Gewalt verhüten – Frieden fördern: Rot-grüne Beiträge zur zivilen Konfliktbearbeitung
Von: Webmaster amMi, 26 Juni 2002 07:39:41 +02:00Innerstaatliche Gewaltkonflikte und privatisierte Gewalt bedrohen zunehmend elementare Menschenrechte und die internationale Sicherheit. Immer wieder erwies sich die Internationale „Gemeinschaft" als unfähig, gewaltträchtigen Krisen rechtzeitig entgegenzuwirken bzw. sie wirksam einzudämmen.
Das lag nicht nur am Desinteresse der Weltöffentlichkeit und Internationalen „Gemeinschaft" gegenüber vielen dieser Konflikte, an der Inkohärenz ihrer Politik und an destruktiv wirkender Machtpolitik einzelner ihrer Mitglieder. Vielfach mangelte es auch an Fähigkeiten der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung über die Mittel der traditionellen Diplomatie und der eher langfristig wirkenden Entwicklungszusammenarbeit und globalen Umweltpolitik hinaus. Gegenüber den starken und schnell verfügbaren Kräften militärischer „Krisenreaktion" war die operative zivile Krisenprävention bisher höchst unterentwickelt.
Auf Initiative der Bündnisgrünen versprach der rot-grüne Koalitionsvertrag von 1998 den Aufbau einer Infrastruktur für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung. Das Auswärtige Amt (AA) und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) begannen sofort mit Umsetzungsschritten. Die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg machte das Vorhaben nicht zur Makulatur, im Gegenteil. Die Mängel der OSZE-Mission im Kosovo 1998/99 und bei der Friedenskonsolidierung seit Kriegsende machten den Nachholbedarf nur noch deutlicher, insbesondere hinsichtlich schnell verfügbarer ziviler und polizeilicher Experten. Darauf hatte Außenminister Joschka Fischer schon am 3.12.1998 vor dem OSZE-Ministerrat in Oslo aufmerksam gemacht, wo er den „Aufbau einer wirksamen Infrastruktur der OSZE zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung", die Schaffung eines OSZE-Ausbildungszentrums und die Weiterentwicklung des Instruments nicht-militärischer Polizeieinsätze gefordert hatte.
Der erstmals im Juni 2002 erschienene Bericht der Bundesregierung zur Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen im Jahr 2001, die aktuellen Berichte zur Menschenrechtspolitik und Entwicklungspolitik der Bundesregierung sowie der Jahresabrüstungsbericht 2001 geben einen umfassenden Überblick über deutsche Außenpolitik, die Friedenspolitik sein soll.
Maßnahmen auf nationaler Ebene
Der Bundessicherheitsrat beschloss im April 2000 ein „Gesamtkonzept Krisenprävention und Konfliktbeilegung". Beim Auswärtigen Amt wurde die Stelle eines Krisenbeauftragten sowie ein Krisenzentrum für akute Krisenlagen eingerichtet.
Die Entwicklungszusammenarbeit orientierte sich vermehrt auf Friedensentwicklung (Förderung von Friedensursachen). Die Dimension der Krisenprävention wurde in mehrfacher Hinsicht gestärkt. Sie wurde einbezogen in Länderkonzepte und Schwerpunktstrategien. (z.B. die Kaukasus- Initiative und das Zentralasien-Konzept des BMZ) Zur Konfliktsensibilisierung finden Qualifizierungskurse für Mitarbeiter verschiedener Bereiche statt. (Im Rahmen des Deutschen Entwicklungsdienstes/DED arbeiten ca. 2.000 MitarbeiterInnen in 46 Ländern, im Auftrag der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit/GTZ arbeiteten im Jahr 2001 1.443 MitarbeiterInnen in 126 Länder.)
Das BMZ fördert den Aufbau des Zivilen Friedensdienstes in der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit durch Mitfanzierung der Ausbildung Zivile Konfliktbearbeitung und Unterstützung von inzwischen 38 Projekte in 32 Ländern. Der ZFD ist ein Gemeinschaftswerk staatlicher Träger (DED) mit den fünf anerkannten Entwicklungsdiensten, dem Forum Ziviler Friedensdienst und der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden. Der ZFD soll
- Friedenspotenziale mit lokalen Partnern stärken,
- Bei Konflikten zwischen Angehörigen von Interessengruppen, Ethnien und Religionsgruppen vermitteln,
- Zu Versöhnung und Wiederaufbau beitragen.
Bis Anfang 2002 wurden 31 Mio. € für die mehrjährigen Einsätze von 121 Friedensfachkräften zur Verfügung gestellt. Inzwischen ist die zweijährige Aufbauphase abgeschlossen. Die Evaluierung ergab eine sehr positive Gesamtbewertung.
Bei der Studienreise „Friedensarbeit auf dem Balkan" im April 2002 wurden etliche Projekte des ZFD - wie auch vom AA geförderte - besucht.
(vgl. Reisebericht von W. Nachtwei, Mai 2002, http://www.nachtwei.de/; Projektübersicht vgl. www.bmz.de/medien/aktuell/friedensdienst/index.htm; Berichte der Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit den VN, S. 21 ff., und zur Entwicklungspolitik, S. 77 ff.)
Im August 2001 bildeten staatliche und nichtstaatliche Einrichtungen die „Gruppe Friedensentwicklung"/FriEnt in Bonn. Ihr Ziel ist, die Friedensförderung in der Entwicklungsarbeit zu unterstützen. Die GTZ richtete ein Sektorberatungsvorhaben Krisenprävention und Konfliktbearbeitung ein. Hier wird u.a. die rechtsstaatliche Reform des Sicherheitssektors unterstützt.
Seit Sommer 1999 führt das AA Kurse durch, in denen zivile Experten auf ihre Arbeit in internationalen Friedensmissionen von VN und OSZE vorbereitet werden. Inzwischen wurden die Kurse international geöffnet. Der Pool für ziviles Friedenspersonal umfasst bisher mehr als 700 Personen und wächst kontinuierlich. Um die Rekrutierung und Qualifizierung des Friedenspersonals zu verbessern, ihre Einsatzbegleitung und Nachbetreuung sowie die Evaluation von Friedenseinsätzen zu gewährleisten, wurde am 24. Juni 2002 das „Zentrum für Internationale Friedenseinsätze"/zif mit ca. 20 MitarbeiterInnen in Berlin eröffnet. Geschäftsführer ist Dr. Winrich Kühne, führender deutscher Experte in Fragen der VN und Friedensmissionen.
Die Bundesrepublik erhöhte ihren Personalanteil bei der OSZE von 8 auf 11,5% und stellt die Trainingskoordinatorin.
Ende Mai 2002 begann der Einsatz des bislang größten Einzelkontingents ziviler Fachkräfte, das die Bundesregierung bisher in eine Friedensmission entsandte: 23 Justizvollzugsbedienstete sollen im Kosovo den Aufbau eines sicheren Strafvollzugs unterstützen und die Führung des einzigen UN-Hochsicherheitstrakts übernehmen. Hierher sollen künftig Kriegs- und andere Schwerstverbrecher aus dem ganzen Kosovo verlegt werden.
Nichtmilitärische Polizeikräfte (CIVPOL) spielen bei internationalen Friedensmissionen in beratender, beobachtender und auch exekutiver Funktion eine immer bedeutendere Rolle. Die Bundesrepublik leistet dazu mit zurzeit ca. 550 BeamtInnen von BGS und Länderpolizeien auf dem Balkan einen quantitativ und qualitativ vorbildlichen Beitrag. Im Kosovo stellt Deutschland erstmalig den Leiter der UNMIK-Polizei. Bei der internationalen Hilfe zum Aufbau der afghanischen Polizei hat die Bundesrepublik die Führungsverantwortung übernommen und dafür 10 Mio. € zur Verfügung gestellt. Angesichts des EU-Beschlusses, bis 2003 5.000 Polizisten für Friedensmissionen zur Verfügung stellen zu können, bereiten Bund und Länder sich auf die Bereitstellung und Qualifizierung des deutschen 20%-Anteils vor.
Am 12. Oktober 2001 führte die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin eine Anhörung zur „Stärkung der zivilen Säulen internationaler Friedensmissionen" durch. Das Thema bekam nach dem 11. September, der den Blick auf die gefährlichen „ordnungslosen Räume" in der Welt gelenkt hatte, besondere Aktualität. Praktiker aus Friedensmissionen - UN- und OSZE-MitarbeiterInnen, Polizeibeamte, Militärs -, Friedensforscher und Außenpolitiker präsentierten eine umfassende Bestandsaufnahme und entwickelten konkrete Forderungen zur Effektivierung von Friedensmissionen.
(vgl. Tagungsdokumentation s.u.)
Seit 2000 fördert das AA mit einem um 20 Mio. DM erhöhten Etatansatz umfassend Maßnahmen der Krisenprävention und des Peacebuilding der VN, von Regionalorganisationen und erstmals auch von Nichtregierungsorganisationen. Die Projekte reichen von Menschenrechtsschutz in Kolumbien über Integrationsprozesse mit der russischen Minderheit im Baltikum und der Förderung von interethnischen Dialogprozessen bis zu Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogrammen. Nach dem 11. September erhielt ein vom Hamburger OSZE-Forschungsinstitut CORE Anfang 2001 mit Unterstützung des AA begonnenes Projekt besondere Aktualität: „Aufbau einer friedenserhaltenden Dialoglinie mit Vertretern des gemäßigten Flügels islamistischer Kräfte in Tadschikistan und Zentralasien". Das Projekt lief bisher außerordentlich erfolgreich und gilt als einzigartig.
Seit April 2001 unterstützt das Institut für Auslandsbeziehungen/ifa über sein Berliner zi-
vik-Büro das AA bei der Beratung von Nichtregierungsorganisationen, Projektbetreuung und Vernetzungsarbeit. (Projektübersicht vgl. VN-Bericht der Bundesregierung, S. 17 ff.)
Unter Federführung des Forschungsministeriums wurde im April 2001 die Deutsche Stiftung für Friedensforschung (DSF) mit Sitz in Osnabrück gegründet und damit die Bundesförderung einer unabhängigen Friedens- und Konfliktforschung wiederaufgenommen. Ihr Grundkapital beträgt 50 Mio. DM. Stiftungszweck ist, die „Friedensforschung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Bedeutung gemäß insbesondere in Deutschland dauerhaft zu stärken und zu ihrer politischen und finanziellen Unabhängigkeit beizutragen." (Satzung) Sie finanziert Forschungsprojekte, einen geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiengang, einen zweisemestrigen Postgraduierten Studiengang „Friedensforschung und Sicherheitspolitik" (15 Stipendien), sowie Promotionsstipendien (bis zu 10/ Jahr). Wahrscheinlich wird eine Stiftungsprofessur „Naturwissenschaften und Friedensforschung" eingerichtet. Erster Förderungsschwerpunkt ist der „Umgang mit friedensgefährdenden Konflikten"
Durch die Verlegung der Stiftung Wissenschaft und Politik/swp nach Berlin wurde die außen- und sicherheitspolitische Politikberatung verbessert.
Die Publikationen und Internetpräsenz zur Zivilen Konfliktbearbeitung vervielfachten sich nicht zuletzt dank neuer Aktivitäten und Fördermittel auf Bundesebene. Ein breiteres Publikum konnte damit aber bisher noch nicht erreicht werden.
Das Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw) in Geilenkirchen bei Aachen beherbergt eine weltweit hoch angesehene Abrüstungskompetenz. Sein Katalog „Rüstungskontrolle und Krisenprävention" umfasst detaillierte Vorschläge, wie verschiedene Mechanismen der bestehenden Rüstungskontrollregime zur Frühwarnung, Konfliktverhütung, Konfliktbewältigung und -nachsorge nutzbar gemacht werden könnten. Kooperative Beobachtungsflüge, wie sie beim Anfang 2002 in Kraft getretenen Vertrag über den Offenen Himmel eingeübt sind, können hervorragend zur Vertrauensbildung und kooperativer Sicherheit zwischen Konfliktparteien und zur Krisenvorbeugung beitragen.
Das ZVBw ist zusammen mit dem AA in der Abrüstungszusammenarbeit mit Russland engagiert: Die mit 40 Mio. € und technischem know-how aus Deutschland geförderte Pilotanlage zur Vernichtung von Chemiekampfstoffen in Gorny in Südrussland wird als erste Anlage dieser Art im Juli den Betrieb aufnehmen. Der Einstieg in die Vernichtung von insgesamt 40.000 to Chemiekampfstoffen ist ein wichtiger praktischer Beitrag zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
Am 6. Juni verabschiedete der Bundestag einen großer Antrag der Koalitionsfraktionen zur kooperativen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik - als konstruktive Alternative zum gegenwärtigen Aufrüstungskurs der USA. (BT-Drs. 14/9241)
Am 25. April 2002 beschloss der Bundestag Gesetze zu einem Völkerstrafgesetzbuch und zur Zusammenarbeit mit dem neuen Internationalen Strafgerichtshof, der am 1. Juli 2002 seine Arbeit aufnimmt. Zusammen mit den europäischen Staaten gehört die Bundesrepublik seit langem zu den führenden Baumeistern dieser zentralen Säule einer globalen Rechtsordnung - im Gegensatz zu den USA, die sich nicht am ISGH beteiligen wollen.
Öl ist der Lebenssaft von Industriegesellschaften. Strategische Ölinteressen prägen die Außenpolitik vieler Staaten. Konflikte um`s Öl sind eine zentrale Kriegsursache.
Die Bundesrepublik startete unter Rot-Grün die Wende weg von atomaren und fossilen hin zu erneuerbaren Energien. Durch die weltweit einmalige Förderung von erneuerbaren Energien und Energieeffizienz nimmt Deutschland inzwischen ökologisch und ökonomisch einen Spitzenplatz ein. Damit wird mittelfristig unsere Abhängigkeit von fossilen Energien entscheidend verringert. Bisher wird noch viel zu wenig wahrgenommen, wie zentral das ist zur Reduzierung von Kriegsursachen. Energiewende ist strategische Friedenspolitik!
Internationale Ebene
Die nationalen Maßnahmen würden wirkungslos versickern, wenn sie nicht einhergingen mit Bemühungen auf multilateraler Ebene, die Fähigkeiten der Gewalt- und Krisenprävention zu stärken. Zusammen mit den skandinavischen Ländern gehört hier die Bundesrepublik zu den treibenden Kräften.
Auf internationaler Ebene ist Krisen- und Gewaltprävention inzwischen zu einem Top-Thema avanciert und steht nun auch vorne auf der Agenda von EU, G-8 und NATO.
Die OSZE beschloss im Juni 2000 das REACT-Programm (Rapid Expert Assistance and Cooperation Teams) zur kurzfristigen Mobilisierung von zivilen Fachleuten für OSZE-Missionen. Das AA finanziert das vom neuen OSZE-Institut CORE in Hamburg herausgegebene OSZE-Jahrbuch.
Am deutlichsten sind die Fortschritte im Rahmen der Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, auch wenn das Hauptaugenmerk von Politik und Öffentlichkeit auf der geplanten Eingreiftruppe liegt. Der EU-Gipfel von Helsinki beschloss im Dezember 1999, einen Mechanismus nichtmilitärischer Krisenbewältigung aufzubauen. Eine Bestandsaufnahme der bestehenden EU-Instrumente zur nichtmilitärischen Krisenbewältigung zeigte, dass die Zivil- und Wirtschaftsmacht EU schon längst über vielfältige Fähigkeiten verfügt, die nur viel besser zur Geltung gebracht und ergänzt werden müssen.
Erste Planziele wurden beschlossen für internationale nichtmilitärische Polizeieinsätze. (s.o.) Weitere in 2003 zu erreichende Planziele sind inzwischen aufgestellt für die Bereitstellung von Fachpersonal zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit (200), der Zivilverwaltung (Pool) und des Katastrophenschutzes (2.000). Für Kriseneinsätze stehen schnell abrufbare Haushaltsmittel zur Verfügung. Auf Initiative der schwedischen Präsidentschaft billigte der EU-Gipfel in Göteborg ein säulenübergreifendes EU Programm „zur Verhinderung gewaltsamer Konflikte", in dem der Krisenfrüherkennung und gemeinsamen Übungen von Kriseneinsätzen besondere Bedeutung beigemessen wird.
Entgegen anderslautenden Erwartungen werden die Instrumente nichtmilitärischer Krisenbewältigung eher einsatzbereit sein als die militärischen Kräfte der EU.
Die verstärkten Bemühungen um eine kohärente Krisenprävention der EU zeigen sich deutlich im Stabilitätspakt und im aktuellen EU-Krisenmanagement zu Mazedonien. Der vom deutschen Außenministerium angestoßene Stabilitätspakt ist mit seinem mehrdimensionalen, regionalen und kooperativen Ansatz ein vorbildliches Präventionsprogramm. Mazedonien wäre spätestens im Sommer 2001 im Bürgerkrieg explodiert, wenn es nicht das relativ frühe, kohärente und energische Eingreifen der Staatengemeinschaft unter Federführung der EU und mit Unterstützung von NATO und OSZE gegeben hätte. (Davor war die Gewalteindämmung im südserbischen Presevotal gelungen.) An Mazedonien wird zugleich deutlich, wie komplex und langwierig multilaterale Krisenbewältigung schon bei relativ kleinräumigen Konflikten ist und dass es dabei keine Erfolgsgarantie gibt.
Bewaffnete Konflikte heute werden überwiegend mit Kleinwaffen und leichten Kriegswaffen ausgetragen. Gewaltunternehmer mit Verbindungen in die globale kriminelle Ökonomie werden zu zentralen Akteuren der „Neuen Kriege", die Staatlichkeit zersetzen und in denen vor allem die Zivilbevölkerung zur Zielscheibe wird. Zur Eindämmung dieser Kriegsseuche und Austrocknung der Kriegsökonomien ist die internationale Bekämpfung der Kleinwaffenflut, des Drogen- und Menschenhandels sowie der Geldwäsche von zentraler Bedeutung. Die EU beschloss 1998 auf deutsche Initiative eine „Gemeinsame Aktion zur Bekämpfung der destabilisierenden Anhäufung und Verbreitung von Kleinwaffen und leichten Waffen". Bisher trat die EU geschlossen und als treibende Kraft auf. Die erste UN-Kleinwaffenkon-ferenz im Juli 2001 in New York brachte allerdings nicht die notwendigen Fortschritte.
Im Rahmen des Stabilitätspaktes konnten mit Unterstützung der Bundesrepublik, Norwegens und den USA 2001 in Albanien insgesamt 100.000 Kleinwaffen zerstört werden.
Die G 8 als Zusammenschluss der größten Industriestaaten haben seit dem Berliner Außenministertreffen 1999 den illegalen Diamantenhandels auf ihrer Tagesordnung.
Wichtigstes Gremium der internationalen Zusammenarbeit gegen die Geldwäsche ist die vom G7-Gipfel 1989 gegründete Financial Action Task Force (FATF). Ihre „Vierzig Empfehlungen" sind der weitest entwickelte Standard der Geldwäschebekämpfung, deren Stand laufend überprüft wird. In jüngster Zeit werden zunehmend nicht-kooperierende Staaten und Justizbehörden beobachtet.
Das Jahr 2000 markiert einen Durchbruch beim Aufbau von Fähigkeiten nichtmilitärischer Gewalt- und Krisenprävention auf nationaler und internationaler Ebene. Die bisher eingeleiteten Maßnahmen und die dafür eingesetzten Finanzmittel sind ein guter Start und haben die Fähigkeit der Bundesrepublik, zur internationalen Krisenbewältigung beizutragen, deutlich verbessert.
Um aber den Rückstand gegenüber den Fähigkeiten militärischer Krisenbewältigung aufzuholen und eine wirksame Krisenprävention aufzubauen, sind allerdings erhebliche weitere Anstrengungen und steigende Aufwendungen unabdingbar. Bei aller Zustimmung zu einer Politik der Krisenprävention fehlt es noch vielfach an der Einsicht, dass hierfür spezifische und vielfältige Fähigkeiten aufgebaut, ausgestattet und angemessen eingesetzt werden müssen. Die traditionelle friedens- und sicherheitspolitische Engstirnigkeit ist noch keineswegs überwunden - das gilt für die Politik, die Öffentlichkeit und antimilitaristische Gruppen gleichermaßen.
Notwendige nächste Schritte sind:
- Aufbau angemessener und integrierter Analyse- und Frühwarnungskapazitäten auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene. Das setzt eine bessere Personalausstattung des Auswärtigen Amtes wie eine Aufstockung der Fördermittel für Friedensforschung voraus.
- Förderung der Bereitschaft und Fähigkeiten zur Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen und Friedensarbeit durch Studien- und Ausbildungsgänge, Attraktivitätssteigerungen, Einsatzbegleitung und Wiedereingliederungshilfen.
- Förderung der schnellen Verfügbarkeit von Friedenspersonal durch Freistellungsregelungen mit öffentlichen und privaten Arbeitgebern. . Nutzung des Potentials von frühpensionierten Bundeswehroffizieren mit Peacekeepingerfahrung. (ab 2002 600/Jahr)
- Stärkung von Kooperationsfähigkeit und Integration bei allen Kräften, die zur Friedenssicherung und Gewaltprävention beitragen sollen.
- Um den zugesagten deutschen Beitrag von bis zu 1.000 Beamten zu internationalen Polizeimissionen erfüllen und über längere Zeiträume durchhalten zu können (Rotationsfaktor 2 bis 3, also bis zu 3.000 Beamte), ist eine Personalaufstockung bei Bund und Ländern unumgänglich. Das muss einher gehen mit einer Weiterentwicklung ihrer Ausbildung.
- Damit der Zivile Friedensdienst über die Graswurzelebene hinaus stärker regional wirksam werden kann, sollte in den nächsten vier Jahren das Potenzial an Friedensfachkräften von 100 auf 500 gesteigert werden. Das muss einhergehen mit einer schrittweisen Steigerung der Projektförderung. (Größenordnung 50 Mio. €)
- Umsetzung des Vorschlags des Europäischen Parlaments zum Aufbau eines European Civil Peace Corps.
- Maßnahmen gegen Gewalt- und Kriegsökonomien, der Entwaffnung, Demobilisierung, Integration und Konversion müssen einen erheblich höheren Stellenwert bekommen und enger in krisenpräventive Ansätze einbezogen werden.
- Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung brauchen Öffentlichkeit, Lobby und vor allem Freiwillige, sind aber medial besonders schwer vermittelbar. Umso wichtiger ist, sie mit professionellen Methoden bekannt und verständlich zu machen und so zu einer „Alphabetisierung" in Ziviler Konfliktbearbeitung beizutragen.
- In einem „Aktionsplan Krisenprävention" sind die entsprechenden Aufgabenfelder und die dafür notwendigen Fähigkeiten (mit Planzielen) festzulegen - zum Beispiel die Fähigkeit von BMZ/GTZ, fünf Demobilisierungsaktionen gleichzeitig durchführen zu können.
Außenpolitik, die ihre gewachsene Verantwortung und ihren Anspruch von Friedenspolitik auch in der Praxis bestmöglich einlösen will, braucht neue und erweiterte zivile Fähigkeiten. Verglichen mit einer enorm kostspieligen militärfixierten Sicherheitspolitik sind die dafür notwendigen Friedensinvestitionen ausnehmend preisgünstig und erfolgversprechend.
Weitere Informationen:
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Hrg.): Gewaltvorbeugung konkret, März 2001; Wer den Frieden will, bereite den Frieden vor. Dokumentation der Fachtagung zur Stärkung der zivilen Säulen internationaler Friedensmissionen, Dezember 2001; http://www.nachtwei.de/; winfried.nachtwei@bundestag.de
Berichte der Bundesregierung (a) zur Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinten Nationen, BT-Drs.14/9466; (b) ... über ihre Menschenrechtspolitik, BT-Drs. 14/9323; (c) ... zur Entwicklungspolitik, BT-Drs. 14/6496; (d) ...zum Stand der Bemühungen um Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung, BT-Drs. 14/8941; http://www.bundestag.de/
Nachbemerkungen:
Anforderungen an wirksame Krisenprävention
Ziel der Krisenprävention und Zivilen Konfliktbearbeitung ist selbstverständlich nicht die Konfliktvermeidung, sondern die zivile und gewaltfreie Austragung von Konflikten.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Vorbeugen ist besser als Schießen: es erspart unendliches Leid, ist billiger und einfach vernünftiger.
Der Präventionsbegriff hat in der internationalen Politik verstärkt seit dem Kosovo-Krieg Hochkonjunktur. Das heißt aber keineswegs, dass das Rad neu erfunden werden müsste. Krisenprävention und friedliche Konfliktregelung gehören auf verschiedenen Ebenen schon lange zum Alltagsgeschäft von Politik: durch Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Verrechtlichung der internationalen Politik, durch europäische Integration und wirtschaftliche Verflechtung, durch militärische Integration (Einbindungsfunktion der NATO) und Kooperation, durch eine Politik der guten Nachbarschaft jenseits des europäischen Integrationsraumes, durch Diplomatie, durch kooperative Rüstungskontrolle und Abrüstung, durch das segensreiche Wirken von OSZE-Missionen, durch Menschenrechtspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, globalen Klima- und Ressourcenschutz, Armutsbekämpfung und Demokratieförderung.
Zugleich stellt sich Krisenprävention neu: Die Vielzahl innerstaatlicher Gewaltkonflikte, privatisierter Gewalt und zerfallender Staatlichkeit erfordern neue Antworten und Fähigkeiten der Gewalteindämmung und -verhütung. Mit Ende des Ost-West-Konflikts und seiner Blockaden eröffneten sich der Internationalen Gemeinschaft neben neuen Risiken auch ganz andere Handlungsmöglichkeiten. Die umfassenden Erfahrungen der Vereinten Nationen mit internationaler Friedenssicherung in den 90er Jahren rufen nach Konsequenzen und Umsetzung.
(vgl. Brahimi-Report)
Krisenprävention fängt zuhause an: im Umgang mit Minderheiten, Demokratiewirklichkeit, Kultur der Gewaltfreiheit, den eigenen Beiträgen zu Kriegs- und Friedensursachen. Die Konfliktparteien selbst tragen die Hauptverantwortung für die Konfliktlösung. Dritte Parteien können nur unterstützend wirken, Frieden kann nicht exportiert oder gar erzwungen, er kann nur gefördert werden.
Die Hoffnung auf einfache und schnelle Lösungen ist latent und wird von einer hektischen Medienwelt geschürt. Wie die einen vom Militär erwarten, es könne einen Konfliktknoten durchhauen, erwarten andere, per ziviler Krisenprävention, gar nur eines ihrer Instrumente könne ein Konfliktknoten wie ein Schnürsenkel aufgezogen werden. Das ist eine Illusion. Gegenüber komplexen Konflikten mit ihren vielen Akteuren gibt es kein Allheilmittel, kein Patentrezept und keinen Generalschlüssel.
Manche Konflikte sind kulturell so fern, so hoch eskaliert und verselbständigt oder von einer Staatsmacht so abgeschirmt, dass sie von außen kaum bzw. nur mit umfassendstem internationalem Engagement zu beeinflussen sind. In technikgeprägten Gesellschaften erscheint vieles bis alles machbar. Im Hinblick auf gesellschaftliche Konflikte sind Allmachtsphantasien fehl am Platz.
Zugleich aber ist Krisen- und Gewaltprävention viel erfolgreicher als gemeinhin bewusst und bekannt: Die europäische Integration auf dem Kontinent der Kriege, das System der Vereinten Nationen, die Konfliktverhütungen durch OSZE-Missionen sind nur die prominenteren von vielen Beispielen.
Chance auf Wirkung und Erfolg hat Krisen- und Gewaltprävention - auch als Konfliktnachsorge - nur unter folgenden Bedingungen:
Sie muss frühzeitig ansetzen und darf nicht auf den CNN-Faktor warten. Die übliche Kluft zwischen early warning und early action muss reduziert werden. Die fachliche Expertise und gewachsene Erfahrung muss Zugang zu den Entscheidungsebenen finden, ihre verbreitete Beratungsresistenz überwunden werden. Politik muss aktiv werden, bevor sie dazu gezwungen wird, ehe es „zu spät" ist, teuer und blutig wird.
Sie muss multilateral zu kohärentem Wollen und Handeln kommen. Sie braucht Strategie und Koordination und Kooperation zwischen internationalen und einheimischen, staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren. Fixierungen auf nationale oder Organisationsinteressen und mangelnde Kooperationsfähigkeit behindern immer wieder den notwendigen gemeinsamen Ansatz. Die Vielfalt von Optionen und die Eigenständigkeit von Akteuren darf zugleich nicht einem falschen Koordinationsmythos zum Opfer fallen.
Sie muss multidimensional sein, also verschiedene Politikfelder einbeziehen. Eindimensionale Ansätze sind in der Regel zum Scheitern verurteilt.
Sie braucht einen ausgewogenen Mix an Fähigkeiten und Instrumenten für kurz-, mittel- und langfristige Prävention, angemessene personelle und finanzielle Ressourcen und Professionalität.
Sie braucht ein Bewusstsein der unterschiedlichen Reichweiten und Wirksamkeiten ihrer Instrumente in unterschiedlichen Konfliktphasen: vom akuten Krisenmanagement über Multiplikatorenarbeit bis zu Verständigungsprojekten auf Graswurzelebene, von ökonomischen und militärischen Zwangsmitteln bis zum Aufbau zivilgesellschaftlicher Strukturen.
Die Frage von nichtmilitärischen und militärischen Mitteln kann nach aller Erfahrung mit internationaler Krisenbewältigung nicht prinzipiell und alternativ entschieden werden. Ausgehend vom grundsätzlichen Vorrang ziviler Mittel geht es um den Einsatz sich ergänzender (komplementärer) Mittel.
In Post-Conflict-Gesellschaften ist die Aufarbeitung von Opfererfahrungen und die Ahndung schwerer Verbrechen entscheidend für die Überwindung von Verfeindungen und eine gesellschaftliche Befriedung.
Wirksame Krisenprävention und Friedenskonsolidierung braucht vor allem Zeit und langen Atem. Einstellungswandel erfordert Generationenarbeit.
Grundsätzlich sind zwei Dimensionen der Krisenprävention zu unterscheiden:
- die strukturbezogene, die längerfristig strukturelle Gewaltursachen abbauen soll,
- die prozess- bzw. spannungsbezogene oder operative, die kurzfristig eine direkte Gewalteskalation verhindern soll.
Dabei geht es jeweils um die Reduzierung von Gewaltbereitschaft und -fähigkeit einerseits und die Förderung von Friedensbereitschaft und Friedensallianzen andererseits.
Bisher setzte Zivile Konfliktbearbeitung überwiegend bei Gewaltopfern und verständigungsbereiten, aber kaum bei gewaltbereiten Kräften an. Ein besonders schwieriger Punkt ist, wie die ungeheure Eigendynamik von Konflikteskalationen gebremst werden kann.
Ein strukturelles Handicap von Krisenprävention und Ziviler Konfliktbearbeitung ist ihre mangelnde Sichtbarkeit: Sie wird praktiziert in langwierigen Prozessen oft hinter den Kulissen, ihre Erfolge - der verhinderte Kriegsbrand - sind nicht sichtbar und auch selten streng beweisbar. Ihre Komplexität verhindert einfache und spektakuläre Botschaften. Streit, Gewalt, Krieg sind spannend, haben Nachrichten- und Unterhaltungswert, weniger ihre Verhütung und Eindämmung. Im krassen Unterschied dazu kann Militär ein Ausmaß an Stärke und Konfliktlösungskompetenz demonstrieren, das es in der Regel gar nicht einhalten kann.
Die Folgen davon sind die notorische Unterschätzung und Unterausstattung der zivilen Säulen von Krisenprävention und die Überschätzung und Bevorzugung des Militärischen.
Krisenprävention darf nicht auf öffentlichen Druck warten und kann nicht öffentliche „Dankbarkeit" erwarten. Umso mehr ist Politik hier in der Verantwortung.