dienstleistungszentrums und seiner Mitarbeiter.
Nach der Begrüßung durch den Leiter des BwDLZ Münster, Thomas Goldschmidt, sprach der Präsident des BAIUDBw, Matthias Leckel, zur aktuellen Lage und den Perspektiven der Wehrverwaltung im Einsatz. Die Befragung der Einsatzrückkehrer 2014 und 2015 ergab, dass 89% die Frage nach einem weiteren Einsatz mit „Ja“ beantworteten. Zum Schluss ehrte er drei ausgesuchte Mitarbeiter für ihre außergewöhnliche Einsatzfreude:
- Ein Regierungsamtmann mit 21 Einsätzen und 3203 Einsatztagen in Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Afghanistan,
- ein Regierungsoberamtsrat mit 16 Einsätzen seit 1996 und über 2000 Einsatztagen, davon 1900 in Afghanistan (wir sind uns offenbar mehrfach im Einsatz begegnet, z.B. im Mai 2007, als zwei Wochen nach unserem Besuch am 19. Mai drei seiner Männer und sieben afghanische Zivilisten auf dem Markt von Kunduz von einem Selbstmordattentäter ermordet wurden.)
- ein Regierungsamtsinspektor mit 12 Einsätzen und 1500 Einsatztagen in Bosnien-Herzegowina, Afghanistan, Kosovo und Nord-Irak.
Nach der Dankesrede eines Ausgezeichneten und dem Musikstück eines Blechbläserquintetts des Musikkorps der Bundeswehr sprach ich.
„(Begrüßung)
Willkommen in Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens und der Stadt des deutsch-Niederländischen Korps, des Vorreiters des vernetzten und gemeinsamen Ansatzes.
Seit Jahren nahm ich an Feierstunden für Rückkehrer aus Internationalen Polizeimissionen und an den Feierstunden zum Tag des Peacekeepers für Soldaten , Polizisten und Zivilexperten aus Friedenseinsätzen teil. Vor dem Hintergrund ist es mir eine besondere Freude und Ehre, zu einer Rückkehrerveranstaltung der Wehrverwaltung beitragen zu dürfen.
Ich spreche zu Ihnen als jemand, der als Mitglied des Bundestages und des Verteidigungs-ausschusses an 70 Mandatsentscheidungen beteiligt war, also in bleibender Mitverantwortung für diese Einsätze steht. Deshalb arbeite ich auch noch im Beirat Innere Führung in der AG Einsatzrückkehrer und Einsatzfolgen.
Erste Begegnungen
Heute danken Ihnen Ihr Dienstherr und Ihre Auftraggeber für Ihr Engagement und Ihre Leistungen in Krisen- und Friedenseinsätzen der Bundeswehr. Wir tun das überzeugt und von Herzen.
Ich will nicht verhehlen, dass ich - wie viele andere auch – in der ersten Hälfte der 90er Jahre die Einsätze sehr kritisch sah. Am 22. Oktober 1996, letzten Samstag vor 20 Jahren, stand ich mit einer Spitzendelegation meiner Fraktion und Partei am Hang von Sarajevo. Wir waren hierhergekommen, weil wir vor Ort Antworten auf die Fragen erhofften, über die wir seit Jahren stritten: Was sollen, was können die Staatengemeinschaft und Deutschland tun und ausrichten gegen die Kriegsgewalt auf dem Balkan?
Als wir nun an einer Stelle standen, von wo die serbischen Belagerer Sarajevos über drei Jahre in die Stadt gefeuert hatten, immer wieder, am Ende mit über 10.000 Toten, da wurde mir bewusst, was ich über Jahre nicht an mich hatte herankommen lassen wollen: Es gibt Situationen, in denen zum Schutz vor Massengewalt der Einsatz militärischer Gewalt notwendig, legitim und verantwortbar sein kann. Das war eine erste Schlüsselerfahrung. Die zweite war die Begegnung mit den deutschen Bundeswehrsoldaten bei IFOR unter General Friedrich Riechmann: Glaubwürdig setzten sie sich im VN-Auftrag für Kriegsverhütung und Gewalteindämmung ein, diametral im Gegensatz zur Wehrmacht im 2. Weltkrieg. Unsere Schlussfolgerung war: Kein zweites Bosnien mehr im Einflussbereich europäischer Politik! Und: Viel besser werden bei der Vorbeugung von Gewaltkonflikten, bei politischer Krisen-prävention!
Erstmalig bewusst begegnete ich der Wehrverwaltung im Einsatz im Oktober 1999 in Kosovo und Mazedonien. Berichtet wurde vom beginnenden Aufbau von Feldhäusern in Prizren (die ersten waren nach vier Wochen fertig), in Tetovo vom Teillager Verpflegung, für das die Zuständigkeiten bei Streitkräften und Wehrverwaltung lag, von der Anstellung mazedonischer Ortskräfte und zahlreichen Aufträgen an mazedonische Firmen.
Wehrverwaltung im Einsatz
Bei mehr als 30 Besuchen in den Einsatzgebieten waren die fundamentalen Dienstleistungen der Wehrverwaltung unübersehbar.
Die wachsende Einsatzinfrastruktur, die regelrechten Kleinstädte der Einsatzliegenschaften in Rajovac, in Prizren, Camp Warehouse, PRT Kunduz, Camp Marmal, PRT Feyzabad.
Die ordentlichen und sauberen , mit der Zeit auch geschützten Unterkünfte. Die vielseitige und gut schmeckende Verpflegung. Die beeindruckende Wasseraufbereitungsanlage in Camp Marmal mit acht Brunnen und einer Wasserqualität wie zuhause.
Die zahlreichen Ortskräfte in Gebäudereinigung, Abfallentsorgung, Bauarbeiten, eingestellt, geführt, bezahlt von der Wehrverwaltung. Ebenfalls die Sprachmittler, eine Schlüsselfähigkeit gerade in fremden Kulturkreisen. Wenn sie nicht verlässlich sind, agiert eine Mission im dichten Nebel.
Die Fahrzeuge von privaten Spediteuren, Unternehmen, mit denen die Wehrverwaltung Verträge abgeschlossen hat.
Mit Bedauern muss ich feststellen, dass die Rolle der Wehrverwaltung, die Truppe hinter der Truppe, bei Besuchen in Einsatzgebieten nur sehr wenig zur Sprache kam.
Besondere Herausforderungen und Leistungen
Mit Ihrer Arbeit gewährleisten Sie die materielle Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit eines Bundeswehrkontingents und schaffen die existentiellen Voraussetzungen für den Einsatz der Soldaten.
Sie erbringen Ihre Dienstleistungen unter mehrfach fordernden und erschwerten Bedingungen:
- Jeder Einsatz ist anders.
- Die Vielzahl von internationalen Akteuren, von Nationen und Kulturkreisen, wo man ohne Sprachkompetenz und ohne interkulturelle Kompetenz blind und taub ist.
- Der oft hohe Zeitdruck der Aufträge.
- Die unterschiedlichen Standards von deutscher Bundeswehrwelt und der Welt der Einheimischen: Wie umgehen mit Ortskräften, mit Vertragspartnern, wo Familiensolidarität, Vetternwirtschaft, „Gebührenerhebung“ und Korruption sehr unterschiedlich buchstabiert werden.
- Die erhebliche Personalfluktuation in den Einsatzwehrverwaltungsstellen und die zum Teil erheblichen Einsatzzeiten.
- Die härteren klimatischen Bedingungen, das Lagerleben, der Mangel an Privatsphäre, die Trennung von Familie und Freunden und für die, die rausfahren, die Konfrontation mit Armut und Elend, mit Kriegsfolgen und Menschenrechtsverletzungen, mit Risiken.
Zugleich haben viele, haben die meisten diese Herausforderungen als motivierende Erfahrung, als berufliche Highlights erlebt.
- Hier wird man sichtbar gebraucht, kommt es auf einen persönlich an. Hier sieht man die Wirkung und den Erfolg der eigenen Arbeit.
- Die Einsatzbedingungen fordern hohe Eigenverantwortung, Selbständigkeit, Flexibilität, „Kundenorientierung“.
-Hier erlebt man Kollegialität und Kameradschaft so sehr wie sonst fast nie im Berufsleben.
- Im Einsatz ergeben sich viele Gelegenheiten zu neuen Erfahrungen, zur Erweiterung des eigenen Gesichtskreises, zur Veränderungen der eigenen Werteskala: Wer Menschen in Nachkriegsgesellschaften unter schwierigsten Lebensbedingungen erlebt hat, entwickelt eine ganz andere Wertschätzung gegenüber dem Leben in der Heimat, ihrer Sicherheit, ihren Freiheiten – und ihren Pseudoproblemen oftmals.
Ihr Echo: Ich habe mich bei besonders einsatzerfahrenen Soldaten umgehört. Die Antworten waren einhellig. Im Einsatz habe man die Kollegen der Wehrverwaltung durchweg als pragmatisch und fix erlebt, nichts von Bürokratie wie öfter zuhause. Die Grundeinstellung der Kollegen der Einsatzwehrverwaltung sei „Wir gehören zum Kontingent“. „Sie verhalten sich als Teil des Ganzen, können als Soldaten denken.“
Die Vorzüge der deutschen Wehrverwaltung waren besonders zu spüren, wenn sie nicht vor Ort war. Zum Beispiel 2006 bei EUFOR DR Congo in Gabun: Eine spanische Firma sollte Unterkunft und Verpflegung bereitstellen. Das ging voll daneben. Ersatzweise mussten zu hohen Kosten acht Hotels und zwei weitere Unterkünfte genmietet werden.
Perspektiven der Einsätze
Was haben die Einsätze gebracht – über das Persönliche und die professionelle Bewährung hinaus?
- Die Balkaneinsätze insgesamt (seit 1995) waren militärisch erfolgreich. Ein Wieder-aufflammen von Kriegsgewalt wurde verhindert. Erfolgreiche Kriegsverhinderung also – und das ausgesprochen gewaltarm. Sehr zu Unrecht ist das inzwischen weitgehend vergessen. (Dass darüber hinaus keine nachhaltige politische und wirtschaftliche Stabilisierung geschafft wurde, liegt nicht an dem Militäreinsatz.)
In Afghanistan gab es in den ersten vier Jahren erhebliche Stabilisierungsfortschritte, eröffneten sich Möglichkeiten für Aufbau und Entwicklung. Dass ab 2006/08 eine Aufstandsbewegung aufwuchs, die die Bundeswehrsoldaten mit einem Terror- und Guerillakrieg konfrontierte, dass ISAF 2014 mit seinem Abzug kein sicheres Umfeld hinterließ und die Lage heute kritischer denn je ist, lag nicht an den Entsandten in Uniform und Zivil. Es lag an schweren politischen Fehlern und Versäumnissen – in Kabul, Washington, Brüssel, New York und vielen Hauptstädten, auch Berlin. Ungeklärte strategische Dissense, mangelnde Landes- und Kulturkenntnis, mangelnder Realismus und kurzsichtige Partnerwahlen gehörten zu den wichtigsten Großfehlern der Staatengemein-schaft. Daraus zu lernen und nochmals zu lernen, ist das erste Gebot aus Afghanistan.
Unübersehbar ist zugleich: Der Bedarf an internationaler Stabilisierungsunterstützung nimmt nicht ab, sondern zu. Der Fokus liegt dabei auf Nahost und Afrika.
Dass es zzt. eher um viele kleinere Kontingente geht, macht die Herausforderung nicht kleiner, im Gegenteil.
Aus den Einsätzen der Vergangenheit ergeben sich nach meiner Auffassung für künftige Einsätze folgende zentrale Schlussfolgerungen:
- Die Einsätze brauchen klare, glaubwürdige und erfüllbare Mandate (so empfahl es schon der Brahimi-Report aus dem Jahr 2000!).
- Es gilt, schnell besser zu werden mit dem vernetzten und ausgewogenen Ansatz von Diplomatie, Militär, Entwicklungszusammenarbeit und Polizei (Die in Arbeit befindlichen Leitlinien „Krisenengagement und Friedensförderung“ der Bundesregierung können da einen wichtigen Schub bringen).
- Die Bevölkerung muss viel besser „mitgenommen“ werden – durch offene Kommunikation, eine ehrliche Bewertung von Fortschritten, Schwierigkeiten und Fehlschlägen, aber nicht zuletzt auch durch eine selbstbewusste Darstellung der Leistungen und Leistungsträger.
Und zu denen gehören Sie!!
Meine Damen und Herren,
Sie sind hoffentlich alle unbeschadet aus Ihren Einsätzen zurückgekehrt, hoffentlich auch mit dem befriedigenden Grundgefühl, gut was geschafft zu haben.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie gut, wenigstens ziemlich gut in ihren hiesigen Alltag zurück-gefunden haben und bei Kollegen wie im privaten Umfeld Aufmerksamkeit und Interesse für Ihre Erfahrungen finden.
Sie haben sich mit Ihrer Arbeit um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr im Dienste der Friedenssicherung, um die Menschen in den Einsatzgebieten, um das Ansehen Deutschlands verdient gemacht.
Das sollte auch in der Politik und Öffentlichkeit mehr wahrgenommen werden.
Ihnen danke ich von Herzen – auch im Namen der Kolleginnen und Kollegen des Beirats Innere Führung bei der Bundesministerin der Verteidigung.
Für künftige Einsätze wünsche ich Ihnen alles Soldaten- und Einsatzglück.“
[1] Bundesweit gibt es 43 Bundeswehrdienstleistungszentren, davon sechs in NRW. Das Münsteraner Zentrum umfasst 730 Mitarbeiter, die 7500 Soldaten und zivile Mitarbeiter auf einer Fläche von 230 x 180 km betreuen (bis 2006 gab es für denselben Raum zehn Standortverwaltungen). 100 Auszubildende lernen hier in zwölf Ausbildungsberufen.