Frieden muss von unten wachsen - Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung
Von: Webmaster amSo, 15 Juni 1997 22:22:10 +02:00Im Maulwurf, der Zeitung der Münsteraner Grünen, erschien im Juni 1997 folgender Artikel von Winfried Nachtwei:
Frieden muss von unten wachsen - Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung
Monat für Monat werden tausende junger Männer an Waffen dafür ausgebildet, in einem Kriegsfall „den Gegner" zu vernichten. Am 20. Mai 1997 begann in Frille bei Minden erstmalig in der Bundesrepublik eine ganz andere Ausbildung: der erste Grundkurs des Modellvorhabens „Ausbildung in ziviler Konfliktbearbeitung". 16 Frauen und Männer, zur Hälfte Ausländerinnen, werden in 11 Wochen auf die Arbeit in „Versöhnungsprojekten" vor allem im ehemaligen Jugoslawien vorbereitet: für die Begleitung und Unterstützung heimkehrender muslimischer Flüchtlinge in der kroatisch verwalteten Stadt Jajce, für die Arbeit in einem multiethnischen Jugendtreffpunkt in Tuzla, in einem unabhängigen Begegnungs-, Gebets- und Meditationszentrum in Sarajewo und mit kriegstraumatisierten Serben und Kroaten in Ostslawonien. Träger des Modellvorhabens sind die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, der Bund für Soziale Verteidigung und das Forum Ziviler Friedensdienst. Das Land NRW finanziert das Modellvorhaben mit 400.000 DM.
Bei der Eröffnungsveranstaltung hielt ich das folgende Grußwort:
„Wohl kein parlamentarisches Gremium in Bonn beschäftigt sich so kontinuierlich und intensiv mit Ex-Jugoslawien wie der Verteidigungsausschuss des Bundestages. Lange standen dort Begründung und Planung des Militäreinsatzes, die Leistungen von IFOR im Mittelpunkt der Beratungen. Seit der Debatte um die IFOR-Nachfolge Ende letzten Jahres haben sich die Beratungsschwerpunkte völlig verschoben. Die Leistungen von IFOR/SFOR sind unstrittig, zugleich werden die Grenzen eines Militäreinsatzes immer deutlicher. Laut Außenminister Kinkel ist die Aufgabe der Militärs, die Konfliktparteien auseinander zu halten, relativ leicht - verglichen mit der Aufgabe, die verfeindeten Gruppen wieder zusammenzuführen. Er und Verteidigungsminister Rühe äußern sich wiederholt regelrecht verzweifelt über die totale Unversöhnlichkeit der Machthaber in Bosnien, die ein Funktionieren der Föderation blockiere. Nach einem Mostar-Besuch konstatiert Rühe im Angesicht der EU-finanzierten, aber leeren Brücken die Grenzen auch von Infrastrukturhilfen:" Auch eine Brücke aus Beton bringt noch keinen Frieden!" Ein Staatsminister schließlich beklagt, wie verbreitet in der Bevölkerung Lethargie, Misstrauen und Hass seien, dass es keinerlei Aufbruchstimmung gebe. Alle wissen: Der Wandel in den Köpfen ist der Dreh- und Angelpunkt für einen wirklichen Friedensprozess. Auf der Hand liegt, dass daran in erster Linie Nichtregierungsorganisationen arbeiten (können), dass für diese besonders schwierige Entfeindungsarbeit aber Qualifizierung unumgänglich ist.
Hier beginnen jedoch die politischen Blockaden in Bonn! Seit genau zwei Jahren versuchte ich zusammen mit Kolleginnen von SPD und CDU, ein „Startprojekt Ziviler Friedensdienst" auf den Weg zu bringen, das die Ausbildung und Entsendung von Fachleuten für zivile Konfliktbearbeitung beinhaltet. Als ein interfraktioneller Kompromiss gefunden war, verhinderte der CSU-Minister für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Spranger, seine Umsetzung. Angesichts des Bonner Versagens ist die Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen umso lobenswerter! Sie geht zurück auf die beharrliche Friedensarbeit vor allem des Bundes für Soziale Verteidigung und eine Festlegung im Koalitionsvertrag, zu der Kurt Südmersen (BSV) und ich im Mai 1995 den Anstoß gaben. Angesichts der vielen Konfliktnachrichten aus Düsseldorf endlich eine gute Nachricht von Rot-GRÜN!
Nur 400.000 DM für die Ausbildung von nur 16 Fachkräften - ist das nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein? Das Modellvorhaben ist ein Pilotprojekt, mit dem zivile Konfliktbearbeitung von unten endlich sichtbar und überprüfbar wird. Es ist der Start zu einer professionellen Friedensarbeit, die sich in den nächsten Jahren erheblich ausweiten wird - weil der Bedarf immer unübersehbarer wird. Insofern nehmen wir heute an einer historischen Geburtsstunde teil! Im Namen der Landtagsfraktion und der Bundestagsfraktion von Bündnis90/DIE GRÜNEN wünsche ich den Kursteilnehmerinnen und Annemarie Müller und Stefan Willmutz als den Trainerinnen langen Atem und Erfolg! Ein Tropfen auf den heißen Stein kann der Anfang eines Regens sein. Dass es so wird, liegt mit an uns!"
(Maulwurf Juni 1997)