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Zivile Konfliktbearbeitung und Friedensförderung

+ Bericht von Winfried Nachtwei
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Viel beschworen, wenig bekannt: Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung + Friedenskonsolidierung, Teil 2

Veröffentlicht von: Webmaster am 6. März 2008 13:20:53 +02:00 (73151 Aufrufe)

(10) ZKB auf globaler + UN-Ebene:

(Eine hilfreiche interaktive Präsentation zum unübersichtlichen UN-System ist auf der Internetseite der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen zu finden. http://www.dgvn.de/)

(a) 2. Bericht des VN-Generalsekretärs Kofi Annan „Fortschrittsbericht über die Verhütung bewaffneter Konflikte" vom 8.7.2006:

Er stellt fest, dass in den VN eine Kultur der Prävention Fuß zu fassen beginne. Es gebe einige Anzeichen, dass die Zahl und Schwere bewaffneter Konflikte weltweit rückläufig sei und dass dies „zu großen Teilen auf stark angestiegenen internationalen Aktivismus auf dem Gebiet der Konfliktprävention, der Friedenssicherung und der Friedenskonsolidierung zurückzuführen ist". Manche Mitgliedsstaaten hätten damit begonnen, sich mit dem unverzichtbaren Konzept nationaler Friedensinfrastruktur zu beschäftigen. Das System der UN habe wichtige Instrumente und Mechanismen für die Zusammenarbeit bei der Konfliktprävention entwickelt. Nach wie vor bestehe „im Bereich der Konfliktprävention aber eine nicht hinnehmbare Kluft zwischen Worten und Taten. (...) Nur zu oft wendet die internationale Gemeinschaft enorme Summen dafür auf, Brände zu löschen, die wir rückblickend leichter durch rechtzeitige Präventivmaßnahmen hätten verhindern können, bevor das Leben so vieler Menschen verloren oder auf den Kopf gestellt wurde."

Der Bericht beinhaltet: systemische, länderspezifisch strukturelle und operative Maßnahmen zur Behebung von Spannungsursachen; Maßnahmen dieser drei Ebenen zur Stärkung friedensfördernder Normen und Institutionen; Mechanismen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten; Empfehlungen; Überprüfung zur Konfliktpräventionskapazität der UN.

Seit 2004 koordinierte der dt. Diplomat Dr. Detlev Wolter mehrere Jahre zusammen mit der Schweiz den „Freundeskreis für Krisenprävention" in der UN. (D. Wolter: „A United Nations for the 21st Century: From Reaction to Prevention", Nomos-Verlag 2007)

(b) Stärkung der UN-Fähigkeiten zur politischen Konfliktlösung durch das Department of Political Affairs/DPA): präventive Diplomatie und Gute Dienste (z.B. die zzt. 60 Sondergesandten). Bisher sind in den vier Regionalabteilungen des DPA etwa 50 Personen für 192 Länder zuständig! Jetzt soll die insgesamt 320 Personen umfassende DPA um 90 Personen aufgestockt werden. Die Ende 2005 von der UN-Generalversammlung beschlossene Peacebuilding Commission soll in Post-Conflict-Regionen die Bemühungen zur Friedenskonsolidierung unterstützen und stärken. Zzt. konzentriert sich die PBC auf Burundi und Sierra Leone.

(c)The Global Partnership for the Prevention of Armed Conflict (GPPAC) wurde 2003 in Reaktion auf den Kofi Annans Bericht „Prevention of Armed Conflict" von 2001 gegründet. Sie ist ein weltweites zivilgesellschaftliches Netzwerk für einen neuen internationalen Konsens über Peacebuilding und die Vorbeugung gewaltsamer Konflikte. Mehr als 1.000 Civil Society Organizations nahmen an dem GPPAC-Prozess zur Erarbeitung der „People Building Peace: A Global Action Agenda for the Prevention of Violent Conflict" beteiligt. Das Schlussdokument wurde auf der Weltkonferenz der GPPAC im Juli 2005 in den VN in New York verabschiedet. Die Konferenz wurde maßgeblich von der rotgrünen Bundesregierung mitfinanziert und politisch unterstützt.

GPPAC legte 2006 zusammen mit Nuclear Age Peace Foundation und World Federalist Movement den umfassenden Vorschlag zu einem „United Nations Emergency Peace Service to Prevent Genocide and Crimes Against Humanity" vor. Ausgehend von der Responsibility to Protect soll UNEPS ein stehender Peacekeeping-Verband der VN mit 12.-15.000 Personen zur Verhütung von Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Die Mitglieder des US-Repräsentantenhauses Albert Wynn (Dem) und James Walsh (Rep) haben dazu eine Resolution eingebracht. Eine internationale Koalition von 35 Organisationen, darunter Human Rights Watch, unterstützt UNEPS.

(d) Das EastWest Institute in Brüssel betreibt seit 2006 ein Conflict Prevention Program, das von dem deutschen Diplomaten und ehemaligen AA-Krisenbeauftragten Ortwin Hennig geleitet und von der Schweizer und der deutschen Regierung gefördert wird. „Preventive Diplomacy has become an imperative for the international community: prevention of conflicts, stability and peace is a moral imperative, an economic necessity, a humanitarian must, and a political obligation. Preventive diplomacy is difficult, but it is possible. And it is timely: Iran, Iraq, Afghanistan, Lebanon show there are no military solutions to conflict." Im Frühjahr 2007 wurde eine "International Task Force on Preventive Diplomacy", ins Leben gerufen, der 17 renommierte Persönlichkeiten u.a. aus Südafrika, Israel, Palästina, Großbritannien, El Salvador, Schweiz, Deutschland, USA, Iran, Russland, Indien, China angehören. Zum High Level Advisoy Board gehören Martti Ahtisaari (Ex-Präsident von Finnland), Sadig Al-Mahdi (Ex-Premierminister des Sudan), Kim Campbell (Präsident der Int. Crisis Group, Ex-Außenminister von Australien) und andere führende Diplomaten. Im Dezember 2007 beschloss die Task Force die Erklärung „Making Conflict Prevention Real". (http://www.ewipriventivediplomacy.org/) Geplant ist der Aufbau eines „International Panel" sowie eines „Parlamentarians Network" on/for „Conflict Prevention and Human Security".

(Das EW Institute ist eine NGO mit Zugang in höchste Regierungskreise weltweit und erfahren darin, Dialogprozesse dort zwischen Regierungen zu ermöglichen, wo offizielle Kanäle nicht funktionieren.)

(11) Schlüsselprobleme und notwendige nächste Schritte:

  • Statt der sich anbahnenden Schwächung des institutionellen Fundaments der ZKB Wiederbelebung des politischen Willens zur Stärkung der ZKB durch parlamentarische Initiativen im Umfeld des 2. Umsetzungsberichts. (Frühsommer 2008)
  • Konzeptionelle Klärung: Entwicklung einer integrierten Friedens- und Sicherheitsstrategie mit dem Primat der zivilen Krisen- und Gewaltvorbeugung. Bisher stehen Aktionsplan Krisenprävention und sicherheitspolitisches Weißbuch ungeklärt nebeneinander. Im Aktionsplan muss über den Umsetzungsbericht die bisher vernachlässigte Menschenrechtsperspektive deutlich verankert werden. Neben der zzt. dominierenden Friedenskonsolidierung muss die Primärprävention wieder mehr Beachtung finden.
  • Effektive Krisenprävention braucht kohärente politische Führung, entsprechende ressortübergreifende Strukturen und Kapazitäten. Das fängt an bei einem Informationsnetzwerk, das benutzerorientiert, inklusiv und integrierend sein muss. Erwägenswert sind ressortübergreifende, integrierte Task Groups zu komplexen Konfliktregionen wie Afghanistan, Sudan und Umfeld. Der Ressortkreis Krisenprävention braucht Steuerungskompetenz und Zugang zur höchsten politischen Ebene, eine ausreichende Personalausstattung und eigene Haushaltsmittel. Hier kann von Großbritannien, Kanada u.a. gelernt werden. Ein Ressourcenpool mit dem Zwang zu gemeinsamer Mittelverwendung kann einen heilsamen Druck für mehr Kohärenz entfalten. (Dem steht nicht das Haushaltsrecht, sondern nur der fehlende politische Wille entgegen.)
  • Die Infrastruktur ZKB muss finanziell und personell deutlich verstärkt werden. Notwendig ist nicht nur eine verbesserte Verfügbarkeit von zivilem Fachpersonal, sondern auch ein Potenzial „stehender Kräfte". Ohne diese sind weder der notwendige Austausch mit anderen Akteuren noch schnelle Reaktionen möglich. Das gilt insbesondere auch für die zivilgesellschaftlichen Akteure, die in der Friedensarbeit schon immer viel weniger Eigenmittel aus Beiträgen und Spenden zur Verfügung haben als Menschenrechts-, Hilfs- oder Umweltorganisationen. Der ZFD muss in wenigen Jahren auf 500 Friedensfachkräfte in Krisenregionen aufwachsen.
  • Umfassende Mandate: Angesichts des notorischen Rückstandes von zivilen gegenüber militärischen Fähigkeiten bei deutschen Beteiligungen an multilateralen Krisenengagements sollten die zivilen Fähigkeiten bei Mandatsentscheidungen zu Auslandseinsätzen mit beschlossen werden. Anders ist die Schräglage offenbar nicht zu knacken. (Erweiterung der Parlamentsbeteiligung)
  • Kooperations- und Kohärenzförderung: Zu klären ist das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Akteuren, von divergierenden und übereinstimmenden Zielen, von unterschiedlichen Organisationskulturen. Durch Vernetzungen der Ausbildung kann mittelfristig wenigstens „von unten" ein Ressortdenken reduziert werden, das von oben unantastbar zu sein scheint.
  • Entwicklung einer Kommunikationsstrategie und Aufbau entsprechender, auch unabhängiger Kapazitäten , um die strukturellen Hindernisse einer Friedensberichterstattung zu überwinden.
  • Definition von Zivilen Planzielen 2010 für Schlüsselfähigkeiten der ZKB (z.B. für gesellschaftliches Peacebuilding/ZFD, Sicherheitssektorreform, Demilitarisierung/Demobi-lisierung und Reintegration) orientiert am Bedarf + in Abstimmung mit den Planzielen der EU. Hier ist der Ehrgeiz eines Aufholprogramms angesagt.
  • Neben Risiko- und Bedrohungsanalysen müssen gleichwertig Chancenanalysen treten: Um Frieden wirksam fördern zu können, müssen Friedensakteure, -potenziale und -prozesse identifiziert werden.
  • Ãœber die vorherrschende Friedenskonsolidierung darf die Primärprävention nicht vernachlässigt werden. Damit early warning nicht immer wieder als Rufen in der Wüste endet, sind early-action-Mechanismen zu entwickeln.

Zusammengefasst:

Zivile Krisenprävention/Friedensförderung braucht einen neuen Schub! Hier ist jetzt vor allem das Parlament in der Pflicht. Der Bedarf ist dringender denn je!

Wichtige neuere Studien und Veröffentlichungen:

- Zivile Friedensförderung als Tätigkeitsfeld der Außenpolitik - eine vergleichende Studie zu Deutschland, Kanada, Norwegen, Schweden und der Schweiz des Center for Security Studies der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, November 2006 (www.css.ethz.ch/punlications/ZAPS_WEbversion.pdf)

- Christoph Weller (Hrsg.): Zivile Konfliktbearbeitung - Aktuelle Forschungsergebnisse, INEF-Report 85/2007 in Kooperation mit der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung (www.inef.de)

- Institut für Auslandsbeziehungen/ifa (Hrg.): Frieden und Zivilgesellschaft - fünf Jahre Förderprogramm Zivile Konfliktbearbeitung, Stuttgart 2006 (Wochenschau-Verlag)

- J. Dobbins u.a.: The Beginner`s Guide to Nation-Building, Rand National Security Research Division 2007 (eine „Doktrin zur Durchführung effektiver Nationbuilding-Operationen" auf der Basis der Auswertung solcher Operationen der USA, Europas, der UN und anderer Staaten und Organisationen in den letzten 60 Jahren; www.rand.org/pubs/monographs/2007/RAND_MG557.pdf)

- Ulrich Schneckener: Internationales Statebuilding - Dilemmata, Strategien und Anforderungen an die deutsche Politik, SWP-Studie Mai 2007

- Abschlussbericht „Partner in Konfliktprävention und Krisenmanagement: Zusammenarbeit von EU und NRO`s", hrg. Vom AA, EPLO, Crisis Management Initiative, Bertelsmann-Stiftung, August 2007

- Reinhardt Rummel: Die zivile Komponente der ESVP. Reichhaltiges Gestaltungspotenzial für europäische Krisenintervention, SWP-Studie, Berlin Juli 2006

- EPLO: Five years after Göteborg: the EU and its conflict prevention potential - Conflict Prevention Partnership Report, Brüssel 2006

- Jana Arloth, Frauke Seidensticker: The ESDP Crisis Management Operations of the European Union and Human Rights,, Dt. Institut für Menschenrechte, Berlin 2007

- Peace and Conflict Assessment (PCA) - ein methodischer Rahmen zur konflikt- und friedensbezogenen Ausrichtung von EZ-Maßnahmen, gtz Sektorvorhaben Krisenprävention & Konfliktbearbeitung, Eschborn 2007

- EastWest Institute: International Task Force on Preventive Diplomacy: an Innovative and Timely Multi-Year-Project. Key Policy Documents, Project Framework, Membership, Brüssel 2008 (Broschüre)

- Kooperation für den Frieden (Hrg), Monitoring Projekt: Zivile Konfliktbearbeitung, Gewalt- und Kriegsprävention: Bürgerinnen- und Bürgerinformation und Dossiers I-III zu Iran, türkisch-kurdischem Konflikt, Israel-Palästina-Konflikt, Bonn 2006 ff

Der Autor ist sicherheits- und abrüstungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Vertreter der Fraktion im Beirat „Zivile Krisenprävention" zum Aktionsplan. Er ist außerdem Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, im Aufsichtsrat des ZIF, im Vorstand von „Gegen Vergessen - für Demokratie", im Kuratorium von Care Deutschland und der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit; Mitglied im forumZFD, Bund für Soziale Verteidigung, Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, Friedensinitiative Nottuln, Münster und FREIe HEIDe/Brandenburg.


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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