www.nachtwei.de :: Pressemitteilung + Beiträge von Winfried Nachtwei :: Urteile gegen Spitzen-Kriegsverbrecher Karadzic und Bemba: Historische Fortschritte in Richtung Schutzverantwortung - und persönliche Bezüge http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&catid=81%2B99&aid=1400 en-us Webmaster hourly 1 http://backend.userland.com/rss
Vereinte Nationen (UNO) + Bericht von Winfried Nachtwei
Browse in:  Alle(s) » Meine Themen » Internationale Politik und Regionen » Vereinte Nationen
Alle(s) » Publikationstyp » Bericht
Any of these categories

Urteile gegen Spitzen-Kriegsverbrecher Karadzic und Bemba: Historische Fortschritte in Richtung Schutzverantwortung - und persönliche Bezüge

Veröffentlicht von: Nachtwei am 26. März 2016 20:28:23 +01:00 (45428 Aufrufe)

Die dreijährige Belagerung von Sarajevo, der Völkermord von Srebrenica, Milizenterror und sexualisierte Gewalt in der Zentralafrikanischen Republik - Internationale Strafgerichtshöfe verurteilen endlich Hauptschuldige. Wenig bekannt sind Konsequenzen, die von den Niederlanden aus der Schande von Srebrenica gezogen wurden. Die Urteile sind auch ein Kommentar zum "Interventionsstreit" in den 90er Jahren. 

Urteile gegen Spitzen-Kriegsverbrecher Karadzic und Bemba: Historische Fortschritte zu „nachträglicher“ Schutzverantwortung – und einige persönliche Bezüge

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (26. März 2016)

(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Am 24. März verurteilte das UN-Kriegsverbrechertribunal zum früheren Jugoslawien in Den Haag den ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic wegen Völkermord (Srebrenica), Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen (44-monatige Belagerung von Sarajevo) und der Geiselnahme von Blauhelmsoldaten zu 40 Jahren Gefängnis.

Am 21. März sprach der Internationale Strafgerichtshof in den Haag den ehemaligen Milizenführer und späteren kongolesischen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Über das Strafmaß befinden die Richter später.

Wo in der Weltgeschichte die großen Staatsverbrecher und Völkermörder bis auf die Ausnahme der Nürnberger Prozesse in der Regel ungestraft blieben, sind die beiden Urteile ein historischer Fortschritt für die internationale Strafjustiz. Kein Großverbrecher kann mehr sicher sein, irgendwann nicht doch zur Rechenschaft gezogen zu werden. Es ist ein Schritt zu „nachträglicher“ Schutzverantwortung, die dringend eine präventive, unterstützende und auch eingreifende, Massengewalt verhindernde Responsibility to Protect werden muss.

Mit beiden Fällen hatten wir, hatte ich auch politisch-persönlich zu tun: beim Streit um Menschenrechtsschutz und Gewaltfreiheit angesichts des Bosnienkrieges, beim Besuch der niederländischen ISAF-Soldaten 2008 in Südafghanistan und bei der Begegnung mit Bemba in Kinshasa 2006.

Radovan Karadzic, während des Krieges in Bosnien Präsident der bosnischen Serbenrepublik und Oberbefehlshaber ihrer Armee

Das vom UN-Sicherheitsrat eingerichtete Tribunal erklärte ihn nach mehr als sechs Jahren und fast 500 Verhandlungstagen in zehn von elf Anklagepunkten für schuldig: wegen des Massakers von Srebrenica, dem im Juli 1995 über 8.000 bosnische Männer zum Opfer fielen – dem größten Kriegsverbrechen in Europa seit dem 2. Weltkrieg; wegen der Kriegsverbrechen während der Belagerung von Sarajevo, als 11.000 Zivilisten in der Stadt durch Scharfschützen und Artilleriebeschuss aus den serbischen Stellungen auf den Bergen rund um Sarajevo getötet wurden, und wegen weiterer Morde und Deportationen. (Vorzüglicher Artikel zum Urteil und Verfahren gegen Karadzic von Mirko Vossen auf der DGVN-Seite http://menschenrechte-durchsetzen.dgvn.de/meldung/kriegsverbrecher-karadzic-zu-40-jahren-haft-verurteilt/ ; Summary des ICTY-Urteils http://www.icty.org/x/cases/karadzic/tjug/en/160324_judgement_summary.pdf , das Gesamturteil mit seinen 2590 Seiten http://www.icty.org/x/cases/karadzic/tjug/en/160324_judgement.pdf )

Am 24.3.2016 schilderte Michael Martens umfassend in der FAZ, was im Juli in der Umgebung von Srebrenica geschah, z.B. in den Lagerhallen der Agrargenossenschaft von Kravica, wo Angehörige der 1. und 2. Rekrutenkompanie der Polizeischule Jahorina und eines Sondereinsatzbataillons der Polizei der Republik Srpska Aberhunderte bosnische Muslime erschossen; z.B. der Funkverkehr zwischen serbischen Offizieren nach der Einnahme von Srebrenica; z.B. Karadzic`s „Direktive Nr. 7; z.B. die große Abschiedsfeier der niederländischen Blauhelmtruppe, die vergeblich NATO-Luftunterstützung angefordert hatte, in Zagreb mit Kronprinz Wilhelm-Alexander und Militärkapelle: „Die Mörder kamen während der Himbeerernte“, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/un-kriegsverbrechertribunal-faellt-urteil-ueber-radovan-karad-i-14142334.html .

Streit um Menschenrechtsschutz und Gewaltfreiheit Mitte der 90er Jahre:

Vor 21 Jahren wurde bei Bündnis 90/Die Grünen wie auch in der geschrumpften Friedensbewegung heiß darum gestritten, was gegen den Krieg in Bosnien und die Massengewalt notwendig, legitim, verantwortbar sei - militärisches Eingreifen oder Beharren auf Gewaltfreiheit. In der Opposition standen wir noch nicht in dem – bei Regierungsbeteiligung unumgänglichen - Verantwortungsdilemma für die Folgen des eigenen Tuns oder Unterlassens. Beim Besuch der Partei- und Fraktionsspitze der Grünen im kriegszerstörten Bosnien im Oktober 1996 wurde uns am Hang von Sarajevo und im Gespräch mit dem katholischen Bischof von Banja Luka erst bewusst und klar, was Europa, was wir Europäer drei Jahre – natürlich „zerrissen“ – mehrheitlich hingenommen hatten.

(vgl. auch „Srebrenica vor 20 Jahren: "Nie wieder!" und der Ernstfall. Die Zeugin, der Streit, die Lehren“, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=85&aid=1364 )

Nach Srebrenica: Zusehen? Eingreifen? Oder was?

(MeinBeratungspapier vom 27.7.95, veröffentlicht in: Maulwurf, Zeitung von GAL/Grünen Münster August 1995;

In der ostbosnischen Enklave Srebrenica sind seit 1992 43.000 Menschen eingeschlossen und von Hilfsorganisationen nur unzureichend versorgt. Anfang Juli 1995 greifen Truppen des bosnischen Serbenführers Ratko Mladic die UN-Schutzzone an. Für die nur 200 niederländischen UN-Blauhelmsoldaten gibt es keine Verstärkung. Zur Entlastung angeforderte Luftangriffe kommen nicht zustande. Die Blauhelmsoldaten liefern den Angreifern die Flüchtlinge aus: 23.000 Frauen und Kinder werden nach Tuzla gefahren. Hunderte männliche Gefangene werden außerhalb des UNPROFOR-Lagers erschossen. 15.000 Männer versuchen sich im Fußmarsch über die Berge durchzuschlagen. Die Truppen der bosnischen Serben bringen etwa 8.000 Muslime aus Srebrenica auf der Flucht um.

„Innerer Frieden“

Am 30. Juni beschloss der Bundestag die Entsendung von Bundeswehreinheiten nach Ex-Jugoslawien. Aus den Reihen der Opposition sprachen auffällig viele AußenpolitikerInnen und viele gerade derjenigen PolitikerInnen für die Regierungsvorlage, die seit Jahren besonders intensiv und menschlich mit den Angegriffenen verbunden sind. Zugleich war unverkennbar, dass vielen in Regierung und Koalition ziemlich mulmig zumute ist.

Die bündnisgrüne Fraktion hat die Debatte mit wider Erwarten großer Geschlossenheit und zugleich Ehrlichkeit durchgestanden. Viele waren erleichtert, dass die Zerreißprobe an uns vorüber ging. Zugleich standen viel mehr von uns, als nach außen sichtbar wurde, in einem höchst gradigen Gewissenskonflikt zwischen zwischenmenschlich-antifaschistischer und pazifistischer Grundhaltung und innergrünen Erwägungen. Der innere Frieden, unser Parteifrieden blieb gewahrt.

Naher Krieg

Völlig entgegengesetzt die Entwicklung des nahen Krieges in Bosnien. Nach dem 30. Juni war schnell Schluss mit der relativen Entspannung nach der Massengeiselnahme von Blauhelmen. Die serbische Aggression eskalierte zur Stürmung von „Schutzzonen“, der Selektion, Massakrierung und Vertreibung tausender Menschen – unter den Augen der Weltöffentlichkeit, in Anwesenheit der internationalen „Gemeinschaft“ in Gestalt von VN-Blauhelmen. Karadzic und General Mladic kündigten die Eroberung „aller muslimischen Enklaven bis zum Herbst“ an, falls diese nicht „vollständig entmilitarisiert“ würden.

Fischer`s „Briefbombe“

In diesen Tagen der fortschreitenden serbischen Aggression entstand Joschkas Brief an die ParteifreundInnen, eine Woche vor der kroatischen Offensive, der Rückgewinnung der Krajina, der Befreiung des belagerten Bihac und der serbischen Massenflucht.

Zu Recht sieht er die Folgen des zu diesem Zeitpunkt unaufhaltsam erscheinenden serbischen Sieges dramatisch. (...) In Europa sind Krieg und Vertreibung wieder zu einem erfolgversprechenden Mittel der Politik geworden. Nüchtern beschreibt er das Versagen Westeuropas und der internationalen „Gemeinschaft“, in der es niemals einen politischen Willen, nur gegenläufige Interessen gegenüber dem Krieg in Ex-Jugoslawien gegeben habe.

Wider längeres „Wegducken“ und „Durchlavieren“ ruft Fischer dazu auf, der politischen Debatte nicht auszuweichen und Farbe zu bekennen. Auch ich beobachte seit Jahren dieses politische Wegducken in friedensbewegten und linken Kreisen, das sich oft hinter allen möglichen Ausflüchten verbirgt. Höchst engagierte Organisationen wie das Komitee für Grundrechte und der Bund für Soziale Verteidigung scheinen eher die Ausnahme von der Regel zu sein.

Ausgehend von der – zum Teil falschen – These, alle bisherigen Mittel wie Embargo, Schutzzonen, Kontrolle schwerer Waffen, Verhandlungslösungen hätten versagt, sieht Fischer nur noch die zugespitzte Alternative Weichen oder Widerstehen gegenüber den verbliebenen Schutzzonen: Abzug oder militärische Verteidigung. Er spricht sich für ihre militärische  Verteidigung aus, weil es zu ihr nur schlimmere Alternativen gebe.

Bei diesem Bekenntnis bleibt Fischer stehen, zu Umsetzungs- und Erfolgschancen nimmt er kaum noch Stellung. Hier setzen berechtigte Kritiken an. Kritiken hingegen, die seine konkrete Problemstellung (verzweifelte Lage der Schutzzonen) negieren und ihn zu einem Befürworter einer „militärischen Konfliktlösung“ dämonisieren, praktisieren eine Diskussionsunart, die nur die Gegnerbekämpfung im Sinn hat, in der Sache aber keinen Deut weiterbringt.

Bekenntnisdebatten um Grenzen des Pazifismus und Militär gab es reichlich und meist fruchtlose. Ob jetzt nur noch Gewalt hilft oder Militär weiter keine Lösung ist, angesichts der konkreten Kriegsrealität in Bosnien zu überprüfen.

Akute Schlüsselfragen

Bei der Bundestagsdebatte hatten wir zur Tornado-Entsendung Stellung zu beziehen. Innenpolitische Erwägungen und die Perspektiven deutscher Außenpolitik spielten dabei legitimerweise eine besondere Rolle. Die Argumente stimmen weiter.

In diesen Wochen müssen wir uns aber den Fragen stellen, zu denen die Gegner der Bundeswehrentsendung (also auch ich) in der Bundestagsdebatte nichts sagten, wozu wir auch keinerlei Antwort hatten:

  • Wie kann die Zivilbevölkerung wirksam geschützt und versorgt werden?
  • Wie kann die fortschreitende serbische Aggression gestoppt werden?
  • Wie kann der Totalabzug der Blauhelme verhindert, ihre Präsenz wirksamer gemacht werden?
  • Was hilft kurzfristig, was nur langfristig?

Völlig zu recht insistieren wir auf den Einsatz nichtmilitärischer Druckmittel, einem wirksamen Embargo, dem Aufnahmeangebot an Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ... Aber offenkundig können diese Maßnahmen nur mittelfristig wirken. Grundsätzlich richtig ist die Forderung, Anti-Kriegsgruppen zu unterstützen. Der Haken daran ist nur, dass die in Serbien zzt. auch nach eigener Einschätzung völlig randständig sind; dass die in Bosnien alle den bosnischen Verteidigungskampf unterstützen.

Aber was hilft kurzfristig?

Das Bekenntnis, man habe kein Patentrezept und es gebe keine kurzfristigen Lösungen, ist richtig, entbindet aber nicht von der Verpflichtung, nach Antworten zu suchen.

Zurzeit bestehen für die „Staatengemeinschaft“ bezogen auf den Blauhelmeinsatz folgende Optionen:

  • Weiter wie bisher mit starken Worten, viel Verhandeln und realer Tatenlosigkeit;
  • Abzug der Blauhelme und Aufhebung des Waffenembargos nach dem ehrlichen Eingeständnis, dass man zu einem echten Schutz nicht bereit ist;
  • Evakuierung der Eingeschlossenen und Aufgabe der Schutzzonen;
  • Militärische Verteidigung der letzten Schutzzonen und Schaffung eines Versorgungskorridors; offene Parteinahme für die Angegriffenen. (Hierzu ist kein westlicher Staat bereit)

Alle Optionen beinhalten Eskalationsrisiken, beim Blauhelmabzug wären sie am gefährlichsten. Ist die Lage so verfahren, dass es nur noch schlechte Handlungsmöglichkeiten gibt, nicht einmal mehr ein kleineres Übel? Einsatz für die Menschenrechte, Solidarität mit Opfern und Gewaltfreiheit: Wie bekommen wir das angesichts des Krieges in Bosnien noch in Einklang – ohne Wegsehen, ohne Ausflüchte, ohne Kollaboration mit Tätern, ohne Naivitäten und Begünstigung militärischen Denkens?

Niederländische Truppen in der südafghanischen Provinz Uruzgan – und Konsequenzen aus Srebrenica

(Auszug aus meinen „Materialien zur aktuellen Sicherheitslage Afghanistan mit Pakistan“, Juli 2009, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=997 )

„Über Jahre war Uruzgan ein sicheres Versteck für die Taliban.

In Uruzgan sind im Sommer 2008 rund 1.600 niederländische und 700 australische Soldaten stationiert. Der Distrikt Deh Rawod wurde international bekannt, als in 2002 eine US AC-130 irrtümlich das Feuer auf eine Hochzeitsfeier eröffnete und 40 Menschen tötete.

Kämpfe im Chora Valley 2007:

Die niederländische Wochenschrift «Elsevier» berichtet in ihrer Ausgabe vom 5. Januar von den Kämpfen in dem strategisch bedeutsamen Tal nördlich von Tarin Kowt im Juni 2007, wo schon in der Startphase der NL-Präsenz in Uruzgan im Sommer 2006 heftige Kämpfe stattgefunden hatten. Nachdem Aufständische am 26. April 2007 den Posten in Kala Kala genommen und alle Polizisten getötet hatten, wurden in Chora – 30 km nördlich von Tarin Kowt - ca. 65 NL-Soldaten der luftbeweglichen Alphakompanie („Limburgse Jagers“) und 40 ANA-Soldaten stationiert. (Der niederländische Kompaniechef war vor zwölf Jahren in Srebrenica dabei.) Nach einem schweren Sprengstoffanschlag auf ein PRT-Team, bei dem 11 Zivilisten starben, griffen am Morgen des 16. Juni ca. 800 (bis 1.100) Taliban und ausländische Kämpfer alle Posten außerhalb des Distriktortes Ali Shirzai an und kamen bis 200 m an das Distriktgebäude heran. Nach Mobilisierung aller Kräfte des Hauptstützpunktes in Tarin Kowt und mit vollem Einsatz der Panzerhaubitze aus Tatin Kowt und Luftnahunterstützung durch eigene Apache und F-16 schlagen die überwiegend NL Kräfte, unterstützt von afghanischer Miliz, den Angriff bis zum 20. Juni zurück. Dabei sollen zwischen 30 bis 88 Zivilisten umgekommen sein. Der Untersuchungsbericht von UNAMA und Unabhängiger AFG Menschenrechtskommission kommt zu dem Ergebnis, dass die Taliban im Unterschied zu ISAF Zivilisten gezielt und absichtlich töteten, dass aber den Artillerie- und Luftwaffeneinsätzen von ISAF ca. viermal so viele Zivilisten zum Opfer fielen.  (www.oruzgan.web-log.nl; auf YouTube u.a. die Videos „Chora Battle 1“ und „Chora Battle 2“ )

Tom Hyland berichtet am 18.10.2007 (www.theage.com.au), dass im Juni die in Uruzgan stationierte australische Spezialeinheit (SAS) an der Planung der NL geführten Gegenoffensive teilnahm, sich aber aus der 1. Reihe der Operation zurückzog, weil diese den eigen Rules of Engagement zuwider gelaufen wäre. Es wurde befürchtet, dass nicht zureichend zwischen Kämpfern und Zivilbevölkerung  unterschieden werden könnte. Schlussendlich seien die meisten der 60-70 toten Zivilisten durch Bomben und Artilleriefeuer (letzteres über 30 km Distanz aus Tarin Kowt) umgekommen.

(Anmerkung: Von den Kämpfen im Chora-Tal unterrichtete die Bundesregierung die zuständigen Abgeordneten des Bundestages mit keinem Wort. Auch beim Obleutebesuch in Mazar nach dem 20. Juni 2007 bei den dt. Tornados in Mazar wurden sie – obwohl  d e r  ISAF-Brennpunkt zu dem Zeitpunkt - mit keinem Wort erwähnt. Im Gegenteil wurde der Eindruck erweckt, als hätten die NL-Truppen im Unterschied zu anderen keine zivilen Opfer…)

Ende September erlebte australische SAS im Chora Valley die heftigsten Kämpfe australischer Soldaten seit dem Vietnamkrieg – zusammen mit 500 Soldaten einer Streitmacht aus sechs Nationen und gerade 15 km vom eigenen Stützpunkt in Tarin Kowt entfernt.“

Auf YouTube etliche Filme zur Rolle der niederländischen Streitkräfte in Srebrenica, zu den Kämpfen im Chora Tal und den Konsequenzen aus dem Srebrenica-Trauma:

Jean-Pierre Bemba, ehemaliger Vizepräsident der DR Congo

Der frühere Führer der 1998 gegründeten „Kongolesischen Befreiungsbewegung“ (MLC) wurde schuldig gesprochen nicht wegen seiner Rolle im kongolesischen Krieg, sondern wegen des MLC-Einsatzes zur Niederschlagung eines Putschversuches in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik 2002/3 kurz vor seiner Ernennung zum Vizepräsidenten der DRC. Die MLC-Kämpfer hatten dabei Hunderte Zivilisten getötet, Dörfer geplündert und Frauen vergewaltigt. Dominic Johnson berichtet in der taz vom 22.3. von der Urteilsverkündigung (http://www.taz.de/!5285092/ ):

„Zeugin P79 wurde von einem Soldaten mit vorgehaltenem Gewehr festgehalten, während zwei andere sie vergewaltigten und ein anderer sich über ihre Tochter hermachte., wobei weitere Kinder zuschauen mussten. Ein Opfer hatte gleich zwölf Vergewaltiger hintereinander. Als Zeuge P69 sich der Plünderung seines Hauses in Bangui widersetzte, nahmen die MLC-Soldaten seine Schwester und schossen ihr in den Kopf. (…) ´Die MIC-Täter nahmen sich die Zivilbevölkerung zum Ziel, um sich selbst für unzureichende Bezahlung und Rationen der MLC zu entschädigen`, so die Richterin. Es gab dafür keine formalisierte Politik, aber ´das Versagen der MLC, dagegen einzuschreiten, ermutigte die Angriffe.` MLC-Führer Bemba ist als militärischer Befehlshaber  ´ausgedehnter und systematischer Angriffe auf eine Zivilbevölkerung` schuldig“, Bemba  hatte, „so das Urteil, die im deutschen Recht ´Tatverhinderungsmacht` genannte Möglichkeit, seine Untergebenen an Verbrechen zu hindern.“  

(Presseerklärung des ICC mit Link zum Urteil https://www.icc-cpi.int/en_menus/icc/press%20and%20media/press%20releases/Pages/pr1200.aspx ; Kommentar von Dominic Johnson in der taz, http://www.taz.de/Kommentar-Urteil-Jean-Pierre-Bemba/!5285012/ )

Begegnung mit Bemba im April 2006: Bei einerErkundungsreise im Vorfeld der Wahlabsicherungsmission EUFOR DR Congo im April 2006 trafen MdB Hans-Christian Ströbele und ich nach Gesprächen mit Außen- und Verteidigungsminister, kongolesischen Abgeordneten, Vertretern von MONUC, UNHCR, EUPOL + EUSEC, Menschenrechtsorganisationen, NGO`s, Misereor und deutscher Entwicklungszusammenarbeit auch mit Vizepräsident Bemba zusammen:

(Auszug aus meinem Reisebericht „Erkundung in Kongo-Kinshasa - Erfahrungen, Schlussfolgerungen“, April 2006, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=83&aid=329 )

„Seine Residenz wird von grimmig erscheinenden Bewaffneten bewacht. Der Empfangssaal ist pompös mit dicken Ledermöbeln, Großbildschirm und afrikanischer Kunst ausgestattet. Uns tritt ein großer, massiver Mann in hoch geschlossenem Anzug entgegen, eingerahmt von zwei äußerlich eindrucksvollen Männern. Neben ihm liegen griffbereit moderne Kommunikationsutensilien. Ihm werden besonders massive Kriegsverbrechen vorgeworfen. Er gilt als schlimmster Warlord und einer der ersten Anwärter für Den Haag. Südlich Kinshasa soll er 2.-4.000 Bewaffnete stehen haben. Politisch korrekt bekennt er sich zu freien Wahlen, Menschenrechten und gegen Korruption. Er sei froh über Truppen, die die Wahlen absichern würden. Auch mit 100.000 EU-Soldaten hätte er kein Problem. Auf die Frage, ob Wahlverlierer Trouble machen könnten, stellt er die Gegenfrage, wer das denn sein könnte. Da müssen wir vor lauter Höflichkeit natürlich die Schultern zucken. Ob Umfang der EU-Truppe sinnvoll sei? Alles hänge von Auftrag und Ausstattung ab. Angesprochen auf die Armee, die von vielen als Hauptgefahr angesehen werde, reagiert er ausweichend und betont schließlich die Bedeutung von Leadership. Als Christian seine Führungsverantwortung mit den ausbleibenden Erfolgen der Übergangsregierung konfrontiert, bilanziert B. mit gewisser Erregung die angeblichen Leistungen auf seinem Zuständigkeitsfeld der Wirtschaft. Bei aller Verbindlichkeit des Gesprächs und der Umgangsformen sendet sein Blick keine Freundlichkeit oder Wärme, sondern bestätigt nur das allgemeine Bild von ihm – Vorsicht!“

Fünf Monate später am 26.9.2006 zweite Begegnung mit Bemba in Kinshasa im Rahmen einer Delegationsreise von Verteidigungsminister Jung (Auszug aus meinem Reisebericht „Heiß in jeder Hinsicht“, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=74&aid=414 )

„(…) Die Kongo-Erstlinge (in der Delegation) sind überwältigt-erschüttert von den Menschenmassen, von den vermüllten Flächen, den überladenen Schrottautos, den ärmlichsten Provisorien. Umso bemerkenswerter die sehr saubere Kleidung der Menschen. Ab und zu sind am Straßenrand kleine Parzellen mit Gemüse zu sehen.

Briefing im Force Headquarter von EUFOR auf dem Innenstadt-Flugfeld N`Dolo: (…)

Die Präsidentschaftswahlen: Inzwischen haben die dritt- und viertplazierten Kandidaten Gizenga (13%) und Mobutu (5%) Kabila (45%) ihre Unterstützung für den zweiten Wahlgang zugesagt. Der zweitplazierte Bemba, der vor allem in Kinshasa und Equateur gewann, ist deshalb ohne größeren Partner. (Inzwischen wollen ihn aber Teile der Tschisekedi-Partei UDPS unterstützen.) Bemba, der am 21. August seinen Hubschrauber verlor und einen Monat später durch Großbrand seine beiden Fernseh- sowie seinen Radiosender (sie senden inzwischen wieder mit schwacher Kraft), müsse jetzt schnell seinen Wahlkampf intensivieren. Auch wenn sein Sieg unwahrscheinlich sei, sei er nicht abgeschrieben. Seine demagogischen Fähigkeiten seien erheblich, Zwischenfälle könnten provoziert werden, Risiko von Überreaktionen des Kabila-Lagers. Die beiden Lager stünden sich antagonistisch gegenüber. Die Lage in Kinshasa bleibe zerbrechlich. Hohes Gewaltrisiko bestehe um den Tag der Präsidenten-Stichwahl und der Provinzwahlen am  29. Oktober und die Verkündigung des Wahlergebnisses der Stichwahl am 19. November.

MONUC und EUFOR bemühen sich um Deeskalation und vertrauensbildende Maßnahmen. Dazu gehören eine teilweise Demilitarisierung von Kinshasa, eine Kontrolle des Zugangs zu den Medien und ein Verhaltenskodex für die Wahlen.

Zusammengefasst: Kinshasa ist offenkundig der wichtigste Hotspot. Das EUFOR-Eingreifen vom 20./21. August hat die Glaubwürdigkeit der Mission erhöht. Für eine effiziente Abschreckung ist die Synergie aller internationaler Partner essentiell. EUFOR und MONUC sind verstärkt als Schiedsrichter gefragt, der ein fair play beim restlichen Prozess garantieren soll. „Wir sollten mit Forderungen rechnen, die EUFOR-Präsenz in Kinshasa über das Ende des laufenden Mandats (30. Nov.) hinaus zu halten.“

(Der deutsche) Flottillenadmiral Bess schildert in Anwesenheit der Presse die Ereignisse ab 20. August. Für den Tag der Verkündigung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl bestand für  EUFOR hohe Alarmbereitschaft bei niedriger Einsatzschwelle. (Die Gewalteskalation am 21.8. wird recht genau im Bericht des VN-Generalsekretärs an den Sicherheitsrat vom 21. September, S/2006/759, www.un.org, geschildert: Kleinere Gruppen der Präsidentengarde lieferten sich an Bembas Residenz mit leichten und schwereren Kalibern Schusswechsel mit ca. 200 Milizionären Bembas. Auf Seiten der Präsidentengarde sollen auch einzelne T 54/55-Panzer – sowjetische Standardpanzer der 50er bis 70er Jahre – gewesen sein. In der Residenz befanden sich die Diplomaten der Internationalen Kommission zur Begleitung der Transition/CIAT, darunter der deutsche Botschafter. Zwei MONUC- und eine EUFOR-Kompanien holten die in der Residenz Eingeschlossenen, darunter internationale Botschafter, heraus. (…)

Mit dem intensiven Engagement des Sondergesandten des VN-Generalsekretärs und flankiert von MONUC und EUFOR gelang es, die Gewalt zu stoppen und einen Waffenstillstand zu vereinbaren.

Die MONUC-Bitte an EUFOR, Enforcement Patrols zu stellen, wurde – weil angeblich vom Mandat nicht gedeckt – abgelehnt. EUFOR beteiligt sich aber an Joint Verification Teams unter MONUC-Leitung. Diese sollen die Umsetzung der Waffenstillstandsvereinbarung vom 22. August überwachen und zur Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien beitragen. Nach bisher 25  JVT-Einsätzen sei die Verifikation teilweise erfolgreich gelaufen. Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Garden sei begrenzt.

EUFOR-Patrouillen zur Aufklärung und Erkundung an Hotspots: anfänglich nur mit Fahrzeugen, inzwischen auch z.T. zu Fuß. In bestimmten Vierteln könne man sich gut bewegen.

Weitere Operationen laufen nach (a) Stabilization Plan Kinshasa, (b) Redeployment (Rückverlegung) Plan. Man sei auf Worst-Case-Szenarien vorbereitet.

Die Strategische Reserve habe eine politische Seite (Signal von Entschlossenheit durch Ankündigung) und eine militärische Seite (Erhöhung der Kapazitäten). Sie ist binnen 20-30 Tagen in Kinshasa verfügbar. Hier sind Beschleunigungen notwendig, z.B. von Einzelelementen, und Vorausstationierungen von Gerät.

Die Rückverlegung: Das Operation Headquarter in Potsdam ist schon intensiv damit befasst. Alle Fähigkeiten müssen bis zum 30. November auf 100% bleiben. Danach gibt es nur noch Force Protection (Selbstschutz). Angesichts der Tatsache, dass bis zum 29. November spätestens die Wahlergebnisse verkündet werden dürfen und für den 10. Dezember die Amtseinführung des Präsidenten angesetzt ist, stellt die letzte Folie der Powerpoint-Präsentation für die Rückverlegungsphase ab 1. Dezember die Frage in den Raum: „Military tasks 0%?“

Minister Jung`s Antwort darauf ist hundertprozentig: Stabile Vorrausetzungen seien geschaffen. VN- und Bundestagsmandat gehen bis zum 30. November. Deutschland habe keinerlei Absicht, das Mandat zu verlängern. Danach sei wieder MONUC allein verantwortlich.

Am 23. September hatte Chris Patton, Vorsitzender der International Crisis Group und ehemaliger EU-Außenkommissar, in der SZ geschrieben, es wäre „Wahnsinn die EU-Operation wie geplant Ende November zu beenden. Die Europäer können dem Land doch kaum ausgerechnet in dem Moment den Rücken kehren, der der kritischste im ganzen Drama sein wird. Die von DEU geführte EU-Truppe sollte ihr Mandat verlängern, bis die neue Regierung vereidigt ist.“ Nach Kinshasa müsste viel mehr Einsatztruppe verlegt werden. Von Deutschland fordert er „kühne Führung“.

Seine Intervention wird mit der Bemerkung abgetan, es sei schleierhaft, wie er auf das Datum 17. Januar für die Amtseinführung der neuen Regierung komme. (…)

Beim Gespräch mit Vertrauensleuten (des Bundeswehrkontingents geht es um passende Stiefel, fehlende Nachtsichtgeräte und den Antrag auf höheren Auslandsverwendungszuschlag (hier zzt. Stufe 4/66,47 Euro/Tag  bei „hoher Belastung, bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen“)

Gespräch mit dem Präsidentschaftskandidaten und bisherigen Vizepräsidenten Jean-Pierre Bemba in seinem Dienstsitz, der auch von gepanzerten MONUC-Fahrzeugen gesichert wird. Trotz aller Vorabsprachen bedarf es massiver Interventionen, dass wir Abgeordnete von den grimmig-harten Bemba-Männern rein gelassen werden. Im Hof sitzen ca. 200 Menschen. Es sind Bemba-Verbündete der „Union für die Nation“, die über die Wahlkampfstrategie beraten.

Im Unterschied zu unserem Treffen im April tritt der berüchtigte ehemalige Warlord, der mich tatsächlich wieder erkennt, jetzt seriös, verbindlich und längst nicht so machtvoll-autoritär und bedrohlich auf – als hätte er ganz viel Kreide zu sich genommen. Während er mit seiner kompakten Statur zurückgelehnt unter einem Bild mit heroisch-muskulösen Fischern in seinem Sessel thront, hocken einzelne Delegationsmitglieder auf der Vorderkante ihres Sessels.

Fünf Stunden lang sei er am 21. August zusammen mit dem Botschafter angegriffen und bombardiert worden. Er wolle den Prozess aufrechterhalten. Ohne die Präsenz der Botschafter wäre der Prozess wohl zu Ende gewesen. Er sei EUFOR für ihr effizientes Handeln dankbar. Bei der Stichwahl dürften sich solche Zwischenfälle nicht wiederholen. Das Ergebnis werde hoffentlich respektiert. Bei der Umsetzung der Vereinbarung vom 22. August sei EUFOR sehr wichtig.

Von deutscher Seite wird der Wille versichert, nach EUFOR zum Aufbau und zur weiteren friedlichen und demokratischen Entwicklung beitragen zu wollen. (Die Frage ist, ob Bemba die uns so leicht von den Lippen gehenden Werte und Ziele teilt oder sie eher als störend empfindet.)

Ich schnappe mir die einzige Abgeordnetenfrage: Er könne stolz auf sein Volk und dessen Engagement bei den Wahlen sein. Jeder Kandidat setze selbstverständlich auf Sieg. Das Problem bei ihm und Kabila sei die in ihren Wahlergebnissen zutage tretende Teilung des Landes. Wie wolle er nach einem Wahlsieg die Teilung überwinden? Bemba: Das Wahlergebnis sei wohl geteilt, aber nicht aus inhaltlichen Gründen. Auch im Osten wollten die Menschen Sicherheit. Er trete für Sicherheit, Gerechtigkeit und Entwicklung ein. In der „Union für die Nation“ seien Politiker aus allen Regionen. 

Thomas Nehls (WDR) stellt ihm unter den Augen von Jung die Frage nach dem Mandatsende: Bemba, der sich im April eher ironisch zu EUFOR geäußert hatte, spricht sich jetzt für eine gewisse Verlängerung aus.

Vor dem Gebäude spreche ich zwei uruguayische MONUC-Offiziere an und danke Ihnen für Ihre gute Arbeit und Ihr Engagement. In der notorischen Bundeswehr-Fixiertheit solcher Besuche wird MONUC praktisch nicht wahrgenommen.“