"Tagesordnungspunkt ´Zivile Konfliktbearbeitung`" - Christian Egberings Analyse von Bundestagsreden zur ZKB, mit einem Geleitwort von W. Nachtwei
Von: Nachtwei amSa, 25 August 2012 19:26:27 +02:00Angelehnt an den Diskursbegriff des Sozialphilosophen Michel Foucault analysiert Christan Egbering Bundestagsreden über Zivile Konfliktbearbeitung zwischen Anfang 1997 bis Ende 2009. Wie ich sonst recht häufig für Hintergrund- und "Zeitzeugen"-Interviews junger WissenschaftlerInnen zur Verfügung stehe (vorzugsweise in der Berliner "Eins" im ARD-Hauptstadtstudio), schrieb ich jetzt gern ein Geleitwort. Hier der Link zur Verlagsankündigung und Auszüge aus dem Geleitwort.
Christian Egbering: Tagesordnungspunkt „Zivile Konfliktbearbeitung" - Eine Diskursanalyse anhand von Reden im Deutschen Bundestag, 240 S., von Bockel Verlag Neumünster, August 2012
www.bockelverlag.de/Einzeltitel/Christian-Egbering-Zivile-Konfliktbearbeitung.html
Auszüge aus dem Geleitwort von Winfried Nachtwei
Den Tagesordnungspunkt „Zivile Konfliktbearbeitung" habe ich als Abgeordneter im Plenum des Bundestages von 1995 bis 2009 fast immer miterlebt und auch mitgestaltet. Nüchtern ist zu konstatieren: Über den Kreis der beteiligten Abgeordneten hinaus fand dieser Tagesordnungspunkt unter Parlamentariern lange Zeit minimale Aufmerksamkeit. In den Medien war eine Resonanz über weite Strecken nicht erkennbar. Trotzdem entwickelte sich Zivile Konfliktbearbeitung im Laufe der Jahre zu einem zentralen Ansatz einer (deutschen) Außen- und Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik sein will.
Von daher bin ich Christian Egbering ausdrücklich dankbar dafür, dass er den Blick auf den Tagesordnungspunkt (TOP) „Zivile Konfliktbearbeitung" lenkt und den Parlamentsdiskurs dazu einer wissenschaftlichen Analyse unterzieht.
Der Autor entwickelt seine Analyse aus den diskurstheoretischen Überlegungen des Sozialphilosophen Michel Foucault. Für nicht in der Diskurstheorie beheimatete Leser wie mich ist das ein schwieriger und herausfordernder Pfad. Ihm zu folgen, ist nichts desto weniger lohnend. Er überschreitet die Begrenzungen parlamentarischer Debattenpraxis, wo Selbstbestätigungen dominieren und für Selbstreflexion meist wenig Zeit und Bereitschaft bleibt. Der Autor hinterfragt Politik an einem ihrer zentralen Orte hinsichtlich ihrer Normalitäten und Selbstverständlichkeiten. Damit leistet er keine Politikberatung im langläufigen Sinn. Aber er gibt belebende Anstöße dort, wo Denkoffenheit besteht.
(...)
Christian Egbering fokussiert seine Analyse auf dreizehn Plenardebatten des Bundestages in der 13. bis zu Beginn der 17. Legislaturperiode. In diesen Debatten zwischen dem 16.1.1997 und dem 17.12.2009 wurde Zivile Konfliktbearbeitung sehr unterschiedlich intensiv behandelt: Überwiegend als ein Unterthema von Entwicklungs-, Afrika- und Menschenrechtspolitik, des öfteren im Kontext von Auslandseinsätzen, nur fünfmal als primäres Thema auf Grundlage von Anträgen (2000/2001, 2002, 2009) bzw. des ersten Umsetzungsberichts der Bundesregierung zum Aktionsplan „Zivile Krisenprävention" (2006). In der 15. Legislaturperiode (2002-2005) tauchte Zivile Konfliktbearbeitung als explizites Thema nur in einer (!) Bundestagsdebatte auf. Sogar der 2004 vom Bundeskabinett beschlossene Aktionsplan erlebte keine Plenardebatte. Ausschlaggebend dafür war, dass die wenigen auf diesem Feld engagierten Abgeordneten immer stärker durch den Afghanistaneinsatz absorbiert waren.
Seit Mitte der 90er Jahre machte der parlamentarische Diskurs der Zivilen Konfliktbearbeitung mehrere Phasen durch: In der 13. Legislaturperiode blieben erste Initiativen der oppositionellen SPD und Grünen ohne Erfolg. In der 14. Legislaturperiode übernahm die rot-grüne Koalition ab 1998 Zivile Konfliktbearbeitung in ihr Regierungsprogramm, von der Opposition zunächst mit Spott (FDP) bzw. Distanz (Union) begleitet. Unter der nachfolgenden Großen und schwarz-gelben Koalition blieben die neuen Instrumente Ziviler Konfliktbearbeitung aber unangetastet. Die Leistungen des ZIF, des ZFD, des ZIVIK-Programms, der Deutschen Stiftung Friedensforschung und von FriEnt waren unübersehbar. Mit Gründung des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention und Vernetzte Sicherheit" 2010 erlebte das Politikfeld im Bundestag schließlich einen neuen Schub.
Der Autor identifiziert den Diskurs der Zivilen Konfliktbearbeitung als Teil eines umfassenderen Diskurses um (internationale) Konfliktbearbeitung im Allgemeinen.
Im Ringen der Parlamentarier um „angemessene" und „verantwortliche" Wege der Konfliktbearbeitung erkennt er fünf Aussagen:
-Â Â Â Â Â Â Â Â die konfliktangemessenen Mittel
-Â Â Â Â Â Â Â Â die angemessene Verteilung von Finanzmitteln
-Â Â Â Â Â Â Â Â die politische Verantwortung zu handeln
-        das Verhältnis von Ziviler Konfliktbearbeitung und militärischem Vorgehen
-Â Â Â Â Â Â Â Â die friedenspolitische Ausgestaltung Ziviler Konfliktbearbeitung.
(...)
Einen neuen Schub bekam der TOP Zivile Konfliktbearbeitung im Bundestag mit der 17. Legislaturperiode. Angeregt durch ein Memorandum von Friedensforschern zur Bundestagswahl 2009 und beantragt von den Grünen etablierte der Auswärtige Ausschuss einen neuen Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und Vernetzte Sicherheit". Unter dem Vorsitz des engagierten FDP-Abgeordneten Joachim Spatz und Kerstin Müller (Grüne) als seiner Stellvertreterin wird nun das Themenfeld kontinuierlich und mit Tiefe bearbeitet. In seinen ersten zwei Jahren tagte der Unterausschuss über zwanzigmal. Wie kein anderer Ausschuss auf dem Feld der internationalen Beziehungen öffnete der Ausschuss seine Türen für öffentliche Anhörungen und Expertengespräche. Die knapp zehn Veranstaltungen (darunter zwei zu „Erfahrungen und Perspektiven der zivilen Krisenprävention" mit zwölf ExpertInnen) förderten den Austausch mit der Fachöffentlichkeit. Der im Februar 2012 vorgelegte Zwischenbericht des Unterausschusses formuliert Empfehlungen, die einen nie dagewesenen interfraktionellen Konsens markieren. Die „Plattform Zivile Konfliktbearbeitung" nahm im März kritisch-konstruktiv dazu Stellung. Diese Art von kontinuierlichem Dialog zwischen Parlamentariern, zivilgesellschaftlichen Akteuren und Fachöffentlichkeit ist ein Unikat und beispielhaft.
Ich danke Christian Egbering für seine Anstrengung um den Parlamentsdiskurs der Zivilen Konfliktbearbeitung. Ich wünsche ihm nicht nur interessierte LeserInnen, sondern auch KollegInnen, die seinen Forscherball aufnehmen.
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