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Stutthof-Prozess wg. Verhandlungsunfähigkeit ausgesetzt - auf den Tag genau 77 Jahre nach der Deportation von 1.000 jüdischen Menschen aus dem Raum Münster, Osnabrück, Bielefeld in das Ghetto Riga

Veröffentlicht von: Nachtwei am 13. Dezember 2018 14:51:49 +01:00 (29551 Aufrufe)

Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga (und Stutthof):

Stutthof-Prozess wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten ausgesetzt – auf den Tag genau 77 Jahre nach der Deportation von rund 400 jüdische Menschen aus dem Münsterland in das Ghetto  Riga

Winfried Nachtwei, 13.12.2018

Seit dem 06. November 2018 verhandelt das Landgericht Münster gegen einen ehemaligen SS-Wachmann vor dem Landgericht Münster wegen hundertfacher Mordbeihilfe. Am 8. Verhandlungstag, dem 13,12., hörte das Gericht das Gutachten des medizinischen Sachverständigen und kam zu dem Beschluss, die Verhandlung wegen gegenwärtiger Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten auszusetzen. Im Januar soll seine Verhandlungsfähigkeit erneut geprüft werden.

Presseberichte zur 8. Sitzung:

- Westfälische Nachrichten, 13.12.: Stutthof-Prozess vorerst geplatzt: Angeklagter ist nicht verhandlungsfähig, https://www.wn.de/Muensterland/3582698-Landgericht-Muenster-Stutthof-Prozess-vorerst-geplatzt-Angeklagter-ist-nicht-verhandlungsfaehig

Tagesschau, 13.12.: Prozess gegen Ex-SS-Mann ausgesetzt, https://www.tagesschau.de/inland/stutthof-prozess-105.html

- taz, Klaus Hillenbrand aus dem Museum Stutthof und aus Münster, 14.12.: Mord verjährt nicht, aber die Täter sterben, https://www.welt.de/vermischtes/article185362558/NS-Prozesse-97-jaehriger-Ex-SS-Mann-wartet-seit-14-Monaten-auf-Entscheidung.html

- FAZ, Alexander Haneke, 14.12. : Zu spät für Gerechtigkeit, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/der-angeklagt-im-stutthof-prozess-bleibt-bis-auf-weiteres-verhandlungsunfaehig-15940426.html

- Spiegel Online, Wiebke Ramm,13.12.:  Prozess gegen früheren SS-Wachmann ausgesetzt, http://www.spiegel.de/panorama/justiz/muenster-prozess-gegen-frueheren-ss-wachmann-ausgesetzt-a-1243546.html

- WDR Lokalzeit Münsterland, Detlef Proges, 12.12.: KZ Stutthof – das „unbekannte“ Konzentrationslager, 4:30 (Besuch in der Gedenkstätte Stutthof), https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/lokalzeit-muensterland/video-das-kz-stutthof-in-polen-100.html

Link-Liste zu den Presseberichten insgesamt: http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1558

Am 13. Dezember vormittags wurde der Stutthof-Prozess vorläufig ausgesetzt. Das war auf den Tag genau 77 Jahre nach der Deportation von 1.031 jüdischen Menschen aus dem Münsterland, aus dem Raum Osnabrück und Bielefeld in das Ghetto Riga. Um 10.00 Uhr verließ damals der Deportationszug mit rund 400 Menschen den Münsteraner Güterbahnhof Richtung Osnabrück. Die Überlebenden von Riga wurden ab August 1944 in das KZ Stutthof transportiert; 115 wurde dort ermordet.

Nachbarn von nebenan – verschollen in Riga (und Stutthof)

„(…) Ein heißer Juni-Nachmittag im Jahre 1992: An der Nordostecke Warendorfer Straße/Kaiser-Wilhelm-Ring drängen sich Menschen, eine Gedenktafel wird enthüllt. Sie erinnert an zwei Tage im Dezember 1941, als im Saal des damals hier stehenden Lokals "Gertrudenhof " 403 jüdische Frauen, Kinder und Männer aus dem Münsterland zusammengepfercht wurden und auf ihre "Evakuierung zum Arbeitseinsatz im Osten" warteten. Am Vormittag des 13. Dezember verließ der Zug mit den "Evakuierten" den Güterbahnhof Münster Richtung Riga: Die systematische Verschleppung und Ermordung der westfälischen Juden nahm damit ihren Anfang. Jahrzehntelang war das weitgehend vergessen und verdrängt. Nun, mehr als 50 Jahre danach, wird die Erinnerung an den Beginn der Deportation sichtbar gemacht. (…)

„Evakuierung“

Ruth und Siegfried Weinberg wurden am 18. November von der Gestapo über ihre "Evakuierung" am 13. Dezember benachrichtigt. Detailliert wurde vorgeschrieben, was pro Person mitgenommen werden musste (Zahlungsmittel bis 50 RM in Reichskreditkassenscheinen, ein Koffer, Bettzeug mit Decken, Verpflegung, Essgeschirr mit Löffel), was nicht mitgenommen werden durfte (Wertsachen jeder Art außer Ehering, Wertpapiere, Urkunden, Verträge, Messer, Gabel, Rasierzeug), was anheimgestellt war (z.B. Kanonenofen, Handwerkszeug), insgesamt maximal 50 kg Großgepäck und Handgepäck.8

Am 11. Dezember wurden 105 jüdische Münsteranerinnen - von der 4jährigen Miriam Goldenberg bis zur 71jährigen Hedwig Probstein - verhaftet und im Saal des Lokals Gertrudenhof an der Warendorfer Straße eingesperrt. Hinzu kamen Juden aus Ahaus, Altenberge, Bocholt, Borghorst, Borken, Burgsteinfurt, Coesfeld, Drensteinfurt, Dülmen, Epe, Freckenhorst, Gescher, Groß Reken, Havixbeck, Herbern, Hopsten, Ibbenbüren, Laer, Lengerich, Lüdinghausen, Nienborg, Oelde, Raesfeld, Rhede, Rheine, Stadtlohn, Südlohn, Vreden, Wadersloh, Werne, Werth, Wesecke, Wolbeck.

Die Gestapo führte eine große Leibes- und Gepäckvisitation durch und beschlagnahmte Messer, Scheren, Rasierklingen und einen Teil der Lebensmittel und Wäsche.

Der Sohn des damaligen Wirts, Heinz E., erinnert sich, dass die Menschen auf nacktem Boden schlafen mussten, daß seine Schwester dafür sorgte, dass in der Spülküche Gefangene mit Menschen von außerhalb reden konnten.

Man glaubte allgemein, es gehe zum Arbeitseinsatz im Osten. Am 12. Dezember gegen 23.00 Uhr begann der Abtransport zum Güterbahnhof, geleitet von Dr. Bast von der Gestapo. Siegfried Weinberg berichtet: "Ca. 35-40 Personen wurden in kleine Omnibusse mit Handgepäck hineingezwängt und zum (Güter-)Bahnhof befördert. (...) Noch hielt der Wagen nicht richtig, da wurden schon die Türen aufgerissen. Die Gestapo-Banditen fingen an zu rasen. `Verfluchte Hunde, seid ihr noch nicht raus, aber schneller, sonst hagelt es' usw.

Die älteren Leute wurden natürlich aufgeregt, und wir Jungen warfen unser Gepäck beiseite und halfen, was nur zu helfen war, doch die Schläge hagelten auf uns nieder. Aber willenlos mussten wir alles über uns ergehen lassen."

Um 10 Uhr morgens am 13. Dezember 1941 setzte sich der Zug in Bewegung. In Osnabrück kamen ca. 200 Menschen hinzu, in Bielefeld 400 aus dem Regierungsbezirk Minden. Um 15 Uhr verließ der Zug Bielefeld, bewacht von einem Begleitkommando der Ordnungspolizei in der Stärke ein Führer, 12 Mann. Dieser ersten Deportation aus Münster folgten noch drei weitere: am 27.1. über Dortmund nach Riga, am 31.3. nach Warschau, am 31.7.1942 nach Theresienstadt. Nur Henriette Hertz, ehemalige Schülerin des Annette-Gymnasiums und Tochter des Rechtsanwalts Dr. Albert Hertz, konnte 1942 noch untertauchen. Sie überlebte in der Illegalität.13 Am 15. Dezember gegen 23 Uhr traf der Zug aus Westfalen im Rangierbahnhof Skirotawa südöstlich von Riga ein. Es lag tiefer Schnee. (…)“

Auszug aus „Nachbarn von nebenan – verschollen in Riga“ von Winfried Nachtwei, in: U. Bardelmeier/ A. Schule-Hemming (Hg.), Mythos Münster – Schwarze Löcher – Weiße Flecken, Münster 1993

1.032 jüdische Menschen wurden mit dem „Bielefelder Transport“ nach Riga deportiert und im Rigaer Ghetto, dem entstehenden „Reichsjudenghetto“, zusammengepfercht. Insgesamt gingen aus dem „Großdeutschen Reich“ 25 Transporte mit jeweils rund 1.000 Menschennach Riga.

Der größte Teil von ihnen fiel den „Lebens“bedingungen im Ghetto, den Erschießungen im Wald von Bikernieki und den Haftbedingungen im KZ Kaiserwald zum Opfer. Die Riga-Überlebenden wurden ab August 1944 in das KZ Stutthof bei Danzig transportiert. 115 der bis dahin Überlebenden des Bielefelder Transports sind in Stutthof nachweislich gestorben bzw. verschollen.

 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch